(Karpatentour Dezember 1997 - Januar 1998 – Rumänien)
Nach 4 Bergtouren durch die Karpaten Rumäniens kannte ich einen Großteil des Gebirges. Bis jetzt war ich im Frühling, Sommer und Herbst durch die Berge Rumäniens gewandert, jedoch noch nie im Winter. Nur: Wie mochten die Karpaten im Winter aussehen? Diese Frage beschäftigte mich so stark, dass ich unbedingt eine Antwort finden musste. So beschloss ich, meinen Rucksack zu packen und kurz vor Weihnachten mit meinem Wanderkameraden Michael zu einer Wintertour in die Südkarpaten Rumäniens aufzubrechen.
Für unsere erste alpine Winterwanderung wählten wir das Bucegi-Gebirge, da ich das Plateau als relativ lawinensicher einstufte. Ob dem so war, wusste ich jedoch nicht. Wir hatten weder LVS, Schaufel oder Sonde, wussten nichts von Schneeprofilen, Wumm-Geräuschen oder Neigungswinkeln. Einen Lawinenlagebericht kannte ich auch nicht, den gab es für dort sowieso nicht. Das Einzige, über das ich mir richtig den Kopf zerbrach, war der Routenverlauf. Und so beschloss ich, von Sinaia aus zum Bucegi-Plateau aufzusteigen, bis zum Omu, dem höchsten Punkt des Gebirges zu laufen und von dort über eine geeignete Route wieder abzusteigen.
Übernachten wollten wir auf Berghütten, ob die alle aufhatten, wussten wir jedoch nicht. Zur Sicherheit packte ich also auch mein Zelt in den Rucksack. Dass es wintertauglich war, wusste ich von unserem Godeanu-Abenteuer Anfang Juni.
Der Bus kommt pünktlich in Brașov an. Es ist nass, kalt und neblig, Schnee fehlt. Vor dem Bahnhof warten die Taxifahrer, um uns ihre Dienste anzubieten. „Ist auch nicht teuer, nicht wie in Deutschland.“ Doch die 10 Minuten bis zum Hotel Codreanu können wir laufen. Das Team und die Preise hatten sich geändert. Die Jungs sehen gaunerhafter aus, die Mädchen leichter. Die Zimmer kosten das Doppelte als noch im Sommer (2-Bett-Zimmer mit Bad 150 000 Lei, 2-Bett-Zimmer ohne Bad 100 000 Lei, Einzelzimmer 70 000 Lei). Wir buchen Zimmer Nummer 40, ohne Bad. Die Wände haben eine Holzverkleidung, natürlich schief und irgendwie zusammengestückelt, zwischen den Rillen kleben Kaugummis. Die Elektroinstallation gleicht der im Keller meiner Mutter. Ich fühle mich wie in der Sauna, die Heizung lässt sich nicht abschalten. Doch da unsere Rucksäcke samt Inhalt feucht sind, kommt uns die Wärme recht gelegen. Nur zum Schlafen ist es nicht so toll. Da sich das Fenster öffnen lässt, wird die Temperatur mit der Zeit etwas angenehmer. Wir versuchen, ein wenig zu schlafen.
Unsere erste Amtshandlung am nächsten Morgen besteht darin, Geld zu tauschen. Jeder tauscht 200 DM. Der Kurs ist jetzt 1 DM zu 4 550 Lei. Micha geht zurück zum Hotel, ich will mir noch einen Stadtplan von Brașov kaufen und dann nachkommen.
So über den Bahnhof schlendernd spricht mich eine Dame mittleren Alters an. Ob ich denn gerade angekommen sei oder weiter will. Ihr Name sei Maria und sie hätte ein Quartier für mich. Um mich zu überzeugen, hält sie mir einen Lonely-Planet-Führer unter die Nase. Dort stehe sie auch drin. Ich überlegte kurz, wenn alles klappt wie geplant, würden wir in etwa einer Woche wieder in Brașov sein. Da wäre eine gescheite Unterkunft nicht verkehrt, auf die Rumpelbude im Hotel hatte ich keine Lust mehr.
Ich schildere ihr unseren Plan. Sie will uns ein Zimmer reservieren. Im Bucegi liegt Schnee. Heute würde die Seilbahn aber nicht fahren. Die Omu-Hütte sei nicht bewirtschaftet, aber wir könnten in der Wetterstation übernachten, erfahre ich. „Einfach nach Ghiță oder Cătalin fragen,“ ruft sie mir im Weggehen zu.
Im Hotel räume ich das Zimmer und gebe den Schlüssel an der Rezeption ab. Micha ist schon unterwegs, um zwei Tickets zu holen. Unser Zug nach Sinaia fährt um 12:38 Uhr. Wir packen unsere Sachen und gehen zum Bahnhof. In Sinaia schneit es tatsächlich. Es ist 14 Uhr. Wir gehen zur Seilbahn. Sie fährt heute tatsächlich nicht. Jeden Montag hat sie Durchsicht. Also war meine Info korrekt und ich konnte dieser Maria vertrauen. Wir erkundigen uns nach dem Weg zur Cabana Brădeț. Laut meiner Wanderkarte ist es die erste Hütte am Weg. Es geht immer dem roten Band nach. Je höher wir kommen, desto mehr Schnee liegt. Es ist aber nicht kalt und schneit nur noch wenig. Ein Hund begleitet uns ein Stück.
