(Karpatentour Mai 2005 – Österreich)
Auf meinen Reisen in die Karpaten Rumäniens, der Ukraine, Polens und der Slowakei habe ich das Gebirge fast vollständig kennengelernt. Was fehlte, war der Anfang des Gebirgszuges. Das wollte ich nun nachholen.
Himmelfahrt bot sich geradezu an, um an einem verlängerten Wochenende die
Hundsheimer Berge östlich von Wien zu entdecken. Von Karlsruhe fuhr ich mit
Helga im dichtesten Wochenendverkehr am Mittwochabend los in Richtung
Österreich. Wir hofften, es wenigstens bis Regensburg zu schaffen. Doch in
einem Nest im Bayrischen Jura, das Deining heißt, war Endstation.
Weiterzufahren hätte wenig Sinn gemacht, da es schon dunkel wurde. Die
einzige Möglichkeit zum Übernachten bot uns der Gasthof „Zum
Hahnenwirt“.
Um 50 Euro erleichtert, dafür aber gut gefrühstückt, setzten wir
unseren Weg am nächsten Morgen bei Nebel und Nieselregen fort. Erst kurz
vor der Grenze hinter Passau schaute ab und zu die Sonne zu uns herunter. An der
letzten Autobahnraststätte hielten wir kurz, um die erforderlichen
Warnwesten zu kaufen, die ab jetzt in Österreich Pflicht waren, dann
verließen wir Deutschland. Bis Wien ging es zügig voran, auch wenn die
Österreicher ab und zu ein paar Gemeinheiten auf der Autobahn
hinterließen.
So wechselten sich Schilder mit Geschwindigkeitsbegrenzungen
ab. Hieß es im Augenblick noch 80 km/h von 20:00 Uhr bis 08:00 Uhr, konnte
es hinter der nächsten Kurve schon 80 km/h zwischen 08:00 Uhr und 20:00 Uhr
sein. Hinter Wien verließen wir die Autobahn, und auf der Bundesstraße
9 ging es in Richtung Hainburg an der Donau. Von Weitem konnte ich schon die
Hügel der Hundsheimer Berge erahnen. An ihrem Fuße lag unser erstes
Ziel – die antike Römerstadt Carnuntum.
Die Stadt auf dem Gebiet der heutigen Gemeinden Petronell-Carnuntum und Bad
Deutsch-Altenburg lag am Schnittpunkt zwischen der Bernsteinstraße und der
Limesstraße. Im 3. Jahrhundert nach Christus lebten dort auf einer
Fläche von 10 km² etwa 50.000 Menschen.
„Besuchen Sie doch heute das archäologische Museum“, empfahl uns
die Dame in der Information, als es schon wieder zu regnen begann. Ein Besuch
der Freilichtanlagen, wie Zivilstadt, Militärstadt und Heidentor wäre
auch morgen noch möglich. Wir folgten ihrem Rat und fuhren nach Bad
Deutsch-Altenburg, um uns ein wenig mit römischer Geschichte vertraut zu
machen.
Wir erreichten das Museum zum richtigen Augenblick, denn die nächste
Führung begann in wenigen Minuten. Ein Herr in römischer Tunika,
Sandalen und deutschen Socken, die nicht so recht zum Rest der Kleidung passen
wollten, würde uns die nächsten 2 Stunden römische Geschichte
näher bringen.
Der Mann gestaltete die Sache recht anschaulich. Er verschonte uns mit
Jahreszahlen, wie ich sie aus dem Geschichtsunterricht in der Schule zu hassen
gelernt hatte. Dafür erfuhren wir, dass Bürgermeister schon im alten
Rom gewählt wurden. Dass Männer, die zur Legion wollten, des Lesens
und Rechnens fähig sein mussten, da Befehle oft schriftlich
übermittelt wurden. Das beim Abschluss von größeren
Geschäften mit Gold bezahlt wurde, damit man nicht soviel Geld mit sich
herumschleppen musste, und dass auf jeder Münze das Porträt des
Kaisers zu sehen war, da dieser Wert darauf legte bei seinen Untertanen bekannt
zu sein, damit er nicht mit einem anderen verwechselt wurde.
