(Karpatentour September 2017 – Slowakei)
Statt am Samstag um 00:05 Uhr beginnt unsere Anreise zur diesjährigen Karpatentour schon am Freitag um 19:55 Uhr. Statt 4-mal umsteigen müssen wir 6-mal umsteigen. Schuld daran trägt deutsche Ingenieurskunst. Beim Tunnelbau auf der Rheintalstrecke hatten sich zwischen Baden Baden und Rastatt die Gleise abgesenkt. Nun besteht dort bis auf weiteres Schienenersatzverkehr.
Wir, das sind Arjen, Edgar, Elmar und ich. Wir wollen wieder in den Karpaten wandern. Diesmal jedoch im slowakischen Teil der Hohen Tatra und geführt. Im Internet entdeckte ich den Reiseanbieter „Adventure Slovakia“. Ein Angebot nannte sich „Durchquerung der Hohen Tatra“. Das Besondere daran war die Routenführung. So sollte eine Etappe über den Baranie sedlo führen und eine andere über den Gipfel der Vysoká. Beides waren anspruchsvolle Bergtouren, die die Konkurrenz nicht im Programm hatte. Wir buchten!
Die Wetterprognose für die nächsten Tage sah nicht gut aus. Starkregen am Sonntag, dem Beginn unserer Wanderung und auch am Montag sah es nicht besser aus. Wir durften gespannt sein. In Karlsruhe regnete es noch nicht, wir vertrieben uns die Hälfte der Zeit beim „Sokrates“ in der Weststadt mit Bier und Gegrilltem. Die restliche Zeit hockten wir bei McDonalds und schauten den Gästen auf die Pappbecher bis die Augenlider schwer wurden.
Die Bahnfahrt nach München war unbequem, irgendwas drückte ins Fleisch, egal wie ich mich in den Sitz knautschte. Bis Wien war die Fahrt angenehmer. Nette Rotröckchen bedienten die Fahrgäste, die Österreicher hatten das Marketing verstanden. Nur der Zug machte Geräusche, die an gestörte Köter erinnerten – schlafen nicht möglich. In Bratislava schien die Sonne, wir schöpften Hoffnung bei einem Pils in der Bahnhofskneipe.
Leider wurde es immer trüber, je weiter wir ostwärts fuhren. Statt des Tatra-Panoramas waberten trübe Regenwolken am Horizont hinter Poprad. Wir wurden bereits erwartet. Eine Dame stand am Bahnsteigende mit einem Schild in den Händen. „Kamzík“ (Gämse) stand drauf, unsere Pension in Ždiar. Wir waren neugierig, vor allem auf den Rest der Teilnehmer oder Teilnehmerinnen.
Fedor, der Chef von „Adventure Slovakia“ erwartete uns bereits. Wir bekamen Zimmer beim Nachbarn, in einem netten Holzhäuschen. Schnell die Rucksäcke verstaut, dann gab’s was zu futtern. Das Restaurant war zum Bersten voll. Nein, die wollten nicht alle in die Tatra. Heute war ein Reisebus aus Ungarn eingetroffen. Die mit uns in die Berge wollten waren überschaubar. Drei Westfalen, Gerhard, Günther und Reinhard aus Düren und zwei Thüringer, Marlies und Ralf. Nach Knoblauchsuppe und Schweinshaxe lernten wir auch unseren Bergführer kennen, Samuel, Fedors Ältester, UIAGM geprüft, würde uns bis Mittwoch durch die Hohe Tatra führen. Die letzten beiden Tage würde Fedor das Kommando übernehmen.
Nach dem Essen regelten wir das Geschäftliche, wir zahlten den Restbetrag der Reisekosten und bekamen von Fedor eine Wanderkarte Hohe Tatra, Maßstab 1:50 000 sowie ein Stirnband aus Fleece von Patagonia gegen kalte Ohren. Dann wollte er wissen, ob wir Klettersteigerfahrung besäßen. Das mit der Erfahrung ist so eine Sache. Der Slowake in der Hohen Tatra scheint unter „Klettersteig“ etwas anderes zu verstehen, als ein Alpenwanderer. Aber dazu später.
