home - Reisen - 2015 - Von den Prokletije in die Karpaten des Balkans - Albanien, Kosovo, Montenegro, Serbien
jedes Wort alle Wörter Suchwort markieren  
Fotos PDF

Von den Prokletije in die Karpaten des Balkans

(Balkantour Mai/Juni 2015 – Albanien, Kosovo, Montenegro, Serbien)

Inhalt

  1. Reisestress
  2. Etappe 1: Plav – Vusanje (Gusinje)
  3. Etappe 2: (Gusinje) Vusanje – Theth
  4. Theth
  5. Etappe 3: Theth – Valbona
  6. Etappe 4: Valbona – Ҫerem – Dobёrdol
  7. Etappe 5: Dobёrdol – Milishevc
  8. Etappe 6: Milishevc – Rugovatal – Pejё
  9. Pejё
  10. Etappe 7: Pejё – Rugovatal – Drelaj
  11. Etappe 8: Drelaj – Guri-i-Kuq-Hotel
  12. Etappe 9: Guri-i-Kuq-Hotel – Babino polje
  13. Etappe 10: Babino polje – Plav
  14. Ans Meer
  15. Am Skadar-See
  16. Podgorica und Ostrog
  17. In die Karpaten
  18. Informationen

Im Mittelpunkt dieser Reise standen nicht die Karpaten sondern eine Wanderung auf dem „Peaks of the Balkans“, einem zehntägigen Rundkurs im Prokletije-Gebirge, durch Albanien, den Kosovo und Montenegro. Als Ausgangspunkt wählte ich den Ort Plav in Montenegro, da er für mich am besten erreichbar schien. Bei vier Wochen Urlaub, konnte ich mir noch einen Abstecher an die Adria und den Skadar-See leisten. Trotzdem, wieder in Belgrad, konnte ich es nicht lassen. So nah an den Karpaten, musste ich sie doch noch einmal besuchen.

1. Reisestress

Die letzten Tage vor der Abreise setzten mich unter Dauerstress. Warum mussten auch die Lokführer ausgerechnet vor Pfingsten für ihre Rechte kämpfen? Zum Glück gab es dann am 21. Mai Entwarnung, der Streik wurde vorerst beendet. Das hieß aber noch lange nicht, dass das Unternehmen Bahn am nächsten Tag wieder im Normalbetrieb arbeitete.
Der Zug hatte in Freiburg 35 Minuten Verspätung, damit schrumpfte meine Zeitspanne zum Umsteigen in Zürich auf 5 Minuten. Ich wurde etwas nervös. Richtig mies fühlte ich mich, als mir die Schaffnerin offenbarte, dass der Zug nur bis Basel SBB fuhr. Angeblich übernehmen die Schweizer keinen Zug, der mehr als 30 Minuten Verspätung hatte. Ich sollte um 19:33 Uhr mit dem TGV der aus Paris kam, weiter bis Zürich fahren. Auch Frankreichs Hochgeschwindigkeitszug hatte 5 Minuten Verspätung, die Nerven lagen blank.
In Gedanken verfolgte ich schon die Rücklichter meines Nachtzuges nach Belgrad. Doch der TGV machte seinem Namen alle Ehre, in Zürich angekommen, hatte ich auf einmal wieder 10 Minuten Zeit. Jetzt hätte ich einen Schnaps gebraucht!
Etwas zusammengeknautscht aber zufrieden lümmelte ich auf meiner Liege im 6er Abteil. Der Zug fuhr pünktlich ab.

Belgrad erreichte ich mit 45 Minuten Verspätung und das lag nicht nur an den Gleisbauarbeiten an der Strecke. Irgendwie hatte ich das Gefühl, in Serbien lief alles langsamer. Trotzdem, ich hatte genug Zeit, etwas Geld zu tauschen und mir die Reservierung für den Nachtzug nach Podgorica zu kaufen. Selbst für ein Nikšičko und 5 Ćevapčići reichte es noch.
Der Zug stand schon auf Gleis 6 bereit, im Abteil rannte ich gegen eine Wand warmer Luft und es wurde noch heißer. Die Dame neben mir war nur mit dem Allernötigsten bekleidet. Ich war auf dem Balkan! Selbst die in der Morgensonne leuchtenden Berge über der Morača-Schlucht konnte ich nicht recht genießen.
Zerknittert wie ein benutztes Bettlaken und müde, taumelte ich am nächsten Morgen bei strahlend blauem Himmel in Podgorica aus dem Zug.
Die Angebote der Taxifahrer ignorierend, begab ich mich zum Busbahnhof gegenüber. Es war 8:30 Uhr, um 8:25 Uhr fuhr mein Bus nach Plav – perfektes Timing sozusagen! Ob es da Absprachen zwischen Bus- und Taxifahrern gab?
Der nächste Bus wäre erst in 5 Stunden gefahren. Jetzt, die Taxifahrer mal nicht ignorierend, erkundigte ich mich nach dem Preis für eine Fahrt nach Plav. „Plav?“ „130 Euro!“ Na, dann doch lieber 5 Stunden warten! Der Nächste klopfte mir auf die Schulter und hielt mir das Display seines Handys vor die Nase. „Plav – very cheap!“ 80 Euro, stand da. „Okay, let's go!“
Jetzt hatte ich auch ein Auge für die Morača-Schlucht. Mitten durch die atemberaubende Landschaft schlängelt sich die Straße. Blaugrünes kristallklares Wasser sprudelte im Fluss, über uns steile felsdurchsetzte Bergflanken mit noch frisch-grüner Vegetation bewachsen. Mir begann dieses Montenegro zu gefallen, dem Taxifahrer weniger. Stand ein Pferd hinter einer Kurve auf der Fahrbahn verglich er sein Land mit Texas, klafften Schlaglöcher im Straßenbelag waren wir in Beirut. Nach 3 ½ Stunden und gefühlten 3 Zigarettenschachteln erreichten wir Plav. Die Stoßstange des Wagens hing auf der linken Seite kurz über dem Boden – ein Resultat von zu hoher Geschwindigkeit an einer Baustelle. „Reparatur – 15 Euro!“ jammerte mein Taxifahrer. Er setzte mich vor einem Café ab, das „Timm“ hieß. Wir tranken noch einen Kaffee zusammen. „My friend, room cheap!“ Er hatte recht. Sein Freund vermietete tatsächlich Zimmer und 10 Euro + 60 Cent Steuer fand ich auch nicht teuer. Ich buchte für zwei Nächte. Das Zimmer war schön. Es gab Wi-Fi aber kein Toilettenpapier.
Die Genehmigungen der Grenzpolizei zum passieren der Ländergrenzen Albaniens, des Kosovo und Montenegros in den Bergen besaß ich schon. Nur in Plav erwartete mich noch etwas Bürokratie. Ich musste mich bei der Grenzpolizei registrieren lassen. Bezahlt hatte ich den Spaß schon, sollte nur dort auflaufen. Die wollten vermutlich ihre Pappenheimer persönlich kennenlernen.
So schlenderte ich zum anderen Ende des Ortes, um zu schauen, ob ich alles erledigen konnte. Immerhin war ja Sonntag.
Vor dem Gebäude lümmelten ein paar Uniformierte. Ich trat hinzu und fragte nach dem Permit für den POB. Einer verschwand im Haus und kam mit einer langen Namensliste zurück. Leider konnte ich meinen Namen nicht entdecken. Der Mann riet mir morgen wieder zu kommen, dann wäre das Büro geöffnet.
Nicht geschlossen war dagegen die Kulla Redžepagića, ein osmanischer Wohnturm aus dem 17. Jahrhundert. Im Haus gegenüber befindet sich ein Privatmuseum. Der Hausherr konnte vor lauter Antiquitäten kaum noch einen Fuß vor den anderen setzen.
Ich setzte meinen Weg fort in Richtung Unterkunft. Der Weg war gesäumt von einem Café neben dem anderen, dazwischen Imbissbuden. Was fehlte war ein richtiges Restaurant. Ich ging also auf Entdeckungsreise. Erst am Ortsende wurde ich fündig. Das von der Familie Martić geführte Camp Lake Views ist hier wirklich etwas Besonderes. Bei einem Bierchen blätterte ich im Gästebuch. Anhand der Einträge war der Ort gar nicht so selten besucht, fand ich.
Zum Abendessen konnte ich zwischen 4 verschiedenen Menüs von 6 bis 10 Euro wählen. Meine Entscheidung fiel auf Menü 2 – Krautrouladen (Sarma). Mit Suppe, Salat, Dessert und einem Sliwowitz zahlte ich keine 10 Euro.

Am nächsten Morgen wieder bei der Grenzpolizei: „Was wollen Sie schon hier?“ fragte mich der Uniformträger. „Hier steht 29. Mai!“ Ähm, Mist! Ich war tatsächlich zu früh in Plav angekommen. Daheim bei den Reisevorbereitungen, hatte ich noch 2 Tage Podgorica eingeplant. Ich faselte was von Fehler und gab mich ratlos. „Wir können das ändern, kommen Sie in 3 bis 4 Stunden wieder.“
Mittag um halb eins hielt ich endlich meine geänderte Genehmigung in den Händen. „Alles gut?“ fragte der Polizist. „Perfekt!“
Perfekt war auch das Wetter. Im Nachmittagslicht setzte ich mich auf den Holzsteg am Plavsko jezero (Plav-See) und machte ein paar Fotos.
Abends im Camp Lake Views traf ich eine junge Familie aus Österreich. Sie waren mit dem Auto da und wollten weiter nach Albanien, nach Theth. Der Ort war das Ziel meiner zweiten Etappe auf dem POB, vielleicht sehen wir uns ja wieder.

