(Karpatentour Mai 2008 – Rumänien)
Eines Tages, es war im Sommer letzten Jahres, flatterte eine E-Mail in mein Postfach.
Răzvan, mein Freund aus Deva, schrieb mir. Er hatte mit einer Gruppe den Olt in einem
Schlauchboot befahren und war von diesem Trip derart begeistert, dass er sich kurzerhand
entschloss sich selbst ein Boot zu kaufen, um in Zukunft sämtlichen befahrbaren
Karpatenflüssen einen Besuch abzustatten. Wenn ich wieder mal nach Rumänien komme,
könnten wir doch anstatt zu wandern mal eine Paddeltour machen, meinte Răzvan.
Die Idee gefiel mir. Zwar bin ich kein Wildwasserprofi, doch hatte ich auf früheren Touren in
Kanada, Südfrankreich, Sibirien und der Schweiz schon Paddelabenteuer erlebt.
Unsere Wahl fiel auf zwei Flüsse in den Ostkarpaten: rund 90 km auf der Bistritz von
Cârlibaba (Kirlibaba) bis Broșteni und den Mureș von Toplița bis Răstolița (etwa 40 km). Als
Zeitraum veranschlagten wir zwei Wochen im Mai, dann wenn die Schneemassen des
Rodna und Călimani Gebirges sich in Wasser verwandeln und den Pegel der Flüsse
anschwellen lassen.
Kurz bevor es los geht überkommt mich immer eine Mischung aus Aufregung, Neugier und
Vorfreude. Dieser Reisestress legt sich, sobald der Rucksack auf den Schultern drückt und
die Knochen auf dem Weg zum Bahnhof in Schwung gebracht werden. Es soll heute wieder
sehr heiß werden, bis 28 ℃. Die Sonne scheint, doch es ist nicht wirklich warm, ein leichter
Wind lässt mich im Schatten des Bahnsteigs frösteln während ich mit durchgeschwitztem
T-Shirt auf den Zug wartete.
Aufgrund nicht nachvollziehbarer Sonderangebote der Bahn, war ich stolzer Besitzer eines
1.-Klasse-Tickets für 287 EUR und hatte nun endlich mal genügend Platz, um mich samt
Rucksack ins Abteil zu lümmeln. Der Schaffner verteilte Schokowaffeln und der Zug hatte 10
Minuten Verspätung. Ob's deshalb die Waffeln gab? Zum Glück wartete mein Anschlusszug
in München. Ich spurtete vom einen Ende des Bahnsteigs zum anderen und wunderte mich,
dass diese Beine einmal Marathon gelaufen sind. Völlig aus der Puste schwang ich mich ins
Abteil. Dort teilte ich meinen Platz mit vier Omis, deren norddeutscher Akzent unverkennbar
war. Besonders die Blumenpracht Bayerischer Wiesen begeisterte sie. Gelb leuchteten die
Blüten des Hahnenfußes zwischen dem saftigen Gras in der Nachmittagssonne. Und ich
erweiterte meine Botanikkenntnisse in dem ich den Gesprächen der Damen folgte.
„Hier gibt es noch echte Blumenwiesen.“
„Ja, daheim grabe ich den Löwenzahn immer aus.“
„Das ist kein Löwenzahn!“
„Ach ja, das sind Butterblumen.“
„Ja, Butterblumen.“
In Rosenheim leerte sich das Abteil und bis Wien fuhr ich allein. Der Zug hatte wieder
Verspätung. „Wegen Streckenstörung im deutschen Betriebsabschnitt“, so der Zugchef.
Damit wäre die Schuldfrage ja schon mal geklärt. Ich hetzte zum Bahnsteig 7 und
staunte nicht schlecht, dass ich mich diesmal
nicht über Koffer, Taschen und Plastikbeuteln zu meinem Bett durchkämpfen musste. Das
Abteil gehörte mir allein. Der Liegewagenschaffner nahm meine Reservierung und den
Fahrschein entgegen, wünschte mir eine Gute Fahrt und belehrte mich abends ja das Abteil
abzuschließen und auf mein Geld aufzupassen. Klar es ging ja wieder in den Osten und man
kann ja nie wissen…
Kurz vor der Grenze zu Ungarn sah ich die Karpaten zum ersten Mal. Deutlich erhoben sich
die Hundsheimer Berge am Horizont, vor einem Park aus Windrädern und über den Lichtern
von Bratislava erhob sich der Kamzík, Hausberg der Stadt und Beginn der Kleinen Karpaten.
Dann wurde es dunkel. In Budapest stieg noch ein Typ zu und bis auf die dusseligen
Passkontrollen an der Grenze zu Rumänien hatte ich meine Ruhe.
