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Auf Schneeschuhen durch die Hohe Tatra

(Karpatentour Januar 2005 – Polen)

Inhalt

  1. Nach Zakopane
  2. Die Hohe Tatra
  3. Die Westtatra
  4. Krakau
  5. Breslau
  6. Informationen

Ein Zettel an der Waggontür machte aus einem 1. Klasse-Abteil ein 2. Klasse-Abteil. So einfach löst die polnische Bahn Kapazitätsprobleme. Die Deutsche Bahn machte es sich noch einfacher. Wegen angeblich nicht ausgelasteter Züge stellte sie den Zugverkehr zwischen Görlitz und Breslau komplett ein.

1. Nach Zakopane

Wie die Fischchen in der Dose hockten wir nun in einem angeblich nicht ausgelasteten Zug auf unserem Weg in die Hohe Tatra. Bis zur Abfahrt unseres Zuges nach Zakopane hatten wir in Breslau etwas Aufenthalt, Zeit um auf dem Bahnhof Geld zu tauschen. Dann fuhr der Zug ein, der laut Aussage des Computers meines Reisebüros nur Schlaf- und Liegewagen hat, weshalb ich ein Schlafwagenticket kaufen musste. Tatsächlich sah es so aus, dass von den etwa 10 Waggons lediglich der Letzte ein Schlafwagen war – traue nie Computern.
In Zakopane, Polens Winterferienort, hatte tatsächlich der Winter Einzug gehalten. Eine dünne Schneedecke bedeckte die Gehwege und es schneite leicht. Es war kurz nach 7 Uhr und wurde bereits hell. Langsam schlenderten wir in Richtung Berge. Das Maut-Häuschen in Kuźnice am Eingang zum Nationalpark war um diese Uhrzeit noch nicht besetzt. Ohne unseren Wegezoll zu entrichten, durften wir die Berge der Hohen Tatra betreten. Wie ein frisch geweißtes Laken bedeckte der Schnee den Wanderweg. Es wurde Zeit, die Schneeschuhe auszupacken. Zunächst rutschte ich noch etwas drin herum. Erst als mir Helga ein paar Tipps zum richtigen Anlegen der Dinger gab und die Plastiknoppen von den Spikes entfernte, lief es sich angenehmer.

2. Die Hohe Tatra

Je höher wir stapften, desto stärker schneite es. Wind fegte über die Hänge. Der Weg durch das Tal war mit einem gelben Band markiert und mündete kurz vor dem Kamm auf einen Wanderweg, den ein blaues Band markierte. Hier lief es sich besser. Der Schnee war hart und ab und zu durch andere Wanderer etwas fest getrampelt. Erst beim Abstieg zur Hütte wurde es wieder pulvriger.
Die Frage, wie es im Winter auf den Hütten aussehen würde, beschäftigte mich schon seit der Abreise. In der Murowaniec-Hütte war nichts los. Wir bekamen ein 4-Bett-Zimmer für uns allein. Auch im Speisesaal hockten nur ein paar Wanderer und Skifahrer, was vermutlich auch am Wetter lag. Auf einem Schildchen mit Infos zum Bergwetter war die Lawinengefährdung mit dem Wert 2 angezeigt.
Während wir unseren Borschtsch (Rote Rüben Suppe) löffelten, gesellte sich einer der wenigen Wanderer an unseren Tisch. Lee war Amerikaner und arbeitete als Rechtsanwalt in einer Kanzlei in Warschau. Er mochte seinen Job nicht sonderlich, wie es schien. Jetzt wartete er bereits seit 5 Stunden auf eine SMS-Nachricht von seiner Freundin aus Krakau. „Bin fast jede 3. Woche hier in den Bergen“, erzählte er uns.
Die Gefahrenklasse für Lawinen hatte am nächsten Morgen den Wert 3 erreicht. Wir wollten bis zum Gąsienicowy-See laufen. Laut Wegweiser waren es 20 Minuten von der Hütte. Bei gutem Wetter. Wir brauchten fast eineinhalb Stunden.
Nicht nur der lockere Neuschnee machte das Gehen beschwerlich. Wo im Sommer Markierungen waren, war jetzt alles weiß. Das Suchen nach dem Weg kostete Zeit. Schritt um Schritt kämpfte ich mich nach vorn. Trotz der Schneeschuhe steckte ich an manchen Stellen bis zu den Knien im Neuschnee. Wie Nadelstiche pieksten die vom Wind aufgewirbelten Schneekristalle im Gesicht. Vom See war nichts zu sehen. Wir tranken etwas Tee und machten uns etwa 15 Minuten später auf den Rückweg.
An manchen Stellen hatte der Wind unsere Spuren komplett zugeweht. Außer einem Bergwächter auf Tourenskiern begegnete uns niemand. Da es nicht ratsam schien, im alpinen Gelände noch weiter zu laufen, beschlossen wir nach einem Bierchen in der Hütte noch eine Tour durch den Wald zu machen.
Es war eine herrliche Winterlandschaft, der „Weg“ sah aber nicht besser aus. Verwehungen und fehlende Markierungen machten das Laufen zu einem Geduldsspiel, das an den Kräften zehrte. Helga als Führungsperson spurte vorneweg, ich folgte in ihren Fußstapfen. Es machte mir Spaß, war auch viel leichter. Ich musste nur aufpassen, nicht zu schnell zu laufen, dann landeten nämlich meine Schneeschuhspitzen auf ihren Schneeschuhen. Wenn sie der Meinung war, dass ich zu übermütig wurde, hielt sie an und ich durfte freiwillig die schweißtreibende Führung übernehmen. Mir wurde nun endgültig klar, dass wir es morgen nicht bis zur Hütte am Meeraugensee (Fischsee) schaffen würden.

