(Karpatentour Februar 2015 – Slowakei)
Es ist lang her, als ich das letzte Mal im Winter in den Karpaten unterwegs war. Genau genommen 10 Jahre.
Ich sah mich schon auf Schneeschuhen durch die verschneite Karpatenwildnis stapfen. Da störte mich auch die leichte Erkältung nicht, die sich durch kratzen im Hals und eine laufende Nase seit ein paar Tagen hin und wieder bemerkbar machte.
Diese Reise versprach in vielerlei Hinsicht anders zu werden. Das Wichtigste – es war eine organisierte Reise. Soweit ich mich erinnern kann, hatte ich erst einmal auf meinen Karpatenwanderungen eine organisierte Reise mitgemacht. Das war im Jahr 2000 eine Floßfahrt auf dem Olt in Rumänien.
Jetzt sollte es auf Spurensuche gehen. In der winterlichen Malá Fatra wollte ich mich an die Fersen von Bär, Luchs und Wolf heften. In den Weiten des Internet entdeckte ich per Zufall das Reiseangebot bei schulz aktiv reisen. Der Reiseleiter, ein Slowake namens Vlado Trulík, würde mit uns durch die winterlichen Karpaten-Wälder stapfen und uns viel über das Leben und Verhalten der drei großen Beutegreifer in den Karpaten Bär, Luchs und Wolf vermitteln. So die Reisebeschreibung.
Auch waren in der Ausrüstungsliste so Dinge aufgeführt, die ich nicht so recht einordnen konnte und so steckten neben den üblichen Wanderklamotten noch Badehose (für's Baden im Holzfass), ein stabiler Becher (für Weinprobe) und ein USB-Stick 16 GB (für Fotos aus Vlados Fotofallen) im Rucksack.
Auch meine Fotoausrüstung war mit fast 8 Kilo deutlich ausgeprägter als üblich. Egal, ich musste ja nicht alles wie sonst täglich auf meinem Buckel über die Berge schleppen.
820 Euro kostete die Woche Slowakei, An- und Abfahrt nicht inklusive. Das war für mich nicht billig, für das Geld könnte ich drei Wochen allein kreuz und quer durch das Land reisen.
Von Prag ging es mit dem Zug nach Žilina. Von dort sollte ein Bus nach Terchová fahren. Ich studierte die Wegbeschreibung zum Busbahnhof und begab mich schnurstracks dorthin. Ein Bus fuhr aber erst in knapp 1 ½ Stunden. So lange wollte ich nicht warten. Es ärgerte mich, dass man sich für eine Abholung in Žilina hätte voranmelden müssen. Hinter den Bussteigen wartete ein Taxi auf Kundschaft. „Pepo Taxi“ stand auf der Autotür. Ich fragte nach dem Preis bis Štefanová. Es ist der Ortsteil von Terchová in dem unsere Pension liegt.
Der Mann schrieb den Preis auf einen Zettel – 30 bis 35 Euro. Ich hielt ihm den Namen der Pension unter die Nase. Muráň hieß der Laden. Er faselte was von GPS, dann ging es los.
Nach einer reichlichen halben Stunde erreichten wir die Pension. Der Fahrer hatte sich nur einmal verfahren, eine gute Leistung ohne GPS, wie ich fand. 35 Euro musste ich zahlen. Nicht schlecht, das waren knapp 80 % des Preises der Zugfahrt von Freiburg nach Žilina.
Ein Mann der laut Beschreibung auf Vlado unseren Reiseleiter passte, nahm mich in Empfang.
Es war Vlado unser Reiseleiter. Ich hätte ihn in Žilina auch anrufen können und wäre von dort abgeholt worden. Aber der Taxipreis war fair, laut Vlado. So war's mir dann auch egal.
Ich sollte erst mal reinkommen und mir die Zeckenimpfung abholen. Hä??
Die Zeckenimpfung entpuppte sich als hochprozentiger Waldfruchtlikör, bestehend aus Apfelbrand mit Brombeeren, Heidelbeeren, Himbeeren und Schlehen. Und was der mit den kleinen Blutsaugern zu tun hatte? Ganz einfach: „Jeder der ein Gläschen zu sich nahm, hatte bisher nie Probleme mit Zecken im Gelände“ so Vlado. Wir hatten Februar!
Unsere Reisegruppe bestand aus neun Personen. Da waren Bärbel und Andreas aus Bischofswerda, Claudia und Charlie aus Seefeld in Oberbayern, Bettina und Renate aus Franken sowie Juliane und Marcel aus Dresden. Die beiden Dresdner kamen mit dem gleichen Zug wie ich in Žilina an, hatten aber auf den Bus nach Terchová gewartet. Sie hatten mich auch laufen sehen, aber nicht getraut mich anzusprechen. Schade wir hätten so gemeinsam hier her fahren können.