2. Etappe 1: Plav – Vusanje (Gusinje)

Um mich auf dem POB zu orientieren, hatte ich drei Dinge im Rucksack: die Wanderkarte „Peaks of the Balkans“ des Huber-Verlags, den Wanderführer „Peaks of the Balkans“ des Conrad-Stein-Verlags und die GPS-Tracks der Agentur Zbulo Discover Albania. Leider fehlte bei den Tracks die Etappe Plav – Vusanje. Dummerweise hatte ich zu spät gelesen, dass es auch möglich gewesen wäre, die Tracks des Autors meines Wanderführers zu bekommen. Das Buch erhielt ich erst kurz vor meiner Abreise, druckfrisch sozusagen. So blieben mir im Moment nur noch zwei Orientierungshilfen.
Mit dem Büchlein in der Hosentasche, verließ ich am nächsten Morgen um 6:30 Uhr Plav. Es nieselte ein wenig. Der Autor weist darauf hin, dass auf der Etappe die Orientierung nicht ganz einfach ist, aber mithilfe der Beschreibung Vusanje sicher zu erreichen wäre – ein Trugschluss!
Bis zu der im Buch erwähnten Wasserstelle klappte alles prima, danach wurde es verworren. Bei dem Gewirr an Forstwegen, musste ich irgendwann falsch abgebogen sein, glaubte jedoch noch auf dem rechten Pfad zu wandeln. Jedenfalls erreichte ich keine Blumenwiese mit Viehstall wie beschrieben, sondern eine Forststraße, die wieder in die Richtung führte, aus der ich gerade kam.
Buch und Karte verschwanden in den Tiefen des Rucksacks und ich folgte meinem Instinkt. Um mich bei Stimmung zu halten, fing ich an ein Wanderlied zu singen – Aqualung. Okay, ist kein Wanderlied, eher eine Warnung vor Altersarmut, aber ich mochte es.
„...Snot is running down his nose“, dass passte! „...Greasy fingers smearing shabby clothes“, dass passte in ein paar Tagen sicher auch. „...Sun streaking cold an old man wandering lonely“, ja – wie die Faust auf's Auge! „...Taking time the only way he knows.“ Unendlich Zeit hatte ich nicht und ich kannte den Weg nicht, entdeckte jedoch Markierungen in Form von roten und blauen Pfeilen an einem Baum. Ich folgte ihnen und erreichte eine Wiese, zwischen Schneeresten blühten Krokusse und blauer Enzian – Mittagszeit.
Der Pfad schlängelte sich noch ein Stück am Berghang entlang, dann waren Pfeile und Weg verschwunden. Am Horizont ragten die kahlen Kalkfelsen des Kollata e Keqe-Massivs in die Wolken. Auf dem Berghang vor mir glaubte ich so was wie einen Weg zu erkennen, der sich in einen Pass zog. Ich hielt darauf zu – querfeldein. Unter mir erschienen zwei kleine Bergseen und auf dem Kamm sogar eine Markierung – weißer Punkt auf rotem Grund. Ich war wieder auf dem POB! Am Ziel war ich aber noch nicht. Bald verschwand der Pfad im Schnee und blieb auch verschwunden. Dafür tauchten wieder violette Krokusteppiche vor mir auf. Unter mir rotteten die Reste einer Hirtenhütte vor sich hin. Die Hirten sind sicher nicht hier hoch geflogen, also muss es auch einen Weg geben! Ein kurzes Schnee- und Krokustrampling und ich stand wieder auf einem Pfad.
Der Weg mündete in das Tal des Bjelićki potok. Rot-weiße Markierungen zeigten mir, dass ich richtig war. Es fing wieder an zu nieseln. Bis Vusanje dauerte es etwa 2 ½ Stunden. Ein Wegweiser zeigte in Richtung Plav 24 km an. Es war jetzt kurz nach halb vier Uhr nachmittags. Neun Stunden war ich unterwegs, aber irgendwie hatte ich keine Lust, den Tag in Vusanje zu beenden.
Bis ins Nachbardorf Gusinje waren es 6 Kilometer. Drei Jungen zeigten mir den Weg. Es gibt nur morgens einen Schulbus aber Trampen wäre kein Problem. Zum Abschied wollten sie meine Facebook-Adresse. „Ähm, hab ich nicht.“ Da schafften es tatsächlich drei Dorfjungen an der albanischen Grenze mir vor Augen zu führen, dass ich hinter dem Mond lebte.
Nach 15 Minuten hielt ein weißer VW und nach weiteren 15 Minuten, saß ich bei einem Bierchen im Hotel Rosi in Gusinje.
Die Attraktion des Ortes sind die Ali-Pascha-Quellen. Der Fluss Rijeka Skakavica, tritt hier unter einem Felsen hervor.

3. Etappe 2: (Gusinje) Vusanje – Theth

Der Hotelchef organisierte am nächsten Morgen ein Taxi, dass mich zurück nach Vusanje bringen sollte. „Bis Theth – 6 Stunden“ sagte der Hotelchef. „Bist du allein? – 5 Stunden!“ Eigentlich wollte ich schon um halb acht los, aber hatte mir schon gedacht, dass es länger dauern würde. Der Kellner musste die Frühstücksbrötchen erst im Supermarkt kaufen. Viertel vor acht fuhr mein Taxi vor und Punkt acht stand ich am Wasserfall Ponor Grja in Vusanje. Das Wasser der Skakavica verschwindet hier auf spektakuläre Weise in der Unterwelt, um später mit den Ali-Pascha-Quellen wieder das Licht der Oberwelt zu erblicken.
Die nächste Attraktion wartete etwa 1,5 km hinter dem Dorf. Oko Skakavice (Auge der Skakavica), ein türkisblauer kleiner See. Das hieß für mich schon wieder den Rucksack von den Schultern schmeißen und Fotopause. Also wenn das so weiter ging, würde ich Theth heute nicht mehr erreichen.
Der nächste See heißt Liqeni Geshtares, sein Südufer bildet die Grenze zu Albanien. Ein Schild warnte mich mit der Aufschrift: „Turn back here“. Ich ignorierte es und lief weiter. Die Markierung änderte sich in ein rotes Band auf weißem Grund und trat jetzt häufiger in Erscheinung. Dumm war nur, dass auch andere Wanderwege die gleiche Markierung hatten. Das erleichterte die Orientierung nicht wirklich. Zum Glück hatte ich ja meinen GPS-Track! Links und rechts des Tals ragten steile Felswände in die Wolken. Leider verschlechterte sich das Wetter, erste Tropfen vielen mir auf die Schultern und nach einem steilen Aufstieg musste ich in die Regenklamotten schlüpfen. Schade, denn die Landschaft hatte nun einen hochalpinen Charakter, doch die Felsspitzen versteckten sich in grauen Wolken. Nur am Horizont leuchtete es heller. Ein gutes Zeichen! Den Kopf unter der Kapuze versteckt, den Blick gesenkt lief ich weiter.
Blauer Frühlingsenzian leuchtete hin und wieder zwischen dem Grün der Almwiesen. Im Großen und Ganzen blühten hier jedoch weniger Blumen, als auf der gestrigen Etappe. Schneefelder kamen in Sicht. Die Orientierung wurde schwieriger, da der Schnee die Markierungen verdeckte. Das Wetter besserte sich, die ersten Sonnenstrahlen durchbrachen die Wolkendecke und fielen auf zwei architektonische Besonderheiten – Hoxha-Bunker. Eine Dreiviertelmillion Betonbunker sollten nach dem Willen des Diktators Enva Hoxha aus Angst vor Angriffen aus dem Ausland gebaut werden. Ich überlegte, ob die Dinger zum Biwakieren taugten, fand sie aber viel zu eng und unbequem.
Über einen kleinen Pass stieg ich zum Bergsee Liqeni i Pejёs ab, um auf der anderen Seite zum Quafa e Pejёs (Pejё-Pass) hinaufzusteigen. Oben angekommen, konnte ich bereits mein Tagesziel erkennen, Theth rund 700 Höhenmeter unter mir.
Hinter mir lag die Schlechtwetterfront, bei strahlendem Sonnenschein folgte ich dem Zickzack-Weg hinunter ins Theth-Tal. Es lief sich beschissen durch eine grandiose Landschaft. Loses Geröll auf dem Weg, müde Beine und nur noch wenig Fähigkeit mich zu konzentrieren ließen den Abstieg hinunter nach Theth zur Tortur werden. Die Sonne brannte mittlerweile ohne Gnade ins Genick. Ich war nun schon 10 Stunden unterwegs. Der Hotelchef in Gusinje war mit Sicherheit noch nie im Leben von Vusanje nach Theth gelaufen!
Am Ortseingang sprach mich ein junger Mann an und offerierte mir ein Quartier. „Nicht weit, 20 Euro mit Essen.“ Lek Prrockaj ist der Sohn von Gjin Prrockaj und sein Haus befindet sich nicht weit von der Kirche im Dorfzentrum. Ich entschied mich nach einem Tirana-Bier zwei Nächte zu bleiben und morgen einen Ruhetag einzulegen. Der Weg hatte mich schon etwas geschlaucht aber auch die Gegend lud zum Verweilen ein. Gjins Frau erzählte mir von einem Wasserfall und einer Schlucht in der Nähe des Dorfes. Auch der Wohnturm sei sehenswert.
Das Abendessen wartete: Salat mit Schafskäse, Suppe, Hammelfleischeintopf, Brot, Saure Sahne und Rakja. Von der Hausherrin lernte ich mein erstes albanisches Wort: mírё – gut!

4. Theth

Das Frühstück am nächsten Morgen ähnelte dem Abendessen, nur dass es statt Saurer Sahne gesalzene Milch zum Trinken gab.
Mein erster Weg führte mich zum Wohnturm, der Kulla. Hier verschanzten sich die Mitglieder einer Familie, die von der Blutrache betroffen waren. Ismail Kadare beschreibt in seinem Buch „Der zerrissene April“ die Tradition der Blutrache in Albanien sehr eindrucksvoll.
Hinter dem Turm führte ein markierter Pfad zum Fluss hinunter und wurde von einem Seitenbach jäh unterbrochen. Mir blieb nichts weiter übrig, als die Schuhe auszuziehen und durchs Wasser zu waten. Auf der anderen Seite teilte sich der Weg. Ein Pfad folgte dem Flusstal, der andere stieg den Hang hinauf. Beide hatten die gleiche Markierung, rotes Band. Nur welcher führte jetzt zum Wasserfall? Ich entschied mich für das Tal und landete auf einer schmalen Holzbrücke über der Schlucht. Auch gut! Die Schlucht (Grunas-Canyon) misst an ihrer engsten Stelle etwa 2 Meter, 60 Meter steile Felswände zwängen das Wasser des Theth-Flusses für die nächsten 2 km durch die Berge. Leider führte kein Weg durch die Schlucht.
Zurück an der Weggabelung, wählte ich nun den anderen Pfad, in der Hoffnung zum Grunas-Wasserfall zu gelangen. Der Weg führte durch ein Gehöft. Die Hofhunde waren von meinem Besuch nicht begeistert aber angekettet. Danach folgte ich einem Bewässerungskanal, wie ich ihn auch aus Ladakh kannte. Bald hörte ich Wasser rauschen, das Rauschen wurde stärker und nach einem kurzen Anstieg stand ich vor dem Wasserfall, der sich über mehrere Kaskaden etwa 30 m den Fels hinunterstürzte.
Wieder im Dorf, verleiteten mich ein paar Tische unter Sonnenschirmen zu einer Trinkpause und ich staunte nicht schlecht, als ich beim Näherkommen die Familie aus Österreich erkannte, die ich in Plav kennenlernte. Zurück an meiner Unterkunft winkte mich Gjin in den Garten. Am Ast eines Baumes hing ein Schaf, dem er gerade das Fell über die Ohren gezogen hatte. Besuch aus Skhodёr war eingetroffen. Die Tochter mit Ehemann, sein Jüngster sowie ein Freund der Familie. Da musste natürlich etwas gescheites auf den Tisch und auch ich profitierte davon. Während das mittlerweile gepfählte Schaf am Herdfeuer schmorte, versuchte der Schwiegersohn sich mit mir auf italienisch zu unterhalten, da er in Italien arbeitete. Immerhin konnte die Tochter etwas englisch und übersetzte das Gesagte dann ins Albanische, eine multilinguale Konversation also.
Lek führt im Sommer Touristen durch die Berge und bot mir an, mich morgen bis Valbona mit einem Packpferd zu begleiten. Das würde meinen Rucksack tragen und ich könnte leichten Fußes über die Bergpfade schweben, verlockend!
20 Euro kostete dieser Service normalerweise, Lek wollte jedoch 30 Euro. Er begründete den höheren Preis damit, dass in den Bergen noch Schnee lag und dieser dem Pferd Probleme bereiten könnte. Diese Argumentation verstand ich nicht. Entweder es liegt Schnee, dann kann das Pferd auch für 30 Euro nicht weiter laufen, oder es liegt kein Schnee, dann rechtfertigt sich nicht der höhere Preis. Wir einigten uns auf 25 Euro. Immerhin dient ja der POB auch dazu, die Bergbewohner zu unterstützen und außerdem war ich ein fauler Sack.