Gegen 16:15 Uhr erreichen wir die Hütte. Es dämmert bereits. Die Hütte liegt auf 1300 m und macht von außen einen recht ordentlichen Eindruck, sie sieht nicht baufällig aus. Drinnen ist wenig los. Ein Alter hockt an einem der Tische, vor ihm ein Stapel Quittungen. Zwei jüngere Typen am Nachbartisch trinken Cola. Ich frage die Frau hinter der Theke, ob wir ein Zimmer haben könnten. Sie sagt uns, wir sollten den Mann drüben am Tisch fragen. Es ist der Hütten-Boss.
„Wie lange wollt ihr bleiben“, will er wissen. „Eine Nacht.“ Einer der Typen vom Nachbartisch mischt sich ins Gespräch ein und übersetzt uns auf Englisch. Die Beiden diskutieren etwas. Wollen wissen, wo wir herkommen. Schließlich meint der Jüngere, dass nur noch ein 3-Bett-Zimmer frei wäre. Damit ist mir klar, dass die Beiden das Maximum aus uns herauspressen wollen. 210 000 Lei für zwei Personen. Das ist mehr als das Doppelte in Brașov. Hier wäre das billig, so der Typ. Was sollen wir machen? Weiterzugehen hatte keinen Wert mehr, es ist dunkel und nur ein Hotel liegt noch auf dem Weg und dieses würde erst recht nicht billiger sein. Also akzeptieren wir zähneknirschend. Ich glaube nicht, dass der Preis okay war. Der eine von den beiden Jüngeren gibt an, Bergpolizist zu sein. Ich konnte mir darunter nichts vorstellen. Aber der muss ja auch sein Geld verdienen. Er hat etwas aufdringlich Schwuchtelhaftes an sich und war mir von Anfang an unsympathisch.
Das Zimmer an sich ist ganz okay. Zum Abendessen entschieden wir uns für eine Fleischsuppe, Micis (Hackfleischröllchen) und trinken ein Bier. Der Schwuchteltyp kommt zu uns an den Tisch und will wissen, was wir vorhaben. Während er uns den Weg zur Babele-Hütte auf der Karte zeigt, kommt ihm eine andere Idee. Am 25. wäre er hier zum Ski fahren und will uns partout dazu überreden, hier zu bleiben und mit ihm mit zu kommen. 15 Jahre hätte er bereits Erfahrung im Ski fahren. Würde mit dem Boss reden, dass es etwas billiger wird und die Ausrüstung nimmt er auf seine Kosten. „Rumänisch essen und trinken.“ Macht der Witze? Mein Entschluss stand fest – Nein!
Wir bezahlen die 210 000 Lei fürs Zimmer, 30 000 Lei sollte das Essen kosten. Wir schieben 250 000 Lei über die Theke. Der Wirt gibt uns 10 000 Lei zurück, verschwindet in der Küche, um festzustellen, ob das Essen tatsächlich nur 30 000 Lei gekostet hat. Es kostete aber seiner Meinung nach 42 000 Lei. Also müssen wir noch 12 000 Lei zahlen. Trinkgeld gibt es keins. Der Bergpolizist labert noch allerhand dummes Zeug. Er hätte einen Abschluss in Psychologie und würde nun ganz genau wissen, dass ich ärgerlich war. Ich glaube, sein schlechtes Gewissen ließ ihn das eher glauben. Und er versuchte uns noch weiter penetrant von unserem Vorhaben abzubringen, zur Babele Hütte zu laufen. „Da ist nichts, und wenn euch was passiert, muss ich euch suchen. Das kann bis zum Sommer dauern.“ Er wäre ja verheiratet und hätte Kinder, schwafelt er rum. Letzteres konnte ich mir nur schwer vorstellen. Endlich verschwinden sie. Sein Partner steckt noch eine Säge ein. Vermutlich wollen sie Bäume klauen.
Der Hüttenwirt wünscht uns „Drum bun“, eine gute Reise. Es ist 9:30 Uhr. Wir laufen die Straße entlang nach oben. Bis zur Seilbahnstation am Hotel Alpin ist es nicht weit (etwa 30 Minuten). Die Seilbahn fährt zwar nach Sinaia runter, aber nicht hoch. Es ist übel, uns bleibt nichts weiter übrig, als zu laufen. „Aufgrund des Windes“, meint ein Typ, der an der Station hockt. Oder hatte man einfach keine Lust, da ja niemand da war, der hoch wollte? 2 ½ Stunden würden wir bis hoch brauchen, so der Typ. Anfangs läuft es sich ganz gut bis zur Cabana Valea cu Brazi. Dann teilt sich der Weg. Links rotes Band, über eine unberührte Schneedecke. Rechts unmarkiert, aber mit Fußspuren - wir folgen ihnen.
Die Spuren sind nicht frisch. Die Verwehungen, in denen wir stecken bleiben, teilweise hüfthoch. Dann folgen wieder frei geblasene Stücke, wo fast gar kein Schnee liegt. Dort geht es aber auch nicht immer besser. Manchmal ist es so glatt, dass wir hin und her rutschen, ein Eiertanz. Wir folgen den Spuren weiter nach oben. Unterhalb der Seilbahn läuft eine steile Rinne nach oben. Ich finde keinen Halt mit meinen Schuhen, sobald ich einen Schritt nach oben mache, rutsche ich drei Schritte zurück. Michas Schuhe greifen besser. Aber bei mir ist es zwecklos, wir müssen umkehren und uns einen anderen Weg suchen. Wir wenden uns nach Süden, dort erkennen wir in der Ferne Markierungsstangen. Kurz bevor wir auf einen breiten zugeschneiten Weg kommen, versinke ich noch mal bauchnabeltief im Schnee. Wie ein Maulwurf wühle ich mich heraus. Auf dem Weg zeigen sich auch wieder frische Spuren. Wir folgen ihnen. Es ist anstrengend. Bald kommen Hütten und Liftanlagen in Sicht. Es dauert aber noch eine ganze Weile, bis wir die Moirița-Hütte erreichen.