Im Nebenraum lief eine Geburtstagsparty, der schon ein Schwein zum Opfer fiel. Begleitet wurde die Feierlichkeit mit slowakischer Volksmusik. Die drei Musiker spielten auch für uns auf und Teile des Schweins bildeten auch unser Abendessen.
„Bei uns läuft es wie in einem Hollywood-Film“ erzählt Vlado. „Mit einem Erdbeben beginnen und dann langsam steigern.“ Verstehen konnte ich die Musikanten nicht, aber laut genug waren sie.
„Meistens geht es in den Volksliedern darum, die Bewohner des Nachbartals schlecht zu machen“ erzählt Vlado. Und je lauter gesungen wurde desto besser. Immerhin sollte es im Nachbartal ja auch zu hören sein. Wenn er als Kind seinen Vater fragte, was die im Nachbartal über uns singen, kam nur kurz die Antwort. „Das brauchst du nicht wissen!“
Nach der musikalischen Einlage und der Stärkung, gab uns Vlado ein paar Infos zur Slowakei allgemein und der slowakischen Sprache im Besonderen. Slowakisch ist die logischste Sprache der Welt, lernten wir. Alles wird so gesprochen, wie es auch geschrieben wird. Vlado spricht sich also wie Wlado und nicht Flado, wie Fladen!
Oder Č zum Beispiel, steht für „Tsch“. Vlados Vater wollte deutsch lernen, als er das sah, schmiss er sein Lehrbuch zur Seite und fragte sich: „Wo uns ein Buchstabe reicht, brauchen die Deutschen 4! Wie hat es das Volk nur geschafft den Mercedes zu bauen?“
Vlado selbst lernte deutsch als Bauarbeiter in Deutschland, genauer in Bayern. Abends hockte er vor seinem Wörterbuch und suchte Oachkatzlschwoaf – vergeblich.
Nun mit den Besonderheiten des Slowakischen bestens vertraut ging es an die Planung des morgigen Tages. Nebenbei erfrischte ich mich mit Bier der Marke Vŕšky – eine lokale Spezialität. Das Erste ging auf Kosten des Hauses. Doch auch die slowakischen Weine sind nicht zu verachten, wie wir noch merken werden.
Jetzt machte sich jedoch mein Schlafdefizit aufgrund der Zugfahrt bemerkbar. Morgen um 8:15 Uhr soll es Frühstück geben.
Zum Frühstück betrachtete es Vlado als notwendig, uns in den Gebrauch der slowakischen Käsespezialitäten einzuweisen. Da war der Spaghettikäse – Udené nite. Der Name sagt es schon, es ist ein Schafskäse in Spaghettiform. Nur wird er anders gegessen. Zwischen den Daumen und Zeigefingern wird der Käsestrang immer wieder in dünnere Einzelstränge zerrissen. Erst so entfaltet er sein volles Aroma, erklärte uns Vlado. „Wenn ihr als Kinder gelernt habt, dass man mit Essen nicht spielt, vergesst es, hier in der Slowakei ist das anders.“
Ist der Käse zu Zöpfen geflochten nennt er sich Korbáčiky – „kleine Peitschen“. Ich mochte ihn.
Unser Tagesziel war das Tal des Baches Čeremoš hinter der Ortschaft Zázrivá. Vlado hatte dort letzte Woche Luchsspuren entdeckt. Etwa eine viertel Stunde fuhren wir bis zum Ausgangspunkt unserer Wanderung. Auf der Fahrt war der Schnee schon auf weiten Flächen weggetaut. Im Wald war aber noch alles weiß. Wir versuchten trotzdem erst einmal ohne Schneeschuhe unser Glück.
Schon nach den ersten Metern zeigte uns Vlado Spuren im Schnee. Der Luchs hatte an dieser Stelle Straße und Bach überquert und war dann in Richtung Wald gelaufen. Typisch an der Luchsspur sind die fehlenden Krallen. Da diese weiter oben ansetzen, sind sie bei einer frischen Spur im Schnee nicht zu sehen. Erst wenn der Schnee etwas angetaut ist, erscheinen oberhalb der Zehen Schlitze im Schnee.