Ob wir morgen wie geplant über den Široke sedlo in der Belaer Tatra zur Chata pri Zelenom plese (Grünseehütte) laufen würden, wollte Fedor morgen früh vom Wetter abhängig machen. Frühstück gab’s jedenfalls um 8 Uhr, alles Weitere dann morgen.
Es goss wie aus Eimern. Wir werden nicht wie geplant über den Široke sedlo gehen, sondern mit dem Bus ins Nachbardorf nach Tatranská Kotlina fahren und über die Chata Plesnivec (Edelweißhütte) den Aufstieg in die Hohe Tatra beginnen. Eine vernünftige Entscheidung. Ich hatte den Aufstieg zum Široke sedlo als recht steil und schmierig in Erinnerung und damals hatte es nicht geregnet.
Kurz nach 11 Uhr fuhr der Bus, es regnete noch immer. Wir fuhren etwa 15 Minuten und als wir in Tatranská Kotlina ausstiegen, regnete es nicht mehr. Den Weg, mit grünem Band markiert, war ich vor 10 Jahren das letzte Mal gelaufen. Um 13 Uhr erreichten wir die Edelweißhütte – Mittagspause. Die Hütte hatte sich nicht verändert, weder äußerlich noch vom Essensangebot her. Für mich gab’s Bier (2 EUR) und Knoblauchsuppe (2,50 EUR) mit Brot. Draußen regnete es wieder.
Ich hüllte mich in mein Regenmäntelchen und legte es erst am Veľké Biele pleso (Großer Weißwasser See) wieder ab. Wenn das so weiterging hatte ich wenig Hoffnung, dass wir wie geplant morgen über den Baranie sedlo gehen würden. „Wir müssen nur ein wenig Quängeln“ meinte Arjen.
Nebelschwaden hingen über dem Trojrohové pleso (Triangelsee) es nieselte nur noch leicht bis zu unserem Tagesziel der Chata pri Zelenom plese. Wir bekamen ein 12-Bett-Zimmer aber keine Sauerkrautsuppe.
Nach dem Abendessen wurde die erste „Krisensitzung“ abgehalten. Die Wetterprognose für morgen sah schlecht aus – Regen und Schneefall bis 2000 m. Über den Baranie sedlo wollte Samuel bei den Voraussetzungen nicht gehen. Da half auch kein Quängeln. Mein Vorschlag morgen noch einen Tag auf der Hütte zu bleiben, am Nachmittag eventuell auf den Jahňací štít (Weißseespitze) zu gehen und den Baranie sedlo übermorgen in Angriff zu nehmen blieb erfolglos, da die Wetterprognose für den Dienstag noch schlechter war. Die Würfel waren gefallen! Die Wanderung über den Baranie sedlo viel sprichwörtlich ins Wasser. Damit blieb mir nur noch die Hoffnung auf eine Überschreitung der Vysoká am Ende der Tatra-Durchquerung. Morgen wollten wir über das Ratzenbergjoch gehen. Wohin stand noch nicht genau fest und war ebenfalls stark vom Wetter abhängig.
Sturmböen tobten am Morgen über den Zelené pleso (Kesmarker Grüner See). Von den Felsflanken ergossen sich schäumende Wildbäche zu Tal. Samuel schaute aus dem Hüttenfenster und schüttelte nur mit dem Kopf, das sagte alles! „Wir warten noch“ sagte er. „Wir haben Zeit.“ Diese beiden Sätze wiederholten sich ungefähr jede Stunde. Immer wenn ich in die Regenklamotten schlüpfte und den Rucksack auf den Buckel hievte, hieß es warten. Die ersten Wanderer aus dem Tal trafen auf der Hütte ein. Manch einer hatte sich Plastiktüten in die Schuhe gesteckt – Tatra-Goretex. Endlich gegen 11:30 Uhr ging es los. Es hatte etwas aufgeklart, doch nur für 10 Minuten, dann wurden wir wieder eingeweicht. Über nasses Geröll, vorbei an triefenden Bergkiefern erklommen wir den Weg hinauf ins Ratzenbergjoch (Sedlo pod Svišťovkou). Kurz vor dem Pass wechselten die Regentropfen ihre Konsistenz, es schneite!