Ausgehungert und durstig betreten wir die Hütte. Wir essen erst mal ein bisschen und trinken eine Cola. Dann fragen wir den Hüttenwirt, ob wir übernachten könnten. Müssen wir wieder ein Vermögen opfern? Zum Glück sind nicht alle Hüttenwirte gierig, das Zimmer kostet 25 000 Lei/Person. Also ein normaler Preis.
Der Hüttenwirt heißt Florin. Seine Tante wohnt in Frankfurt, berichtet er stolz. Auf der Hütte sind noch ein paar Kinder untergebracht, ansonsten ist es ziemlich leer.
Wir beziehen unser Zimmer, es ist okay. Zum Abendessen gibt es: Rindfleischsuppe und Mămăliga mit Butter und Schafskäse. Danach bringt Micha seine Stöcke in Ordnung, die Teller rutschten immer runter. Gleich hinter der Hütte führt das gelbe Band zur Seilbahnstation. Wir folgen ihm ein paar Meter, als aus dem Nebel eine Gondel auftaucht. Wir hätten uns die ganze Schinderei sparen können, hätten nur zu warten brauchen.
Vor der Hütte treffen wir einen, der wie ein Bergsteiger aussieht und Morgen zur Piatra Arsă Hütte will, wenn es das Wetter zulässt. Jetzt ist es ihm zu windig.
Abends sitzen wir mit Uză, dem Seilbahnwart, einem Mitarbeiter der Piatra Arsă Hütte, SALVAMONT-Leuten und einigen von der Miorița-Hütte zusammen. Sie laden uns ein zu Bier und Wein. Der Seilbahnwart ist schon ziemlich angeheitert. Er will noch am Abend hoch zur Station. „Jetzt wissen wir, warum die Seilbahn erst am Abend fuhr“, sagt Micha. Der Typ von der Piatra Arsă Hütte will morgen früh um 7 Uhr starten. „Der Weg ist kein Problem“, sagt er. Der Bergsteiger meint, es wäre gefährlich. Doch die von der Bergwacht raten uns nicht davon ab. Laut Hüttenwirt sind es bis zur Piatra-Arsă-Hütte 2 Stunden. Also rechnen wir mit 4 Stunden. Wichtig ist, dass der Wind sich legt.
Ich stelle meine Uhr auf 8 Uhr. Es ist 22:30 Uhr, als wir schlafen gehen.
Es ist ein guter Morgen. Unter uns die Wolken, über uns blauer Himmel. Wir stapfen am Hang der Furnica nach oben. Von der Seilbahnstation werden gerade Kisten mit Mineralwasser per Schlitten und Seilwinde zur Hütte gebracht. Wir verabschieden uns und los geht's. Auf der Furnica ist eine Militärstation. Ich mache trotzdem ein Foto, in der Hoffnung, nicht gleich verhaftet zu werden. Das Verbotsschild sehe ich erst hinterher. Vor uns sind Spuren im Schnee. Der Mann von der Piatra-Arsă-Hütte? Wir versuchen, immer in die Spuren zu treten. Der Abstand ist ziemlich groß, der Typ muss gerannt sein. Ab und zu brechen wir noch knietief in den Schnee. Bald sehen wir am Hang ein Gebäude. Es könnte die Piatra-Arsă-Hütte sein, glaube ich zuerst. Dann stellt sich aber heraus, dass es die Seilbahnstation unterhalb der Babele Hütte ist. Das Gipfelkreuz vom Caraiman und der Coștila-Turm sind auch zu sehen sowie das Dach der Babele-Hütte. Die Piatra-Arsă-Hütte liegt in einer Senke unter uns. Wir sehen sie erst später und steigen zur Hütte hinab.
Etwa 1 ½ Stunden haben wir von heute Morgen bis zur Piatra-Arsă-Hütte gebraucht. Es ist jetzt 10:15 Uhr. Wir beschließen nach einer kurzen Pause weiter zu laufen bis zur Babele-Hütte. Kurz nach der Piatra-Arsă-Hütte sacke ich noch einmal bis zu den Hüften in den Schnee ein. Danach geht es aber ausgezeichnet. Eine Spur führt uns bis zur Babele-Hütte. Der Pfad ist ziemlich fest. Uns überholen Typen, die einen Schlitten hinter sich herziehen. Der Mann, der heute Morgen zur Piatra-Arsă-Hütte gelaufen ist, kommt auch wenig später vorbei. Wir sind jetzt kurz vor der Seilbahnstation, über mir schwebt die Gondel. Kurz nach 12 Uhr erreichen wir die Babele-Hütte. Reichlich 3 Stunden waren wir unterwegs. In der Babele-Hütte frage ich nach einem Zimmer. Von der Theke dröhnt Disco-Musik. Man gibt uns erst ein Massenquartier mit 12 Betten (15 000 Lei).
Wir können noch nicht mal unser Bier austrinken, schon müssen wir einem Mädchen folgen, das uns das Zimmer zeigt. Danach fragt die Dame an der Rezeption, ob wir bereit wären, noch die Differenz zu 33 000 Lei zu zahlen. Dann könnten wir ein Doppelzimmer bekommen. Da wir morgen einen Tagestrip machen wollen und das Gepäck in der Hütte lassen wollen, ist es okay.
Langsam wird es voll in der Hütte. Draußen zieht Nebel auf. Ich zeige Micha die Sphinx im Nebel. Das Wetter wird wohl heute nicht mehr besser.
