(Karpatentour Oktober/November 2012 – Slowakei)
Ende Oktober in den Karpaten zu wandern, kann ein Problem sein, muss es aber nicht. Ich hatte eine Herbsttour über den Kamm der Niederen Tatra geplant. Von Donovaly bis Telgárt in 5 Tagen sollte eigentlich machbar sein - sofern ich Glück mit dem Wetter habe. Hatte ich aber nicht: Aus der geplanten Herbsttour durch die Niedere Tatra wurde eine Wintertour im Slowakischen Paradies. Doch der Reihe nach:
Eigentlich wollte ich meiner Anfahrt aus Deutschland keinen großen Raum geben, aber eine Zugfahrt in den Osten Europas ist doch immer noch ein Abenteuer.
Es begann schon beim Fahrscheinkauf. „Wohin? Ba..., das kann ja keiner aussprechen!“, bruddelte der Schalterangestellte, als ich einen Fahrschein von Freiburg nach Banská Bystrica kaufen wollte. Eine Zugverbindung für die Hinfahrt hätte ich ohne Probleme bekommen. Für die Rückfahrt sah es dann aber bös aus. Der Mann suchte, suchte und suchte in seinem Computerprogramm, konnte mir aber keinen Preis für eine Verbindung geben. Sichtlich überfordert und verzweifelt blieb ihm nur noch die Option mich zur Konkurrenz zu schicken, in ein Reisebüro, welches sich auf Bahnreisen spezialisiert hatte. Was ich dann auch tat.
Der ICE von Freiburg nach Frankfurt/Main hat Verspätung. Nicht viel, aber genug, um den Anschlusszug nach Dresden nicht mehr zu erreichen. Eine Lautsprecherdurchsage im Zug empfiehlt allen Reisenden nach Leipzig oder Dresden, im Zug zu bleiben und bis Fulda mitzufahren. Dort würde der ICE nach Dresden warten. Ich bleibe also hocken, erreiche gegen 14:30 Uhr Fulda, doch der Zug nach Dresden hat nicht gewartet. Der nächste Zug nach Leipzig soll kurz nach 15 Uhr gehen. Nur was soll ich in Leipzig? Ich will in die Slowakei!
Also schnappe ich mir meinen Rucksack und begebe mich zum Reisezentrum in die Bahnhofshalle. Der Mann hinter dem Schalter hämmert auf seiner Tastatur herum und erzählt mir, dass ich in Leipzig heute nicht mehr weiter kommen würde. Er hämmert wieder und bietet mir nach ein paar Minuten eine neue Verbindung an.
Gleich würde ein ICE nach München fahren. Den solle ich nehmen und bis Nürnberg mitfahren. Von dort fährt ein Bus bis Prag. Von Prag könne ich dann weiter mit einem Nachtzug über Vrútky und dann nach Banská Bystrica, meinem Ziel in der Slowakei. Er hebt die Zugbindung meines Sparpreistickets auf, gibt mir eine Reservierung für den Fernbus und drückt mir einen Erstattungsantrag in die Hand mit einer Adresse, an die ich mich wenden kann. Meine Schlafwagenreservierung ist jedenfalls futsch.
In Nürnberg habe ich etwas Zeit und hoffte, für den neuen Zug ab Prag noch eine Liegewagenreservierung zu bekommen. Ich habe Glück, es gibt noch freie Plätze.
Draußen auf dem Bahnhofsvorplatz ist es ungemütlich, kalt und windig. Nasse, kalte Schneeflocken zwicken im Gesicht. Ich bin kein Freund von langen Busreisen. Der Bus kommt pünktlich und macht auf den ersten Blick einen recht noblen Eindruck.
Der Chefsteward weist mir meinen Sitzplatz zu. Jeder Sitz hat einen kleinen Monitor. Ich komme mir vor wie im Flugzeug. Selbst die Sicherheitsdurchsagen ähneln sich. Es gibt eine Toilette, die ab der Autobahn auch benutzt werden darf. Draußen herrscht Schneegestöber und je mehr wir uns der tschechischen Grenze nähern, desto weißer wird es. Prag liegt unter einer 5 cm dicken Schneedecke. Wir fahren direkt zum Hauptbahnhof. „Bleiben Sie zu Ihrer Sicherheit auf den Plätzen, bis der Bus hält“, tönt es aus dem Monitor, als wir am Hauptbahnhof vorfahren.