5. Etappe 3: Theth – Valbona

Ich zahlte meine Unterkunft. 40 Euro für Bett und Essen und 20 Euro für Getränke. Man war ich versoffen!
Lek sattelte das Pferd, derweil stellte ich mit Schrecken fest, dass meine beiden Kamera-Akkus leer waren. Ich stöpselte einen noch für 'ne viertel Stunde an die Steckdose, um wenigstens über den Tag zu kommen.
Dann ging es los. Jetzt fühlte ich mich wie in Ladakh, Wellness-Trekking mit Horseman. Der Weg führte ein Stück zurück in die Richtung, aus der ich vorgestern kam. Eine Gruppe Wanderer lief hinter uns. Ihren Rucksäcken nach zu urteilen, machten sie eine Tagestour. Bald erreichten wir den Abzweig nach Valbona, ein Wegweiser zeigte die Richtung an. Lek und Pferd sah ich in der Regel nur von hinten, trotz Gewichtsentlastung (etwa 25 kg) hatte ich Mühe den Beiden zu folgen und gab es bald ganz auf. Früher musste ich auf andere warten, heute warten andere auf mich – beginnende Verfallserscheinung.
Aus meinem Wanderführer wusste ich, dass es auf dieser Etappe eine Waldkneipe gibt. Was ich nicht wusste, ob diese jetzt Ende Mai schon geöffnet hatte. Als ich Musik durch den Wald vernahm war alles klar. In einem Holzbottich lagerte quellwassergekühltes Tirana-Bier – 2,50 Euro die Büchse. Der POB dient u.a. zur Unterstützung der lokalen Bergbewohner, also tat ich das auch! Der Wirt war gerade dabei seine Lautsprecheranlage zu installieren. Wir waren die einzigen Gäste so früh am Morgen.
Der Weg bis in den Qafa e Valbonёs (Valbonapass) ließ sich jetzt deutlich leichtfüßiger Laufen. Tief unter uns verlief das Valbonatal von beiden Seiten durch hohe Berge flankiert, ein phantastischer Anblick. Doch ein Stück hinter dem Pass erwartete uns eine Überraschung. Der schmale Pfad verschwand unter senkrechten Felswänden in einem steilen Schneefeld. „Für Menschen machbar, für Pferde nicht“ so Leks Kommentar. Hier endete also mein Pferdetrekking!
Das Schneefeld endete auch talwärts an einer felsdurchsetzten Bergflanke – rutschen verboten! Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch schaute ich mir die Sache näher an. Derweil schnallte Lek meinen Rucksack vom Pferderücken, schulterte ihn und balancierte schon über den Schnee, von einer Seite auf die andere schwankend. Blöderweise waren meine Steigeisen im Rucksack, die ich für solche Fälle sicherheitshalber eingesteckt hatte. Mir blieb nun nichts weiter übrig, als ihnen zu folgen.
Auf einer Dachsteintour hatte mir mal jemand gesagt, so etwas wäre nicht gefährlich – so als psychologische Stütze. Und es klappte damals. Also los! Der Schnee war fest und es ließen sich gute Tritte schlagen, auf denen ich sicher stehen konnte. Konzentriert hackte ich mich durch den Schnee und stand auch bald auf der anderen Seite. Wir verabschiedeten uns. Lek lief mit seinem Pferdchen zurück nach Theth ich begann meinen Abstieg nach Valbona. Ein paar Schneefelder stellten sich mir noch in den Weg aber ein Problem stellten sie nicht mehr dar.
An der Waldgrenze bewegten sich zwei Punkte auf mich zu. Die Punkte trugen Rucksäcke und nahmen langsam Gestalt an, Tageswanderer aus Deutschland. Das Pärchen wollte hoch zum Valbonapass. Ich klärte sie über die Schneesituation auf. Die Frau ließ bei dem Wort Schnee keine Begeisterung aufkommen. Vom Mann erfuhr ich, dass die zweite Waldkneipe, die mein Wanderführer erwähnte nicht mehr existierte und in Valbona gäbe es eine Touristeninformation mit deutsch sprechendem Personal. Auch sei der Weg unten im Tal schlecht markiert. Nun gut, das kannte ich ja schon.
Die Waldkneipe fristete in der Tat ein tristes Dasein, das Haus war halb verfallen. Hatte sich wohl nicht rentiert? Dafür gab es auf einer Weide am Ortsrand von Rragami eine Neue. Leere Bierbüchsen, aufgefädelt an einer Schnur, zierten die Einkehr. Der Hirte war eben dabei seinen Zaun auszubessern, sein Sohnemann half ihm dabei. Ich unterstützte wieder die lokalen Bergbewohner und der Sohn zeigte mir den Weg hinunter nach Valbona.
Über kreideweißes Geröll erreichte ich schließlich die Asphaltstraße am Hotel Fusha e Gjese. Die Touristeninformation befindet sich in einem anderen Hotel vor dem jede Menge Autos mit Blaulicht parkten. Polizisten standen mit Funk am Straßenrand und Kellner jonglierten voll beladene Tabletts mit Speisen durch den Hoteleingang. Irgendjemand Wichtiges schien mal Bergluft schnuppern zu wollen. Wie ich später erfuhr dinierte hier gerade ein Minister der albanischen Regierung. Für die Fragen eines Rucksacktouristen hatte da natürlich niemand Zeit!
Eine Radlerin mit bayrischem Dialekt erzählte mir, dass es mit Unterkünften an diesem Wochenende schlecht sei. Diese Info hatte sie von einer Amerikanerin, die sich weiter unten im Tal als Hotelbesitzerin eine Existenz aufgebaut hatte.
Also wenn ich alles glaubte... Immerhin war ich in Albanien und ich brauchte Strom! Wie regelte das gleich nochmal der Kanun? Das Haus des Albaners gehört Gott und dem Gast!
Ich betrat das nächste Gästehaus und fragte nach einer Unterkunft. „We are busy at the moment“ war die Antwort. Das Gästehaus war belegt, doch der Mann bedeutete mir, ihm zu folgen. Wir querten die Straße zum Wohnhaus der Familie und ich bekam ein Quartier im ersten Stock im privaten Gästezimmer. Na was sag ich.
Während meine Akkus am Netz hingen, spazierte ich noch ein wenig durch das Tal. Valbona ist eigentlich keine richtige Ortschaft, das ganze Tal trägt diesen Namen. Ein Auto hielt und der Mann fragte mich etwas, seine Beifahrerin übersetzte. Sie suchten ein Restaurant. Ich empfahl ihnen natürlich meine Pension. Die Dame amüsierte sich danach köstlich, dass ein deutscher Tourist den Albanern den Weg erklärte.
Morgen wäre Ҫerem mein Etappenziel, das Problem: der Weg folgt einer rumpeligen Schotterstraße. Der Juniorchef könnte mir einen Fahrer organisieren. Aufgrund der schlechten Straße würde die Fahrt 35 Euro kosten. Egal, ich laufe nicht!

6. Etappe 4: Valbona – Ҫerem – Dobёrdol

Der Fahrer wartete schon am Morgen mit seinem Kleinbus am Straßenrand. Ich war nicht der Einzige, der nach Ҫerem wollte, durfte aber als Unterstützer der lokalen Bergbewohner in der ersten Reihe sitzen. Nach einer Stunde erreichte ich Ҫerem, gut durchgeschüttelt. Es war 9 Uhr, die Sonne schien und ich folgte der Fahrstraße bergauf. Eine Markierung konnte ich nirgends entdecken, doch laut Dorfbewohner lief ich richtig. Mein heutiges Ziel hieß Dobёrdol.
Die Fahrstraße war nicht mehr wirklich befahrbar und fehlte an einer Stelle komplett. Nach reichlich 3,5 km mündete rechterhand auch der Wanderweg auf die Straße. Das rote Band und unzählige Krokusse am Wegesrand führten mich zu einer Hirtensiedlung. Die meisten Häuschen standen noch leer, vor einem trocknete ein Opa Schlüsselblumen in der Sonne.
Ich war stolz auf mich selbst, schon in so kurzer Zeit Balqin erreicht zu haben. Bis Dobёrdol konnte es nicht mehr weit sein. Die letzte Markierung hatte ich am Dorfeingang gesehen. An einer Weggabelung schaute ich zur Sicherheit auf mein GPS – die violette Linie des Tracks war verschwunden! Es handelte sich nicht nur um ein paar Meter, ich befand mich gerade richtig neben der Spur. Das Dorf war nicht Balqin. Das war nun die Folge davon, wenn man für mehrere Wanderwege die gleiche Markierung benutzt! Ich hatte mich zum ersten Mal verlaufen, nicht weil es zu wenig Markierungen gab, sondern zu viele.
Ärgerlich folgte ich in Richtung des POB, teils auf Fahrwegen, teils querfeldein. Dieser über 8 km lange Umweg kostete mich richtig Zeit.
Ab jetzt viel mein Blick häufiger auf das GPS. Der Weg führte nun größtenteils durch Wald, Schneereste ärgerten mich beim Laufen. Nach einer halben Stunde erreichte ich nun wirklich das Hirtendorf Balqin. Alle Häuser waren noch verlassen. Ich machte ein Foto und lief weiter. Mein Tagesziel konnte ich schon sehen am Horizont.
Noch einmal lief ich im Kreis, weil die Route auf meinem Gerät nicht mit dem markierten Weg übereinstimmte. Ich hatte es zum Glück rechtzeitig bemerkt. Bis Dobёrdol gab es dann keine Probleme mehr.
Ich war nun schon 4 Tage auf dem POB und brauchte noch nie zelten, geschweige denn meinen Kocher anwerfen. Heute, so war ich überzeugt, würde sich das ändern. Für die Wanderung auf dem POB hatte ich Verpflegung für 10 Tage im Rucksack. Meine Informationen, die ich übers Internet erhielt besagten, dass ich zu dieser Zeit keine Möglichkeit haben werde mich in den Bergen verpflegen zu können.
Die Realität sah anders aus. Zwei Hirten begrüßten mich und zeigten auf ein Hüttchen am Hang – „Hotel“. Ich hielt auf das „Hotel“ zu. Vor der Hirtenhütte arbeiteten zwei Männer, dem Alter nach Vater und Sohn, auf einem Stück Acker. Sie steckten Kartoffeln. Der Junge begrüßte mich. In internationaler Zeichensprache gab ich ihm zu verstehen, dass ich eine Übernachtung suchte. Mittlerweile war auch der Vater da und schüttelte mir die Hand, ich sollte mitkommen. Die Hütte war in zwei Räume unterteilt. Im Hauptraum stand ein Ofen, ein Tisch und zwei Betten, an den Wänden Regale. Das Nebenzimmer diente als reines Schlafzimmer mit Matratzenlager. Für mich gab es das Bett in der guten Stube. Mit Kaffee, Keksen und Bonbons verköstigt hockte ich vor dem Haus und schrieb meine Erlebnisse auf. Die Beiden widmeten sich derweil wieder ihrer Arbeit auf dem Acker.
Erst als auch die letzten Sonnenstrahlen die Berggipfel verlassen hatten, wurde die Feldarbeit beendet. Es war Zeit fürs Abendessen. Das Haus hatte sich mittlerweile gefüllt, auch die beiden Hirten, die mir unten das „Hotel“ gezeigt hatten, hockten nun vor dem geheizten Bollerofen. Eine solarbetriebene Lampe sorgte für den nötigen Durchblick.
Der Oberhirte (Baciu) kümmerte sich um das Abendessen. In einem Topf mit Öl brutzelten Pommes vor sich hin. Dazu gab es Gurken-Tomatensalat mit Schafskäse und Brot. Zum Dessert in der Backröhre gebratene Kartoffeln und einen Kaffee. Die Hirten waren alle verwandt miteinander und lebten nicht in Albanien sondern in Montenegro, wie ich erfuhr. Hier in den Bergen trafen sie Vorbereitungen, bis die Schafherden nachkommen würden.
Kurz vor Mitternacht war dann Nachtruhe angesagt. Die Bettdecke erdrückte mich zwar fast, aber sie wärmte und das Licht ließ sich aus irgendeinem Grund nicht ausschalten. Trotzdem schlief ich bald ein.