Irrtum, gegen Abend klart es auf. Wir machen Fotos von der Sphinx. Die nördlichen Gipfel sonnen sich in der Abendsonne. In der Hütte wird es zusehends ruhiger. Mit der letzten Seilbahn verschwinden auch die letzten Touristen. Zum Abendessen sind wir die einzigen Gäste. Es gibt Fleischklößchensuppe und Leber.
Von irgendwoher kommt doch noch eine Gruppe Rumänen. Der Hüttenwirt stellt die bis jetzt normale Lautstärke seiner Anlage auf full und die Rumänen tanzen zu typisch rumänischer Musik.
Die Heizung in unserem Zimmer läuft auf Hochtouren. Muss sie auch, da das Äußere der Beiden Doppelfenster eine zerschlagene Scheibe hat. Man könnte auf der Heizung Eier braten. Mich wundert's, dass die Gardinen darüber kein Feuer fangen. Aber vielleicht passiert es ja mal, und dann brennt wieder eine Hütte ab. Manche Zimmer werden mit Gasöfen geheizt. In einem Raum ist sogar ein Kamin mit Gasheizung, echt nobel.
Mit einem Sonnenaufgangsfoto der Sphinx wird es nichts. In der Nacht war es zwar klar, als aber um 6 Uhr meine Uhr piepste, ist der Himmel bewölkt. Wir gehen gegen 8 Uhr zur Caraiman-Hütte runter. Es tobt ein ziemlich heftiger Wind aus Nord. Der Blick ins Jepi-Mic-Tal ist phantastisch. Bis Bușteni können wir schauen. Doch das Wetter verschlechtert sich zusehends, bald hüllt uns Nebel ein. Wir entscheiden uns gegen eine Bucegi-Überschreitung. Das Wetter ist zu labil. Wir beschließen erst einmal abzusteigen und zurück nach Brașov zu fahren.
Zurück an der Hütte, packen wir unsere Sachen. Ich trinke noch eine Cola, Micha einen Kaffee, dann gehen wir zur Seilbahn. Der Seilbahnwart sagt uns, dass heute nichts fahren würde, der Wind wäre zu stark. Doch kurze Zeit später kommt doch noch eine hoch und bringt Leute mit. Wir fragen noch mal, aber wieder negativ. Wir warten. Ein Typ kommt gegen 11:30 Uhr und sagt, dass das Seilbahnpersonal in Bușteni um 12 Uhr Feierabend machen würde. Wir haben die Möglichkeit, noch eine Nacht auf der Babele-Hütte zu verbringen und zu hoffen, dass morgen etwas geht, oder zur Seilbahnstation an der Miorița-Hütte zu laufen.
Wir entschließen uns für die letzte Variante. Es geht sagenhaft gut. Nach 2 Stunden sind wir da. Es ist Skibetrieb und die Gondel fährt. Gegen 14 Uhr sind wir in Sinaia. Hier kommt es uns wesentlich kälter vor als im Gebirge. In der Stadt ist einer mit 2 Bären, einem jungen und einem älteren. Mit einer Polaroidkamera bewaffnet können sich die Leute mit dem Jungtier fotografieren lassen.
Wir gehen zum Bahnhof. Der nächste Zug fährt um 14:50 Uhr. Es ist der Schnellzug nach Oradea. Wir fahren mit. Ein Blick aufs Bucegi-Gebirge, das sich jetzt in Wolken hüllt. Auf dem Bahnhof in Brașov wartet wieder Maria. Wir nehmen bei ihr ein Zimmer für 10 US$/Person. Wenn wir das nächste Mal in Brașov sind, gibt es 2 US$ Rabatt, sagt sie. Schnell und hektisch zeigt uns Maria die Wohnung, dann ist sie verschwunden. Es ist richtig nobel. Mehrere Zimmer, eine große Küche und zwei Bäder. Wir teilen uns die Wohnung mit 5 Amerikanern – Englischlehrer in der Moldauischen Republik, die hier Urlaub machen.
Morgen wollen wir von Ost nach West ins Retezat-Gebirge. Mal schauen, ob dort besseres Wetter herrscht. Und wir eine Nord-Süd-Überschreitung auf die Reihe bekommen.
Wir bleiben den Vormittag in Brașov am Nachmittag fahren wir auf die Poiana Brașov. Abends, auf dem Bahnhof, treffen wir wieder Maria, für den 2. Januar will sie uns ein Zimmer in der Nähe des Bahnhofs reservieren. Unser Zug nach Simeria geht um 00:53 Uhr.
Stress am Abend. Wir hatten unsere Rucksäcke in der Gepäckaufbewahrung deponieren lassen. Als wir sie wieder holen wollen, ist die Gepäckausgabe abgeschlossen und keiner da. Ich renne zum Schalter an der Information. Dort tratscht die Tussi von der Gepäckausgabe in aller Ruhe mit der Info-Dame.
Der Zug kommt pünktlich, und wir sind pünktlich um 8:30 Uhr in Ohaba. Wir sind nicht die einzigen Wanderer mit der Absicht, eine Tour ins Retezat zu machen. Vor dem Bahnhof werden gerade Rucksäcke auf einen Aro geladen. Für unsere Rucksäcke ist kein Platz mehr. Das Fahrzeug sieht eh aus, als ob es bald zusammenbrechen würde. Eine Gruppe Rumänen steht neben ihren Rucksäcken. Einer sagt zu uns, dass der Aro in ca. 1 ½ Stunden zurückkommt und den Rest holt. Wir können warten und dann mitfahren. Gut, wir werden warten. Als der Aro aber nach 3 Stunden noch immer nicht da ist, glauben wir, dass da etwas faul ist. Zwei Rumänen sind schon losgegangen. Der Rest diskutiert mit einem Mann herum, der angeblich bis Nucșoara fahren will, einem Dorf am Fuß der Berge. Da wir aber 9 Personen sind, müsste er zweimal fahren. Wir wollen nicht länger warten, verabschieden uns und laufen los. Nach etwa ½ Stunde kommt hinter uns ein Bus. Dort sitzt der Rest der Rumänen drin. Wir fahren ein Stück mit. Einer der Rumänen heißt Răzvan, ein Forstingenieur aus Deva. Mit seiner Frau Elis will er ein paar Tage auf die Pietrele-Hütte im Retezat. Elis arbeitet als Volkswirtin bei der Romtelecom.