Es ging bei unserem Waldspaziergang aber nicht nur um Raubtierspuren. Vlado zeigte uns Bäume an denen der Schwarzspecht tätig war. Der Vogel sucht sich immer den unteren Bereich des Baumes aus, da dieser dort schon geschädigt ist und die Chance Larven zu finden am größten ist. Nicht nur der Specht schätzt den Borkenkäfer. Auch der Mensch interessiert sich für den Baumschädling und stellt ab und zu schwarze Kästen im Wald auf, sogenannte Borkenkäferfallen.
Vlado: „Die funktionieren wie ein Rotlichthaus, wo innen die Türklinke fehlt.“ Duftstoffe des Borkenkäferweibchens lassen die Männchen in die Kästen fliegen, aus denen sie aber nicht wieder raus kommen. Eine Wirkung dieser Fallen auf die Borkenkäferpopulation ist aber nicht vorhanden.
Nicht nur der Specht geht den Bäumen an die Rinde, Hirsche tun das auch. Sie fressen auch gerne die Wurzeln der Himbeere, um im Winter an das Protein zu gelangen was diese enthalten. Es wurde Mittag und auch wir brauchten was zu Essen. Wir wollten grillen.
Für den Proteinhaushalt sorgten Würstchen, Speck und Käse, für die Vitamine Äpfel und Paprika. Vlado schnitt 10 Haselnussstöcke zurecht, wir entfachten ein Grillfeuer. Kurze Zeit später hockten 10 Personen um das Feuerchen und hielten ihre Grillspieße in die Flammen, im Hintergrund erhob sich majestätisch der Veľký Rozsutec – so was gibt’s halt nur in den Karpaten. Das Dessert bildete slowakischer Rotwein.
Auf dem Rückweg entdeckten wir noch einmal Luchsspuren im Schnee und kamen auch zu unserer Raubtiersichtung. Vlado hörte den Ruf eines Sperlingskauzes und er imitierte ihn so gekonnt, dass sich der kleine Kerl auch kurz darauf auf dem Wipfel einer Tanne niederließ und argwöhnisch zu uns hinunterschaute. Der Sperlingskauz ist die kleinste Eulenart Europas. Doch das hält ihn nicht davon ab zu zeigen, wer der Herr im Walde ist. Auf einer Wanderung wurde Vlado schon mal massiv attackiert von dem kleinen Kerl, als er seinen Ruf imitierte. Heute blieb es beim Schauen aus sicherer Entfernung. Wir waren ihm vermutlich zu viele.
Wir folgten noch ein Stück dem Bergkamm. Um den Weg etwas abzukürzen schlug Vlado vor querfeldein den Hang abzusteigen, wir folgten ihm vorsichtig hinunter ins Tal des Čeremoš. Der Abstieg war stellenweise recht steil und es ging über rutschiges Laub, der Schnee war schon weitestgehend weggetaut. Ab und zu hatte ich den Eindruck, als ob Tierpfade im Wald verschwinden. Vielleicht würden wir noch etwas Interessantes sehen.
Leider kam es zu einem Missgeschick. Im unteren Drittel des Berghanges rutschte Bettina aus und wie es ausschaute, hatte sie sich auch weh getan. Vlado half ihr, er musste sie stützen es schien was Ernsteres zu sein. Unten erfuhr ich, dass sie sich am Knie verletzt hatte. Es war schade, hatte doch der Urlaub so schön angefangen. Ich erinnerte mich an meine Wanderung 1997 in den Südkarpaten Rumäniens. Dort hatte ich mir beim Aufsetzen des Rucksacks den Meniskus angerissen. Es ist manchmal kaum zu glauben wie dumm es laufen kann – Schicksal. Hoffentlich wird es wieder besser.
Dass uns heute weder Bär, Luchs noch Wolf vor die Kamera gelaufen waren, ist nicht weiter schlimm, denn Vlado zeigte uns vor dem Abendessen noch ein paar seiner „Best of“ aus den Fotofallenfotos und -videos. Eine tanzende Braunbärin, schmusende Luchse oder verspielte Wölfe waren nur einige seiner Highlights.
Die slowakischen Nationalgerichte Krautsuppe und Bryndzové halušky rundeten den Abend ab.
Der Tag begann mit einer traurigen Nachricht. Bettinas Knie war nicht besser geworden. Sie möchte mit Renate zurück nach Deutschland fahren.
Nun waren wir nur noch 7 Teilnehmer. Heute wollte uns Vlado einen Luchsriss und ein paar seiner Fotofallen zeigen. Wir fuhren wieder nach Zázrivá in den Ortsteil Havrania, ins Tal des Havranský potok (Rabenbach). Zázrivá ist eine ausgedehnte Streusiedlung zwischen den Massiven der Malá Fatra, Kysucká vrchovina und Oravská Magura. Im Tal lag noch recht viel Schnee. Bereits letzte Woche war Vlado mit einer Gruppe hier, wir folgten ihren Fußstapfen.
