(Karpatentour März/April 2018 – Rumänien)
Der Sitzplatz im ICE ab Mannheim ist noch immer frei. Lang kann ich die Stehenden nicht mehr hinhalten. Anne hätte hier zusteigen müssen, doch sie kam nicht. Nach einer Viertelstunde gebe ich es auf und überlasse den Platz einer Dame. Was war schief gelaufen? Wir wollten gemeinsam nach Rumänien fahren. Mit Schneeschuhen sollte es durch die verschneiten Karpaten gehen. Wird es eine Solotour?
Wer winkt mir in Frankfurt auf dem Bahnsteig schon von weitem zu – Anne. Der Zug war so voll, da ist sie mit ihrem Gepäck nicht mehr durch gekommen. Wenn ich so ihren Rucksack betrachte, wundert mich das auch nicht. Mit der Lawinenschaufel an der Außenseite wirkt sie auf mich, als ob sie den Mount Everest besteigen möchte.
Im ICE nach Wien klappt es mit den Sitzplätzen. Dagegen erweisen sich zwei Mitreisende, ältere Herren, so Mitte 60 mit ihrer alternativ deutschen Einstellung als etwas nervig. Von Mannheim als SPD-Hochburg gleitet das Gespräch schnurstracks in Richtung Flüchtlinge ab und natürlich Merkels Politik, die das Land spalten würde und wo uns bald wilde Zustände auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt erwarten würden.
Erst als die Dame gegenüber den beiden erklärt, dass zukünftige Probleme mit Sicherheit nicht mehr diese Alte-Herren-Generation betreffen würden, herrscht Ruhe auf den Sitzen…
Pünktlich erreichen wir Wien und haben nun fast 5 Stunden Zeit für die Donaumetropole. Endlich ergibt sich eine Gelegenheit für mich zu einem echten Wiener Schnitzel! In Lohmann's Restaurant werden wir fündig. Wiener Schnitzel (16,90 EUR) für mich, Tafelspitz (16,50 EUR) für Anne und einen halben Liter Zweigelt (15,60 EUR) für beide. Auch in Wien verfolgt uns die Politik. Diesmal die Balkanpolitik! Auf einer Kundgebung vor dem Stephansdom erinnert ein Sprecher der Jugoslawisch-Österreichischen Solidaritätsbewegung an die Opfer des NATO-Krieges und den „Raub“ des Kosovo.
Wir empfehlen uns von der Politik, unser Nachtzug nach Rumänien wird bald bereitgestellt.
Mit Sonnenschein und Schnee begrüßt uns Rumänien am Morgen. Auch die CFR spart. Der Morgenkaffee wurde wegrationalisiert, ebenso das Frühstück. Für 7,50 EUR pro Nase gibt es beides beim Schaffner des Bordrestaurants. Das Restgeld gibt er uns in Form eines Marsriegels…
Hinter Sibiu (Hermannstadt) wird die Landschaft interessant. Schneebedeckte Gipfel schauen zwischen den Wolken hervor, das Fogarascher Gebirge – ein Wintertraum!
Dieses Panorama begleitet uns eine ganze Weile, bis es von der Măgura Codlei (Zeidner Berg) abgelöst wird. Doch bald tauchen neue bekannte Bergmassive auf: Piatra Craiului (Königstein), Bucegi (Butschetsch), Postăvarul (Schuler), Piatra Mare (Hohenstein) und die Tâmpa (Zinne) – wir sind am Ziel.
Der Stadtbus Nummer 51 wartet bereits vor dem Bahnhof, Fahrscheine gibt es nicht mehr im Kiosk neben dran steht ein Automat – Hightech in Rumänien. Wir schauen unserem Vordermann über die Schulter, merken uns die Symbole, die er drückt und schaffen es tatsächlich mit rumänischer Menüführung zwei Fahrscheine zu kaufen…
Am Piața Unirii (Angerplatz) müssen wir raus. Im Rolling-Stone-Hostel hatte ich bereits von daheim ein Zimmer reserviert. Diana empfängt uns und für Anne gibt es zehn Minuten geballtes Wissen über Sehenswürdigkeiten in und um Kronstadt.