Ein schneidender kalter Wind ließ uns nicht lang verweilen. Zum Glück hielten die Berge den Wind auf der Südseite etwas ab. Auch der Regen wurde weniger und hörte schließlich ganz auf. Nebel hüllte den Wanderweg, die Tatra-Magistrale, ein. Schemenhaft zeigten sich Geröllbrocken links und rechts des Pfades. Erst an der Seilbahnstation am Skalnaté pleso (Steinbachsee) riss der Nebel auf und die Sonne brach durch die Wolken. Die Gondeln der Seilbahn schwebten hinauf und verschwanden im Dunst, ihr Ziel war die Lomnitzspitze (Lomnický štít).
Unser Ziel war die Skalnatá chata. Die Außentür stand sperrangelweit offen, doch drinnen war alles verschlossen. Der Hüttenwirt kam wortlos aus seinen Räumlichkeiten und zeigte auf einen Zettel am Seiteneingang – „Heute geschlossen“. Dann eben nicht! Eine Tatralegende scheint’s nicht mehr nötig zu haben. Bis zur nächsten Hütte, der Zamkovskeho chata, war es zum Glück nicht mehr weit. Und dort bekam ich endlich meine Sauerkrautsuppe!
Hier stellte sich nun die Frage: Wohin gehen wir? Laut Samuel standen die Chancen 90:10 gegen uns, es morgen über den sedlo Prielom (Kerbchen) zu schaffen. Aufgrund dieser Einschätzung machte es für mich keinen Sinn, noch bis zur Räuberhütte zu laufen. Dort würden wir in einer Sackgasse stecken und müssten vermutlich morgen wieder absteigen. Samuel offerierte uns mehrere Möglichkeiten: Trotz der miesen Vorraussetzungen doch noch zur Räuberhütte aufzusteigen, ein Stück weiter unten in der Bilíkova chata zu übernachten oder die Tatra komplett zu verlassen und in einer Therme relaxen. Eine Entscheidung wollte er nicht treffen sondern demokratisch abstimmen.
Gerhard, Günther, Marlies und Ralf stimmten für die Räuberhütte, Reinhard wollte relaxen, Arjen, Edgar und Elmar hielten sich noch zurück. Ich stimmte für die Bilíkova chata. Bei gutem Wetter könnten wir morgen immer noch zur Räuberhütte aufsteigen und über den Prielom-Sattel gehen. Theoretisch wäre es sogar möglich über die Téryho chata (Tery-Hütte) und den Priečne sedlo (Rote-Turm-Scharte, ostdeutsch: Prinzensattel) zur Räuberhütte zu laufen. Dann müssten wir jedoch im Berghotel Sliezsky dom (Schlesierhaus) übernachten. Bis zum Popradské pleso (Poppersee) würden wir es wohl nicht mehr schaffen. Und sollte es wieder regnen und schneien, könnten wir auf der Tatra-Magistrale zur Popperseehütte (Horský Hotel pri Popradskom plese) gehen oder immer noch absteigen und das Gebirge verlassen.