Mit nur 20 Minuten Verspätung stieg ich in Deva aus. Răzvan wartete bereits wie immer auf
dem Bahnhof. Ich freute mich schon auf das typische Rumänienfrühstück: Weißbrot,
Tomaten und Schafskäse. Diesmal hatte Răzvan noch eine Wurstspezialität aus Oltenien
besorgt und Ziegenkäse, natürlich den Besten seiner Meinung nach, den es hier zu kaufen
gibt – und was darf auf keinen Fall fehlen? Richtig - das Glas Begrüßungsțuică aus den
Westkarpaten vom Dorf seines Vaters.
Um mit dem Boot, einem Schlauchkanadier Modell „Palava“ der tschechischen Firma
GUMOTEX, vertraut zu werden schlug Răzvan vor zum Cinciș-See zu fahren und dort ein
wenig zu paddeln. Der Vorschlag gefiel mir, immerhin habe ich seit fast 4 Jahren in keinem
Boot mehr gesessen.
Wir packten also die Ausrüstung zusammen: Schwimmwesten, Helme, Paddel,
Neoprenanzug, Handschuhe, Schuhe, Signalpfeife usw. Alles verschwand in einem
wasserdichten Packsack. Ich war mir nicht mehr sicher, ob wir nur auf einem See paddeln
oder den Tsangpo befahren würden.
Der Cinciș-See liegt südlich von Hunedoara zwischen den Hügeln des Poiana Ruscă
Gebirges. Es ist ein Stausee, Anfang der 60er Jahre errichtet, um den Wasserbedarf der
Stahlwerke von Hunedoara (heute Mittal-Steel) sicher zu stellen. Als dem Cerna-Flüsschen der freie Abfluss
verweigert wurde, versanken im Tal 3 Dörfer. Die Menschen wurden ein Stück weiter im
Norden auf den umliegenden Bergrücken angesiedelt. „800 m² Land und Geld für 3 Autos
gab der Staat den Menschen“, so Răzvan.
Ein gutes Geschäft wie ich fand, doch das Wasser behielt auch seinen Teil. Mit den Dörfern
wurden auch die Friedhöfe überflutet und man munkelt, dass die Seelen der Toten ab und an
nachts als Geister über dem Wasser wandeln und jeden mit in die Tiefen ziehen der sie
beobachtet. Und es gab schon einige Unfälle auf dem Cinciș, berichtete Răzvan. An den
letzten erinnert ein Kreuz am Nordhang des Sees. Der Juniorenvizemeister des rumänischen
Kanusports verunglückte während des Trainings auf dem See, er wurde bis heute nicht
gefunden. Vor drei Jahren im März ist es passiert, ein Gewitter hatte ihn überrascht und
Windböen das Boot zum Kentern gebracht. Na, irgendwie war ich froh, dass es taghell war
und die Sonne schien.
Der See lag ruhig da, eingebettet zwischen den maigrünen Bergen des Ruscă Gebirges, ein
leichter Wind kräuselte die Oberfläche. Im Südosten, halb versteckt zwischen Wolken,
schauten die schneebedeckten Berge des Retezat zu uns herunter. Auf den Wiesen am
Seeufer gingen die Rumänen ihrer Lieblingsbeschäftigung nach, in der Sonne liegen und
Picknick machen. Ein hölzernes Klohäuschen soll für die nötige Sauberkeit am Strand
sorgen. Es ist eine ziemlich wacklige Angelegenheit, als ich mich vorn ins Boot setzte aber
schon nach einer Weile hatte ich die richtige Sitzposition raus. Wir paddelten ans südliche
Ende, wo die Cerna in den Stausee mündet. Ein paar Landzungen ragen weit ins Wasser.
Am Westufer stehen noch zwei alte verlassene Kirchen hinter Bäumen versteckt. Bei
niedrigem Wasserstand soll man sogar den Turm einer der Dorfkirchen sehen, die überflutet
wurden, sagt Răzvan. Auf dem Weg zurück machte uns ein aufkommender Wind das Leben
schwer. Immer wieder drehte er das Kanu in die falsche Richtung. Ein deutliches Zeichen,
dass unser Boot für diese Art Wassersport ungeeignet ist, es braucht schnelle Gebirgsflüsse
und die soll es auch bekommen.