Vor einem angeknabberten Hirschbein das aus dem Schnee schaute war Endstation. Das Bein hatte Vlado an einem Bäumchen festgebunden, damit die Luchse den Kadaver nicht wegschleppen konnten. An einer Tanne gegenüber hing die Fotofalle, gut mit Fichtenzweigen getarnt. Hier hatte Vlado schon schöne Aufnahmen von Luchsen machen können. Heute war die Speicherkarte jedoch leer. Vermutlich hatte der Luchs die Beute aufgegeben.
Ich finde es schon erstaunlich, dass ein Luchs es schafft ein Tier was deutlich größer ist als er selbst zur Strecke zu bringen. Ob der Luchs auch für den Menschen gefährlich werden kann, verneinte Vlado konsequent. Früher war man aber nicht so überzeugt davon. So mussten in der Slowakei noch in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts Waldarbeiter Stachelhalsbänder tragen, um gegen eventuelle Luchsangriffe geschützt zu sein. Nun gut, solche Halsbänder trägt der eine oder andere auch heute noch, das gehört dann aber in eine andere Kategorie :-)
Wenn ein Luchs Beute macht, markiert er diese, erklärt uns Vlado. Kleinen Räubern wie Füchsen ist das eine klare Botschaft, dass sie hier nichts zu suchen haben. Wird ein Fuchs vom Luchs erwischt, ereilt ihn das gleiche Schicksal wie die Beute und er wird obendrein vom Luchs noch angepinkelt. Welcher Fuchs will das schon?
Lediglich große Räuber wie Bären stören sich nicht an der Luchsmarkierung, der frisst gerade jetzt nach der Winterruhe alles was er bekommen kann. Auch Raubvögel, wie der Steinadler profitieren von den Rissen.
Vlado hatte eine interessante Theorie aufgestellt, was den Größenunterschied von Steinadlern in den Karpaten (Spannweite bis 2,50 m) und in den Alpen (Spannweite bis 2,20 m) betraf. So jagt der Steinadler in den Alpen in der Regel über der Baumgrenze. Mit seiner Beute fliegt er dann nach unten zu seinem Horst. Beim Karpatenadler ist es genau umgekehrt. Er jagt unten im Wald und muss seine Beute nach oben tragen, somit hat sich bei ihm eine kräftigere Statur entwickelt.
Einen Adler bekamen wir leider nicht zu sehen aber dafür einen Raben, passend zum Namen des Tals in dem wir unterwegs waren.
Ein paar Meter von der gerissenen Hirschkuh entfernt entdeckten Juliane und Marcel noch einen Riss. Es war ein Reh. Leider hatte der Luchs den Riss auch schon aufgegeben, wie Fuchsspuren verrieten. Eine Fotofalle zu installieren lohnte sich nicht.
Wann und warum ein Luchs seine Beute aufgibt ist mir nicht klar. Vlado hatte eine interessante Entdeckung gemacht. Wenn er einen frischen Riss entdeckt hatte und ein Stück davon mitnahm, war es sicher, dass der Luchs kurz darauf vorbeischaute und fraß – Futterneid? Einmal wurde Vlado von einem Luchs bis zu seinem Auto verfolgt. Das Tier lief haargenau in Vlados Fußabdrücken, wie er unschwer im Schnee erkennen konnte. Als ob das Tier herausfinden wollte, wer der Kerl war, der ihm ein Stück seiner Beute geklaut hatte.
Weiter führte uns der Weg vorbei an Fuchs- und Marderspuren zu unserer ersten Bärenspur. Sie war schon ein paar Tage alt und nicht mehr so deutlich zu erkennen. Immerhin war es ein sicheres Zeichen, dass die Bären aus ihrer Winterruhe erwacht sind. Auch in Vlados Heimatdorf Štiavnik wurde schon ein Bär gesichtet.
Doch die heutige Wanderung folgte den Spuren des Luchses. An einem Felsen hatte Vlado eine weitere Fotofalle installiert. Für den Luchs ist ein Felsen im Gelände ein markanter Punkt, den er gar nicht ignorieren kann, hier muss er einfach seine Markierung setzen, und tatsächlich auf der Speicherkarte war ein Video, das in der vergangenen Nacht einen Luchs zeigte, der die Felswand markierte. (Video © Vlado Trulík) Nicht nur Felsen auch krumm gewachsene Bäume oder markante Baumstümpfe laden den Luchs ein, von seinem Weg auf dem Kamm abzuweichen und eine Markierung zu setzen. An einem Baumstumpf konnten wir es real erschnuppern – Katzenpisse.