Samuels Entscheidung irritierte mich, auch er wollte auf die Räuberhütte, trotz der schlechten Chancen, die er uns in Aussicht stellte. Waren es die zusätzlichen Kosten, die bei einer außerplanmäßigen Übernachtung anfallen würden? Nun ja, damit stand die Mehrheit fest. Die Würfel waren wieder einmal gefallen. Wir gingen auf die Räuberhütte! Und da wir spät dran waren, kürzten wir ab. Auf einem Weg für die Tatra-Träger ging es steil bergab ins Tal des Studený potok (Kohlbach) und auf einem nichtmarkierten Trampelpfad an seinem Westufer wieder hinauf. Wir kraxelten über und unter verrottende Baumstämme, bis uns der Anblick eines Achtenders Einhalt gebot. Der Hirsch schaute neugierig zu uns herüber und erst nach einigen Minuten entschied er sich im Dickicht das Weite zu suchen.
Graue Wolken bestimmten wieder das Wettergeschehen und ein kalter Wind blies uns um die Nasenspitze. Nach 2 Stunden und 45 Minuten erreichte ich gegen 18:30 Uhr die Berghütte. Samuel spendierte uns vor dem Abendessen einen Tatra-Tee. Der Unterschied zu normalem Tee waren 52% Alkohol. Für Arjen und mich stand fest, der musste mit nach Hause. Draußen war es bereits dunkel, die Wolken hatten sich weiträumig verzogen, schneebedeckte Gipfel leuchteten unter dem Sternenhimmel.
Der Morgen war kalt und grau aber trocken. Einer Passüberschreitung stand also nichts im Wege. Hatten wir die 10% erwischt? Drei junge Slowaken, ein Mann und zwei Frauen, wollten es auch versuchen.
Die beiden Damen hatten sichtlich Probleme den verschneiten Berghang hinaufzukraxeln und fielen immer weiter zurück. Arjen und ich wollten die Beiden nicht allein am Fels zurücklassen und warteten bis sie aufgeschlossen hatten. Ihr Begleiter machte derweil von oben Fotos. Bergtauglich ausgerüstet waren sie nicht wirklich. Eine trug nur Halbschuhe und beide teilten sich ein Paar Handschuhe. Trotzdem kämpften sie sich bis in den Pass hinauf. An Ketten ging es durch Eis und Schnee auf der anderen Seite hinunter. An einem Wandabschnitt waren Stahltritte in recht großzügigen Abständen angebracht. Meine Beine waren zu kurz für die letzte Stufe. Einer Kerbe im Fels traute ich nicht so recht, doch Elmar versicherte mir, dass der Tritt halten würde, so erreichte ich trotz gefühlt kurzer Beine sicheren Boden. Samuel kümmerte sich um die beiden Frauen, die es ohne Hilfe wohl nicht geschafft hätten.
Über verschneites Geröll ging es nun hinüber zum nächsten Pass dem Poľský hrebeň (Polnischer Kamm). Für einen Aufstieg auf den Gipfel der Východná Vysoká reichte die Zeit nicht mehr, Schlechtwetter war wieder im Anmarsch. So stiegen wir ab zum Schlesierhaus – eine Stunde Mittagspause. Ich genehmigte mir wieder Sauerkrautsuppe, fettes Würstchen und eine Kofola.
Den letzten Abschnitt unserer heutigen Etappe liefen wir auf der Wanderautobahn, der Tatra-Magistrale. Erst im Stau hinter einer großen polnischen Wandergruppe, dann im Regen. Im Sattel Sedlo pod Ostrvou wehte ein kalter Wind, unten im Dunst sah ich schon unser Etappenziel die Popperseehütte. Dazwischen die schier nicht endenden Serpentinen bis zum Popradské pleso (Poppersee). Zügig lief ich nach unten, je näher ich dem See kam, desto besser wurde das Wetter. Die Sonne brach hervor und zauberte einen Regenbogen über der Zlomiská (Trümmertal) unterhalb der Vysoká in die Landschaft.
Um 16:15 Uhr waren wir am Ziel. Über 8 Stunden steckten uns heute in den Beinen. Das harte Laufen auf dem Geröllweg der Magistrale hinterließ Spuren. Besonders Edgar hatte Probleme mit seinen Knien. Der Regen tat sein Übriges. Ein Bierchen (pivko) und Tatra-Tee (Tatranský čaj) sorgten für gute Laune.