Bevor es zurück nach Deva ging, wollte Răzvan mit mir noch in ein Lokal in Hunedoara
gehen wo es „die beste Ciorbă de burtă“ gibt. Mittlerweile habe ich im Hatzeger Land wohl
schon an über einem halben Dutzend Plätzen die beste Ciorbă de burtă gegessen. Aber
zugegeben die hier in Hunedoara schmeckte wirklich ausgezeichnet. Allzu viel durften wir
jedoch nicht verputzen, da Răzvan's Frau Andreea daheim schon mit einem Topf voll
Lammkeulen wartete…
Unser Ziel am nächsten Morgen war das Tal der Bistritz im Norden Rumäniens. Leider
hatten wir kaum gescheite Infos zu diesem Fluss in den Ostkarpaten. Răzvan hatte lediglich
zwei Seiten im Internet gefunden, von eine paar Raftern die dort paddeln waren, sowie
Luftbildaufnahmen, die meiner Meinung nach aber kaum dazu geeignet sind einen
Flussverlauf zu beurteilen. Ein weiteres Problem war unser Gepäck. Was sollten wir
mitnehmen? Sollte ich Zelt, Schlafsack, Isomatte usw. in Deva lassen? Gab es in den
Dörfern der Bukowina Unterkünfte? Wahrscheinlich schon, aber ob wir am Ende eines
Paddeltages eine finden würden? Wenn nicht, sähen wir ganz schön dumm aus. Nach
einigem Hin und Her entschloss ich mich mein Zelt doch mitzunehmen. Wir waren so einfach
flexibler. Als Start hatten wir uns das Dorf Cârlibaba ausgesucht. Was uns jedoch noch nicht
klar war, wie wir dort hinkommen sollten. Das Auto wollte Răzvan in Broșteni abstellen, dem
Endpunkt unserer Tour. Von dort mussten wir mit Boot und Gepäck irgendwie nach
Cârlibaba kommen. Răzvan hatte einen Studienkollegen, der jetzt als Chef der
Forstverwaltung in Crucea arbeitete, einem Ort nördlich von Broșteni. Vielleicht konnte der
uns helfen?
Er konnte, ein Anruf und wir hatten einen neuen Endpunkt – Crucea. Dort konnte Răzvan
sein Auto abstellen und jemand würde uns nach Cârlibaba bringen. Wir konnten unsere
Reise beginnen. Im Kofferraum und auf der Rückbank des Dacia stapelte sich unsere
Ausrüstung. An der Windschutzscheibe rückte Răzvan seinem Wagen mit Hightech zu
Leibe: ein Navigationsgerät kam in die Mitte, rechts daneben ein kleines Ding was
Radarfallen erkennen sollte und zu guter letzt wurde noch seine Bluetooth-Freisprechanlage
eingerichtet. Seinen Laptop konnte er leider noch nicht anschließen, da fehlte ihm noch der
entsprechende Konverter. Als alles verkabelt war und zu funktionieren schien konnten wir
starten. Beim Anblick soviel technischer Raffinesse in einem Oldie konnte ich es mir nicht
verkneifen seinen Dacia nun als „cable-car“ zu bezeichnen.
Die Peripherie Devas war nicht wieder zu erkennen, Bau- und Supermärkte bestimmten das
Bild, wo früher der Wind über staubiges Brachland fegte. Im Real-Markt wollte Răzvan noch
ein kleines Geschenk für seinen Forstkollegen in Crucea kaufen. Wir einigten uns auf eine
Flasche „Jidvei“ (Weißwein), immerhin hatte ich gute Erfahrungen mit diesem Wein gemacht.
Răzvan verschwand im Konsumgewirr, ich sollte im Auto bleiben, so ganz traute er seinen
Landsleuten doch nicht über den Weg. Die zweite Neuerung ist die Straße in Richtung
Sebeș (Mühlbach). Über ein schnurgrades Asphaltband jagte der Verkehr. Das Bild von
einst, wo Pferdewagen am Straßenrand entlang zuckelten, dürfte von dieser Straße für
immer verbannt sein. „Ist ja fast wie auf einer Autobahn“, drückte ich mein Erstaunen aus.
„Von wegen“, schimpfte Răzvan. „In fast 20 Jahren haben die nicht mal 40 Kilometer
Autobahn fertig gestellt. Die von Pitești nach Bukarest gab's schon vorher und die andere
ans Schwarze Meer ist 'ne ständige Baustelle. In der gleichen Zeit haben die Kommunisten
das ganze Land umgekrempelt.“
Hinter Alba Iulia (Weißenburg) wurde das Straßenbild wieder rumänischer und ab Blaj
(Blasendorf) war es so, wie ich es gewohnt war. Kühe, Hunde und die Dorfjugend spazierten
mitten auf der Fahrbahn und Răzvan versuchte im alpinen Slalomstil so wenige Schlaglöcher
wie möglich mitzunehmen. „Es ist ein Unding, dass im 21. Jahrhundert noch solche Straßen
existieren und das in einem Land, das Teil der EU ist!“ schimpfte er. „Kein Wunder, dass der
Dacia den Ruf weghat nicht lange zu halten. Kein Auto würde hier lange halten. Diese
Straßen wurden von Ceaușescu in den 60ern gebaut und seitdem hat keiner mehr was dran
gemacht.“ Das schlimmste Stück hatten wir von Blaj über Cetatea de Baltă (Kokelburg) bis
Târnaveni (Elisabethstadt). Schilder am Straßenrand preisen die Route als
Touristenattraktion: „Siebenbürgische Weinstraße“. Eine Attraktion war die Straße in
gewisser Weise sogar. Hinter Târnaveni wurde es besser. Ein Arbeitskollege hatte ihm den
Weg empfohlen, da es die kürzeste Strecke in Richtung Bukowina war. Doch erst mal ging
es durchs Land der Szekler, einer Ungarischen Minderheit in Rumänien. Vor den Häusern
saßen aber viele Zigeuner, Frauen in bunten Kleidern und Männer mit großen schwarzen
Hüten und Schnauzbart, so genannte Căldărari (Kalderasch, Kesselflicker-Zunft),
Metallhandwerker die hierzulande auch die Brennkessel zur Țuică-Destillation anfertigten
und mitunter recht wohlhabend waren, wie ich erfuhr.