Trotz des Umweges über Nürnberg bin ich nun deutlich früher in Prag. Es ist kurz nach neun, ich habe eine Stunde Zeit, bis mein Zug nach Vrútky fährt. Auch dieser Zug kommt pünktlich. Der Schaffner fragt, ob ich meine Reservierung morgen früh wieder haben will. Ich brauche sie nicht. Beim Öffnen der Abteiltür schlägt mir eine Warmfront entgegen. Ein Typ hockt bereits drin. Mit 10 Minuten Verspätung fahren wir ab. Mein Bettnachbar stopft noch Zeitungspapier in die Fensterritzen, damit es nicht zieht. Ich komme mir so schon vor wie im Tropenhaus. Eine Decke ist unnötig.
Im Prinzip verlief die Fahrt ruhig. Bis auf die Tatsache, dass ein Zusteigender wie blöd an der Tür rüttelt und mir die Pfoten einklemmt, da er die Zeit nicht abwarten kann, bis ich die Verrieglung entfernt hatte. Erst als ich ihn anschnauze, scheint der Typ sich zu besinnen.
Auch in Vrútky liegt Schnee, es ist kalt, neblig und recht windig. In einer Stunde geht es weiter. Ich beginne mir ernsthaft, über mein Vorhaben Gedanken zu machen. Wie wird es oben auf dem Kamm auf 2000 m aussehen? Ich weiß von einer früheren Tour, dass es dort sehr ungemütlich werden konnte. Damals hatten uns Sturmböen fast ins Tal des Hron geweht. Wie viel Schnee wird dort oben liegen?
Ich rechnete mir kaum Chancen aus, bei den Wetterverhältnissen den kompletten Hauptkamm laufen zu können. Und nur hochsteigen - um dann wieder abzusteigen? Das wollte ich mir nicht antun. So änderte ich noch auf dem Bahnhof mein Reiseziel. Ich würde wie geplant nach Banská Bystrica fahren, mir dort ein Anschlussticket kaufen und mit dem nächsten Zug nach Dedinky ins Slowakische Paradies fahren. Dort wollte ich mir eine Unterkunft nehmen und Tagestouren machen.
Es dämmerte bereits, als mein Zug einfährt. Zwischen der Kleinen und der Großen Fatra geht es nach Banská Bystrica. Es ist kälter geworden. Es schneit und die umgebenden Berge sind in Wolken gehüllt. Der nächste Zug nach Dedinky fährt in 3 Stunden. Ich krame meine Wanderschokolade aus dem Rucksack und mache erst mal Frühstück. Den Kopf tief unter die Kapuze gezogen, erkunde ich die Umgebung. Viel gibt es nicht zu sehen. Der Bierkiosk ist schon gut besucht. Vor dem Bahnhof fahren die Busse ab. Auch drei Stunden gehen einmal rum und ich bin froh wieder im warmen Zug zu sitzen. Bahnhöfe im Winter haben etwas Ungemütliches an sich.
Im Zug lerne ich eine Herpetologin kennen. Auch ihr ist es zu kalt im Moment, was ich bei dem Job durchaus nachvollziehen kann. Da fühlt sie wohl wie „ihre“ Amphibien und Reptilien, ihre Studienobjekte. Die Fahrt durch das Tal des Hron beeindruckt mich. Bunter Herbstwald ziert die Südhänge der Niederen Tatra. Die Bergwiesen sind von einer dünnen Schicht Schnee wie bezuckert. Das Slowakische Paradies schließt fast nahtlos an die Ausläufer der Niederen Tatra an. Die Landschaft wird wilder. Düstere Fichten- und Tannenwälder säumen das Hnilec-Tal. Schroffe Felsen durchbrechen ab und zu den Bergwald. Dann lichtet sich der Wald und Wasser umgibt den Zug – es ist der Stausee Palcmanská Maša. Ich bin am Ziel.
Der Stausee Palcmanská Maša entstand 1956 durch Anstauen des Flusses Hnilec. Überflutet wurden dabei Teile der Gemeinden Imrichovce und Štefanovce. In Dedinky angekommen, muss ich mich zunächst um eine Unterkunft kümmern. Ich wähle das erste Haus mit einer Goldfasan-Werbung. Es ist das Hotel Priehrada, was Talsperre bedeutet. Im Restaurant hocken ein paar Leute, viel scheint nicht los zu sein. 16,60 Euro kostet ein Zimmer pro Nacht. Die Dame an der Rezeption gibt mir Zimmer Nummer 7. Und weist mich gleich daraufhin, dass das Restaurant morgen und übermorgen geschlossen sei. Es gebe aber einen Laden im Dorf, der habe auf. Das Hotel ist nun für die nächsten 5 Tage mein Basislager. Ich bestelle erst mal eine Gulaschsuppe und ein Goldfasanenbier.