Die Schwarze Kirche ist bereits geschlossen, auf dem Piața Sfatului (Marktplatz) ist tatsächlich Markt und im historischen Museum läuft eine Ausstellung über Stalinstadt – Orașul Stalin, wie Brasov von 1951 bis 1961 hieß.
Wir suchen eine Wechselstube. Auf den Dächern und Straßen liegt noch Schnee, doch vor den Restaurants hocken schon die Gäste in der Sonne. Es ist erstaunlich viel los in der Innenstadt. Wir entscheiden uns lediglich zu einem Besuch der Festung, denn vom Festungshügel haben wir eine gute Sicht auf die Stadt, die Zinne und den Schuler, unserem Ziel morgen. Doch als wir oben angelangt sind, ist der Innenbereich geschlossen. Überall auf dem Vorplatz tummeln sich Menschen in historischen Kostümen hinter Absperrungen, Kameras, Lampen und Reflektoren. Statisten müssen jubeln und rumänische Fahnen schwenken – großes Kino? Der Kleidung nach, spielt der Film in der Zeit des 1. Weltkriegs. Manche haben Soldatenuniformen an und Binden um den Kopf gewickelt. Ob die noch einen Mitspieler brauchen? So als böser Deutscher könnte ich doch durchgehen…
Ein paar Wölkchen umspielen den Gipfel des Schuler, hoffentlich bleibt das Wetter so. Es wird Zeit für's Abendessen und das genehmigen wir uns im Restaurant „La Ceaun“ (Kessel). Es gibt Lammtopf – natürlich.
Leider gibt es kein Frühstück mehr im Hostel, Kaffee kochen klappt noch. So hole ich am Morgen noch schnell ein Brot bevor es losgeht. Ursprünglich wollte ich mit Anne über den Gipfel der Zinne laufen. Doch da dieser sich in Wolken hüllt, wählen wir die Variante durchs Tal. Der Wanderweg beginnt fast vor unserer Haustür und ist mit einem blauen Kreuz markiert. Das Kreuz leitet uns bis zum Stadtrand dann bleibt es verschwunden.
„Spre Poiana Brașov?“ frage ich einen Mann der uns entgegenkommt. Der will uns jedoch zur Straße schicken. Auf gut Glück folgen wir der erstbesten Gasse bergauf bis die letzten Häuser hinter uns liegen. Mein GPS streikt. Zum Glück ist Annes Gerät kompromissbereiter. Linker Hand im Nachbartal schlängelt sich ein Weg bergauf. Wir halten drauf zu und schon am ersten Baumstamm der am Wegesrand steht, sehen wir unsere Markierung.
Der Pfad führt durch Wald zur Pioana Stechil auf 1030 m. Hier mündet unser Wanderweg auf einen Weg der mit blauem Band markiert ist. Er kommt vom Zinnen-Sattel (Șaua Tâmpei) und wird uns nun bis zu unserem Ziel führen, der Cabana Postăvarul.
Bald stehen wir am Abzweig des Weges zur Poiana Brașov (Schulerau), einem Skigebiet mit zahlreichen Hotels. Wir aber folgen dem blauen Band hinauf auf den Crucurul-Mare-Rücken (Großer Krukur). Die Höhe und die Schneehöhe nehmen zu und auch die Sonne zeigt sich schließlich zwischen den Bäumen. Der Schnee fällt von den Zweigen und landet zielgenau im Kragen meiner Jacke, was mich lauthals zu Verwünschungen desselben animiert…
Oben auf dem Kamm lichtet sich der Wald ein wenig und gibt die Sicht frei auf die Ausläufer des Geisterwaldes (Munții Perșani) mit dem Zeidner Berg – Măgura Codlei. Ein Stück weiter weist ein Wegweiser 30 Minuten zur Steinmilchhöhle (Peștera de Lapte). Ihren Namen verdankt die Höhle aufgrund von milchartigen Calcitablagerungen in ihrem Innern.