Bald kamen die ersten grünen Hügel der Ostkarpaten in Sicht. Bei Sovata, einem Kurort,
überquerten wir das Gurghiu-Gebirge oben im Bucin-Pass (1287 m) lagen noch
Schneereste.
Die nächste Bergkette die wir überquerten kannte ich gut, das Hășmaș-Gebirge mit dem
Mördersee (Lacul Roșu) und der Bicaz-Klamm. Jetzt, Mitte Mai war es noch relativ ruhig,
aber die Kette der Souvenirbuden im Höllenschlund, dem wildesten Teil der Klamm, ließ auf
einen großen Andrang in der Urlaubssaison schließen.
Bald lichteten sich die Felsen und gaben den Weg frei in die Moldau. Wir fuhren am 34
Kilometer langen Bicaz-Stausee (Lacul Izvorul Muntelui) entlang. Die Sonne senkte sich
langsam hinter die Felsgebilde des Ceahlău-Massivs. Wie flüssiges Metall glitzerte das
Wasser des Sees, auf den grasbewachsenen Hängen blühten leuchtend gelbe Primeln.
Von Răzvan's technischen Spielereien verstand ich den Radardetektor am wenigsten. Das
Ding piepte ständig, sogar mitten in der Natur wo man alles, nur keinen Blitzer erwarten
konnte. Alle Hightech half aber nichts, hinter einer Kurve vor Poiana Largului stoppte uns
eine Polizeikontrolle. Hatte ich doch einiges über korrupte Polizeibeamte in Rumänien gehört
und wartete nun schon auf irgendeinen Vorwand womit der Typ uns das Geld aus der
Tasche ziehen konnte. Doch nichts dergleichen, er kontrollierte nur die Papiere wünschte
uns eine gute Weiterfahrt und empfahl uns sogar noch eine Pension wo wir übernachten
konnten.
Die Pension „Orizont“ in Farcașa liegt bereits im Tal der Bistritz und war ein nettes
Plätzchen. Um den Tourismus in der strukturschwachen Moldau anzukurbeln, wurden von
der EU Gelder bereitgestellt, was nun zur Folge hat, dass es in fast jedem Dorf
Übernachtungsmöglichkeiten gibt, die sich gegenseitig Konkurrenz machen. Gut für
Reisende, denn auf meinen früheren Touren habe ich kein Zimmer für rund 10 EUR
bekommen können. So blieb mehr Geld übrig, um die hiesigen Gerichte ausgiebig zu testen.
Wir bestellten die Speisekarte, Rubrik „Lokale Spezialitäten“ rauf und runter. Balmoș
(Maisbrei mit Schafskäse in saurer Sahne gekocht), Ciorbă de Rădăuțiană (saure
Hühnchensuppe), Tochitura (geschnetzeltes Schweinefleisch mit Maisbrei und viel
Knoblauch) stapelten sich vor uns auf dem Tisch. Morgen würde unser Boot deutlich mehr
Tiefgang besitzen. Doch Farcașa hat nicht nur eine nette Pension, hier beginnen auch
interessante Wanderwege. Auf einem Wegweiser steht „Wanderweg Ion Creangă“ mit rotem
Kreuz markiert. Der Weg ist dem berühmten rumänischen Erzähler gewidmet, der in dem
Nachbardorf Broșteni zur Schule ging und die 25 Kilometer-Strecke von seinem Wohnort
Humulești bis zur Schule zu Fuß zurückgelegt haben soll. Das musste ich mir merken.
Ab jetzt folgten wir der Bistritz stromaufwärts. Bis Crucea waren es nur noch wenige
Kilometer, doch da das Dorf kein Ortsschild hat und Răzvan's GPS nicht betriebsbereit war,
fuhren wir prompt vorbei. Es half nichts, wir mussten richtig altmodisch einen Anwohner nach
dem Weg fragen. Im zweiten Anlauf klappte es dann. Die Forstverwaltung befindet sich
gegenüber der Dorfpolizei. Wir betraten das Sekretariat der Forstverwaltung. Es war voll in
dem kleinen Raum. Hinter den Schreibtischen wurden Akten gewälzt oder auf der
PC-Tastatur herumgetrommelt. Răzvan fragte nach dem Chef, eine Dame bedeutete ihm zu
warten, da noch jemand bei ihm war. Wir warteten also bis es Răzvan zu lang wurde. Er
holte sein Handy raus und rief seinen Kumpel einfach an. Und siehe da die Tür öffnete sich,
sein Gesprächspartner verabschiedete sich und wir konnten eintreten. Gavril, so heißt der
Mann, hat die Statur eines Karpatenbären. Răzvan stellte mich als Bezwinger des gesamten
Karpatenbogens vor, was ich doch etwas übertrieben fand. Die Sekretärin servierte uns Tee
und Kaffee. Dann wurden Jugenderinnerungen ausgetauscht. Ich hockte daneben und
schlürfte meinen Tee. Gavril war der Meinung, dass die Bistritz zurzeit sehr viel Wasser hat.