7. Etappe 5: Dobёrdol – Milishevc

Das Frühstück würde bei mir den ganzen Tag anhalten. Vor mir auf dem Tisch türmten sich eine Schüssel mit Nudeln und Schafskäse dazu Tomaten und eine Stapel Brotscheiben. Pappsatt versuchte ich endlich meinen Weg fortzusetzen. Aber nicht ohne Lunchpaket! Drei dicke in Öl gebratene Sandwiches belegt mit Tomaten- und Gurkenscheiben, Käse und gebratenem Paprika. Der Stapel war so groß, dass ich alles draußen an den Rucksack binden musste. Und ich Idiot nahm Essen für 10 Tage mit!
Endlich war es soweit, ich verabschiedete mich von meinen Gastgebern, die Sonne stand schon hoch am Himmel. Der Oberhirte begleitete mich noch ein Stück bis zum Bach zu einer Naturbrücke, so dass ich nicht durchs Wasser musste. Er zeigte mir den Aufstieg in Richtung Roshkodol, dann stapfte ein schwerbepacktes Etwas den Berg hinauf.
Auf dem Kamm verlief die Grenze zu Montenegro, die Markierung war wieder einmal verschwunden, Schneefelder leuchteten im Licht der Morgensonne, dort wo mein GPS den Weg anzeigte. Heute würde ich Albanien verlassen und Europas jüngste und umstrittenste Republik erreichen – den oder das Kosovo.
Ich war 3 Tage zu früh, mein Permit erlaubte mir den Grenzübertritt am 3. Juni heute war der 31. Mai – Schicksal! Doch erst einmal übertrat ich die Grenze zu Montenegro, um über den Schnee balancierend wieder auf meinen Wanderweg zu gelangen.
Nach einer Kurve entdeckte ich ihn, bis ihn das nächste Schneefeld wieder verschluckte. Da es recht steil und groß war, zog ich diesmal meine Steigeisen an. Ich fühlte mich sicherer. Der Schnee war nicht das Problem, aber manchmal verbarg sich unter solchen Schneefeldern Blankeis, dann wäre es nicht mehr lustig!
Das nächste Wegstück lief sich sehr angenehm es führte schnurgerade über den Gebirgskamm, links Montenegro, rechts Kosovo.
Kurz vor dem Roshkodol-Pass kämpfte ich mit meinen Sandwiches, dann ging es hinauf in den Pass. Es nieselte leicht als ich den Abstieg begann. Dem Pfad folgend merkte ich nur durch einen zufälligen Blick auf mein GPS, dass ich schon wieder falsch lief. Ich durfte nicht dem Saumweg folgen, sondern musste hinunter ins Tal. Teils über Schneefelder, teils querfeldein absteigend, entdeckte ich auch bald wieder die ersten schwach schimmernden Markierungen. Jetzt ein weißes Band auf rotem Grund. Mein Wanderführerautor unterlag an dieser Stelle einem Irrtum.
Dort steht auf Seite 96: „Die Karte des Huber-Verlags weist an dieser Stelle für Hin- und Rückweg zwei scheinbar verschiedene, parallel zueinander verlaufende Wege aus. Nach mehrmaligem Durchwandern dieses Wegabschnitts ist der Autor dieses Buches zu der Überzeugung gelangt, dass es hier tatsächlich nur den einen Weg gibt, der auf dem Hinweg in nördlicher und auf dem Rückweg in südlicher Richtung gegangen wird.“
Das stimmt nicht! Die Karte zeigt die Wege richtig an. Nur ist der Abstieg ins Tal so beschissen markiert, dass es keine Kunst ist, da auch mehrmals dran vorbeizulaufen. Die Karte ist aber aus einem anderen Grund Mist. Mit einem Maßstab von 1:60000 ist sie viel zu ungenau. Für einen Weg wie den POB, wo es auch öfters mal querfeldein geht, sollte der Maßstab 1:25000 betragen.
Ab dem Dorf Roshkodol folgte ich dem POB nur noch auf Fahrstraßen. Das Hirtendorf Bjeshka e Zllonopojes sah aus, als ob eine Bombe eingeschlagen wäre. Ein Großteil der Häuser waren zertrümmert, überall lagen Holzbalken und Bretter herum. Eine Bombe war das nicht, sondern das Werk einer Lawine. „Katastrophe“ sagte einer der Hirten und zeigte auf den Hang gegenüber, wo sich der Schnee gelöst hatte.
Bis Milishevc war es nun nicht mehr weit. Der Tag endete für mich mit einer Premiere, ich baute zum ersten Mal mein Zelt auf! Abendessen kochte ich jedoch nicht, mir lagen noch die ölgetränkten Sandwiches im Magen.

8. Etappe 6: Milishevc – Rugovatal – Pejё

Das Rauschen des Wassers neben meinem Zelt tat richtig gut. Ausgeschlafen und entspannt erklomm ich wieder die Höhen des Balkans. Der Aufstieg erfolgte meist weglos, ohne Markierungen. Erst oben auf einem Hochplateau leuchteten mir wieder die rot-weiß-roten Markierungen entgegen.
Die Landschaft gefiel mir, Schneefelder wechselten mit Wiesen ab auf denen Krokusse blühten. Zwischen Felsbrocken verschwand eine Schlange. War es eine Karst- oder Kreuzotter? Ich konnte es nicht genau sagen. Es ging weiter über Weiden, an dem Bergsee Pusi i Magareve vorbei, bis zum Beginn des Abstiegs ins Rugovatal. Dieser Abstieg war mit Sicherheit einer der Beschissensten, die ich je auf Bergwanderungen erleben durfte. Den steilen gerölldurchsetzten Anfang ertrug ich ja noch, aber danach ewig langen, schnurgerade verlaufenden Rückewegen zu folgen, um schließlich auf einen völlig verwilderten, kaum noch zu begehenden Serpentinenpfad zu stoßen, war schon heftig. So was als Wanderweg zu bezeichnen empfand ich als Frechheit. Durch ein kleines Holztürchen (Höllentor) gelangte ich endlich nach insgesamt 7 Stunden am Rugova-Camp-Hotel auf die Straße. Mein Wanderführer gibt für die Gesamte Etappe, bis Rёke e Allagёs 6 Stunden an. Blödsinn, kann ich da nur sagen!
Für mich endete die heutige Wanderetappe im Rugovatal. Ich stellte mich an den Straßenrand, hielt den Daumen raus und gleich das erste Auto hielt – der Werbung nach ein Unternehmer aus der Baubranche. So etwas hatte ich auch schon lang nicht mehr erlebt. Leider klappte die Verständigung nur mit Hilfe von Zeichensprache. Dafür ging es durch eine Traumschlucht. Schroffe Felswände, ein Wasserfall und tief unten der Bistrica-Fluss (Lumbardh i Pejёs). Mitten im Zentrum von Pejё ließ mich der Typ raus.
Erst einmal brauchte ich ein Dach überm Kopf. Mein erster Gang führte mich folglich zur Touristeninfo. Die hatte geschlossen, hätte aber auf sein müssen. Laut einem Hinweisschild an einer Einmündung, sollte sich in der Nebenstraße eine zweite Info befinden. Dem war nicht so. Dafür empfahl mir ein Mann das Hotel Ҫardak. „Fünfzig Meter, dann links.“
Der Hotelchef hob sich zwar fast einen Bruch, wollte aber unbedingt meinen Rucksack tragen, um zu sehen wie schwer der war. Ich bekam ein Zimmer für 30 Euro mit Frühstück im obersten Stock. Endlich konnte ich wieder etwas mehr für meine Hygiene tun.