Leider sind wir doch schon länger unterwegs als geplant, so verzichte ich auf einen Höhlenbesuch, wir setzen unseren Weg in Richtung Cabana Postăvarul fort.
Anne ärgert sich über ihren Rucksack, der ihr ständig von der Schulter rutscht. Mich ärgert der feuchte Pappschnee. Bis jetzt haben meine Schneeschuhe noch nie gestollt, nun tun sie es. Ob da Silikonspray hilft? Anne ist überzeugt davon, ich nicht.
Zum Glück wird die Schneequalität besser. Bald erreichen wir die Abfahrtspisten unterhalb des Schuler-Gipfels. Bis zur Hütte ist es nun nicht mehr weit. Ein letzter kurzer Anstieg und wir haben es geschafft. Die Hütte liegt auf 1600 m Höhe. Es ist die einzige Hütte, die dem Siebenbürgischen Karpatenverein zurückgegeben wurde. Somit trägt sie auch den deutschen Namen Julius-Römer-Hütte. Julius Römer gründete 1873 den Siebenbürgischen Alpenverein, ein Vorläufer des Siebenbürgischen Karpatenvereins (SKV).
Rote Leuchtziffern auf einem Display sagen uns, dass die Außentemperatur zurzeit -1 ℃ beträgt. Innen ist es wärmer. Wir dürfen wählen zwischen einem Zimmer mit Dusche und WC für 270 RON (58,00 EUR) und einem ohne Dusche und WC für 170 RON (36,50 EUR). Bei der Preisdifferenz fällt unsere Entscheidung leicht. Vom eingesparten Geld gibt es Rindersuppe (15,00 RON – 3,20 EUR), ein Bier (für mich) sowie Schokoladenkuchen und Kaffee. Neben ein paar Skifahrern sind wir die einzigen Gäste auf der Hütte. Mit Glühwein beenden wir den ersten Wandertag.
Die Temperatur beträgt laut Anzeige immer noch -1 ℃ am nächsten Morgen. Die Sicht ist jedoch gleich Null. Wir lassen den Gipfel des Schuler (1799 m) links liegen und folgen gleich dem mit gelbem Band markierten Wanderweg durch den Wald in Richtung Cabana Poiana Secuilor, laut Wegweiser an der Hütte 2 ¾ Stunden.
Durch einen tief verschneiten Winterwald stapfen wir los. Neuschnee hat die Spuren unserer Vorgänger weitestgehend verdeckt. Bald wird der Weg schmaler und der Hang steiler. Die Schneeschuhe rutschen nach unten weg und die Füße werden unfreiwillig einer Außendehnung unterzogen. Querungen sind mit Schneeschuhen mühsam! Es geht nur langsam voran. Zum Glück stollt der Schnee nicht mehr wie gestern im Aufstieg.
Nach einer Stunde und 15 Minuten erreichen wir die Drei-Mädchen-Wiese (Poiana Trei Fetițe, 1630 m). Ein mit rotem Punkt markierter Pfad führt von hier zum Gipfel. Wir wollen aber nicht hinauf sondern hinab. Der Wegweiser ist recht neu und zeigt an, dass wir uns auf dem Fernwanderweg E8 bewegen.
Was nun folgt ist nicht schlecht. Der anfangs seichte Hang wird zusehends steiler. Bald ist er so steil, dass wir uns in Hangrichtung drehen und rückwärts absteigen. An den Bäumen prangt von Zeit zu Zeit das gelbe Band, einen Weg können wir aber nicht mehr erkennen.
Über eine Steilstufe lasse ich mich einfach hinunterrutschen und lande in einer Schneerinne, die von links oben kommend weiter talwärts führt. Unter der losen Neuschneedecke ist der Untergrund teilweise vereist.