Ich fragte mich ob das nun eher gut oder schlecht war.
Unser eigentliches Anliegen, eine Möglichkeit zu finden um nach Cârlibaba zu kommen,
wurde recht zügig abgewickelt. Gavril sprach mit einem Kollegen der uns fahren sollte.
Răzvan durfte seinen Dacia vor der Forstverwaltung abstellen, dann packten wir unsere
sieben Sachen in den Wagen der Forstmänner und los ging es.
Mich faszinierten die hübschen Holzhäuser in der Bukowina. Eine Pension in Ciocănești mit
dem Namen „Oița“ (Schäfchen) hatte ein Riesenosterei im Vorhof stehen (wohl ein Symbol
der hier noch lebenden Huzulen) und in Dorna Arini entsteht ein Kloster aus Holz, ähnlich
dem Kloster von Bârsana in der Maramureș. In Zugreni hielten wir an, denn hier wird die
Bistritz durch zwei Wehre angestaut und durch einen schmalen Kanal in jedem Damm
schießt die gesamte Wasserwucht des Flusses. Auf abgeschrägten Kanälen daneben
wurden früher Holzflöße über die Talsperre gesteuert. Diese Staustufen müssen wir
umtragen. Unser Fahrer zeigte uns eine geeignete Stelle, um an Land zu gehen, etwa 500
Meter stromauf.
Răzvan konnte es kaum noch erwarten auf die Beszterce zu kommen, wie er liebevoll den
Fluss auf Ungarisch nannte. Er vertraute voll und ganz auf Gott und seine Ausrüstung. Mir
machte der Wasserstand sorgen. Aber laut Răzvan's Internet-Recherchen war die Bistritz ein
Fluss für Anfänger und somit kein Problem. Nördlich von Vatra Dornei heißt die Bistritz
„Goldene Bistritz“ da sich im Herbst das goldene Laub der Bäume in den klaren Wellen der
Bistritz spiegelt. Einer anderen Auffassung zufolge führte der Fluss goldhaltigen Sand mit
sich und deshalb wurde hier in der Vergangenheit (bis Mitte des 19. Jh. meist von Zigeunern)
Gold gewaschen. Wie auch immer, die wohl wichtigste und gleichzeitig berüchtigtste
Tätigkeit auf der Goldenen Bistritz war jedoch die Holzflößerei. Die geöffneten Schleusen in
Cârlibaba ließen den Pegel des Flusses ansteigen und mit diesem starteten die Flößer zu
ihrer gefährlichen Fahrt durch die Nacht. Viele verloren ihr Leben in den Stromschnellen auf
der Strecke zwischen Dorna Arini und Holda.
Unzählige Stämme wurden auf dem Rücken des Flusses von Dorna nach Holda, Broșteni
oder bis Piatra Neamț und weiter auf dem Siret bis zur Donau transportiert. Erst mit dem
Bicaz-Stausee ging Anfang der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts die Epoche der Flößerei
auf der Bistritz zu Ende.
Wir erreichten Cârlibaba, ein altes Bergarbeiterdorf zwischen Suhard-Gebirge im Westen
und Obcina Mestecăniș-Gebirge im Osten. Ende des 18. Jahrhunderts siedelten hier
deutsche Bergleute aus der Zips, um die hier entdeckten Eisen- und Manganvorkommen
abzubauen. Die Siedlung soll aber schon viel älter sein und aus der Zeit des Fürsten Bogdan
I. (14. Jh.), dem Gründer der Moldau, stammen. Heute leben die Menschen in erster Linie
von der Forstwirtschaft.
Einen Platz zu finden, wo wir unser Boot zu Wasser lassen konnten, war nicht so einfach.
Der Fluss schoss an uns vorbei. Auf einem Stück Wiese im oberen Teil von Cârlibaba
packten wir unser Zeug aus, verabschiedeten uns von unserem Fahrer und bereiteten uns
auf das Flussabenteuer vor. Kinder am Straßenrand schauten zu. Răzvan fragte sie, ob sie
schon öfters so Verrückte wie uns hier paddeln sehen haben. „Ja schon“ war die Antwort.