9. Pejё

Pejё oder Peć ist ein nettes Städtchen. Cafés und Frisöre dominieren das Stadtbild, einen normalen Lebensmittelladen musste ich dagegen schon suchen. Das größte Problem bestand allerdings darin eine Möglichkeit zu finden, meine E-Mails abzurufen. Das Schicksal von Internetcafés im i-Zeitalter der Smartphones schien endgültig besiegelt. Der Mann in der Touristeninformation, die heute tatsächlich auf hatte, sagte mit einem etwas ratlosen Blick nur „may be“, als ich nach einem Internetcafé fragte.
Dafür hatte der Chef vom Ҫardak eine Idee. Um die Ecke gibt es einen Copy-shop, da sollte ich mal fragen. Ich fragte und es klappte.
Einem Stadtbummel stand nun nichts mehr im Wege. Auf dem alten Basar wurde alles Mögliche feil geboten, meist Klamotten. Von folkloristischer albanischer Kleidung bis hin zu Spiderman-Kostümen. Ich ärgerte mich über die Stromleitungen vor der Moschee. Es ließ sich kein gescheites Foto machen. Auf den Straßen patrouillierten KFOR-Fahrzeuge mit italienischer Flagge.
Trotzdem, der Hotelchef versicherte mir die Sicherheit im Kosovo. „Berlin und London sind gefährlicher“, so sein Kommentar.
Mich trieb nicht nur die Neugier nach Pejё, ich wollte hier jemanden treffen. Einen Freund von Jana, einer Bekannten aus Freiburg. Sie war im letzten Jahr im Kosovo und legte mir ans Herz, mich unbedingt mit dem Bergführer zu treffen, mit dem sie die Klettersteige im Rugovatal gegangen war. Nur, wie hieß der Mann? Der Zettel mit seinem Namen lag daheim in Deutschland und ich konnte mich nicht mehr daran erinnern.
Auch hier wusste der Hotelchef Rat. „So viele gibt es hier nicht“ sagte er. Ein kurzes Telefonat, ich sollte warten. Nach einer Weile erschien ein untersetzter aber kräftiger Typ mit halblangen Haaren und stellte sich als Fatos Lasqi vor. Fatos arbeitet zwar bei der Bergrettung, war aber nicht der Gesuchte. Doch als ich von Klettersteigen erzählte, war er sofort im Bilde, telefonierte kurz und sagte: „Nol ist noch am Klettersteig und in 2 Stunden hier.“ Das war er! Nol, jetzt dämmerte es auch wieder bei mir.
Nol schien immer sehr beschäftigt, ständig klingelte sein Handy. Wir saßen vor einer der vielen Imbissbuden und ich trank Boza, ein türkisches Hirsebier. Auch Nol war die Problematik der schlechten Wegmarkierung des POB bekannt, besonders unterhalb des Roshkodol-Passes und auch er hätte Steigeisen am Valbonapass-Schneefeld empfohlen. Viel Arbeit und wenig Leute sind ein Problem. Vermutlich ist das Führen einer Gruppe über den Klettersteig im Rugovatal auch einträglicher, als mit Pinsel und Farbe weiß-rot-weiße Streifen auf Steine am Roshkodol-Pass zu malen.
Dann erklärte mir Nol, wie ich morgen wieder ins Rugovatal kommen würde, um meine Wanderung fortzusetzen. Mit dem Taxi bis zur Patrikana fahren, ein bedeutendes Serbisches Kloster. Kurz nach sieben würde dann ein Bus fahren. An der Haltestelle Cooperativa müsste ich aussteigen. Blöderweise hatte ich schon ein Taxi bestellt und so früh wollte ich auch nicht los.

10. Etappe 7: Pejё – Rugovatal – Drelaj

Pünktlich um 8:30 Uhr ging es mit dem Taxi zurück ins Rugovatal. „Mercedes – gut!“ lobte Kujtim, der Fahrer, seinen Wagen mit dem Stern. „25 Jahre nur Mercedes!“ Okay er war zufrieden, ich nicht. Ich hatte gestern als Fahrtziel das Rugova-Camp-Hotel angegeben. Bis zum Abzweig nach Rёke e Allagёs waren es aber noch 2 bis 3 km auf der Straße. Das Stück konnte ich mich auch noch fahren lassen. „Kein Problem“ sagte der Fahrer, holte einen Zettel raus und rechnete. Bis zum Hotel kostete es 13 Euro, bis zum Abzweig wollte er 20 Euro. Sieben Euro fand ich ein bisschen viel für die paar Kilometer. Nur auf das Gelatsche über den Asphalt hatte ich auch keine Lust, also soll er das Geld bekommen, auch wenn der Typ nicht zu den lokalen Bergbewohnern gehörte.
Um das Asphaltgelatsche kam ich am Ende doch nicht herum, da auch die ersten 1,5 Kilometer nach Rёke e Allagёs asphaltiert waren. Nach einem Kilometer zweigt ein Pfad nach links ab, zu einem hübschen Wasserfall. Der GPS-Track stimmte hier überhaupt nicht mehr aber egal, verlaufen konnte ich mich nicht.
Ab dem Weiler Lagjja e Kaprovje hatte ich plötzlich einen Begleiter. Eine schwarze Promenadenmischung lief mit wedelndem Schwanz mir ständig zwischen den Beinen herum. Am Gästehaus Ariu, dass ich nach knapp 2 Stunden erreichte, wäre die Etappe zu Ende gewesen, wenn ich sie von Milishevc aus gelaufen wäre.
Ab jetzt wurde es wieder abenteuerlich, eine Markierung konnte ich nirgends ausmachen. Mein GPS wollte auch nicht so wie ich. Schaute ich mir den Weg auf dem Display an, sprang die Route hin und her, keine Möglichkeit sich gescheit zu orientieren.
Irgendwie klappte es dann wieder. Der Wald lag hinter mir und auf den Wiesen begegnete ich den ersten Schafherden auf der Wanderung und dem ersten Šarplaninac, einem Herdenschutzhund in den Bergen des Balkans. Der Kopf ging hoch, wir wurden anvisiert und ein kurzes Bellen schien zu sagen, hier habt ihr nichts zu suchen. Ganz im Gegenteil zu mir zeigte die Promenadenmischung keinerlei Respekt, beide Hunde beschnupperten sich erst einmal. Ich wartete bis der Hirte sich zu seinem Wächter gesellte. Der Hund reichte mir locker bis zur Hüfte. Da weder ich, noch die Promenadenmischung eine Gefahr für die Herde darstellten, kümmerte er sich nicht mehr weiter um uns.
Auf Fahrstraßen ging es abwärts über das Dorf Pepaj nach Drelaj. Zu spät merkte ich es, aber die Sonne hatte mir kräftig Nacken und Arme gerötet, trotz 50+. In Drelaj gab es ein Gästehaus der Familie Shala – das Gästehaus Shqiponja. Wegweiser zeigten schon im Ort die Richtung an.
Im Haus empfingen mich vier Damen zwischen 3 und 70. Im Wohnzimmer musste ich mich an den Tisch setzen und bekam Schnaps, Kaffee, Milch mit Schlabberhaut und Kräutertee. Die Omi freute sich immer besonders, wenn ich lobende Worte über jedes Getränk äußerte.
Auch das kosovarische Abendessen konnte sich sehen lassen: gegrillte Paprika in Sahne, Gurken, Tomaten, Schafskäse, Quark, Joghurt, Brot bedeckten fast den ganzen Tisch. Zum Nachtisch Kuchen und wieder den leckeren Kräutertee.

11. Etappe 8: Drelaj – Guri-i-Kuq-Hotel

Mit dem Frühstück konnte ich mir Zeit lassen, heute würde ich nicht so lang laufen. Nach dem Essen bestätigte ich der Omi wieder, dass alles bestens war. Als ich ihr dann noch ein Pärchen gehäkelte Dekosöckchen für 2 Euro abkaufte, war ich ihr Liebling. Sie knuddelte mich zum Abschied, die Töchter gaben mir nur die Hand.
Mit einem Lunchpaket am Rucksack folgte ich der Fahrstraße dem Bachtal entlang in Richtung Dugaive. Die Sonne brannte mir wieder unbarmherzig auf die Glatze. In Dugaive entdeckte ich zwar nur ein Schloss, mein Wanderführer erwähnte zwei. Hm, vielleicht geschleift? Oder ein Glas Rakja zu wenig getrunken heute morgen.
Der Abstieg nach Kuҫishtё enthielt die gleiche Gemeinheit, wie damals der Weg von Ҫerem nach Dobёrdol – zwei Wege mit identischer Markierung. Doch der Wanderführer wies darauf hin. Am Ortsrand lümmelten zwei Bauarbeiter am Straßenrand. „Sprichst du deutsch?“ fragte mich der Ältere. „Ja, ganz gut sogar.“ antwortete ich. Während des Kosovo-Krieges lebte er in Deutschland, hatte in Backnang gearbeitet. „Warum läufst du allein? Brauchst 'ne Frau, kannste Sex haben. Eine Albanerin, unbedingt!“
Mit solch wertvollen Tipps versorgt, ging ich das letzte Wegstück an. Zum Hotel Guri-i-Kuq wand sich eine nichtasphaltierte Fahrstraße in Serpentinen den Berg hinauf.
Guri-i-Kuq ist wie Urlaub auf dem Bauernhof, Kühe und Schafe grasten auf der Wiese vor dem Hotelrestaurant. Hinter der Anlage verrottete der Müll im Wald. Drinnen war nicht viel los. Ich setzte mich an einen Tisch gegenüber dem Tresen und bestellte ein Bier. Ein Typ hockte sich zu mir an den Tisch und sagte: „Ich komme aus Freiburg“. Ich grinste ihn an und antwortete: „Ich auch“.
Genau genommen wohnte er in Gutach-Bleibach im Elztal und besuchte jedes Jahr um die Zeit seine Heimat – zum Radfahren. Als Projektleiter hatte er die Hotelanlage mit aufgebaut, erfuhr ich. Hier können die Gäste in kleinen Holzbungalows übernachten. Für 15 Euro werde ich das auch tun.
Der Mann schien sich hier gut auszukennen, war schon auf einigen der umliegenden Gipfel. „Die Zustiege sind ohne Führer schwer zu finden.“ Das glaubte ich sofort. Im Kosovokrieg sollen hier im Winter 98/99 viele Kosovo-Albaner über die Berge nach Albanien geflohen sein.
Der Schwarzwald-Kosovare gab mir noch den Tipp, wenn ich ans Meer will, soll ich nach Ulcinj fahren. „Ein Sandstrand wie an der Copacabana.“ Er staunte, dass ich mit dem Zug angereist war. „Über die Schweiz? Also wenn du in Zürich bist, biste ja wieder in Europa!“ Doch erstmal musste ich den POB gescheit zu Ende bringen, zwei Etappen warteten noch.