Anne rutscht hinterher, dreht sich unkontrolliert und schrammt mit ihrer linken Gesichtshälfte über die Eisschicht. Die Nase tut weh und die linke Wange ist etwas lädiert und blutet leicht. Zum Glück ist nicht mehr passiert, wir können weiter. Nur wohin? Die Markierung ist verschwunden. Ich schaue mich ein wenig um und entdecke sie links an einem Baum hinter einem Schneebuckel. Wir müssen die Rinne queren und auf der anderen Seite ein paar Meter wieder aufsteigen. Zum Glück ist der Anstieg nicht so steil wie der Abstieg.
Irgendwie gefällt mir die Sache nicht. Die Spuren unserer Vorgänger sind verschwunden. Ich sehe zwar die Wegmarkierung unter mir an den Bäumen, nur dorthin führt kein Weg und der Abstieg über den felsdurchsetzten Hang ist zu steil. Hier kommen wir also nicht weiter, wir müssen zurück. Anne steht recht unsicher auf ihren Schneeschuhen was die Situation nicht leichter macht. Sollen wir umkehren?
Doch davon will sie nichts wissen. Also gehen wir erstmal zurück bis zu der Rinne. Dort sah es nicht so steil aus.
In kurzen Serpentinen steigen wir die Rinne hinunter. Als die Hangneigung wieder zunimmt mogeln wir uns Meter um Meter irgendwie weiter. Anne rutscht mit ihren Schneeschuhen, ich habe recht ordentlich halt. Sie flucht! Wie mir scheint, nicht weil der Abstieg so Sch… ist, sondern weil ich sicherer stehe als sie. Mir ist nicht klar warum das so ist. Sie ist der Meinung, weil ich schwerer bin. Später klärt mich Anne auf, dass sie sich über den für Schneeschuhe ungeeigneten Abstieg geärgert hatte.
Phasenweise befürchte ich, dass Anne kurz vorm Blockieren ist. Das wäre hier und jetzt eine äußerst dumme Sache…
Aber dann kämpft sie sich doch weiter den Hang hinab. Langsam nimmt die Hangneigung ab und der Weg wird wieder sichtbar. Er verlässt die Rinne und führt als Saumpfad den Berghang nach Osten. Wir schnallen die Schneeschuhe ab und laufen mit unseren Eisketten weiter. Als der Schnee zu stollen beginnt, kommen auch diese von den Schuhen.
Bis zur Cabana Mălăiești zu laufen, wie geplant, erweist sich als reine Utopie. Leider habe ich die nächstliegende Berghütte, die Cabana Poiana Secuilor, nicht auf meinem GPS gespeichert und kann nicht sagen, wie weit es noch bis dorthin ist. Anne ist davon nicht wirklich begeistert. Ihr Resümee: „Das nächste Mal wird jede Hütte als Wegpunkt gespeichert!“
Wirklich besser wird der Weg aber nicht. An einer Kraxelstelle muss ich Anne helfen, der Fels ist rutschig aber wir bekommen es hin. Bald liegt kaum noch Schnee auf dem Pfad, wir müssen also schon recht weit unten sein. Dafür rutschen wir nun auf brauner Lehmschmiere talwärts.
Endlich erkenne ich unter uns einen Forstweg – es ist geschafft! Laut meiner Karte müsste nun bald der Pferdesattel (Șaua Calului) kommen. Und tatsächlich, ein Wegweiser markiert den Ort. Von Osten kommt ein Wanderweg, mit rotem Dreieck markiert, der weiter in Richtung Rosenau (Râșnov) führt. Wir müssen dem gelben Band nach Süden folgen: 1 ¼ Stunden sollen es noch bis zur Cabana Poiana Secuilor sein. Bis zu unserem Ausgangspunkt, der Julius-Römer-Hütte sind es laut Wegweiser 1 ½ Stunden (bergauf). Wir haben 6 Stunden bergab gebraucht! In roten Lettern steht auf dem Wegweiser unter der Zeitangabe: „Interzis Iarnă – Verboten im Winter!“ Dem dürfte nichts hinzuzufügen sein…
Ab jetzt folgt der Weg gemächlich über sanfte Bergrücken. Im Schnee entdecken wir neben Fußspuren hin und wieder auch die Spuren eines Luchses. Gegen 18:15 Uhr tritt der Wald zurück und wir blicken auf eine große Wiese, die Poiana Secuilor. Am rechten Waldrand steht die Hütte. Rauch steigt auf aus dem Schornstein, ein gutes Zeichen! Acht Stunden und 45 Minuten waren wir unterwegs, 6 Stunden länger als angegeben!