„Bloß verrückt waren die nicht.“
Zwar bietet laut Hersteller das Palava-Boot platz für zwei Personen mit Gepäck, doch wie
viel Gepäck erwähnte GUMOTEX nicht. Unseres überschritt definitiv die Zuladungsgrenze. Mir
blieb nichts weiter übrig als meinen Sitz wieder abzubauen und mich auf meinen Rucksack
zu setzen. Nach einigen Startproblemen aufgrund der starken Strömung hatten wir endlich
den richtigen Kurs. Răzvan saß vorn und sorgte gewissermaßen für den Antrieb, ich hockte
im Heck und versuchte das Gefährt halbwegs geradeaus zu steuern. Trotz des hohen
Pegels ragten doch ab und zu Felsbrocken bis kurz unter die Wasseroberfläche. Răzvan
sollte mir die Dinger schon rechtzeitig melden, damit ich genug Zeit zum reagieren hatte.
Das lief dann so ab: „Da ist ein Stein.“ „Wo?“ „Na dort vorn!“ „Schramm...“ „Scheiße!“
Wir einigten uns schließlich auf links und rechts und bekamen somit das Felsproblem
einigermaßen in den Griff. Der Fluss macht viele Windungen und ich wurde jedes Mal vor
Neugier zerfressen, was uns wohl hinter der nächsten Kurve erwarten würde. Nach 2
Stunden, im Dorf Botoș auf Höhe der Kirche, sahen wir Wasser schäumen, um sich die
Stelle anzusehen war es zu spät. Ich versuchte nur noch so weit wie möglich nach rechts zu
fahren da es dort am wenigsten brodelte. „Hard paddle“, rief ich Răzvan zu – er bremste. Der
Bug des Bootes neigte sich nach unten, tauchte wieder auf, Wasser schwappte ins Innere.
Unser Gefährt neigte sich nach rechts und wir lagen kopfüber im Anfängerfluss Goldene
Bistritz. Das Wasser war nicht tief und wir krabbelten ans Ufer. Der Schaden hielt sich in
Grenzen, ein nasser Rucksack, eine Flasche Mineralwasser war den Bach runter gegangen
und wird sich wohl irgendwann zu ihren Geschwistern am Ufer gesellen und Răzvan hatte
sich einen Finger gestaucht.
Răzvan's Respekt vor dem Fluss war jetzt deutlich gestiegen, sobald die Wellen etwas höher
wurden kniete er sich tief in sein Kanu. Schwierigkeiten gab es aber keine mehr.
Wir waren eine Art Sensation auf dem Fluss, die Leute am Ufer winkten, pfiffen oder
riefen uns etwas zu, was ich nicht verstand. Nach 4 Stunden war es Zeit an Land zu gehen,
meine Beine spürte ich kaum noch vom Langen knien. Wir hatten bereits Iacobeni hinter uns gelassen.
Von dem einstigen Wehr, dass die Bistritz hier staute, um den Flößereibetrieb auch bei
Niedrigwasser zu gewährleisten ist heute nichts mehr zu erkennen.
Răzvan entdeckte ein schönes Stück Wiese, das nicht eingezäunt war. Wir paddelten ans
Ufer und legten das Boot und uns selbst trocken. Die Wetterprognosen im Internet verhießen
nichts Gutes für den nächsten Tag. Im Norden der Karpaten waren lokal starke
Gewitterschauer angekündigt.
Nebel lockte uns am nächsten Morgen nicht gleich aus den Schlafsäcken. Nach und nach
leckten die Sonnenstrahlen die Nebelfetzen auf. Das Wasser der Bistritz war brauner als
gestern. Noch drei Stromschnellen mussten wir durchfahren, doch unfreiwillig baden gingen
wir nicht mehr. Warum Răzvan rückwärts paddelte wenn ich „Hard paddle!“ rief klärte sich
auch auf – er hatte „Back paddle!“ verstanden. Im Kommunikationszeitalter richtig zu
kommunizieren ist halt nicht so einfach.
Ab Vatra Dornei mündet von Westen die Dorna in den Fluss und raubt der Bistritz den
Beinamen „Goldene“. Als Bistritz fließt sie nun weiter nach Nordosten, macht bei Zugreni
einen Bogen und windet sich dann südostwärts, bis ihr der Stausee Izvorul Muntelui Einhalt
gebietet. Wolken sind mittlerweile aufgezogen und es fängt an zu regnen. Der Fluss ist breit
und friedlich geworden, leider auch etwas langweilig. Ein kalter Wind pfeift die Berghänge
hinunter. Bis Zugreni, und damit zum Wehr ist es nicht mehr weit. Nach ein paar Biegungen
kommt die Stelle in Sicht, die uns der Fahrer gezeigt hatte. Wir müssen vom Fluss. Die
Entscheidung auszusteigen fällt Răzvan ziemlich schwer wie es scheint. Entweder ist das
Ufer zu schlammig, zu sandig oder das Wasser zu tief. An einer kleinen Bucht warte ich nicht
mehr länger sondern hüpfe einfach aus dem Boot, egal ob es nun dreckig wird oder nicht.