Samuel kümmerte sich um die Zimmerschlüssel. Wir bekamen ein 6-Bett-Zimmer mit eigenem Bad und bequemen Ledersesseln im Vorraum. Auf der Treppe fragte mich jemand: „Falk?“ Der Fragesteller war Marcel. Wir waren 2015 zusammen auf Spurensuche in der Kleinen Fatra. Mit seiner Frau Juliane hatte er auch bei einem Reiseveranstalter eine Wandertour in der Hohen Tatra gebucht. Was für ein Zufall! Er hatte mich an meiner Mütze erkannt. Das Regenwetter änderte auch ihre Wanderpläne. So mussten sie ihre geplante Überschreitung des Rysy aufgeben.
Der Rysy, höchster Berg Polens, war unser Ziel am nächsten Tag. Außerdem wäre laut Programm auch die Überschreitung der Vysoká fällig. Ich hatte meine Zweifel. Zwar regnete es nicht, aber Neuschneereste lagen immer noch auf den Gipfeln. Edgar zog es heute vor zu pausieren und seine Knie zu schonen. Der Rest startete um 8:45 Uhr.
Wer auf den Rysy (Meeraugspitze) möchte, kommt zwangsläufig an der Rysy-Baude (Chata pod Rysmi) vorbei. Und wie die meisten Hütten in der Hohen Tatra wird auch diese durch Träger versorgt. Auf ihren Holzkraxen schleppen sie 30 (Damen) bis 50 (Herren) Kilo Lasten zu den Berghütten, in der Hauptsaison mehrmals am Tag. Das Besondere an der Rysy-Baude ist, hier darf sich auch der Tatra-Wanderer als Träger betätigen. Am Beginn des Wanderwegs zur Rysy-Baude stehen kleinere Holzkraxen mit Dingen, die oben auf der Hütte benötigt werden.
Mineralwasserflaschen, Kartoffelsäcke, Gasflaschen usw. Wer etwas an der Hütte abliefert bekommt einen Tee gratis. Reinhard ließ sich nicht lumpen und schnappte sich ein 12er-Pack Flaschen mit Mineralwasser. Mit den Wasserflaschen auf dem Buckel hatte er jetzt auch das Recht die Abkürzungen der Träger zu benutzen. Auf dem Weg zur Hütte begegneten wir einer jungen Dame, die auf der Rysy-Baude arbeitete. 42 Kilo trug sie auf dem Rücken. Persönlicher Rekord, wie sie sagte. Die junge Frau schleppte fast ihr eigenes Körpergewicht die Berge hinauf.
Auf dem Normalweg musste ich entsetzt feststellen, dass der kurze versicherte Steig an dem es früher nur ein paar Ketten gab, komplett ausgebaut war. Über Treppenstufen führte nun der Weg. Die unteren waren für den Aufstieg, die oberen für den Abstieg angebracht worden. Vermutlich gab es hier zu viel Gedränge.
Die Hütte lag im Nebel, von den Bergen ringsum war nichts zu sehen. Gerhard und Günther beschlossen wieder abzusteigen. Bei Suppe und Bier rang auch ich mit mir, ob ich weiter zum Gipfel gehen sollte oder nicht. Immerhin stand ich schon zweimal auf dem Rysy und das bei besserer Sicht. Letztendlich entschied ich mich doch für den Aufstieg mit den anderen.
Marlies blieb etwas unterhalb des Gipfels auf einem Fels sitzen, sie wirkte unsicher. Wie zu erwarten, sahen wir nichts auf dem höchsten Punkt Polens. Ein netter Bergkamerad verewigte uns auf Samuels Kamerasensor, dann ging es wieder hinab.
Im Abstieg sorgte Marlies kurz für Aufregung, sie stolperte und stürzte. Zum Glück konnten Reinhard und ein polnischer Bergwanderer sie noch halten. Die Steine waren mit Schneematsch und Flechten bedeckt und recht rutschig. Genau aus diesem Grund würde Samuel auch nicht mit uns auf den Gipfel der Vysoká steigen.