Von ihren Landsleuten haben die beiden nicht die beste Meinung. „Solang die Menschen sich nicht ändern, wird sich auch im Land nichts ändern“, sagt Elis. So erfahren wir, dass zum Beispiel die Firma Salomon in Rumänien eine Schuhfabrik baute, aber die Leute stahlen die Schuhe und verkauften sie, um in die eigene Tasche zu wirtschaften. Daraufhin stoppte Salomon das Projekt. „Die Menschen denken nur von heute bis morgen und nicht langfristig“, ist Elis Meinung.
Kurz vor Nucșoara überholt uns ein roter Kleinbus mit dem Rest der Rumänen vom Bahnhof. Auch für uns findet sich noch ein Plätzchen.
Der Aro mit der ersten Fuhre ist unterwegs irgendwo verreckt. Ein Traktor hat ihn im Schlepp, als wir ihm auf der Straße nach Nucșoara begegnen. Deswegen ist er auch nicht zurückgekommen.
Wir fahren bis zur Cabana Cârnic. Von der Cârnic-Hütte sind es noch etwa 2 ½ Stunden bis zur Pietrele Hütte. Es ist jetzt 13:30 Uhr. Wir brauchen nur 2 Stunden bis zur Hütte. Hütte ist irreführend, wie ich finde. Denn neben dem Hauptgebäude, der eigentlichen Pietrele-Hütte, gibt es noch eine größere Hütte, die Vila Stânișoara sowie viele kleine Hüttchen, die an Touristen vermietet werden. Wir bekommen ein Zimmer (6 Betten) in der Villa. Leider dürfen wir nur 2 Nächte bleiben, denn zu Silvester ist hier alles ausgebucht. Wir begeben uns ins Hauptgebäude, um etwas zu essen. Es gibt Brühreis, danach Würstchen mit Senf.
Das Wetter ist alles andere als schön. Dichter Nebel wabert zwischen den Baumwipfeln. Ob wir eine Überschreitung des Hauptkamms bis zur Buta-Hütte schaffen, ist mehr als fraglich. Von Răzvan erfahren wir, dass für die abgebrannte Buta-Hütte provisorisch ein Shelter errichtet wurde, der kann offen oder auch zu sein. Bis zum Bucura-See würde er mitkommen und dann wieder zurückgehen.
Ein Typ mit kurzen Hosen rät uns von unserem Vorhaben ab. Er behauptet, der Schnee wäre bis zum Bauch hoch. Er ist schon seit 4 Tagen hier und noch nicht weggegangen. Außer sich mit seiner Freundin mit Schnee zu beschmeißen oder Holz zu hacken, hat er keine Beschäftigung, wie es scheint, weiß aber bestens über die Situation auf 2000 m Bescheid.
Genauere Informationen über den Weg können wir nicht bekommen. Răzvan sagt, das wisse lediglich der SALVAMONT in Petroșani oder Lupeni. Doch auch da bin ich mir nicht sicher. Es wird uns nichts weiter übrig bleiben, als uns selbst ein Bild zu machen. 3 ½ Stunden sind es laut Wegweiser bis zum Bucura-See. Laut Răzvan soll es möglich sein, in der SALVAMONT-Hütte zu übernachten.
Nach dem Essen müssen wir uns um unsere Zimmerheizung kümmern. Ich hacke Holz, aber mit dem Feuer machen das klappt nicht. Es raucht wie wild aus dem Ofentürchen, brennen will das verdammte Holz aber nicht. Bald fühlen wir uns wie in einer Räucherkammer. Irgendwann geben wir es auf und gehen Elis und Răzvan besuchen.
Răzvan's größtes Interesse galt unserer Bergausrüstung. Er ließ sich von einem Freund in Frankreich Kataloge von Ausrüstungsfirmen schicken. Salewa und vauDe sind seine Favoriten, aber auch Lowe kennt er. Die Deutschen Kataloge übersetzt er mithilfe eines Wörterbuchs. Fachwörter, die er nicht übersetzen konnte, übernahm er dann einfach im Original in seinen Wortschatz. Es klang dann oft recht lustig, wenn er sprach: „There is a tent from vauDe this have a Gestänge ...“ Oder „I had a Idiotenkamera from Germany.“
Noch einmal versuchen wir uns an unserem Feuerchen, aber es will einfach nicht brennen. Nach mehreren Versuchen geben wir genervt auf. Răzvan's Idee, einen mit Diesel getränkten Lappen zu verwenden, zeigt endlich Erfolge, es brennt! Doch qualmen tut es immer noch. Beim Holz nachlegen fällt mir das Ofentürchen entgegen. Schließlich verkriechen wir uns in unsere Schlafsäcke.