12. Etappe 9: Guri-i-Kuq-Hotel – Babino polje

Ein Gewitter mit Starkregen ging in der Nacht über Guri-i-Kuq nieder. Morgendunst hing noch zwischen den Bäumen als ich wieder bergauf stapfte. Es lag noch immer eine Gewitterstimmung in der Luft. Ich hoffte zeitig genug wieder unten im Tal zu sein. Der Weg führte vorbei an den beiden Bergseen Liqeni i Kuҫishtёs und Liqeni Vogёl zum Jelenkapass. Bis zu den Seen war der Weg gut markiert, danach gab's wieder mal Lücken im Konzept und ich war froh mein GPS dabeizuhaben.
Unstimmigkeiten erwarteten mich am Aufstieg zum Jelenkapass. Der markierte Weg stimmte nicht mit meinem GPS-Track überein. Ich entschied mich, den Markierungen zu folgen und erreichte auch problemlos den Pass.
Ein kalter Wind pfiff mir um die Ohren und ich sah zu, dass ich weiter kam. Der Weg folgte jetzt einem Bergkamm und es lief sich angenehm. Ab und zu zeigte sich die Sonne aber es war nicht so heiß wie an den letzten beiden Tagen. Am Horizont sah ich den Roshkodolpass und unter mir das Tal in dem ich vor 5 Tagen entlangspazierte. An einem kleinen etwas zugewachsenen See holte ich meine Nuss-Frucht-Mischung aus dem Rucksack und machte Mittagspause.
Bis zum Zavoj-Sattel lief es sich nicht mehr so gut. Oft lagen noch Schneereste auf dem Weg, die zusammenbrachen wenn ich drauftrat. Im Sattel angekommen, war es nicht mehr windig – es stürmte. Hinter mir zogen dunkle Wolken auf, schnell runter!
So schnell ging das dann aber doch nicht. Kaum noch Markierungen, das GPS spann herum und es ging meist querfeldein oder besser querfeldab.
Unter mir sah ich eine Person am Berghang stehen. Beim Näherkommen wurde aus der Person ein pfeife-rauchender Hirte mit einem Gewehr über der Schulter. Ich fragte den Mann nach dem Weg hinunter nach Babino polje. Er zeigte in eine Richtung, die mit der Richtung die mir das GPS anzeigte nichts mehr zu tun hatte. Aber egal, weglos war beides. Ich vertraute dem Hirten, tippelte bergab und staunte als auf einem Stein endlich wieder eine Markierung leuchtete.
Doch zu früh gefreut. Ähnlich wie bei dem Abstieg ins Rugovatal schien auch der Weg kaum noch begangen zu sein. In einem Waldstück kämpfte ich mich durchs Unterholz und über umgestürzte Bäume nach unten. Endlich erreichte ich eine Wiese, querte sie und einen Bach und stand schließlich vor einem Wegweiser auf der Fahrstraße in Babino polje. Das ich in Montenegro war, zeigten auch die leeren Bierbüchsen am Straßenrand. Da stand jetzt nicht mehr Birra Peja drauf sondern Jelen oder Nikšičko.
Das erste Donnergrollen drang mir in die Ohren und es dauerte nicht lang da fielen die ersten Regentropfen. Unter dem Dach eines Rohbaus wartete ich bis das Gewitter vorüber war.
Häuser gab es zwar genug aber alle waren entweder noch nicht fertig oder verschlossen. Es sah so aus, als ob ich heute wieder zelten müsste. Direkt neben der Straße wollte ich mein Zelt nicht aufbauen. Ich brauchte etwas Tarnung und Trinkwasser, das Wasser aus dem Bach schien mir ungeeignet. Beides fand ich in der Nähe meines morgigen Startpunktes. Auf einem Grundstück sprudelte Quellwasser aus einem Schlauch und oberhalb der Straße, innerhalb einer Holzhütte, von der nur noch die Seitenwände standen baute ich mein Zelt auf.
Heute kochte ich zum ersten Mal mein Abendessen selber. Während der Kocher summte fuhr doch tatsächlich eine Patrouille der Grenzpolizei vorbei. Ich war einen Tag zu früh dran, doch für die Grenzwächter nicht zu sehen.

13. Etappe 10: Babino polje – Plav

Kurz nach 6 Uhr war es noch nicht so warm. In den Tälern waberten Wolken aus denen in der Sonne leuchtende Berggipfel ragten. Die letzte Etappe des POB begann, ich befand mich sozusagen auf der Zielgeraden. Der Weg führte über den Bergsee Hridsko Jezero und war bis zum See ausgezeichnet markiert. Das muss ja mal erwähnt werden. Doch die Markierungsmisere auf dem POB sollte heute schon noch neue Dimensionen annehmen.
Der See unter schroffen Felswänden, eingebettet zwischen Kiefern und Geröll ist wunderschön. Der Weg hinauf zur Fahrstraße am Veliki Hrid war noch gut zu erkennen. Ein Wegweiser direkt an der Fahrstraße war der vorletzte Hinweis auf dem POB in Richtung Plav. Wie in meinem Wanderbüchlein beschrieben, zweigt an einer Holzhütte ein kaum sichtbarer Pfad nach links ab. Ich war natürlich erstmal vorbeigerannt.
Der Pfad führte mich auf eine Wiese voller Enzian, die Sicht auf die umliegenden Berge war gigantisch. Weniger toll fand ich den nachfolgenden Abstieg. Der Weg war bald verschwunden und ich musste mich blind auf die GPS-Daten verlassen. Bald tauchte irgendwann wieder ein Wegstück auf, um ebenso plötzlich wieder zu verschwinden. Und in dem ganzen Bergnirwana tauchte mitten auf einer Wiese ein Wegweiser auf.
Es ging noch ein Stück durch Wald, dann kam das erste Haus in Sicht. Ab jetzt war es nicht mehr so schwierig sich zu orientieren. Ein Fahrweg wand sich in Serpentinen durch Blumenwiesen den Hang hinab, bis zu einem Wildbach. Dort passte gar nichts mehr! Laut GPS musste ich ein paar Meter dem Fahrweg folgen und dann den Bach queren. An der Stelle hätte mich das Wasser wohl bis in die Adria gespült. Also zurück! Das Wanderbüchlein sagte: „... ein gutes Stück kürzer und schöner ist es aber, wenn Sie sich zunächst nach links wenden, dann den Fluss über eine Holzbrücke überqueren und den unmittelbar hinter der Holzbrücke zwischen den Bäumen beginnenden Pfad nehmen.“
So weit, so gut. Nur ich konnte hinter der Brücke keinen Pfad entdecken. Die Schotterstraße sah irgendwie planiert aus, wie nach Bauarbeiten. Ich lief ein Stück talauf und entdeckte einen halbverwachsenen Pfad, der auf einen noch mehr verwilderten Bewässerungskanal führte. Am Rand des Kanals lies es sich laufen, also lief ich. Ich lief ungefähr 20 Minuten, dann lief nichts mehr! Den Kanal hatte die Vegetation völlig überwuchert.
Jetzt war ich so richtig emotionsgeladen oder einfacher gesagt, ich kochte vor Wut. Verfluchte den ganzen POB, dass er mir 6 Kilometer vor dem Ziel noch mal dermaßen das Leben schwer machte. Ich hatte die Schnauze voll, machte kehrt und folgte der Straße nach Plav.
Nach insgesamt 9 ¼ Stunden erreichte ich das Städtchen am blauen See, bei 26 ° C aus allen Poren schwitzend und mit rotem Kopf, aber ich war zufrieden. Im Café Timm bekam ich eine Limonade spendiert, das Zimmer musste ich zahlen. Diesmal gab's auch Klopapier!

14. Ans Meer

Der Bus nach Podgorica sollte um 6:15 Uhr fahren. Ausgeruht, hygienisch einwandfrei und mit frisch gewaschener Wäsche verließ ich die verwunschenen Berge. Ich wollte dem Rat des Schwarzwald-Kosovaren folgen und Ulcinj an der Adria besuchen.
Die Fahrt durch die Schlucht der Morača war ein Erlebnis für die Augen, die nach Ulcinj eins für die Ohren.
Zwei Chinesen, ein Pärchen, saßen hinter mir im Bus und wollten zum Skadar-See. Ihr Fahrschein war aber bis Sutomore ausgestellt, warum auch immer. Die Hauptorte, für Unternehmungen am See sind jedoch Vranjina und Virpazar.
„Skadar Lake?“ fragten sie den Fahrer und zeigten ihm den Fahrschein. Der Mann nickte. „Virpazar oder Sutomore?“ hakte der Chinese nach. „Virpazar“ antwortete der Fahrer. „Sutomore liegt am Meer.“ Alles schien geklärt.
Der Bus fuhr an, da fingen die Beiden an zu hadern, ob Virpazar wirklich der richtige Zielort wäre. Eine Einheimische, die englisch beherrschte, erzählte den Chinesen, dass es dort außer Fischer nichts weiter gäbe. Als wir Vranjina erreichten, hielt der Fahrer und sagte „Skadar-Lake“. Immerhin befindet sich hier das Büro der Nationalparkleitung.
Die Beiden bewegten sich nicht. Der nächste Halt war Virpazar. Die Beiden schauten aus dem Fenster und blieben auch hier sitzen. Der Fahrer schüttelte den Kopf und fuhr weiter. Dann kam Sutomore in Sicht. Die Chinesen entschieden sich nun doch bis Ulcinj zu fahren und baten die Dame, dies dem Fahrer zu erklären.
Der Mann verstand nun die Welt nicht mehr. Kassierte noch 3 Euro und fuhr weiter.
Es wäre nicht verkehrt gewesen ein paar Euro in einen Reiseführer zu investieren, dachte ich mir.
Mein Rucksack saß noch nicht mal richtig auf den Schultern, als ich schon von zwei Schleppern bedrängt wurde. Sie wollten mir eine Unterkunft aufschwätzen. Mir wurden Hochglanzprospekte unter die Nase gehalten, mit Fotos von noblen Zimmern. Nicht weit und billig (15 Euro), so ihre Argumente. Außerhalb des Busbahnhofs trennten sich Beide. Jeder wollte, dass ich ihn begleitete. Ich gab Beiden ein deutliches Zeichen und ließ sie stehen – willkommen am Meer.
Zum Glück brauchte ich nicht lang suchen. Gegenüber der Hauptstraße entdeckte ich die Aufschrift „Tourist Information“ an einem Hotel, das London hieß.
„Wir haben auch Zimmer“ sagte der Mann in der Tourist-Info. „Zwei Nächte?“ Er überlegte kurz. „35 Euro.“ Das war für mich in Ordnung. Ich sollte nichts Wertvolles auf dem Zimmer lassen und die Haustür wurde über Sprechanlage geöffnet – willkommen am Meer. Erst mal gab es einen Kaffee auf Kosten des Hauses, dann bezog ich mein Zimmer mit Klimaanlage.
Ulcinj, das waren Autos, Cafés und Frisöre. Unten am Strand fiel mir ein Hinweisschild auf: „Hotel Haus Freiburg“ stand da drauf. Der Sache wollte ich auf den Grund gehen. Das Haus ist ein Nobelhotel mit 4 Sternen. Neugierig betrat ich die Rezeption und fragte: „Spricht man hier auch badisch?“ Der Mann an der Rezeption lachte und gab mir die Hand. Eqrem Mehmeti ehemaliger Bauunternehmer aus Freiburg betreibt das Hotel gemeinsam mit seiner deutschen Frau. Das Haus wurde 2008 als eines der wenigen legalen Hotels in Ulcinj eröffnet, erzählte mir Herr Mehmeti. Wir gingen hoch an die Bar und ich bekam ein Bier auf Kosten des Hauses und wir schwätzten etwas über Reise, Heimat und Politik. Zum Abschied bot er mir preisgekröntes Olivenöl und Kastanienblütenhonig zum Kauf an.
Zurück auf meinem Zimmer, setzte ich die Klimaanlage in gang. Es war nötig. Dumm war, das mir das Ding genau ins Gesicht blies. Also Klimaanlage aus, Fenster auf – gute Idee! Mücken kamen durchs Fenster rein – Scheißidee! Fenster zu, Klimaanlage an.

