(Karpatentour Oktober 2003 – Slowakei)
Die slowakische Seite der Tatra war in mancherlei Hinsicht anders. Die
Täler enger, die Berge schroffer, das Bier besser. Doch eine Sache
ärgerte mich gewaltig. Ich war im Begriff den Rat des Wanderers von der
Waksmundska-Wiese zu befolgen und wollte nach Starý Smokovec durch das
Bielovodská-Tal. Da mir die direkte Variante doch etwas zu weit schien,
entschied ich mich über den sedlo Prielom zur Zboinícka chata
(Räuberhütte) zu gehen. Doch dicke graue Wolken zogen von Westen heran
und senkten sich in das Tal. Ich ignorierte die Warnung und lief weiter.
Nach 2 ½ Stunden vielen die ersten Tropfen. Ich schaltete in den
nächsten Gang und erreichte nach einer viertel Stunde eine Hütte, die
aussah wie ein Zirkuszelt. In der Mitte gab es eine Feuerstelle und ein paar
Meter weiter im Wald lugte ein Scheißhäuschen zwischen den Bäumen
hervor.
Ich holte mein Mittagessen aus dem Rucksack, es gab wie immer Studentenfutter.
Die Rosinen und getrockneten Ananas-Stücke mochte ich am liebsten, was zur
Folge hatte, dass zum Ende der Tour meine Hauptmahlzeit im Gebirge nur noch aus
Erdnüssen und Pinienkernen bestand.
Die Regentropfen hatten sich mittlerweile in kleine Sturzbäche verwandelt,
als etwas Dunkelblaues, Feuchtes unter das Hüttendach stolperte.
Bartstoppeln schauten unter der Kapuze des Regencapes hervor. „Wollte übers
Wochenende klettern“, sagte der Typ. „Aber die haben bis Mittwoch Regen
vorausgesagt.“
Hatte ich mich gerade verhört? Sagte der tatsächlich Mittwoch? Heute
war Samstag. Er sah mein verdutztes Gesicht, grinste und sagte nur:
„Shit happens.“
Der Bergsteiger sollte recht behalten. Ich vertraute ihm und trat den
Rückweg an. Tropfnass wie ein Badeschwamm brachte mich ein Maxi-Taxi nach
Ždiar und erleichterte mich um 60 Kronen. In dem Ort am Fuße der
Belaer Kalkalpen wollte ich mir ein Zimmer nehmen und den Regen abwarten. Da ich
keine große Lust verspürte nach einem Zimmer zu suchen, ging ich wie
im letzten Jahr zu den Kriššák's. Der Sohn, ein nach
Knoblauch riechender Blondschopf zeigte mir das Zimmer und gab mir den
Schlüssel.
Der größte Vorteil eines eigenen Zimmers war, endlich wieder mal
richtig ausschlafen zu können. Keiner laberte irgendeinen Schwachsinn in
der Nacht (Warum müssen sich Paare, die mit Sicherheit noch 50 – 60 Jahre
Zeit haben sich zu Unterhalten ausgerechnet dann quatschen, wenn ich pennen
will?), keiner der das Licht ein und ausschaltete und keiner der mit den
Türen knallte.
Samstag, Sonntag und Montag verstrichen. In Ždiar hatten die Tage
für mich nur einen Sinn - warten auf den abendlichen Wetterbericht. Die
Wetterdamen schienen kleine Sadistinnen zu sein. Mit einem charmanten
Lächeln auf den Lippen erzählten sie mir, es würde auch die
nächsten drei Tage nur regnen. Ich schaltete dann den Fernseher aus, hockte
mich auf die Bettkante und köpfte einen Goldfasan oder schlenderte
rüber zur Dorfkneipe, um einen Räubertee (Zbojnicky čaj) zu
trinken. Morgens schaute ich dann aus dem Fenster – es regnete.
Am Dienstag hielt ich es nicht mehr aus. Es war nicht wirklich schön,
regnete aber gerade nicht. Zwischen den Wolken blinkten die Berge hervor. Die
Tatra hatte sich gewaschen und umgezogen und war jetzt nicht nur dem Namen nach
weiß. Da die Regenpause nur von kurzer Dauer sein würde, entschloss ich
mich der Tatra erst einmal den Rücken zu kehren. Meine Idee vom Gipfel der
Gerlsdorfer Spitze hatte der Regen mit fortgespült.
Ich zahlte meine Unterkunft, schnappte den Rucksack und lief nach Osten
über den Kamm der Spišská Magura. Mein Ziel hieß Pieniny.