Auf dem Weg zurück nach Zázrivá entdeckte Vlado noch einen Rehriss. Dann hatte uns die Zivilisation zurück.
Auf dem Heimweg besuchten wir den Salaš Zázrivá. Die Alm Zázrivá zwischen Zázrivá und Terchová ist Vlados Käselieferant. Hier oben im Bergpass Rovná hora, der die Malá Fatra mit dem Kysucká vrchovina verbindet, wird nicht nur der traditionelle Spaghettikäse hergestellt, es gibt eine ganze Palette verschiedener Käsesorten, Joghurts und weiterer Molkereiprodukte aus Kuh- oder Schafsmilch.
Neben dem Restaurant kann der Besucher die Herstellung der verschiedenen Käsesorten mit verfolgen und im benachbarten Laden gleich kaufen – gelungenes Marketing fand ich.
Gelingen wird auch das heutige Abendessen. Vlado hatte frische Bachforellen organisiert, die wir am Spieß über dem Feuer grillen wollen und nebenbei stehen slowakische Weißweine zur Verkostung bereit.
Namen wie Muškát moravský, Rizling rýnsky, Veltlínske zelené, Devín, Rizling vlašský oder Tramín červený klangen fremd aber was sich dahinter verbarg schmeckte ausgezeichnet.
So verköstigt, ging das Zubereiten der Forellen locker von der Hand. Nachdem Vlado sie fachgerecht auf Weidenspieße gesteckt hatte, füllte er die Fische mit Steinpilzen und Hexenröhrlingen, Apfelstückchen und Oregano. Der Bauch wurde mit Binsengras vernäht und dann ging's ans Feuer.
Es dauerte nicht lang und knusprig-braune Forellen aus denen das Fett tropfte lagen neben Bratkartoffeln auf dem Abendbrotteller. Abnehmen würde ich in dieser Woche garantiert nicht!
Wer nun glaubt der Abend wäre nicht mehr zu toppen, irrt! Schon am Morgen hatte Gusto, einer der Pensionsangestellten, den Außenpool angeheizt. Mitten im Schnee in 37 °C warmen Wasser in einem Holzfass zu hocken hatte was Spezielles. Nun wusste ich wenigstens, warum eine Badehose in der Ausrüstungsliste auftauchte. Der Weißwein war alle, so wechselten wir auf Rotwein der Marke Dunaj. Auch wenn das winterliche Bad meiner latenten Erkältung sicher nicht entgegenwirkte, hatte heute alles gepasst.
Das Wetter am nächsten Morgen war alles andere als winterlich – es nieselte und die Wolken krochen fast bis ins Dorf hinunter. Charlie hatte sich eine Erkältung eingefangen und wollte in der Pension bleiben. Nun waren wir nur noch 6.
Spurensuche würde sich bei dem Wetter schwierig gestalten, so entschied Vlado in die Schlucht Horné diery zu gehen. Selbst dort, auf einem von Touristen recht stark frequentierten Wanderweg hatte er vor ein paar Tagen einen Riss entdeckt. Nebenbei gab es etwas Pflanzenkunde.
Vlado ist der Meinung, dass es wichtig wäre auch giftige Pflanzen zu kennen, wie zum Beispiel das Haselwurz. Noch zeigt die Pflanze nur ihre kleinen runden grünen Blätter kurz über dem Boden. „Es ist das Richtige Kraut für die Schwiegermutter“, meint Vlado. „Aber nehmt reichlich, sonst wird sie nur ein Pflegefall.“ :-)
Am Beginn der Schlucht steht eine kleine Holzhütte, der Salaš Podžíar. Im Sommer gibt es hier Bier! Salaš bedeutet Almwirtschaft und diese hier, ist ein typisches Beispiel dafür, wie Natur tot geschützt werden kann. Mit Einrichtung des Nationalparks Malá Fatra wurde die Beweidung durch Schafe verboten. Die Folge davon war ein Vordringen des Waldes und die Verbuschung der Bergwiesen. „Viele Pflanzen- und Tierarten die hier lebten verschwanden für immer“, erklärte uns Vlado. Als der Fehler durch die Verantwortlichen bemerkt wurde, wurde dem Besitzer zwar das Angebot unterbreitet den Weidebetrieb wieder aufzunehmen, aber der verdient heute an den Touristen weitaus mehr als früher mit seinen Schafen.