Es ließ sich trotz Rauch ganz gut schlafen. Ich fühlte mich nicht wie Schinken. Draußen kommt etwas runter, das man zwischen Schnee und Regen einordnen konnte. Wir starten trotzdem unsere Tour, um den Bucura-See zu erreichen. Ein ausgetrampelter Pfad führt von der Pietrele-Hütte zur Gențiană-Hütte. Diese war voll belegt. Der Hüttenwirt, ein alter Mann, macht uns einen Tee mit Himbeerblättern für 500 Lei. Dann ging es weiter. Der Pfad führt sanft nach oben. An einer Brücke über den Pietrele-Bach kommen uns 4 Wanderer entgegen. Sie wollten auf die Peleaga, mussten aber wegen Schnee und Wind wieder umkehren. Wir würden nicht zum See kommen, sagen sie. Wir gehen noch ein Stück, etwa bis Höhe Pietrele-See. Der Nebel wird so dicht, dass man sämtliche Orientierung verliert. Der Wind bläst zwar stark, doch ich hatte schon stärkere erlebt. Trotzdem machte es keinen Sinn weiter zu laufen.
Lawinenprobleme gab es bisher noch nicht, doch wenn es weiter ununterbrochen schneit, kann sich das schnell ändern. Hier im Pietrele-Tal ist Alexandru Șerban (Cuxi), einer der bekanntesten rumänischen Bergsteiger, am 11. Februar 1983 verunglückt. Durch eine Lawine während einer Skitour. Eine Tafel erinnert an ihn.
Wir drehen um. In der Hütte gibt es Hühnersuppe mit Würstchen und Tee. Die Hüttenbetreiber Diana und Mihai Vonica machen ihren Job ausgezeichnet. Im Vorraum liegt eine Zeitschrift der Karpaten – Munții Carpați heißt das Blatt. Leider nur auf Rumänisch.
Unser Versuch, den Ofen im Zimmer anzuheizen, scheiterte erneut. Erst der Nachbar von Răzvan und Elis schaffte es. Er schien ein Spezialist im Feuermachen zu sein.
Der Typ, der den Generator betreibt, stürzt besoffen durch den Schnee, es dauert ein Weilchen, bis wir Licht haben.
Heute müssen wir die Pietrele-Hütte verlassen, da die Silvester-Gäste kommen. 11:30 Uhr beginnt der Abstieg. Wir laufen bis kurz hinter die Cabana Cârnic, dort nehmen uns welche mit. Elis und Răzvan in ein Auto, ich und Micha ins andere. In Ohaba de sub Piatră steigen die Beiden zu uns ins Auto.
In Deva zeigt uns Răzvan erst mal seine Katalogsammlung. Wir sollen ihm einen McKinley-Katalog schicken. „Bei uns muss man sich sehr genau informieren, bevor man etwas kauft“, meint Răzvan. „Um für das Geld, was uns zur Verfügung steht, das richtige zu kaufen.“ Selbst Kataloge scheinen Rumänen schwer zu bekommen. Den vauDe-Katalog aus England hat er sofort bekommen. In Deutschland hat man ihn auf die Vertretung in Rumänien verwiesen. Von der hat er nie Antwort bekommen. VauDe sollte seiner Vertretung in Rumänien mal auf die Finger klopfen.
Elis macht uns ein ausgezeichnetes Abendessen. Bratkartoffeln mit Fleisch, dazu einen Rotwein aus der Moldau. Anschließend selbst gebrannten Țuică (Palinka). Ich versuche Răzvan mit Insiderwissen zu beeindrucken, dass Palinka zweimal destilliert wurde. Er versteht: „Genau zweimal destilliert“, sagt er stolz.
Răzvan schenkt Micha und mir eine Flasche Țuică. Elis hat die Fahrkarten für den Zug nach Predeal gekauft. Auf dem Weg zum Bahnhof schauen wir uns noch etwas in Deva um. Eine Kleinstadt mit viel zu breiten Straßen, wie ich finde. Der Zug ist krachend voll. Eine Omi sitzt auf unserem Platz, die wollen wir nicht hochjagen. Wir stehen bis Predeal. In Brașov sehen wir Maria auf dem Bahnsteig. Sie sagt, es sei sehr stürmisch im Bucegi. Die Seilbahn von Bușteni fährt nicht. Wir sollten doch hier bleiben, hier wären wir sicher. „Kein Sturm, keine Bären und Wölfe“, sagt sie lachend.
In Predeal wollen wir meinen Freund Tudor besuchen. Ich hatte ihn im Sommer 1993 bei meiner Tour im Bihor-Gebirge kennen gelernt. Mit ein paar Kumpels will er in Predeal Silvester feiern. Doch suchen ist eine Sache, finden die andere. Wo sich die Unterkunft genau befand, weiß ich nicht, ich habe einen Straßennamen und eine interne Telefonnummer der Bahn, unter der er erreichbar sein soll. Das Haus gehört der CFRC (Căile Ferate Române Călători), der rumänischen Bahn also.
Im Fahrkartenschalter frage ich, ob die Dame mal unter der Telefonnummer anrufen könne. „An der Information“, sagt sie. Dort aber haben sie kein Telefon, können demzufolge nicht anrufen. Also Pech gehabt, denke ich. Ein Typ mit Schnapsfahne kommt aus der Information und bedeutet uns mitzukommen. Er fragt nach der Adresse und Telefonnummer. Geht in ein Hotel, kapiert nicht, dass die Nummer nicht öffentlich ist. Wird also weggeschickt. Dann irren wir die Bahnhofsstraße (Str. Intrada Gâry 3) lang, von einem Block zum anderen verschwindet der Typ. Wir warten. Er fragt einen Jungen, der auf der Straße Fußball spielt. Es nervt, auch die Taxifahrer haben keine Ahnung. Es hat keinen Wert. Wir finden das Haus Nummer 3 nicht.