3. Die Westtatra

Wir beschlossen, zur Hali Kondratowej Hütte abzusteigen. Von dort hätten wir mehr Möglichkeiten etwas zu unternehmen als am Morskie oko, vorausgesetzt das Wetter bessert sich.
Ich hatte die urige Hütte noch in guter Erinnerung. Vor zwei Jahren war es die einzige Hütte in der Tatra, auf der es kein Bier gab. Das Essensangebot war auch dieses Mal nicht so umfassend wie auf der Murowaniec-Hütte, aber die hatten wieder Bier und eine recht geräumige Duschkabine.
Mit 4 anderen Wanderern wurden wir auf ein 6-Bett-Zimmer gesteckt. Der Abend verging schnell beim Mensch-Ärger-Dich-Nicht-Spielen, auch wenn ich dabei nicht so recht erfolgreich war ...
Der nächste Tag versprach nichts Gutes. Ein Blick aus dem Fenster ergab, dass die Flocken schon wieder kreuz und quer wirbelten und der Himmel hüllte sich in ein tristes Grau. Wir beschlossen, erst mal in Richtung Kalatówki Hotel abzusteigen. Dann konnten wir uns immer noch überlegen, ein wenig zu laufen oder ganz abzusteigen. Da ich den Querweg schon kannte, hielt sich meine Lauflust in Grenzen. Es würde nur wieder bergauf, bergab durch Tiefschnee gehen. Helga ließ sich letztendlich auch vom direkten Abstieg überzeugen.

4. Krakau

Wir wollten nach Krakau fahren und am nächsten Tag weiter bis Breslau. Von dort würde es wieder zurück nach Deutschland gehen. Der Zug fuhr um 14:23 Uhr. Nach über 3,5 Stunden erreichten wir durchgerüttelt und -geschüttelt Krakau. Der Empfang auf dem Bahnhof war wie in Rumänien.
Kaum aus dem Zug gestiegen, hielt mir eine Dame schon ein Prospekt unter die Nase, das ein wunderschönes Zimmer mit Fernseher und Designermöbeln zeigte. „40 Zł“ (rund 10 EUR) und „we offer breakfest“ stand neben dem Foto. „Nur 5 Minuten vom Bahnhof“, sagte die Dame. Das war auch das Einzige, was stimmte. Im kleinen Zimmer standen zwei Betten, eine Liege und zwei Regale, alles Marke Ikea. Die Küche bot kein Frühstück, lediglich der Zucker für den Tee stand rum. Und die 40 Zł bezogen sich nun auf die Person, nicht auf das Zimmer. Die Frau schien sich auf diese Weise ihre Eigentumswohnung zu finanzieren. Da es trotzdem noch billiger war als ein Hotelzimmer, blieben wir.
Abends genossen wir ein prima Essen im ältesten Restaurant in Krakau, direkt am Marktplatz. Am nächsten Morgen schlenderten wir durch die heimelige Innenstadt der 750.000 Einwohner-Stadt bis zum Wawelhügel. Dort oben auf der Burg befand sich vom 12. Jahrhundert bis 1596 die Residenz der polnischen Könige. In einer Höhle in dem Hügel soll ein Drache gelebt haben. Heute bewacht ein Bronzemonster die Anlage.
Ein Reisebüro am Marktplatz bot „Sightseeing Tours to Auschwitz“ an und an den Bücherständen im Hauptbahnhof wurde Hitlers „Mein Kampf“ verkauft. Mit solch einer Dekadenz hatte ich wahrlich nicht gerechnet.

5. Breslau

Als wir am Abend Breslau erreichten, erwartete uns niemand auf dem Bahnhof. Wir bezogen das erstbeste Hotel auf der Straße gegenüber. 115 Zł (rund 29 EUR) kostete das Doppelzimmer. Anschließend ging es noch zu einer abendlichen Stadtbesichtigung.
Rathaus und Häuser der Altstadt sind schmuck renoviert oder wieder aufgebaut worden. Bedenkt man, dass zwei Drittel der Stadt am Ende des 2. Weltkrieges zerstört waren, haben es die Breslauer geschafft, ihrer Stadt ein modernes Antlitz unter Wahrung der historischen Stadtgestalt zu verschaffen. Trotzdem ist die Stadt nicht wie Krakau. Breslau machte auf uns eher den Eindruck einer praktischen Einkaufsstadt.
Wir aßen „Schlesisches Himmelreich“. Das Schweinefleisch mit geschmortem Backobst oben drauf schmeckte allerdings sehr irdisch.
Am nächsten Morgen lachte die Sonne durchs Hotelfenster und kein Wölkchen trübte den Himmel. So musste das sein, die Tour war ja schließlich vorüber. Der Zug fuhr pünktlich ab. Aber genau wie des Öfteren mit der Deutschen Bahn von Freiburg nach Karlsruhe erreichten wir Görlitz mit fast einer Stunde Verspätung auf der anderen Seite der Neiße.

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