In der Schlucht war es noch feuchter als außerhalb, aber das Wetter passte zu ihr. An den Felswänden wuchsen nicht nur Eissäulen sondern auch immergrüne Moose und Farne wie das Etagenmoos, das Wellige Sternmoos oder der Grüne und Braune Streifenfarn.
Der Weg durch die Schlucht führte über Leitern und Stege, er erinnerte mich an die Schluchtenwege im Slowakischen Paradies. Ab und zu dienten Seile zur Sicherung, ausrutschen sollte man hier nicht!
Am oberen Ende der Schlucht zeigte uns Vlado die Stelle, wo der Kadaver gelegen hatte. Ein Luchs hatte eine Hirschkuh gerissen, ein blassrosa Fleck im Schnee deutete noch auf das Ereignis. Auch die Spuren des Luchses waren noch deutlich zu erkennen, er war eine senkrechte Felswand hinunter gestiegen, kaum zu glauben.
Da es immer stärker regnete, beschlossen wir zurück zur Pension zu gehen. Am Hang entdeckten wir wieder Bärenspuren, auf dem kürzesten Weg, der Falllinie folgend, marschierte Meister Petz bergauf.
Vlado erklärte uns wie auch der Bär zum Naturschutz beiträgt. So beseitigt der Bär beispielsweise Kadaver, die in oder an Bächen liegen, um sie vor anderen Bären zu verstecken. Damit wird einer Verseuchung des Wassers entgegengewirkt.
Im Abstieg nach Štefanová kamen wir doch noch in den Genuss einer Tierbeobachtung. Über eine Wiese trabte eine Herde Hirschkühe durch den Schnee. Angeknabberte Wacholderbüsche hatten schon darauf hingewiesen, dass sich hier öfters Wild herumtreiben muss.
Selbst unweit unserer Pension zeigten sich Spuren eines Bärenbesuchs. Ein Bienenhäuschen hinter dem Haus hatte einen Bärenbesuch zu verzeichnen. Der Kerl hatte ganze Arbeit geleistet, eine Längsseite wurde von ihm komplett auseinander genommen. Der hatte von Naturschutz noch keine Ahnung wie es schien und nur an sich gedacht – Egoist!
Charlie ging es noch nicht besser und auch fühlte mich nicht so recht fit. Die Nase lief mit mir um die Wette. Vlado wollte mit uns an den Rand des Javorinka-Naturreservats. Hier hatte er schon oft Luchse mit seinen Fotofallen gefilmt und auch real gesehen.
Doch wir wollten heute Wolfsspuren suchen. Es war ein grauer Morgen und auch kälter als an den zurückliegenden Tagen. Unser Ziel war Ráztoky, auch ein Ortsteil von Zázrivá. Die ersten 3 Kilometer folgten wir einer schmalen Asphaltstraße bergauf bis zu den letzten Häusern – Pause. In einem der Häuser wohnt eine Oma, Vlado kannte sie. Wir bekamen einen warmen Tee und Spaghettikäse. Für 5 Euro kaufte ich eine Packung Käse, der die Fahrt nach Deutschland leider nicht überlebte.
Kurz hinter dem Haus ging es in den Wald. Nebel waberte zwischen den Bäumen und verlieh der ganzen Szenerie etwas Mystisches. Das Reservat Javorinka beherbergt noch einen reinen Fichtenbergwald in den Karpaten, keinen Forst also. Hier hatte Vlado in einem Winter ein ganz besonderes Erlebnis.
Er war allein im Wald unterwegs, die Berghänge sind zum Teil recht steil und beim traversieren löste sich ein Schneebrett und riss ihn mit nach unten. Dass sich mitten im Wald eine Lawine lösen konnte, hielt Vlado bis dahin nicht für möglich. Zum Glück konnte er sich frei buddeln und als er wieder Sicht hatte, schaute er direkt in die Augen eines Luchses.
Der Luchs schaute ihn an, drehte sich um und verschwandt wieder im Wald. „Mein erster Gedanke war, ob ich schon im Spurensucher-Himmel bin?“
Das Glück oder auch Pech, wie man es nimmt blieb uns erspart. Die Fotofalle, über einem Dachsbau angebracht, hatte lediglich einen Fuchs aufgenommen. Dafür fanden wir ein Stück weiter Bärenhaare an einem verharzten Baumstamm.