Eine Insel teilt die Bistritz, und an beiden Flussarmen wurden Wehre errichtet. Ich kannte
den Ort. Auf der Insel steht die Zugreni-Hütte (Cabana Zugreni) und auf der Wiese am Ufer
hatte ich vor 8 Jahren gezeltet, als ich vom Rarău-Gebirge abgestiegen war. Hinter der Insel
am Zusammenfluss der beiden Arme beginnt die Zugreni-Schlucht.
Wir legten das Boot auf der Zeltwiese ab. Răzvan möchte gleich weiterpaddeln, ich wollte
mir aber erstmal den Schluchteingang näher betrachten. Und das war gut so, denn der
nächste Kilometer war eine einzige Stromschnelle. Mit großer Wucht schossen die
Wassermassen durch die Engstelle. Unser Boot war zwar bis WW3 tauglich, ich jedoch
nicht. Das war mir einfach zu schwierig, um hier kontrolliert durchfahren zu können. Răzvan
war ebenfalls der Meinung, dass es eine Nummer zu groß für ihn sei.
Er ärgerte sich über die zwei Typen, auf deren Seite er im Internet ein paar Infos
über die Bistritz erhalten hatte. „Die haben mir geschrieben, dass der Fluss langweilig
gewesen war.“ „Schreib ihnen doch 'ne Mail, jetzt können sie ihren Spaß haben“, frotzelte ich.
Wir beschlossen hier unsere Paddeltour zu beenden. Immerhin haben wir die schönsten 60 Kilometer auf der
Bistritz kennen gelernt.
Răzvan musste die 15 km bis Crucea trampen und das Auto holen. Er mochte nicht trampen.
Auch ich hatte im Laufe der Jahre immer schlechtere Erfahrungen gemacht. Je größer und
teurer die Autos der Rumänen wurden desto schwieriger wurde es eine Mitfahrgelegenheit
zu bekommen, das Misstrauen der Menschen schien mir offensichtlich. Wurden wir 1988
noch zu viert mit Gepäck ohne Probleme mitgenommen, musste ich in den letzten Jahren
schon mal eine Nacht am Straßenrand verbringen weil nichts lief. Er hatte Glück eine
Angestellte aus der Forstverwaltung erkannte uns und nahm ihn mit bis Crucea. Ich blieb
derweil beim Gepäck.
In Crucea erzählte uns Gavril, dass es im Călimani-Gebirge sehr stark geregnet hatte. Somit
war auch klar warum die Bistritz randvoll war. Ich dachte mir: 'Wenn jetzt jemand die beiden
Jungen in Cârlibaba fragen würde, ob sie schon öfters so Verrückte gesehen hätten, die auf
der Bistritz gepaddelt sind, könnten sie sagen „Ja Zwei“.' Wenn der Mureș genauso viel
Wasser hat würden wir ihn nicht paddeln. Aber erst mal wollten wir in der Pension „Orizont“
in Farcașa etwas für unser leibliches Wohl tun und danach etwas fürs Seelenheil – ein
Besuch der Klöster des Kreises Neamț im Stânișoara-Gebirge.
Im Rodna-Gebirge, unterhalb des 1907 m hohen Gărgalău-Sattels (Șaua Gărgalău), liegt die
Quelle der Bistritz. Als Goldene Bistritz (Bistrița Aurie) fließt sie vom Lacul Izvoru Bistriței zu
Tal. Bei Cârlibaba erreicht sie die südliche Bukowina und fließt nun nach Südosten zwischen
Suhard Gebirge und Obcina Mestecăniș über Iacobeni nach Vatra Dornei. Dort mündet von
Westen die Dorna ein. Als Bistritz fließt der Fluss nun im Bogen um die nördlichen Ausläufer
des Bistritza-Gebirges (Munții Bistriței), um anschließend erneut nach Südosten sich seinen
Weg zu bahnen. Als Hauptzufluss des Stausees Izvorul Muntelui (Bicaz-Stausee) dient sie
der Energieversorgung der Region. Von Bicaz aus behält sie die Richtung bei und verlässt
bei Piatra Neamț die Ostkarpaten. Schließlich mündet sie nach rund 290 km hinter Bacău in
den Siret.
Wir sind den Fluss von Cârlibaba bis Zugreni (rund 60 km / 2 Tage, 7 ½ h) gepaddelt (WW I -
III). Es gibt eine Portage (rund 800 – 1000 m) beim Wehr von Zugreni. Es ist schwer zu
sagen welches die Beste Zeit für eine Paddeltour auf der Bistritz ist. Wir waren im Mai
unterwegs und der Wasserstand auf der von uns gepaddelten Strecke war okay. Für die
Zugreni-Schlucht hätte ich mir etwas weniger gewünscht.
Neamț bedeutet auf Deutsch, deutsch, und deutsche Siedler sollen im Mittelalter die Ursache gewesen sein für die Namensgebung dieses Gebietes. Dass der Einfluss dieser Siedler so groß war, dass selbst ein Kloster diesen Namen übernommen hat, wird mir ein Rätsel bleiben. Immerhin siedelten Deutsche im Laufe der Geschichte an vielen Orten der Karpaten und nirgends war die Namensprägung derart bezeichnend wie halt in der Region Neamț.