Anschließend wurde es Zeit, sich nach einer Bleibe umzusehen. Wir fuhren
nach Hainburg und erkundigten uns im Büro der Touristeninformation nach
Pensionen. Bei den beiden Ersten hatten wir Pech, es war niemand zu Hause. Der
dritte Versuch glückte. Beim Ehepaar Putz durften wir bleiben. Wir
verstauten erst mal unsere Siebensachen im Zimmer, bekamen einen Schlüssel
für die Haustür und hatten nun Zeit, uns ein wenig in Hainburg
umzusehen. Viel los war in dem Ort nicht. Mit Einbruch der Dunkelheit wurden
sprichwörtlich die Bürgersteige hochgeklappt. Einzig die
Hauptstraße war sichtlich überlastet, rollte auf ihr doch der ganze
Verkehr in Richtung Bratislava.
Am nächsten Morgen schien die Sonne. Heute stand ein Besuch der
archäologischen Ausgrabungen von Carnuntum auf unserem Programm.
Ganz grob gesehen gliederte sich Carnuntum in die Zivilstadt und die
Militärstadt, jeweils mit eigenem Amphitheater. Der Siedlung vorgelagert
liegt im Südwesten das sogenannte Heidentor, eine Art Triumphbogen, dessen
Reste heute von gelb blühenden Rapsfeldern umgeben in den Himmel ragen.
Unser erster Besuch galt dem Amphitheater der Militärstadt bei Deutsch-Altenburg. Das Amphitheater ist der einzige erhalten gebliebene Ort der
ehemaligen römischen Militärstadt. Hier fanden wie in allen
römischen Amphitheatern die legendären Gladiatorenkämpfe statt.
Auf der Infotafel las ich, dass Gladiatoren keineswegs nur ausgebildete Sklaven
a la Spartakus waren, sondern es nicht wenige freie Römer in dieses Gewerbe
zog. Galten doch Gladiatoren im alten Rom als eine Art Kampfsportidole.
Hüten sollte man sich dagegen, zu träumen, als Gladiator zu
kämpfen, denn der Träumer wird eine Frau heiraten, deren Charakter der
Gladiatorengattung seines Gegners entspricht, so will es die Traumlehre der
damaligen Zeit des Griechen Artemidorus von Daldis. Wer zum Beispiel davon
träumte gegen einen Thraex (ein Gladiator mit Helm, kleinem Schild und
kurzem Krummschwert) zu kämpfen, würde eine reiche, verschlagene und
herrschsüchtige Frau ehelichen. Reich, weil der Thraex so gut gerüstet
ist, verschlagen, weil er nicht mit gerader klinge kämpft und
herrschsüchtig, weil er einen aggressiven Fechtstil hat.
Helga dagegen war von den Nahrungsmitteln der Römer angetan, erinnerten sie
doch die Essgewohnheiten der Römer an die der Ladakhi im Himalaja. So
wurde schon im alten Rom Mehl aus gerösteter Gerste hergestellt, und Gerste
diente auch als Grundlage für ein bierartiges Getränk. Für Helga
stand fest, dass die Römer wie die Ladakhi Tsampa aßen und Chang
tranken.
Nach dem Amphitheater besuchten wir die Zivilstadt bei Petronell. Hier wurde
immer noch fleißig im Dreck gebuddelt. Als Baumaterial diente vermutlich
schon damals der Kalksandstein des Pfaffenbergs. Somit wurde Carnuntum mit
Steinen aus den Karpaten errichtet. In der Informationshalle herrschte
Hochbetrieb, Schulklassen erlebten Anschauungsunterricht in römischer
Geschichte.
Der letzte Besuch galt dem Heidentor, den Resten eines Triumphbogens, den Kaiser
Constantius II errichten ließ. Da der Kaiser von seinem Vater Konstantin I
christlich erzogen worden war, passte der Name Heidentor eigentlich nicht so
recht zu den Resten des Bauwerkes.
Mittlerweile zogen dunkle Wolken von Westen her auf. In den Hundsheimer Bergen
zu wandern, hielten wir heute nicht für sinnvoll. Kurz entschlossen setzten
wir uns ins Auto und fuhren ins Nachbarland Slowakei, um dessen Hauptstadt
Bratislava zu besuchen. Viel hatte sich seit meinem ersten Besuch 1999 nicht
verändert, nur viel teurer schien alles zu sein. Ein Bier in einer
Gaststätte kostete mehr als bei uns in Deutschland und es war noch nicht
mal ein Goldfasan. Schon unser Vermieter hatte uns erzählt, dass viele
Preßburger nach Österreich einkaufen gingen, da es dort billiger war.