Wildes Hundegekläff empfängt uns, doch so recht trauen sich die Köter nicht heraus. Am Eingang hängt ein Schild: „Deschis“ (Offen). Doch die Tür ist verschlossen. Über dem Schild hängt ein weiteres mit einer Telefonnummer. Wir laufen um das Haus, doch keine Menschenseele zeigt sich. Auf der rechten Seite finden wir einen zweiten Eingang, der ist nicht verschlossen. Drinnen sind die Schlafräume, Duschen und Toiletten. Und es ist warm!
Annes Entschluss steht fest, sie will hier bleiben. Ich bin mir nicht sicher, laut meiner Karte gibt es ein Stück weiter noch eine Hütte, die Cabana Trei Brazi. Bis dorthin sind es vielleicht 30 Minuten. Nur was machen wir wenn die auch zu ist?
Ich gehe noch mal nach draußen und tippe die Telefonnummer in mein Mobiltelefon. Eine kratzige Stimme meldet sich. „Suntem la Cabana Secuilor – Wir sind in der Secuilor-Hütte“ sage ich. Mir fällt nichts Besseres ein. „Închis (geschlossen)“ verstehe ich nur, dann ist die Verbindung unterbrochen.
Noch gebe ich nicht auf! Kurze Zeit später kommt ein Auto und ein Typ steigt aus. Nun stürzen die Köter, drei Stück, aus ihren Verstecken hervor. „Ei mușcă?“ fragt er (Beißen die?). Woher soll ich das wissen? Nun öffnet sich auch die verschlossene Eingangstür und ein Opa und ein Junge kommen raus. Eine gute Gelegenheit nach einer Unterkunft zu fragen, finde ich. Erst brabbelt der Alte noch was von geschlossen. Dann diskutieren die drei herum, mit dem Ergebnis, dass wir das Doppelzimmer für eine Nacht bekommen. Es kostet 120,00 RON (25,80 EUR) und 6,00 RON (1,30 EUR) „SALVAMONT-Steuer“. So wird also in Rumänien die Bergwacht finanziert. Ich ergattere noch ein Bier und eine Pepsi, dann ist die Welt in Ordnung…
In der Nacht sind 5 bis 10 cm Neuschnee gefallen und es schneit immer noch als wir uns auf den Weg machen. Die Hunde missachten sämtliche Gastfreundschaft und verbellen uns vom Vorhof.
Unser erstes Etappenziel ist die Cabana Trei Brazi (Drei Tannen), dort hoffen wir auf Kaffee und Frühstück, beides haben wir in der Cabana Secuilor nicht bekommen. Die Berghütte entpuppt sich als Drei-Sterne-Hotel, es gibt Kaffee, Tee, Schafs- und Kuhkäse sowie leckere Bratwürstchen. „Cabana Diham?“ fragt der Kellner ungläubig. „Würde ich nicht gehen!“ Der Weg sei unspektakulär aber anstrengend.
Wir lassen uns von unserem Vorhaben nicht abbringen. Er zeigt uns den Beginn des Wanderweges, ein blaues Dreieck an einer Tanne. Dann geht’s hinaus in den Winterwald.
Mag sein, dass der Weg nicht spektakulär ist, schön ist er allemal mit den schneebedeckten Bäumen im Nebel. Vorbei an dem katholischen Franziskaner-Kloster der Heiligen Dreifaltigkeit – Sfânta Treime (mein erstes in Rumänien) erreichen wir nach einem anstrengenden Aufstieg den Luftkurort Pârâul Rece. Hier folgen wir ein Stück der Verbindungsstraße Predeal – Râșnov (Rosenau) und hier hat der Kellner recht – es ist ein unspektakulärer Abschnitt.