Der Morgenspaziergang führte mich zum Friedhof, auf Friedhöfen lassen sich oft schöne Bilder machen. Gleich oberhalb des Friedhofs erhebt sich die alte Burg von Ulcinj über der Adria. Das Piratennest beherbergt heute Hotels und Restaurants. Nicht nur die alten Gebäude in dem Ort fand ich interessant auch das Marktreiben. Fische, Oliven, Obst und Gemüse alles mögliche wurde angeboten, nur eines konnte ich nirgends entdecken – Rakija!
Zimmer hätte ich in der Stadt problemlos haben können, fast an jedem Haus stand, dass Zimmer frei wären. Na ja, es ist auch noch keine Hauptsaison. Bis zu dem langen Sandstrand sollen es 4 bis 5 km sein, ich entschied mich nicht dorthin zu gehen. Baden hätte ich sowieso nicht können. Wohin sollte ich auch mit meinen Klamotten?
Ich hockte mich vors London-Hotel und schaute dem Treiben auf der Straße zu. Ein Polizist regelte den Verkehr auf der Kreuzung und brachte damit mehr Unruhe rein als vorher. Ein paar Minuten später düste ein Konvoi schwarzer Limousinen vorbei, dann verschwand auch der Polizist. „Der Präsident des Kosovo“ sagte der Hotelchef.
Straßenhunde suchten am Bordstein nach Essbarem und ein Auto mit Matratzen auf dem Dach, düste um die Kurve. Der Hotelchef fuhr weg. Ein Stuhl im Eingang zum Hotelrestaurant zeigte an, dass niemand daheim war.
Auch ich machte mich nochmal auf den Weg – zum Abendessen. Heute musste es Fisch sein. Wenn man schon mal an der Küste war. Auf Empfehlung des Kellners bestellte ich Orada (Goldbrasse) für 9 Euro – mit dem Namen konnte ich nichts anfangen. Doch als ich den Fisch auf dem Teller liegen sah, dämmerte es. Vor 13 Jahren hatte ich so ein Tierchen schon einmal gegessen, in Barcelona. Das Vieh hatte mich damals ein kleines Vermögen gekostet.
Morgen werde ich die Küste verlassen und nach Virpazar fahren an Montenegros größten See dem Skadar-See (Skadarsko jezero).

15. Am Skadar-See

In Virpazar half mir der Schlepper sogar den Rucksack auf die Schultern zu wuchten, als ich aus dem Bus stieg. Es war ein Angestellter des Hotels Pelikan. Das Zimmer mit Frühstück würde mich 35 Euro kosten und in 20 Minuten könnte ich eine Bootsfahrt für 30 Euro buchen (26 Euro Bootstour + 4 Euro Nationalparkgebühr). Immerhin verarschte er mich nicht wie die Typen in Ulcinj.
Nur die Bootsfahrt verschob ich auf 16 Uhr. Zwei Stunden sollte sie dauern, ich rechnete mit optimalen Lichtverhältnissen.
Virpazar sind zwei Hotels, ein Voli-Markt, ein paar Restaurants und Privatunterkünfte sowie jede Menge Boote, die darauf warteten mit Touristen auf den See zu fahren. Außerdem gibt es eine Touristeninformation.
Jetzt wollte ich mir erstmal in der Touristeninformation eine Karte des Skadar-Sees besorgen. Die Dame hinter dem Schreibtisch lächelte und sagte: „Die bekommen Sie nur im Büro der Nationalparkverwaltung auf Vranjina.“ Das waren etwa 5 km Landstraße. Für Autofahrer kein Problem, für mich 1 Stunde Gelatsche.
Nicht nur die haarscharf vorbeidonnernden Lkws stellten eine Bedrohung für Fußgänger dar. Am Straßenrand lauerte noch eine andere Gefahr! Die Grenze zur Böschung bildete eine etwa 40 cm hohe senkrechte Betonkante. Nun gab es hier allerlei Getier, darunter auch Vipern. Rutschte eine Schlange über die Kante auf den Seitenstreifen der Straße, war ihr Schicksal besiegelt. Einen Weg zurück gab es für die Tiere nicht mehr. Entweder sie wurden von den Fahrzeugen platt gemacht oder verreckten auf dem Seitenstreifen, da sie die Betonkante nicht mehr hochkamen. Die Meisten waren bereits vertrocknet. Einige jedoch lagen in ihrer Agonie zusammengerollt, recht aggressiv und giftig dreinschauend auf dem Beton.
Allen Gefahren trotzend, erreichte ich endlich etwas angenervt das Nationalparkbüro.
Warum es die Karten nicht in Virpazar gab, war mir ein Rätsel. Die Antwort war nicht schlecht: „Sie haben dort kein Kreditkartenlesegerät.“ Real existierender Sozialismus, schoss es mir durch den Kopf. Ich sollte der Dame folgen. Als sie so vor mir die Treppe hinunterstöckelte, konnte ich ihr nicht mal mehr böse sein. Ich bekam meine Karte für 4 Euro und trat den Rückweg an.
Nach etwa einem Kilometer quatschte mich ein Typ an. Für 8 Euro würde er mich nach Virpazar fahren. „Acht Euro?“ Nee, da lief ich lieber. „Fünf Euro!“ „Okay!“
Immerhin hatte ich jetzt noch Zeit im Pelikan etwas zu essen. Die nötige Ruhe dazu hatte ich jedoch nicht. Der Schlepper-Typ hatte noch 2 Pärchen davon überzeugen können eine Bootsfahrt zu machen und wollte nun doch eher los. Also stürzte ich mein Bierchen hinunter und begab mich zur Ablegestelle.
Das erste Ziel, welches wir ansteuerten war die Gefängnisinsel Grmožur – ein von den Türken erbautes Alcatraz sozusagen. Wer wollte, durfte schwimmen gehen. Auf dem See schwammen auch viele Haubentaucher, Reiher, Seerosen und Plastikflaschen. Nee – der See ist schon schön!
Zurück in Virpazar schlenderte ich noch ein Stück die Bergstraße entlang bis zum Dorf Godinje. Immer wieder boten sich schöne Ausblicke auf den See. Erst ein aufziehendes Gewitter gebot mir zurückzugehen.

Am nächsten Morgen entschied ich mich zu einer kleinen Tageswanderung. Mein Ziel – Rijeka Crnojevića. Durch mein Zimmerfenster sah ich die Sonne aufgehen. Ich wühlte mich aus dem Bett und in die Klamotten. An der Haustür musste ich meine Wanderpläne erst einmal begraben. Die Tür war abgeschlossen und lies sich mit meinem Schlüssel von innen nicht öffnen. Fast eine Stunde fühlte ich mich wie ein Tiger im Käfig. Dann klapperten Schlüssel, die Putzfrau öffnete die Tür von außen.
Mein erster Gang galt nun der Rezeption. Die Dame hatte die selben Probleme beim Versuch, die Tür ab- oder aufzuschließen, ich bekam ein neues Paar Schlüssel samt Zimmer.
Später als geplant startete ich zu meiner Wandertour ins Küstengebirge. Der Weg führte durchgehend über eine schmale Asphaltstraße. Leider hatte ich die Entfernung etwas falsch eingeschätzt. Das wurde mir klar, als ich nach einer Stunde auf die Karte schaute und überrascht war wie wenig Strecke ich geschafft hatte. Die Sonne brannte bereits unbarmherzig. Am Wegrand krabbelten Schildkröten und im Gebüsch verschwand eine Schlange, über einen Meter lang, fast armdick und von rostbrauner Farbe. Keine Ahnung was für eine. In Kruševica stellte ein Bauer gerade seine Weinflaschen auf ein Tischchen vor dem Eingang zum Grundstück auf. Ich sollte probieren. Danach würde ich keinen Meter mehr laufen! Wir einigten uns, dass ich auf dem Rückweg vorbeischaute.
Hinter dem Dorf Komarno hatte ich schöne Ausblicke auf die Buchten des Skadar-Sees. An den Berghängen leuchteten die roten Blüten des Granatapfelbaums und zwischen Pinien hatten fette Spinnen ihre Netze gespannt. Die Landschaft war großartig, aber zum Wandern im Juni viel zu heiß. Hier müsste man im April mal her, dachte ich. Nach drei Stunden war mir klar, dass ich es bis Rijeka nicht mehr schaffen würde. Auf der Höhe des Dorfes Poseljani machte ich kehrt.
Der Rest Bitterlemon in meiner Flasche war lauwarm und schmeckte nun wie Katzenpisse, Zeit nachzutanken. Der Weinbauer hieß Igor. Er winkte mir, ich sollte in den Schatten vors Haus kommen. Auf einem Tischchen reihten sich Flaschen mit Rakija, Roséwein, Weißwein und Wasser eisgekühlt. Dem Wasser galt meine höchste Priorität. Immerhin musste ich noch ein Stück laufen. „Kein Problem“, laut Igor. „Nur 5 Kilometer und immer bergab.“
Weine hatte ich schon bessere getrunken aber ein Liter Schnaps wechselten für 13 Euro den Besitzer. Das würde meinen Rucksack zwar wieder auf Startgewicht bringen aber egal. Igor hatte schon Besuch aus Deutschland. „Polizei-Chef“, sagte er stolz. In der guten Stube hingen Abzeichen des SEK Kiel. Ich konnte ihm kein Abzeichen anbieten, machte aber ein Abschiedsfoto mit Schnapsflasche.
Wieder in Virpazar, entdeckte ich auf dem Weg zur Burg über dem Ort einen Fahrradverleih, 10 EUR/Tag. Tja hätte ich vorher wissen sollen.

16. Podgorica und Ostrog

Der Hotelchef schenkte mir zum Abschied ein Tütchen mit Salbeitee und ein paar Maulbeeren. Was hatte ich nur getan?
Der Kleinbus nach Podgorica kam pünktlich, es war der selbe Fahrer, den die Chinesen zur Verzweiflung gebracht hatten. Im Bus lernte ich Chris kennen. Chris ist Engländer und lebte 10 Jahre in Freiburg. In Podgorica soll ich ins Café Berlin gehen. Wenn ich den Kneipier von ihm grüße, bekäme ich vielleicht einen Kaffee gratis.
Erstmal musste ich mich um eine Unterkunft kümmern. Die Dame in der Touristeninformation im Busbahnhof drückte mir ein Prospekt des Hotels Terminus in die Hand – 3 Sterne und 35 Euro/Nacht. Vor dem Busbahnhof traf ich dann einen alten Bekannten, den Taxifahrer, der mich nach Plav gefahren hatte.
„Room, 15 Euro – cheap!“ Also gut, ich konnte mir das Zimmer mal ansehen. Das Zimmer, oder besser die Zimmer (der Typ vermietete mehrere) waren keine 5 Minuten vom Bahnhof entfernt, in einer Häusersiedlung. „No problem, I Boss!“ versicherte mir der Fahrer. Ich zahlte für zwei Nächte.
Im Café Berlin bekam ich keinen Kaffee gratis, ich hatte auch keine Grüße übermittelt, der Kellner war sehr beschäftigt, der Laden voll. Eigentlich gab es fast nur Cafés in Podgorica und alle waren voll. In der Buda-Bar bestellte ich einen Kaffee. „Groß oder klein?“ fragte der Ober. Groß natürlich! Trotzdem musste ich mich mit dem Trinken beeilen, sonst wäre der Tasseninhalt verdunstet, bevor ich ihn an die Lippen gebracht hätte.
Mein Taxifahrer hatte noch zwei Reisenden ein Zimmer vermieten können. Ein Pärchen, er Franzose aus Paris, sie Russin aus Moskau, die morgen in den Durmitor wollten. Für das Zimmer mussten sie auch 15 Euro zahlen aber pro Person – fein abgezockt!