Wir geben auf, gehen zurück zum Bahnhof. Am Ticketschalter sitzt eine andere Dame. Ich schiebe ihr den Zettel mit der Telefonnummer unter die Nase und sage, dass ich Kollegen von der Bahn sprechen möchte, sie solle doch mal die Nummer wählen. Und siehe da, sie ist zwar misstrauisch, gibt den Zettel einem Kollegen weiter, aber es klappt. Tudor meldet sich. In ein paar Minuten sind wie dort.
Es ist eine ziemlich wilde Gesellschaft, Tudors Freunde aus Iași. Tudor geht es nicht so gut, er hat Zahnschmerzen. Wir können für eine Nacht hier schlafen. Morgen wollen wir gemeinsam zur Babele-Hütte.
Wir fahren nach Bușteni, kaufen noch etwas Brot und was zum Trinken. Dann geht's zur Seilbahn. Tudor sagt, wir müssten uns beeilen, er komme nicht mit. Warum nicht, wundere ich mich. Gleich fährt die letzte Seilbahn nach oben, sie kommt auch nicht mehr zurück. „Way of no return“ - deswegen kommt er auch nicht mit.
15 000 Lei kostet die Fahrt. Steil fallen die Felswände des Caraiman und Jepii Mici in die Tiefe. Spielzeugbäumchen stecken in einer weißen Decke aus Schnee. Es knackt und kracht in den Seilen, Eisstücke fliegen an uns vorbei. Als wir das Plateau erreichen, hören wir auch schon den Wind heulen. Er ist so stark wie das letzte Mal. Plötzlich bleibt die Seilbahn abrupt stehen. Das Telefon klingelt, und der Seilbahnwart diskutiert durch sein Funkgerät. Alle laufen auf eine Seite und machen Platz an einer Stelle, wo sich ein quadratischer Deckel im Boden befindet. Der Seilbahnwart öffnet den Deckel und holt eine Seilwinde raus. Einer der Fahrgäste im Bergsteigerlook sagt, dass sich die Kabel durch den Wind mit den Seilen verheddert hätten und die Seilbahn heute nicht mehr weiterfahren wird.
Way of no return! Tudor hatte wohl recht. Unser Ausstieg ist nicht mal 1x1 m groß. Inzwischen hat der Seilbahnwart die Winde an der Decke montiert und die Luke im Boden geöffnet. Es sind etwa 25 – 30 m nach unten. Ein Gurt wird an zwei Karabinern befestigt. Einer steigt ein und lässt sich nach unten. Dann wird am anderen Ende ein Sack befestigt und die Bergung kann beginnen. Ich bin der Erste, der abgeseilt wird, da ich genau neben der Luke stehe. Ich klettere in den Gurt und ab geht's. Der Wind packt gleich zu und zerrt und schüttelt so richtig an mir herum. Eiskristalle fliegen mir um die Ohren. Als ich unten bin, wird der Zweite im Sack runtergelassen und so wechselt sich das ab, einer im Gurt, der Nächste im Sack. Zum Schluss ist das Gepäck an der Reihe. Alles läuft recht ruhig und professionell über die Bühne. Keine Hektik, keine Panik. Bald schaukelt eine leere Seilbahnkabine im Wind über dem Bucegi-Plateau.
14 Leute wollen zur Wetterwarte auf den Omu. Wir wollen zusammen gehen. Der Wind bläst ziemlich stark, doch noch ist es kein Problem. Mir scheint es, dass manche mit ihren Kräften schon ziemlich am Ende sind. Wir machen häufig kurze Pausen. Als der Aufstieg unterhalb der Obârșia beginnt, wird es extrem. Der Wind donnert mit einer Wucht gegen uns, dass ich mich kaum auf den Beinen halten kann. Ein Mädchen vor mir wird laufend umgerissen. Ich gebe ihr meinen Stock und muss sie stützen. Hinter ein paar Felsen warten wir auf den Rest. Es beginnt ein langes Diskutieren. Ein Mann holt eine Wäscheleine raus, um sich daran festzuhalten. Er läuft ein paar Meter, fällt wieder um und kommt zurück. Hinter uns kommt einer allein hoch gelaufen. Mein Hintermann kennt ihn: „Der arbeitet auf der Wetterstation.“ Der Mann bedeutet uns, umzukehren. Doch die Gruppe entscheidet sich anders und will weiter. Jeder hält sich an der Leine fest, läuft 2 bis 3 Meter und die Hälfte fällt wieder um. Da habe ich die Schnauze voll und sage, dass ich zurückgehe. Noch können wir die Babele-Hütte im Hellen erreichen. Aber wenn wir länger warten, hat das keinen Wert mehr. Ich kehre mit Micha um und siehe da, die anderen kommen auch nach. Noch ein paar Mal muss ich mich um die Mädchen kümmern, wenn sie im Schnee stecken und nicht raus kommen. Kurz nach Sonnenuntergang erreichen wir die Babele-Hütte. Die letzten Meter waren sehr schön. Der Schnee wurde von der untergehenden Sonne angestrahlt und leuchtete blutrot.
In der Hütte ist alles für Silvester vorbereitet. Eine große Tafel ist gedeckt. Wir trinken erst mal eine Tasse Tee mit Rum. Die Beiden, die mit uns liefen, heißen Cristina und Ioan. Wir werden in einem 12-Bett-Zimmer untergebracht. Der Raum ist kalt. Erst später wird ein Gasofen angeschmissen. Unser Aufenthaltsraum dagegen hat sogar einen Kamin. Die Typen von der Seilbahn sind auch da. Sowie ein Bergsteiger, der Radu heißt, und einer von der Wetterstation. Ioan kennt beide, auch sie wollen morgen auf den Omu.