Es ist noch früh am Nachmittag. Draußen ist es zwar kalt und windig, trotzdem erkunde ich ein wenig die Gegend. Die Gemeinde Dedinky liegt 790 m hoch am Stausee Palcmanská Maša. Das Dorf entstand 1933 durch den Zusammenschluss zweier alter Bergarbeitersiedlungen. Im Sommer scheint hier einiges los zu sein. Schilder mit der Aufschrift „Ubytovanie“ (Unterkunft) stehen an jeder Straßenecke. Doch jetzt ist hier tote Hose. Die Fast-Food-Kioske stehen verrammelt am Straßenrand, Ruderboote liegen halb abgesoffen am Seeufer.
Hinter dem Dorf verschwindet ein mit rotem Band markierter Wanderweg im Wald. Laut meiner Karte führt er in die Nachbargemeinde nach Stratená. Ich folge ihm. Anfangs geht es durch Laubwald am Hang entlang. Nach etwa 30 Minuten geht es recht steil bergab. Am Ende erwarten mich die typischen Hühnerleitern, wie ich sie schon vom Nordteil des Slowakischen Paradieses kannte. Die Dinger sind überfroren und rutschig, ich muss vorsichtig sein.
Ich erreiche den Weiler Stratenská píla, einen Ortsteil von Stratená. Hier beginnt auch der Stausee. Bis ins Dorf geht es nun auf einer Forststraße. Auch in Stratená wird deutlich, die Saison ist vorüber. In der Dorfkneipe brennt Licht. Die Pensionen sind leer. Ich laufe bis zum Bahnhof und gehe zurück auf demselben Weg. Der Wind hat zugenommen, kurz vor Dedinky kracht es im Wald. Deutlich höre ich einen Baum aufschlagen. Es wird schon dunkel, als ich das Hotel erreiche. Es ist nicht mal halb fünf. Die Tür ist abgeschlossen. Erst durch mein Rütteln und Klopfen wird jemand aufmerksam. Ein Typ lässt mich rein. Die Rezeptionsdame gibt mir einen Schlüssel für den Hintereingang, zur Sicherheit. Zu essen bekomme ich auch nichts mehr, die Küche ist bereits geschlossen, das Personal daheim. Die haben nur für Tagesgäste über die Mittagszeit auf. Morgen werde ich mich erst einmal im Dorfladen mit dem Nötigsten versorgen.
Es schneit am Morgen. Da es laut Wettervorhersage noch mehr schneien und auch kälter werden soll, wähle ich für mein heutiges Wanderziel die Schlucht Zejmarská roklina. Es ist die Einzige begehbare Schlucht auf der Südseite des Slowakischen Paradieses. Alle anderen befinden sich auf der Nordseite. Ich hoffe, dass die Stege und Leitern noch nicht so sehr vereist sind, und ich die Schlucht noch begehen kann.
Die Wegmarkierung rotes Band verliere ich schon kurz hinter dem Hotel beim Aufstieg in einen Bergrücken, der die Gemeinden Dedinky und Biele Vody trennt. Die Sicht reicht mir aber, um dem richtigen Weg zu folgen. Oben angekommen sehe ich bereits das Dorf Biele Vody, ich halte geradewegs drauf zu. An der Schule finde ich die Markierung wieder. Es geht ein Stück durch das Dorf. Leute räumen die Gehwege vom Schnee. Hinter dem Bach weist ein Schild auf das Naturschutzgebiet Zejmarská roklina hin. Schon seit dem 31. Mai 1980 steht das 72,65 ha große Gebiet unter Schutz. Schon eine Weile, bevor die EU mit ihren Nationalparkauflagen kam. Laut Wegweiser dauert es 45 Minuten bis auf die Geravy-Hochebene am Beginn der Schlucht. Ich ziehe mir meine Eisketten über die Wanderschuhe und folge dem Bach. Für solche Touren haben sich die Ketten bestens bewährt. Kurze vereiste Stellen über Steine oder vereiste Leitersprossen kann ich so problemlos bewältigen. Steigeisen wären da etwas übertrieben.