Trotzdem, auch dieser Abschnitt hält Überraschungen für mich parat. Als ich nach einer Pause meinen Rucksack auf den Rücken wuchte, knackt es verdächtig. Ich schaue nach, der rechte Schultergurt ist eingerissen. Es bleibt nun zu hoffen, dass unsere Tour kein vorzeitiges Ende nimmt…
Nach rund 45 Minuten Asphaltwandern zweigt linker Hand der Wanderweg zur Cabana Diham (1 ½ h) ab. Nun führt der Weg wieder durch einen Wintermärchenwald. Der Nebel löst sich auf und die Sonne kann sich durchsetzen. Es ist 16 Uhr als wir vor der Diham-Hütte stehen. Über dem Wald erhebt sich majestätisch das Bucegi-Massiv. Da wollten wir drüber, doch bereits gestern hatten wir den Plan aus Mangel an Zeit aufgegeben. Wir sind einfach zu langsam. Außerdem dürfte der gefallene Neuschnee die Lawinensituation nicht positiv verändert haben. Morgen wollen wir nach Bușteni absteigen und wenn es klappt, mit der Seilbahn hinauf zum Babele-Plateau fahren.
Das Zimmer kostet hier 75,00 RON (16,00 EUR), Frühstück geht extra. Nikolai, der Hüttenangestellte, versorgt uns mit Ciorba de burtă. Klassisch serviert mit Saurer Sahne und Peperoni. Ich dachte schon die Suppe gibt’s nicht mehr in Rumänien.
Vom Balkon unseres Zimmers zeigt sich am Abend noch einmal der Postăvarul mit seiner steilen Ostflanke, durch die wir gestern abgestiegen sind.
Der Tag beginnt mit Sonnenschein und blauem Himmel. Ideales Wetter, um ins Bucegi zu steigen, doch wir bleiben bei unserem Entschluss und laufen in Richtung Bușteni. Der Weg ist mit einem blauen Dreieck markiert. Rechts erhebt sich der schneebedeckte Gipfel des Bucșoiu Mare (1492 m), links der Postăvarul.
Wir sind die ersten, die ihre Spuren in den jungfräulichen Schnee setzen. Wirklich? Eine halbe Stunde hinter der Cabana war schon jemand vor uns unterwegs. Wie auf einer Perlenschnur reihen sich die Spuren von links kommend, quer über den Wanderweg verlaufend und rechts im Wald verschwindend. Der Bär kann noch nicht weit sein, so frisch und deutlich wie sich die Spuren im Schnee abzeichnen. Wären wir eine halbe Stunde eher los gelaufen, hätten wir dem Burschen wohl „Hallo“ sagen können.
An einer Lichtung schwenkt der Weg nach rechts und durch Glitzerschnee geht es im Wald bis zur Dihammündung (Gura Diham). Anne findet es schön, so durch den Wald zu laufen. Ein Schild an einem Baum weist darauf hin, dass wir uns in Bärengebiet befinden, wer hätte das gedacht!
Auf der Hirschtal-Straße (Strada Valea Cerbului) erreichen wir am frühen Nachmittag Bușteni. Die Seilbahn liegt am Ortsende. Auf dem Weg zur Talstation spricht mich ein Taxifahrer an.
„Die Babele-Hütte ist geschlossen“ sagt der Fahrer. „Das letzte Mal war sie offen“ antworte ich. Dass das „letzte Mal“ vor 20 Jahren war, erzähle ich ihm nicht! Glauben tu ich ihm trotzdem nicht, da er uns sehr geschäftig eine Fahrt zum Bolboci-Stausee aufschwätzen will. Doch er versichert uns, dass er den Hüttenwirt kennt und die Hütte geschlossen sei. Nun gut wir werden uns an der Seilbahn erkundigen.