Das erste Stück wäre reine Felskletterei in ausgesetztem Gelände. Anschließend würden Klettersteige zum Gipfel führen. Nur sind Klettersteige hier keine mit Tritten und Drahtseil präparierten Wege, wie in den Alpen, wo man sein Klettersteigset einhängen kann, sondern ab und zu hängt mal ein Stück Kette im Fels. Und auch das ist nicht mehr so sicher, wie uns Samuel erzählte. So sollen Bergführer in der Hohen Tatra vorsätzlich Ketten entfernt haben, damit Wanderer diese Wege nicht mehr benutzen können. Dafür gäbe es dann ja Bergführer.
Samuel kraxelte mit Elmar und Reinhard eine kleine Trainingsrunde am Fuß der Vysoká. Er erzählte etwas von Dreipunktregel, dann verschwanden die drei zwischen den Felsen. Hier sollte man meiner Meinung nach sicher im dritten Schwierigkeitsgrad seilfrei klettern können. Nebel kroch über die Gratkante, ich schaute ein Weilchen zu und begab mich dann auch auf die Rysy-Baude.
Noch eine Besonderheit gibt es bei der Hütte, das Klo mit der besten Aussicht. Die musste ich noch unbedingt genießen bevor es wieder abwärts zum Poppersee ging. Diesmal wählten Samuel und ich die Abkürzung für die Träger. „Die Ketten müssen immer in Hüfthöhe abgelegt werden“ erklärte mir Samuel. Die Träger können sich mit ihrer Last schlecht bücken und das Teil vom Boden aufheben.
Um 16:15 Uhr erreichten wir unsere Unterkunft am Poppersee, wo schon eine heiße Dusche und ein heißer Tatra-Tee warteten…
Heute war unser letzter Wandertag in der Hohen Tatra. Samuel fuhr am Morgen zurück nach Bratislava, Fedor trat nun an seine Stelle als Bergführer. Unser Ziel war der Kôprovský štít (Koprovaspitze).
Nach dem Frühstück verstauten wir unsere Sachen im Trockenraum des Hotels. Die Sonne schien aber ein kalter Wind blies von den Bergen hinab. Edgar hatte sich mit seinen Knien versöhnt und lief mit. Kartoffelsäcke und Wasserflaschen waren verschwunden, nur die Gasflasche fristete allein ihr Dasein am Materialdepot. Die wollte wohl niemand hoch schleppen. Je höher wir stiegen desto stärker blies der Wind. Am Veľké Hincovo pleso (Großer Hinzensee) wurde es richtig unangenehm, ich zog mir die Regenjacke über. Die drei Westfalen blieben unten, der Rest folgte den Serpentinen hinauf in den Pass Vyšné Kôprovské sedlo (Oberes Koprovajoch). Nun war es nicht mehr weit.
Vor 3 Jahren stand ich im dichtesten Nebel auf dem Gipfel, heute hatten wir eine schöne Sicht in den polnischen Teil der Hohen Tatra. Der Wind hatte sich gelegt und auch der Schnee war verschwunden. Heute hätten wir über den Gipfel der Vysoká gehen können. Aber das hätte eine zusätzliche Übernachtung in der Popperseehütte zur Folge gehabt. Ob das so einfach zu organisieren gewesen wäre? Gefangen im Spinnennetz der Hüttenvorreservierung, sag ich da nur. Egal, immerhin ein Gipfel, der uns eine Aussicht spendierte war besser als nichts.
14:15 Uhr waren wir wieder zurück. „Burschen, schnelles Bier“ sagte Fedor. Schon um 14:30 Uhr wollte er weiter zum Symbolischen Friedhof (Symbolický cintorín). Hier gedenkt man den Opfern von Bergunfällen in der Hohen Tatra und das sind laut Fedor zwischen 30 bis 35 pro Jahr. Eine beachtliche Zahl.