Die Schlucht darf nur bergauf begangen werden und ist mit einem blauen Band markiert. Es läuft sich gut, ich fühle mich nirgends unsicher. Selbst die vereisten Leitersprossen und die mit Ketten abgesicherten Stellen im Fels stellen kein Problem dar. Die Schlucht ist kurz und steil. An den Wasserfällen, die den Namen des Partisanenkommandanten Kpt. Ján Nálepka tragen, geht es über Leitern im Felsen nach oben. Neben mir rauscht das Wasser. Über mir taucht eine Gämse zwischen den verschneiten Felsen auf, verschwindet aber genauso schnell, wie sie gekommen ist. Eine halbe Stunde kraxeln und die Schlucht liegt hinter mir.
Dichter Nebel hüllt mich auf dem Plateau ein, es schneit stärker. Schemenhaft zeigt sich die Bergstation der Seilbahn nach Dedinky auf einer großen Wiese. Alles ist verrammelt, aber aus dem Schornstein kommt Rauch, es muss als jemand da sein. Laut meiner Karte und dem Wegweiser führt ein grün markierter Weg über das Plateau nach Čingov im Norden. Ich muss ihm folgen bis zum Abzweig Predný Hýľ von dort ein Stück auf einem gelb markierten Weg bis zum Abzweig Zadný Hýľ, da würde ich wieder auf einen blau markierten Weg treffen.
Mein Problem ist, den grünen Weg zu finden. Der Wegweiser zeigt in eine Richtung, ich folge ihr und verschwinde im Nebel, von einem grünen Band weit und breit nichts zu sehen. Ein Forstweg verschwindet im Wald. Ich folge ihm, bin mir aber bald sicher, dass ich hier falsch bin, der Weg führt steil nach unten.
Also zurück und noch mal richtig schauen. Endlich entdecke ich an einem Baumstamm das grüne Band. Die eisbeladenen Äste haben die Markierung verdeckt. In der Schlucht haben sich meine Eisketten bewährt, hier kleben mir bald dicke Klumpen an den Schuhsohlen. Ich packe die Dinger wieder in den Rucksack. Unter dem Schnee versteckte Pfützen, die sich in den Spurrinnen der Forstwege gesammelt haben, ärgern mich. Der Abstieg von der Hochebene ist nicht so steil wie der Aufstieg, bald erreiche ich Biele Vody. Meine Spuren vom Hinweg sind schon nicht mehr zu sehen. Nun nur noch über den Skihügel und ich bin wieder in Dedinky.
Das Restaurant ist zwar zu, aber hinter der Bar werkelt einer rum. Ich bekomme einen heißen Tee. Der Typ schaut raus und sagt: „Winter? Here no winter!“ Spricht's und kippt sich einen Schnaps hinter die Binde.
Im Dorfladen kaufe ich mein Abendessen: Käse, Salami, Bier und Mineralwasser. Nur Brot bekomme ich keins, dafür gibt es slowakische Brötchen (fast ungenießbar).
Heute möchte ich zur Eishöhle Dobšinská ľadová jaskyňa. Über den Stausee ziehen Nebelschwaden, es scheint als würde er dampfen. Draußen ist es nicht mehr so kalt und vor allem windstill. Es schneit auch nicht mehr. Ich bin schon kurz hinter dem Dorf, da merke ich, dass meine Kameratasche noch im Hotelzimmer liegt. Fluchend laufe ich zurück.
Wie vorgestern muss ich zunächst bis Stratená laufen. Kein Lüftchen bewegt das Wasser des Stausees bei Stratenská píla. Schneebedeckte Fichten spiegeln sich auf der schwarzen Oberfläche des Sees. Eine Gruppe Wildgänse erhebt sich in die Luft, zieht einen Bogen über den See und verschwindet hinter den bewaldeten Bergen. Auch in Stratená ist noch alles ruhig, nicht einmal die Hofköter machen Radau. Mein Weg führt durch das schöne Tiesňavy-Tal. Ab und zu führt der Pfad über eine Brücke oder einen Steg, führt mit Ketten gesichert an Felsen entlang und endet plötzlich an einer engen Schlucht. Links und rechts erheben sich steile Felsen und zu meinen Füßen liegt eine Hühnerleiter im Schnee. Eigentlich sollte das Ding auf einen Felsabsatz führen.