Das Mittagessen fiel wieder recht üppig aus. Speck, Pferde-, Schaf- und Schweinewurst, verschiedene Käsesorten, saure Pilze, Paprika und Äpfel standen zur Wahl nur das Wichtigste fehlte – der Dunaj-Wein lag in Vlados Auto. Zum Trost holte er eine Packung Margot-Schokolade aus seinem Rucksack mit Rumaroma und Kokos.
Die Wanderung neigte sich ihrem Ende entgegen. Leider waren auch die Wolfsspuren, die Vlado letzte Woche entdeckte, kaum noch zu erkennen. Mehr Glück hatten wir beim Abstieg zurück ins Dorf. Ein Dachs hatte vor uns den Hang gequert, wie Kinderhände zeichneten sich seine Spuren im Schnee ab. Den Namen Frechdachs trägt das Tier zu recht. Immerhin traut sich keiner der drei großen Beutegreifer an den Burschen heran. Nur dem Adler ist das egal, der kennt da wenig Rücksicht.
Da es mittags keinen Wein gab, wurde die für morgen geplante Rotweinverkostung vorverlegt.
Mein Blick aus dem Fenster am nächsten Morgen fiel auf eine völlig veränderte Landschaft, alles war weiß und es schneite immer noch ein wenig. Was so schön aussah, war für die Spurensuche leider nicht so toll. Der frische Schnee hatte alle Spuren verdeckt. Vlado machte aber einen recht interessanten Vorschlag. Wir könnten die beiden anderen Schluchten am Fuß der Malá Fatra begehen, die Schluchten Nové diery und Dolné diery.
Charlie war wieder mit von der Partie und auch mir ging es besser. Wir liefen durch's Dorf. Vlado wollte einen Freund besuchen, Bauer Viktor. Es ist der letzte Mann in Štefanová, der noch Landwirtschaft betreibt, alle anderen leben vom Tourismus.
Bis zum Salaš Podžíar kannten wir den Weg schon, dann folgten wir dem gelb markierten Pfad weiter nach Nordost. Wilder Bergurwald flankierte uns unterhalb des Bergrückens Rovná Hora. Ein unmarkierter Weg zweigte nach rechts, wir folgten ihm. Er führte geradewegs an den Beginn der Schlucht Nové diery.
Wieder gab es etwas Wald- und Pflanzenkunde frei haus. So erfuhren wir ein paar Unterscheidungsmerkmale von Tanne und Fichte. Tannennadeln stechen zum Beispiel weniger als Fichtennadeln, da sie zwei Spitzen haben – logisch oder?
Außerdem wurzelt eine Tanne tiefer als die Fichte. Ein Sturm bricht die Tanne deshalb, eine Fichte schmeißt er einfach um. Und die Zapfen der Tannen vergammeln auf dem Baum, die Fichte wirft ihre Zapfen ab. Wie widerstandsfähig eine Tanne sein kann, zeigte auch ein Exemplar am Wegesrand. Vom Blitz getroffen stand nur noch die äußere Hülle des Stammes, die aber den ganzen Baum trug.
In der Schlucht wuchsen Rundblättriger Steinbrech und Schönes Widertonmoos, aber auch jede Menge Eiszapfen an den Felswänden. Vorsichtig teils auf dem Hosenboden ging es über vereiste Stellen talwärts. Der Bach mündet letztendlich in die Schlucht Dolné diery. Zwischen den Eissäulen klebte das Nest einer Wasseramsel. Die Leitern und Stege waren zum Glück eisfrei.
Oberhalb der Schlucht hatte Vlado auf einer seiner Wanderungen eine Bärenhöhle entdeckt. Von unten war sie mit etwas Glück auszumachen. Er beobachtete die Höhle, um herauszufinden, ob sie noch durch einen Bären besetzt sei. Dem schien jedoch nicht so. Neugierig wie er war, nahm er sich vor, der Höhle einen Besuch abzustatten und kraxelte zwischen den Felsen nach oben. Unterwegs kam ihm der Gedanke, was wäre wenn die Höhle einen zweiten Eingang hat und der Bär noch in der Höhle hockte? Vorsichtig über dem Abgrund turnend schmiss er kleine Steine in Richtung Höhle, doch alles blieb ruhig, der Bär war nicht daheim – Glück gehabt.
Auf dem Rückweg hatten wir vom Sattel Vrch podžíar eine gute Sicht auf die Poludňové skaly (Mittagsfelsen). Dort hatten Steinadler genistet, der Horst war aber noch nicht besetzt.
Es ging zurück in die Pension, wo schon der Kesselgulasch wartete, Jarko der Koch war ein wahrer Meister seines Faches.