Ioan sagt, wenn wir noch etwas gewartet hätten, hätte sich der Wind gelegt. Doch dem war nicht so, in der Nacht tobte er sogar noch stärker als zuvor. Für die Silvesterparty haben die Leute hier 150 000 Lei plus Übernachtung gezahlt. Es sind komische Typen, die dort feiern. Irgendwie passen sie nicht auf eine Berghütte mit Anzug und Nobelklamotten. Wir haben es in unserem Raum viel gemütlicher. Oben auf dem Zimmer ist es lausig kalt. Gegen 3 Uhr fallen mir die Augen zu.
Ioan musste auf seinen Overall und Ausweis warten. Es ist 11 Uhr, als wir in Richtung Omu starten. Der Wind hat zugenommen, doch Omu und Hütte sind zu sehen. Als wir die Stelle erreichen, wo wir gestern umkehren mussten, zieht Nebel auf.
Wir finden eine Flasche Wein und eine Flasche Mineralwasser im Schnee. Jemand musste sie gestern hier verloren haben. Ioan nimmt sie mit. Beides ist tiefgefroren. Weiter geht es im dichten Nebel. Auf der einen Seite geht es steil nach unten. Eine Markierung sehen wir nicht. Dem Sommerweg können wir nicht folgen, zu gefährlich. Fels- und Schneewände machen ein Weiterkommen unmöglich. Selbst die Spuren von dem Typen, der gestern noch zur Wetterstation gelaufen ist, können wir nicht mehr erkennen. Die hat der Wind verweht.
Ioan folgt einem Kamm, von oben sieht er eine Markierung. Wir queren den Hang bis zu besagter Markierung – ein rotes Band. Es ist nicht unsere Markierung, sondern die für den Kammweg über den Westgrat des Bucegi. Uns bleibt nichts weiter übrig, als ein zweites Mal umzukehren.
Wir schicken uns gerade zur Umkehr an, als aus dem Nebel Stimmen zu uns heraufdringen. Es sind Gheorghe (Ghiță) von der Wetterstation und Radu, der Bergsteiger. Unser Problem schien gelöst, die Beiden kennen den Weg.
Cristina war wieder ziemlich fertig und machte Ioan Vorwürfe, weil er behauptet hatte, den Weg zu kennen. Auch ich glaubte es, aber im Nebel ist es oft anders. Nach etwa 20 Minuten erreichen wir die Wetterwarte auf dem höchsten Punkt des Bucegi-Gebirges – dem Omu. Eine dicke Schneedecke verdeckt die Omu-Hütte. Wir bekommen erst mal einen Tee.
Vlad, der gestern Abend noch zur Wetterstation gelaufen war, hatte gerade große Wäsche gemacht. Dann widmete er sich wieder seiner Lieblingsbeschäftigung, dem Țuică-Trinken. „Ist für mich wie Wein.“ Zu Weihnachten hatte er eine Flasche geschenkt bekommen. „Nicht gut“, sagt er. Hält den Finger rein und zündet ihn mit seinem Feuerzeug an. Am Abend ist er dann so besoffen, dass er sich einen Nagel in den Kopf schlagen will, um zu beweisen, wie hart dieser war.
Die Wetterstation war viel zu klein für uns alle. In Schichten wurde gekocht. Zermale, Würste, Spaghetti mit Salat usw. Ich muss Cristinas Kuchen kosten, Schlagsahne und vieles mehr. Einer holt eine Flasche Rum raus. Da er keine Schnapsgläser auftreiben kann, nimmt er halt Mineralwassergläser.
Schlafen dürfen wir im SALVAMONT-Schutzraum hinter der Omu-Hütte. Dort ist es heiß wie in einem Backofen. Es ist mir unbegreiflich, wie ein Mensch dort schlafen kann. Nur in Unterhosen lege ich mich auf die Pritsche, wie in einer Sauna rennen mir Schweißtropfen den Körper runter. Irgendwann wird mir die Sache zu bunt. Ich wühle mein Zelt aus dem Rucksack und baue es vor der Wetterstation in den Schnee. Ich hätte nicht gedacht, dass ich das Zelt noch brauchen würde und schon gar nicht auf 2500 Meter. Michael zieht es ebenfalls vor, im Zelt zu schlafen. Ioan konnte das nicht verstehen. Aber am nächsten Morgen ist er auch der Meinung, dass es viel zu warm war.
Der nächste Morgen ist klar, kalt und windstill. Die Sonne schiebt sich im Osten über den Horizont und taucht die Omu-Hütte und den Gipfel in ein rosarotes Licht. Unter uns ein Meer aus Wolken. Im Westen schauen die Massive Königstein und Fogarasch heraus, selbst den Parâng glauben wir, zu erkennen. Im Osten sind es der Krähenstein und der Penteleu. Wir verabschiedeten uns von Radu und den „Wetterfröschen“. Radus Rat, durchs Hirschtal nach Bușteni abzusteigen, will ich nicht riskieren. Den Weg kenne ich nicht. Wir laufen zurück in Richtung Babele-Hütte. Von da geht's weiter zur Miorița-Hütte und runter nach Sinaia. Mit dem Zug fahren wir zurück nach Brașov, wo uns Maria schon ein Zimmer offeriert. Es ist leider auch nicht in der Nähe des Bahnhofs, dafür bekommen wir Rabatt und sie will uns für morgen früh ein Taxi schicken.
Doch das Taxi kommt nicht, was ich schon vermutet hatte. So laufen wir zum Bahnhof. Mit dem Bus geht es zurück nach Deutschland.