Wie es wohl weiter geht? Auf den Felsen zu klettern, wäre leichtsinnig und erscheint mir eh als aussichtsloses Unterfangen. Also bleibt nur der Weg durch den Bach. Zum Glück führt er jetzt wenig Wasser und über die am Boden liegenden größeren Steine kann ich balancieren. Die Schuhe werden zwar nass, doch meine Füße bleiben trocken. Nach einigen Metern im Wasser sehe ich am rechten Ufer den Weg. Er führt von oben kommend direkt bis ans Ufer des Baches. An der Weggabelung Pod Hanesovou führt der Pfad über eine Wiese auf einen Berghang zu. Nach etwas Sucherei entdecke ich die Wegmarkierung. Im Wald geht es steil bergauf. Zwischen Felsblöcken und Baumstämmen stapfe ich durch den Schnee. Ein Felsdach, unter dem ich ohne Probleme biwakieren könnte, taucht zu meiner Rechten auf. Oben angekommen folgt der Pfad über parallel laufende Bergrücken. Es geht mal hoch dann wieder hinunter. Das Gelände nimmt den Charakter einer Karstlandschaft an. Felsen und Grotten tauchen auf und bald bin ich am Ziel. Leider zu spät. Viel zu spät. Denn die Dobschauer Eishöhle (Dobšinská ľadová jaskyňa) ist leider seit dem 30. September geschlossen. Ich bin also einen Monat zu spät.
Ich esse ein Brötchen und etwas Käse, trinke einen Schluck Mineralwasser und steige weiter bergab.
Tote Hose auch in Stratenás Ortsteil Dobšinská ľadová jaskyňa. Die Souvenirläden sind geschlossen. Die Sonne hat sich mittlerweile durch die Wolken gebrannt, am Himmel leuchten blaue Flecken und im Westen sehe ich sogar den letzten markanten Buckel der Niederen Tatra – die Kráľova hoľa.
Die nächsten 40 Minuten folge ich der Hauptstraße in Richtung Stratená. Es läuft sich nicht gut. Schneematsch liegt am Straßenrand und in periodischen Abständen kommt ein Schneepflug vorbei, der noch mehr Dreck auf meinen Weg bugsiert. Vor einem Straßentunnel biegt der Wanderweg nach links in den Stratenský kaňon.
Der adlige Ferdinand Georg August von Sachsen-Coburg-Saalfeld-Koháry ließ im 19. Jahrhundert eine Straße durch das Tal des Hnilec bauen, für eine bessere Infrastruktur zu den Hüttenwerken von Stratená. Stratená war zu der Zeit ein wichtiges Zentrum der Metallindustrie. Den engsten Abschnitt dieser Straße bildet der Canyon von Stratená.
Heute führt ein Lehrpfad durch den 1100 m langen Stratenský kaňon. Seit dem Bau eines Straßentunnels 1972 ist der Canyon nur noch für Wanderer und Radfahrer da.
Ein Stück hinter dem Canyon erreiche ich Stratená, der Kreis hat sich geschlossen und die Sonne hat sich auch wieder hinter dicken grauen Wolken verkrochen. Zurück nach Dedinky geht es denselben Weg wie heute Morgen.
Die Hotelbar ist geschlossen, es gibt weder Tee noch Bier, aber ich hatte ja vorgesorgt.
Der Rabenfelsen (Havrania skala) ist die nächste auf meiner Wunschliste stehende Attraktion auf der Südseite des Slowakischen Paradieses. Es ist Viertel vor sieben, als ich aus dem Hotel trete. Von dem für heute angekündigten sonnigen Tag merke ich nichts. Und es ist diesig. Auf dem Wanderweg von Dedinky zum Geravy-Plateau liegt unberührter Schnee. Ich zerstöre die Idylle mit meinen Wanderschuhen. Dichter Nebel empfängt mich wieder auf der Hochebene. Die Bäume sind stark vereist. Ich frage mich, was ein Baum an Schnee und Eis tragen muss? Kein Wunder, wenn ab und zu Bäume unter dem zusätzlichen Gewicht in die Knie gehen. Für mich als Wanderer auch nicht ganz ungefährlich.
Ich folge diesmal dem gelb markieren Weg. Fuchs, Reh und Wildschwein hatten die gleiche Richtung, zumindest solang, bis sie im Wald etwas von ihrem Weg wieder abkommen lies.
Ein Geländewagen mit Waldarbeitern kommt mir entgegen. Die einzigen Menschen weit und breit. Nach einem kurzen Abstieg führt die Forststraße durch eine Moorlandschaft. Das in Nebel getauchte gefrorene Gras sieht schön aus. Und im Himmel zeigt sich ein blaues Loch, das lässt hoffen! Immerhin beschreibt mein Wanderführer den Rabenfelsen als interessanten Aussichtsfelsen.