Die nächste Seilbahn fährt in einer Stunde um 15 Uhr und die letzte um 16:15 Uhr wieder zurück. Und ja, die Cabana Babele ist zu! Damit lösen sich auch unsere Wanderpläne in nichts auf. Es lohnt nicht, für eine Stunde da oben herumzulungern. Und zelten ist im Naturpark-Bucegi mittlerweile nur noch an wenigen Plätzen erlaubt. Wir beschließen heute in Bușteni zu bleiben und morgen ohne Rucksack mit der Seilbahn hinauf zu fahren. Hoffentlich hält das Wetter, denn mittlerweile hat sich der Himmel bewölkt.
Gleich neben der Talstation im Hotel „Silva“ lassen wir uns nieder. Das Zimmer kostet 210,00 RON (45,00 EUR) und zum Abendessen gibt es zähes Lamm und fade Kuttelsuppe aber guten Jidvei-Wein (Mysterium Rosé) auf Empfehlung der Bedienung.
Die Dame hat es schon schwer mit uns, während des Frühstücks im Silva-Hotel. „Gelber oder weißer Käse?“ fragt sie, als sich Anne nicht schnell genug für Kuh- oder Schafskäse entscheiden kann. Als sie uns zum wiederholten Mal das Angebot unterbreitet weitere Wünsche, beispielsweise Getränke von der Hotelbar, bei ihr zu bestellen, ist uns klar, dass wir hier unerwünscht sind. Trotzdem drücke ich ihr noch unsere Thermosflaschen in die Hand mit der Bitte, diese mit heißem Wasser aufzufüllen. Ich bin mir zwar nicht sicher, ob dieser Wunsch ihren Vorstellungen entsprach, doch sie verschwindet mit den Flaschen in Richtung Küche.
Die Dame an der Rezeption ist da wesentlich entspannter, als wir die Bitte äußern unsere Rucksäcke für ein paar Stunden im Hotel zu deponieren. Wir stellen unser Gepäck in einen kleinen Abstellraum und gehen zur Seilbahnstation. 70,00 RON (15,00 EUR) kostet die Fahrt hoch und wieder runter. Die nächste Gondel fährt in wenigen Minuten.
Oben ist es windstill und sonnig wie gestern. Wir schauen uns die Babele-Felsen an und auch das Wahrzeichen des Bucegi-Massivs, die Sphinx. Beides durch Winderosion entstandene Konglomerat-Felsen.
Weshalb die Babele-Hütte geschlossen ist, will mir nicht einleuchten. Die Seilbahn bringt doch tagsüber genug Menschen nach oben. Als Einkehrmöglichkeit hätte sich eine Öffnung doch rentiert…
Anne ist von der Schneelandschaft begeistert. Mir gefallen die Steine. Gibt immerhin nichts Vergleichbares im gesamten Karpatenbogen. Eine Tatsache, die vermarktet wird. Touristen lassen sich mit zwei Rumänen, die als Daker verkleidet sind vor den Felsen fotografieren.
Wir laufen in Richtung Cabana Piatra Arsă. Auf dem Weg begegnen wir dem ersten Bergwanderer auf unserer Tour. Ein Rumäne, der von Sinaia gestartet ist und eigentlich durch das Jepii-Mare-Tal absteigen wollte. Doch er zieht die Seilbahnabfahrt vor. „Now is level 4“ erzählt er uns. Mit einer Lawinenwarnstufe 4 hätten wir jetzt nicht gerechnet. Da war es wohl vernünftig, dass wir den Aufstieg nicht riskiert haben.
Dafür habe ich einen Sonnenbrand riskiert und auch bekommen. Wir laufen zurück zur Seilbahn und sind mit der nächsten Gondel in 15 Minuten wieder in Bușteni. Es ist jetzt 14:30 Uhr der nächste Zug nach Brașov fährt in einer reichlichen Stunde. In einem Imbissrestaurant vertreiben wir uns die Zeit mit leckerer Rindfleischsuppe (8,00 RON – 1,70 EUR) und Cappuccino. Der Ort hat sich verändert seit meinem letzten Besuch. Damals gab’s am Bahnhof nur billige Spelunken.