So blieben wir nicht lang, zumal es immer wieder regnete.
Um doch noch ein wenig die Karpaten Österreichs zu erkunden, planten wir
eine Tour auf den Braunsberg bei Hainburg. Ich staunte jedoch nicht schlecht,
als mir die Dame im Touristenbüro erklärte, dass es sich hierbei um
einen Inselberg handelte. Die Hundsheimer Berge seien ein Teil der Alpen. Sollte
ich dermaßen daneben liegen? Helga fand das witzig und foppte mich als
„Karpatenkenner“ bei jeder Gelegenheit. Auf dem Braunsberggipfel
erinnerte lediglich ein Gedenkstein an die Karpatendeutschen, die nach dem Krieg
aus ihrer Heimat in der Slowakei vertrieben wurden. Das war nun nicht wirklich
ein Beweis dafür, dass die Karpaten in Österreich begannen. Auch unser
Vermieter war am Abend der festen Überzeugung, dass die Karpaten erst auf
slowakischem Gebiet jenseits der Donau beginnen würden. Doch selbst, wenn
ganz Österreich anderer Meinung sein würde, ich war überzeugt,
die Karpaten beginnen hier und nirgendwo anders. Ich wollte mir Beweise
verschaffen, wenn ich wieder zu Hause in Deutschland war.
Am nächsten Morgen schien die Sonne. Ein gutes Zeichen für unsere
geplante Wanderung auf den Hundsheimer Berg. Ein Schild am Waldrand wies darauf
hin, dass man für eine Wanderung auf den Hundsheimer Berg keine
Stöckelschuhe tragen sollte. Ich rechnete also mit einer sehr
anspruchsvollen Etappe. Durch saftig grüne Buchenwälder ging es auf
einer breiten Forststraße bergauf. Den Weg markierte ein gelber Balken auf
weißem Grund. Nach einer Weile erreichten wir ein weißes Kreuz links
am Weg. Von hier hatten wir nun die Möglichkeit, auf den Gipfel zu gehen.
Wir entschieden uns jedoch erst einmal für den Abstieg. Wir wollten auch
den benachbarten Hexenberg mit der Güntherhöhle besichtigen.
Südlich der Höhle, in der sogenannten Knochenspalte, wurden fossile
Reste des Wollhaarnashorns gefunden. Das interessierte mich nun besonders. Ein
schmaler Pfad führt um den Hexenberg herum. Etwa auf halbem Weg weist ein
Schild nach Osten mit der Aufschrift „Zwergenloch“. Das wollten wir
uns näher ansehen. Wir kraxelten steil nach oben und gelangten über
Felsblöcke an eine runde Öffnung im Berg – das Zwergenloch. Die
Höhle hat die Größe meines Wohnzimmers, und aus dem Eingang hatte
ich eine schöne Sicht auf das Dorf Hundsheim und die Donauebene. Laut einer
Sage sollen hier einst Zwerge gelebt haben, deswegen auch der Name Zwergenloch.
Die Güntherhöhle konnten wir leider nicht besichtigen, der Eingang war
verschlossen und auch Nashörner gab es nirgends zu entdecken. Dafür
entdeckte Helga auf einer Infotafel am Fuße des Hexenberges folgenden Text:
„Naturreservat „Hundsheimer Berge“ Geologie: Westliche
Ausläufer der Karpaten ...“
Das war's, was ich wissen wollte. Mit mir und meiner Umwelt im Reinen konnte ich
nun ohne zermürbende Gedanken im Hinterkopf durch die „Große Klamm“ auf
den Gipfel des Hundsheimer Berges kraxeln und mich im dortigen Gipfelbuch
verewigen. Ich stand auf dem höchsten Punkt der Karpaten Österreichs.
Leider verdeckten Bäume die Sicht nach Osten, wo sich die Karpaten
fortsetzen, um nach etwa 1500 km in Serbien zu enden. Den größten Teil
von ihnen kannte ich schon, und den Rest wollte ich auch noch besuchen, so wie
es meine Zeit gestatten würde. Durch schattigen Laubwald, auf dessen Boden
ein Teppich aus Bärlauch blühte, sodass wir fast meinten, im Schnee
zu laufen, erreichten wir wieder Hainburg.
Wir hatten noch ein wenig Zeit und konnten die Donauauen auf der Nordseite des
Flusses besuchen – bevor wir am nächsten Tag Abschied nahmen vom Anfang der
Karpaten.