Der Weg über den Magura-Kamm war ein Hindernislauf über
umgestürzte Bäume. Der Wind blies mir die Mütze vom Kopf, Schlamm
spritzte die Hosenbeine hinauf. Als Markierung dienten an Baumstämme
genagelte blaue Plastikfetzen.
In Veľká Lesná erwischte ich den Bus nach Červený
Kláštor. Ich kannte den Ort. Vor 4 Jahren lag er auf meiner Tour
durch die Karpaten. Ich kannte auch das Bufet Cyprián vor dem
Klostereingang. Dort arbeiteten Petra, Marcela und Iveta. Von den drei Damen
blieb allerdings nur Marcela dem Imbisstand treu. Petra die Jüngste lebte
in Bratislava und Iveta die Älteste arbeitete als Krankenschwester in der
Schweiz. „Falko?“, fragte Marcela erstaunt, als sie mich antraben sah. Ich bekam
einen Räubertee spendiert und wurde anschließend bei Helena in der
Pension Pod Troma Korunami untergebracht. Ich blieb die nächsten drei Tage.
Von Červený Kláštor wollte ich über Lesnica
zurück nach Polen, um auch diese Seite des Gebirges zu besuchen.
Das Dörfchen Lesnica liegt am östlichen Ende der Dunajec-Schlucht. Ich
konnte dorthin zu Fuß gehen oder bequem mit einem Floß den Dunajec
runterschippern. Da ich eine Floßfahrt vor 4 Jahren erleben durfte,
entschied ich mich dieses mal für Schusters Rappen.
Die Blätter der Buchen leuchteten gelb in der Morgensonne. Auf dem breiten
Wanderweg knieten Frauen aus dem Dorf und sammelten Bucheckern. Stück
für Stück lasen sie die kleinen braunen Dinger auf und steckten sie in
Plastiktüten. „Ob es in Deutschland auch noch Menschen gibt, die Bucheckern
sammeln?“, fragte ich mich. So recht vorstellen konnte ich es mir nicht. Das
System versucht doch jeden vom Geld abhängig, und somit formbar zu machen.
Und wenn dann mal eine Entwicklung in diese Richtung beginnt, gleich wird's
wieder kommerziell vergewaltigt. Ohne Gore-Tex und Co. traut sich der
Durchschnittswanderer doch nicht mal mehr vor die eigene Haustür.
Kurz vor Lesnica stolperte ich fast über ein Reh. Es lag mitten auf dem
Weg, der Kopf und das linke Vorderbein fehlten. Es könnte ein Luchs gewesen
sein. Obwohl, Wölfe lebten auch im Pieniny.
Die meisten Tiere des Nationalparks hingen jedoch fein säuberlich
präpariert als Trophäen an der Wand des Gastraumes der
Pieniny-Hütte in Lesnica.
In meinem Zimmer stand ein Bett, ein Tisch, ein Hocker, ein Schrank und ein
Waschbecken, für den Rucksack war kein Platz mehr. Die Steckdose an der
Wand wurde auf Asbest geschraubt, die Zimmertür ließ sich von innen
nicht verschließen und das Bier war teuer. Es war der ideale Ort, um bei
schlechtem Wetter Depressionen zu bekommen.
Zwischen Lesnica in der Slowakei und Szczawnica in Polen wurde ein
Grenzübergang für Fußgänger und Radfahrer aus Polen bzw.
der Slowakei eingerichtet. Laut einem Schild war der Grenzübergang auch
für Bürger aus den Ländern geöffnet, mit denen ein Abkommen
über visafreien Verkehr getroffen wurde. Ob Deutschland dazugehörte,
wollte ich am nächsten Tag testen.
Man ließ mich passieren. Bevor ich zurück in die Tatra fuhr, wollte
ich noch unbedingt auf den Sokolica-Felsen hoch. Von dort hatte man eine
grandiose Sicht auf den Dunajec unten in der Schlucht und über den Pieniny
bis hin zur Tatra. Der mit grünem Band markierte Wanderweg erwies sich als
eine steile, matschige Rinne, die einem den Schweiß aus den Poren trieb.
Das Beste aber kam anschließend – unter dem Gipfel hockte tatsächlich
ein Typ der mir 2,50 Złoty Gipfelgebühr abknöpfte. Da
können sich die Amis von den Polen noch 'ne Scheibe abschneiden, dachte ich
mir.