Unser heutiges Ziel war das Tal der Orava im Süden der Malá Fatra. Eine knappe dreiviertel Stunde dauerte die Fahrt. Als ich aus dem Auto stieg, merkte ich, dass etwas fehlte. Meine Kamera! Ich hatte sie auf dem Zimmer liegengelassen. So was Blödes aber auch. „Sei doch froh“ sagte Vlado. „Heute ist der letzte Tag. Da kann sie wenigstens nicht kaputtgehen.“ Ich grinste und musste an die letzte Tour im Herbst in der Hohen Tatra denken.
Wir brauchten keine Schneeschuhe. Die Hänge waren grün, der Schnee komplett weggetaut. An einer Wildfütterung zeichneten sich viele Hirschspuren im Matsch ab.
Weiter oben im Wald wuchsen Hainbuchen, zu erkennen an ihrem sehnigen Stamm, erklärte uns Vlado. Der Weg endete auf einer Almwiese, auf der noch Schnee lag. Und hier erlebten wir die Überraschung. Neben frischen Wolfsspuren zog sich auch eine Bärenspur über das Plateau. Bär und Wolf so dicht nebeneinander hatte Vlado auch noch nicht gesehen. Wir folgten der Bärenspur. Sie führte in den Wald, wo sie sich bald verlor, da hier kein Schnee mehr lag.
Doch der Bär hatte noch ein anderes Zeichen hinterlassen. An einem Baum war die Rinde in einem breiten Schlitz gut 3 m abgezogen worden. Irgendetwas fand der Bär interessant an dem Baum und so markierte er ihn auf seine Art. Es sah aus, als ob der Blitz eingeschlagen hätte.
Vlado war sich sicher, dass der Bär hier nochmal vorbeischauen würde. Er befestigte an einem Stamm gegenüber seine Fotofalle. Auf die Bilder war ich mal gespannt.
Es war Zeit Mittag zu machen. Am Ende der Wiese stand eine umzäunte Hirtenhütte. Im Sommer sind die Hirten mit Kühen hier oben, jetzt war alles verlassen. Mitten durch das Gelände der Almstation zog sich erneut eine Bärenspur, etwas kleiner als die von vorhin. Hier war also nicht nur ein Bär unterwegs.
Gesättigt folgten wir nach dem Essen der neuen Bärenspur durch den Wald. Wir erreichten einen kleinen Bergsattel. Hier entdeckte Vlado die Spur eines Luchses. Die Spuren aller drei Beutegreifer an einem Tag hatten wir noch nie. Die Bärenspur verlor sich irgendwann im Unterholz. In einem Bachbett, das bis vor kurzem noch ein Forstweg war, stiegen wir hinab ins Tal der Bystrička. Der Weg führte nun über eine gut ausgebaute Forststraße, die zu einem Granitsteinbruch führte. Schwer beladene Lkws fuhren die Steine aus dem Gebirge. Und schwer wurde auch einer meiner Trekkingstöcke belastet. Andreas trat aus versehen auf die Spitze, es knackte und mein Stock war ein Stück kürzer. 100 Kilo Querbelastung hält halt auch kein Leki aus. So konnte ich doch noch den obligatorischen Verlust am letzten Tag verzeichnen.
Wo die Bystrička in die Orava mündet, erreichten wir die Straße die von Kraľovany durch das Tal der Orava führt. Wir folgten ihr die letzten 2 Kilometer bis zu den Autos.
Am Nachmittag wartete der zweite Teil der Rotweinprobe auf uns. Die Weine trugen den Namen slowakischer Flüsse – Dunaj, Hron. Auf den Geschmack wirkten sich die Namen zum Glück nicht aus. Auch Bauer Viktor ließ am Abend sich noch mal blicken. Mit seinem Enkel, der die Heligonka spielte, sang er schmutzige Lieder :-)
Wie im Flug verging die eine Woche in der Malá Fatra. Es hieß Abschied nehmen am nächsten Morgen. Für Vlado war es die „Schmusestunde“.
Es war ein tolles Team: Pico der Pensionschef, Majka, die ständig darauf acht gab, dass wir nicht verdursteten, Jarko, der Chefkoch und Gusto, der Haus- und Hoftechniker. Ja und klar Vlado, der nun Schuld daran ist, dass ich in Zukunft mit ganz anderen Augen durch die Wälder der Karpaten streifen werde. Der mir zeigte was der Wald einem alles erzählen kann, wenn man ihm nur zuhört und versteht.
Leider hatte mich die Erkältung vollends im Griff, da half auch Julianes Aspirin Complex nicht mehr wirklich. Aber das wird schon wieder!
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