Vorher komme ich noch an einem anderen Naturspiel vorbei. Es ist die Quelle Občasný prameň. Übersetzt bedeutet ihr Name „Zeitweilige Quelle“, da das Wasser aus ihr nur zeitweilig hervorsprudelt. Neben der Quelle steht ein Gedenkstein für den slowakischen Geologen Dionýz Štúr, jenem Wissenschaftler, der die Quelle 1863 und 1867 untersucht und beschrieben hatte. Leider erfahre ich nichts über die Ursache des unregelmäßigen Wasseraustritts an der Quelle.
Der Weg hinauf zum Aussichtsfelsen ist recht steil. Der Wind lässt die Bäume um mich herum gefährlich knacken. Argwöhnisch schaue ich nach oben. Unterhalb des Gipfels befinden sich großräumige Felsengrotten. Eiszapfen hängen wie Stalaktiten von der Felsendecke. Nun bin ich doch noch in den Genuss gekommen, eine Eishöhle zu besichtigen.
Auf dem Gipfel ist die Sicht gleich Null. Der 1153 m hohe Rabenfelsen gehört mit zu den höchsten Gipfeln im Slowakischen Paradies. Er steht an 7. Stelle. Trotz der fehlenden Sicht hat sich die Tour für mich gelohnt. Denn die vereisten Bäume und der unberührte Schnee bilden einen Märchenwald.
Der Weg nach unten zieht sich stellenweise recht steil und abenteuerlich durch enge Schluchten hinab und endet im Stratenský kaňon. Im Canyon liegt heute etwas weniger Schnee, aber ich sehe noch deutlich meine Fußspuren. Wie gestern laufe ich über Stratená zurück bis Dedinky. Im Hotel wartet schon ein deftiges Schäfersteak.
Am nächsten Morgen lassen die Sonnenstrahlen die Gipfel über dem Stausee kurz aufleuchten. Morgenrot mit Regen droht? Im Moment sieht es jedenfalls noch gut aus. Meine letzte Wanderung im Slowakischen Paradies führt mich durch die Schlucht zwischen den Sokolie skaly (Falkenfelsen) und dem Berg Marčekova nach Stratená. Die imposanten Falkenfelsen hatte ich bereits im Zug bei der Anreise bestaunt.
Doch zuerst geht es wieder bis in den Gemeindeteil Stratenská píla. Píla bedeutet Sägewerk, und der Ort besteht im Prinzip auch nur aus ein paar Waldarbeiterhäusern. Im Tal des Baches Veľký Zajf (auf meiner Karte als Krčmársky potok geführt) führt eine schmale Asphaltstraße bergauf. Sie ist stellenweise noch mit einer dünnen Eisschicht überzogen. Aber es wird spürbar wärmer. Wasser tropft von den Bäumen. An der Quelle Občasný prameň hole ich mein letztes Brötchen und den Rest Wurst raus und mache Frühstück. Dann geht es auf einem grün markierten Weg zu den Falkenfelsen oberhalb von Stratená. Das Sprichwort vom Morgenrot bewahrheitet sich, es fängt an zu regnen. Erst feiner Nieselregen, dann immer heftiger. So recht genießen kann ich den Abstieg nicht. Er ist steil und rutschig. Eis- und Schneereste bedecken nasses Laub und glitschige Wurzeln. Konzentriert setzte ich einen Fuß vor den anderen.
Zurück nach Dedinky wähle ich den Weg über Dobšinská Maša. Das Dorf gehört seit 1960 zu Dedinky. In strömendem Regen erreiche ich nach rund 4 Stunden die Gemeinde am Südufer des Stausees. Der Schnee verwandelt sich in Matsch. Mir ist es egal, denn morgen werde ich die Berge des Slowakischen Paradieses verlassen – mit dem Gefühl, die Zeit trotz des bescheidenen Wetters recht gut genutzt zu haben.
Es hat noch den ganzen Tag und die Nacht geregnet. Am nächsten Morgen ist der Schnee verschwunden. Dichter Nebel verschluckt die Landschaft. Ich fahre mit dem Bus nach Poprad. Zwischen den Bergen des Slowakischen Paradieses und der Niederen Tatra windet sich die Straße nach oben. Kaum geht es wieder runter, kommt die Sonne raus, Nebel und Wolken bleiben hinter mir. War ich doch im falschen Gebirge?