Auf dem Winterweg wanderten wir im Anschluss zu unserem Endpunkt der Tatra-Durchquerung, nach Štrbské pleso. Dort wartete bereits der Bus der Kamzík-Pension, der uns zurück nach Ždiar brachte. Die Pension hatte wieder Gäste, diesmal ein Bus voller Tschechen. Die hatten sogar ihre eigene Kapelle dabei. Mit einer Flasche Rotwein besiegelten wir den Abend. Morgen standen Kultur und Schluchtenwandern auf dem Programm.
Am Morgen begrüßten uns ein strahlend blauer Himmel und die warmen Strahlen der Morgensonne. Genau das richtige Wetter für eine Kultureinlage! Im Pensionsbus fuhren wir, unterhalten mit slowakischen Volksweisen, nach Kežmarok (Kesmark). Am Straßenrand standen Zigeuner mit Eimern voller Steinpilze, die sich zum Kauf anboten und die Hohe Tatra zeigte sich wolkenlos.
In Kesmark gibt es zwei evangelische Kirchen eine aus Holz (Weltkulturerbe), die andere aus Stein. Und es gab einen Laden der Tatra-Tee (52%) führte. Ein lohnender Ausflug für Arjen und mich sozusagen…
Der nächste Stopp galt der Stadt Levoča (Leutschau). Hier ist gleich die ganze Stadt Weltkulturerbe und auch hier gibt es eine Kirche (St. Jakob) mit netten Altären (dem größten aus Holz geschnitzten Altar der Welt) und Schnitzereien vom Meister Paul, die leider nicht fotografiert werden durften, zumindest nicht so, dass es die Führungsdame mitbekam. Aber es gab auch hier einen Laden der Tatra-Tee führte, 72% diesmal für kalte Winterabende…
Nach drei Kirchenbesuchen ging es auf direktem Weg ins Paradies, ins slowakische wohlgemerkt. Doch bevor wir durch wilde Schluchten wandern würden gab‘s im Adler-Imbiss von Podlesok was zur Stärkung, für mich eine Kofola (1 EUR) und ein fettes Würstchen (3 EUR).
Bis auf das fehlende Eis an den Schluchtwänden hatte sich seit meinem ersten Besuch vor 6 Jahren nicht viel verändert. Der Bach führte Niedrigwasser, die „Hühnerleitern“ waren trocken, so lief es sich recht angenehm. Ich hatte auch mit einem größeren Touristenaufkommen gerechnet, es war erstaunlich ruhig in der Schlucht. Vielleicht lag es daran, dass die Ferien in der Slowakei schon vorüber waren? Die geplante Abfahrt nach Podlesok mit Mountainbikes fand nicht statt, was ich nicht bedauerte. Auf einem schmalen Waldweg liefen wir zurück zu unsrem Ausgangspunkt in Podlesok. Von dort fuhren wir auf direktem Weg mit slowakischer Volksmusik zurück nach Ždiar.
Nach dem Abendessen hielt Fedor eine kurze Abschiedsrede. Ihm war schon klar, dass die Tour nicht den Erwartungen gerecht wurde oder besser werden konnte. Von 24 Tatra-Durchquerungen seit 1996 konnte der Baranie sedlo nur 3 mal nicht überschritten werden aufgrund schlechten Wetters. Die Überschreitung der Vysoká musste da schon öfter ausfallen. Sie erfolgte zu 39%. Samuel hatte ja schon gesagt, dass die Touren nur zu etwas mehr als einem Drittel so wie geplant durchgeführt werden konnten. Wir hatten versucht das Beste draus zu machen. Jeder erhielt eine Urkunde, ein Fläschchen Borovička (Wacholderschnaps) und einen slowakischen Räucherkäse. Edgar noch zusätzlich einen Schal für seine Frau. Morgen früh um 8 Uhr würde uns der Fahrer der Pension nach Poprad zum Bahnhof fahren.