Auch die Umgebung von Brașov hat sich in den letzten Tagen verändert, der Schnee ist komplett verschwunden. Wir hatten Glück und den richtigen Zeitpunkt für unsere Wintertour gewählt. Gegen 18 Uhr sind wir wieder im Hostel, ich mit hochrotem Kopf. Lediglich an der Stirn und um die Augen bin ich normal gefärbt. „Jetzt ist es komisch aber in 3 Tagen sexy“ tröstet mich Silvia, die heute die Arbeit im Hostel übernimmt.
Greg ist auch da, die Ergänzung von unserem Vorrat an Palinka, Schafskäse, Speck und Würstchen gesichert.
Im „Casa Românească“ trinken wir schlechten Wein und teuren Schnaps (15,00 RON), das Essen, ein Fleischeintopf mit Polenta (tochitură), ist ganz ok. Aber beim Bezahlen will der Typ tricksen und uns weiß machen, dass die Geldkarte hier nicht akzeptiert würde. Was natürlich Blödsinn ist. Anne besteht auf der Kartenzahlung und siehe da, auf einmal funktioniert es. So endet unser letzter Karpatentag etwas frustrierend.
In der Hostelküche liegt schon unser bestelltes Fresspaket für daheim: Schafskäse (Brânză de burduf), Speck (Slănina de porc), Würstchen (Cârnații de Mangalița) und natürlich Schnaps (Palinka) 1 ½ Liter…
Greg hat es von einem Bauern aus seinem Heimatdorf Sânpetru (Petersberg) mitgebracht.
Die Kronstädter dagegen denken weniger ans leibliche Wohl, sie treiben lieber Sport. Heute startet ein Halbmarathon auf die Zinne. Los geht es um 12 Uhr auf dem Piata Unirii, grad um die Ecke. Bereits gestern waren schon Läufer aus Bukarest im Hostel angekommen, um dort zu übernachten.
Der Andrang ist gewaltig, durch die ganze Altstadt laufen Menschen mit Startnummern auf der Brust. Die Szenerie erinnert mich irgendwie an früher, als ich noch jung und sportlich am Rennsteiglauf oder dem Berglauf im Zittauer Gerbirge teilgenommen hatte.
Wir gönnen uns noch etwas Kultur und besuchen die Schwarze Kirche (Biserica Neagră, 10,00 RON – 2,15 EUR). Heute ist die Kirche nicht mehr schwarz, aber seit dem Stadtbrand im Jahre 1689 trägt sie diesen Namen, da das Feuer die Kirchenmauern rußgeschwärzt hatte.
Mein letzter Besuch des heiligen Ortes liegt fast 20 Jahre zurück. 1998 besuchte ich mit Freunden die Messe am Heiligen Abend.
Zurück im Hostel, gibt es rumänisches Bauernfrühstück – Wurst, Schafskäse und auf Greg's wohlmeinenden Rat hin, einen Palinka…
Langsam wird es Zeit zum Bahnhof zu fahren. Der Zug kommt pünktlich am Gleis 4 an. Der Schlafwagenschaffner kassiert die Fahrscheine ein und wir beziehen unser Quartier für die nächsten 16 ½ Stunden bis Wien.
Die Rückfahrt bis Frankfurt verlief trotz des heutigen Datums, dem 1. April, ereignisarm. Das Fogarascher Gebirge präsentierte sich noch einmal in seiner ganzen Pracht und in Wien gab's Quarktaschen und Schoko-Croissants zum Frühstück.
Ab Frankfurt saßen wir entweder einer Bosheit der Bahn auf oder das Staatsunternehmen hatte sich einen Aprilscherz mit uns erlaubt. Der Zug nach Freiburg fuhr nicht wie auf meiner Reservierung vom Hauptbahnhof ab sondern vom Südbahnhof. So erreichten wir unser Ziel eine Stunde später als geplant, immerhin…
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