Podgorica hatte als Stadt nicht wirklich viel zu bieten. Den ganzen Tag hier rumzuhängen kam nicht in Frage. Was tun? Mein Reiseführer widmete zwei Seiten dem Kloster Ostrog, 45 km entfernt. Nur wie würde ich dorthin kommen?
Laut Reiseführer bieten Agenturen oft Fahrten nach Ostrog an. Der Mann in der Info drückte mir eine Liste mit einem Dutzend Adressen in die Hand. Sollte ich die jetzt alle abklappern? Blödsinn!
„45 Euro – cheap!“ Ich zögerte noch etwas. Mein Taxifahrer überlegte und sagte: „Wir halten und trinken was – ein Bier?“ Okay, das überzeugte mich! Wir hielten an einer Tanke hinter Podgorica, ich bekam ein Bier spendiert und dann ging es direkt zum Felsenkloster. Als Rechtgläubiger müsste ich mich unten vom Dorf Donji Ostrog den Hang hinauf zum Kloster quälen. So beschrieb es zumindest mein Reiseführerautor. Doch als verwöhnter Tourist ging es direkt vor den Klostereingang.
Auf dem Platz vor dem Kloster lagen Matten und auf den Matten Menschen, Pilger die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, dem Heiligen Vasilije, seines Zeichens Klostergründer, einen Besuch abzustatten. Das Kloster ist für serbisch-orthodoxe Christen ein wichtiger Wallfahrtsort. Die in den Fels gebaute Kirche erinnerte mich an das Felsenkloster Wardzia in Georgien.
Wieder in Podgorica hockten wir uns noch auf ein Bier vor eine Imbissbude. Der Taxifahrer kannte die gesamte Belegschaft. Ein Typ, dem die oberen Schneidezähne fehlten, fand Deutschland gut und die Dame hinter dem Tresen schien schon so manch wilde Nacht durchgemacht zu haben. Kein Ort für Touristen, ich mochte ihn.
Morgen würde ich Montenegro verlassen. Mit dem Zug wollte ich zurück nach Belgrad, ich wählte diesmal den Morgenzug.

17. In die Karpaten

Die Hitze im Zimmer und das Stöhnen der Dame im Nachbarzimmer ließen mich schon zeitig den Rucksack packen und zum Bahnhof gehen. Der Zug kam pünktlich und war brechend voll. Zum Glück hatte ich reserviert.
Das Spektakulärste während der Bahnfahrt blieb für mich die Morača-Schlucht in Montenegro. Nach über 10 Stunden Fahrt war ich froh, endlich in Belgrad aus dem Abteil klettern zu können.
Ich brauchte nicht lang nach einer Unterkunft zu suchen. Direkt gegenüber vom Hauptbahnhof entschied ich mich für das Hostel Cuba. Allein im 4-Bett-Zimmer für 15 Euro fand ich akzeptabel. Außerdem waren die Schrankfächer so groß, dass ich meinen Rucksack komplett darin verstauen konnte. Einziger Minuspunkt, durch den Verkehr auf dem Bahnhofsvorplatz war es sehr laut. Gleich um die Ecke hatte es einen kleinen Supermarkt und noch ein Stück weiter ein sehr gutes Restaurant – das Zavičaj. Gekochtes Lamm im Keramiktopf war richtig lecker.
Ursprünglich hatte ich mir überlegt, noch einmal bis Donji Milanovac zu fahren, um von dort auf den Veliki Štrbac zu wandern. Aber aus Zeitmangel entschied ich mich nach Majdanpek zu fahren. Wie schon letztes Jahr, fuhr ich auch diesmal durch die Dörfer der „Gastarbeiter“ mit ihren Kitschpalästen. Den Gipfel der Geschmacklosigkeit bildete eine Meernymphe im Vorgarten eines Grundstücks in Salakovac.
Majdanpek bedeutet sinngemäß Mine am Pek (Flussname) und genau das ist der Ort auch. Gold-, Kupfer-, Platinerze werden hier abgebaut. Bagger wühlten sich ins Gestein, trugen ganze Berghänge ab. Lkws deren Räder die Höhe eines Busses erreichen, donnerten über die staubigen Fahrstraßen. Rechter Hand ein giftgrüner See, dessen Farbe sich wie das Wetter ändern soll. Mitten durch das Gelände führt die Hauptstraße in die Innenstadt.
Eine Unterkunft zu finden war nicht schwer, es gab nur eine – das Golden Inn Hotel. Das Zimmer in dem sozialistischen Wuchtbau war nicht mal teuer, 1895 Dinar (rund 16 Euro) mit Frühstück.
Etwa 3 km nördlich von Majdanpek befindet sich die Höhle Rajkova pećina (Rajkov's Höhle). Dem Bach Mali Pek folgend, vorbei am See Veliki Zaton erreichte ich nach etwa 45 Minuten den Höhleneingang – verschlossen.
Ein paar Jugendliche hockten unter einem überdachten Grillplatz. Bierflaschen in den Händen, aus Autolautsprechern dröhnte Techno-Sound.
Ich erfuhr, dass die nächste Führung um zwei stattfinden sollte. Das wäre in einer halben Stunde. Nach zwei Stunden war ich immer noch nicht in der Höhle. Hatte aber neue Freundschaften geschlossen. Einer der Jungs feierte seinen 18. Geburtstag. Nach 2 Bier war ich schon Bruder, nach 4 klappte es mit der Verständigung und nach 6 Bier mochte ich sogar Techno!
Zwischenzeitlich fuhr einer der Jungs in den Ort, um dem Höhlenführer Bescheid zu sagen, dass hier einer säße, der in die Finsternis hinabsteigen möchte. Nach einer Weile tauchte der junge Mann tatsächlich auf, hatte jedoch dummerweise die Schlüssel zum Eingang vergessen. Macht nix, ich war gut versorgt und konnte auch noch mal 'ne halbe Stunde warten.
Doch dann konnte es endlich losgehen. Er hatte noch ein Pärchen Touristen mitgebracht. Zwei der Jungs verließen die Höhle schnell wieder, ihnen war es zu kalt! Wir waren nun zu viert. Das Charakteristische in Rajkovs Höhle sind die weißen Sinterformationen. Weiß waren aber nicht alle, dort wo Besucher den Kalkstein berührt hatten war er dunkel. Narrenhände beschmieren also nicht nur Tisch und Wände sondern auch Stalaktiten und Stalagmiten!
Interessant war, wie Besucher das Aussehen bestimmter Sintergebilde interpretierten. Unser Führer zeigte auf eine Kalksäule und sagte: „Für Kinder ist es Eiscreme, für Frauen Diamanten und Männer sehen da in der Regel Bierschaum.“ Auch hier gab es Spaghetti-Stalaktiten wie in der Gombaseker Höhle im Slowakischen Karst. Laut unserem Guide waren wir in der schönsten Höhle Serbiens und das für 300 Dinar (2,55 Euro) Eintritt. Ich hoffte meine Fotos waren nicht alle „Out of Focus“. Mein Durchblick war schon etwas getrübt.
Mit Liljana, die schon in Nürnberg gearbeitet hatte aber kein Deutsch mehr sprach und Srećko, der sich als Künstler (Maler, Fotograf) sah, lief ich zurück nach Majdanpek. Ich sah ihn eher als Lebenskünstler. Liljana schenkte mir zum Abschied ein christlich-orthodoxes Amulett, ich hatte es wohl nötig.
Mein Abendessen verschlief ich zwar, aber es war einer der schönsten Tage der Reise.

Graue Wolken hingen am Morgen zwischen den Bergen. Es hatte mächtig gewittert in der Nacht. Gegenüber dem Hotel ist die Touristeninformation, mal schauen was die mir so empfehlen konnten.
Auf meine Frage, ob es in der Gegend interessante Wanderungen gäbe, holte die Dame ein Prospekt und zeigte mir ein Foto von einem natürlichen Felsentor. Ich nickte und sagte: „Ja, kenn ich schon – Vratna.“ Sie schüttelte mit dem Kopf. „Der Valja Prerast ist bei Majdanpek. Hier gibt es auch eine Quelle – Beli Izvor. Das Wasser kommt direkt aus einer Höhle. Etwa 15 km von hier.“ Aha, das war interessant, ein Felsentor, dass ich noch nicht kannte und eine Karstquelle! Nur wie sollte ich da hinkommen?
„Kein Problem“, sagte Maja. „Ich habe einen Dienstwagen. Wenn du mit dem Frühstück fertig bist können wir fahren.“ Na so etwas hatte ich auch noch nicht erlebt, das übertraf ja sogar Borjomi! Ich war fertig, wir konnten los. Zurück könnte ich trampen oder mittags mit dem Bus fahren.
Während der Fahrt erklärte sie mir den Weg zur Weißen Quelle und dass sie vor zwei Tagen Oma geworden war. Ich schätzte sie auf mein Alter. Am Abzweig zum Felsentor setzte mich Maja ab und gab mir zur Sicherheit noch ihre Telefonnummer. Auf einem Holzschild, dass an einen Baum genagelt war stand 800 m bis zum Prerast, wie hier die Felsentore genannt werden. Zum Glück hatte ich meine Wanderschuhe an, mehrmals musste ich den Bach queren. Dann erhob sich der Felsbogen über mir. Das Tor erschien mir höher als die Beiden, die ich in der Vratna-Schlucht gesehen hatte. Es ist knapp 10 m breit und 26 m hoch. Ich machte ein paar Fotos und trat den Rückweg an. Das nächste Ziel hieß Beli Izvor.
Laut Maja, sollte ich etwa 1 km der Straße folgen bis zu einem blauen Bushäuschen. Ein Stück danach, rechts dem Bach folgen, der mich direkt ans Ziel führen würde.
Kurz vor der Bushaltestelle hielt ein Auto. Es war Maja. Was für ein Glück, sie setzte mich direkt am Abzweig zur Weißen Quelle ab. Die ersten Meter ging es über ein Grundstück, allein hätte ich den Weg nicht gefunden. Dann folgte der Pfad dem Bach. Über verkalkte Sinterterrassen sprudelte das Wasser zu Tal. Weiter oben ein Wasserfall und schlussendlich erreichte ich den Höhleneingang. Schade, dass ich nicht mehr Zeit hatte. Hier würde ich gern mal auf Entdeckungsreise gehen.
Wieder an der Bushaltestelle, brauchte ich nicht lang zu warten. Herr Pavlović hatte viele Jahre in der Schweiz gearbeitet und sprach sehr gut deutsch. Jetzt vermietet er Zimmer an Touristen. Direkt vor dem Hoteleingang setzte er mich ab.

Ein Bus nach Belgrad fuhr am nächsten Tag nicht um 13:40 Uhr, wie mir der Herr am Fahrkartenschalter versicherte, sondern bereits um 13:00 Uhr. Meinen letzten Urlaubstag wollte ich ruhig angehen, durch die Stadt bummeln, im Fragezeichen einen Sliwowitz trinken, in den Kalemagdan-Park hocken und abhängen bevor es am nächsten Tag zurück nach Deutschland ging.

***

nach oben nach oben