Auch der Morgen der Abreise war schön. Nach dem Frühstück verabschiedeten wir uns von den anderen und von Fedor, um Punkt 8 Uhr ging es los. Unser Fahrer in Jägertracht nahm noch am Dorfausgang seinen Kollegen mit, auch ein Grünrock. Beide wollten auf ein Jägertreffen (Halali).
Fedor hatte uns noch die Adresse von Samuels Shop in Bratislava gegeben. Wir sollten ihn besuchen.
Zuerst suchten wir jedoch unser Hotel mit dem eigenartigen Namen – Austria Trend Hotel. Der Bau sah recht modern aus. Zwei von uns mussten ihre Kreditkartendaten an der Rezeption hinterlegen. Wir mussten uns also benehmen… Die Zimmer waren okay.
Da uns der Hunger plagte, einigten wir uns ins erstbeste Restaurant einzukehren, an dem wir vorbeikommen würden. Das hieß Bratislava Flagship Restaurant und war nicht mal schlecht. Aus einem ehemaligen Kino hatte man eine Art Hofbräuhaus kreiert. Es gab dunkles Kozel und für mich und Arjen eine Schlachtplatte, die fast den gesamten Tisch einnahm. „Alles richtig gemacht“ so Arjens Kommentar, als die Platte vor ihm stand. Pappsatt ging es nun in die Altstadt an der Donau.
Samuels Laden in der Pánska 38 befindet sich gegenüber der St. Martin Kirche. Er war noch nicht da, seine Angestellte hatte ein paar Verständigungsprobleme:
„Ich suche Samuel.“
„Was?“
„Samuel“
„Was ist das?“
Ich hielt ihr den Zettel mit der Adresse hin.
„Oh, mein Boss!“
Sie holte ihr Handy raus und telefonierte kurz. Wir verabredeten uns um 18:30 Uhr vor dem Laden. Nun hatten wir noch etwas Zeit. Zeit, um auf die Burg zu gehen. Edgar wollte von Burgen und Bergen offensichtlich nichts mehr wissen und blieb in der Altstadt.
Pünktlich um halb Sieben trafen wir Samuel vor seinem Laden. Er zeigte uns seinen Shop, mit allerlei exotischen Kleinigkeiten. Wir kauften etwas Hygienisch Einwandfreies – Naturseife. Dann war es Zeit fürs Abendessen, obwohl die Schlachtplatte noch den Magen blockierte. Trotzdem das Bierrestaurant Ventúrska Klubovňa war zu empfehlen. Nur mit Wacholderschnaps konnte uns der Wirt nicht mehr überraschen, wir kannten uns aus! Fast bewegungsunfähig ging es zurück ins Hotel. Morgen früh fuhr unser Zug nach Wien.
Die Heimfahrt war ebenso umständlich, wie die Hinfahrt. Um die Baustelle auf der Rheintalstrecke zu umgehen, ging es durchs Donautal und den Schwarzwald nach Freiburg.
Wir hatten mit dem Schlechtwettereinbruch in der Hohen Tatra Pech gehabt. Samuels Entscheidungen als Bergführer waren für sich genommen alle richtig gewesen. Trotzdem werde ich mich nicht mehr für eine organisierte Bergtour in dieser Form entscheiden. Der Grund ist die fehlende Flexibilität, die leider in der Natur der Sache liegt. Änderungen der geplanten Wanderetappen hätten organisatorische Probleme verursacht, bei einer so großen Gruppe von Teilnehmern. Sei es neue Übernachtungen zu organisieren, bestehende abzusagen, Transporte zu verlegen usw. Alles wäre nur mit erheblichem Aufwand und Kosten verbunden, da bin ich allein oder mit zwei oder drei Begleitern deutlich flexibler in meinen Möglichkeiten. Eine Tour wie diese, wäre nur bei optimalen Bedingungen durchführbar gewesen.
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