Unser erstes Ziel hieß Kloster Sihăstria. Seinen Namen verdankt das Kloster seinem
Gründer Sihastru Anastase. 1655 gründete er es zusammen mit seinen Schülern.
Schwere Zeiten durchlebte das Kloster. 1821 brannten die Osmanen die Klosterkirche
nieder, 3 Jahre später erstrahlte sie in neuem Glanz.
Der Klosterheilige heißt Vater Cleopa Ilie, ein sehr weiser, frommer und intelligenter Mann,
der das Kloster als Abt vier Jahre lang führte. Als Sohn armer Bauern kam er 1929 als
Novize in das Kloster. Da sich sein Ruf weit über die Klostermauern hinaus verbreitete,
wollten ihn viele Menschen sehen, um bei ihm Trost zu finden, was den Regierenden ein
Dorn im Auge war. Auf Druck der Kommunisten musste er schließlich das Kloster verlassen.
Daraufhin begab er sich für mehrere Jahre als Einsiedler in die Berge der Karpaten. Am 2.
Dezember 1998 starb er im Alter von 86 Jahren. Sein Porträt schaute mir auf jedem zweiten
Druckerzeugnis des Klosterladens entgegen.
Handwerker und Mönche werkelten gerade an einem neuen Tor des Klostereingangs herum.
Es ähnelte sehr den Holztoren aus der Maramureș. Insgesamt machten auf mich die Mönche
des Klosters einen sehr geschäftigen Eindruck. Emsig huschten sie über den Klosterhof,
einer tuckerte sogar mit einem kleinen Traktor herum.
Nur vor dem Souvenirstand standen wir vor verschlossenen Türen bzw. Fenstern. Răzvan
gefiel ein hübsch geschnitztes kleines Holzkreuz was er kaufen wollte und war bereit dafür
schon mal eine Stunde Wartezeit in Kauf zu nehmen. Mir war es recht, konnte ich doch
gemütlich durch die Anlage pilgern und Fotografieren. Ein überdimensionaler Weinbottich in
einer Nische der Klosterwand lässt ein feucht fröhliches Klosterleben vermuten.
Das Kloster Secu liegt am Anfang des Secu-Tales nur wenige Kilometer von Sihăstria
entfernt. Die Nonnen waren gerade am Großreinemachen. Von der Brüstung der
Klostermauer wurden die Waschschüsseln im Hohen Bogen entleert.
Aus einer einfachen Einsiedelei des Eremiten Zosim von 1560 ließ im Jahre 1602 Fürst
Nestor Ureche das Kloster errichten. Mit seinen dicken Mauern erinnerte es mich ein wenig
an die Moldau-Klöster Moldovița oder Sucevița. Vor dem Kloster verkauften Bäuerinnen
Esswaren – Marmeladengläser mit einer rosafarbenen Substanz darin. Das Zeug heißt
Șerbet, erfuhr ich. Șerbet wurde der rumänischen Oberschicht früher auf einem kleinen
Glassteller serviert, dazu reichte man ein Glas Wasser. Das probierst'e auch mal, sagte ich
mir und kaufte ein Glas von der Omi am Straßenrand. Nach dem ersten Löffel voll, war ich
froh nicht zur rumänischen Oberschicht zu gehören. Das Zeug war so widerlich süß, dass es
einem die Zähne aus dem Kieferknochen zog.
Wir verließen das Tal unser nächstes Ziel war das älteste Kloster der Moldau-Region – das
Kloster Neamț.
Ein Bettler empfing uns am Eingang des Klosters. Dies schien den Mönchen gar nicht recht
zu sein, als er von Männern aufgefordert wurde das Weite zu suchen, schmiss sich der Mann
zu Boden, wälzte sich im Dreck und schrie und zeterte.
Den Ursprung des Klosters bildete ein Sket (Vorstufe eines Klosters) das Petru I. Mușat im
14. Jh. errichten ließ. Das eigentliche Kloster Neamț war etwas später das Werk Stefan des
Großen, als Dankesgeste über den Sieg auf dem Schlachtfeld gegen König Ioan Albert.
Militärische Erfolge waren übrigens der Grund für das Entstehen der meisten Klöster in der
Moldau. Das Kloster wurde 1497 fertig gestellt. Hier liegt der Onkel des großen Stefans,
Stefan II. begraben. Über ein Grab führt auch der Weg zum Eingang der 40 m langen
Klosterkirche. Eine Steinplatte soll sich wie von selbst gehoben haben und als Archäologen
der Sache auf den Grund gingen, entdeckten sie ein Grab mit den Gebeinen eines Mannes,
laut Beschreibung der Heilige Paisie Velicicovski, einer der berühmtesten Äbte des Klosters,
der am Berge Athos zum Mönch geweiht wurde. Er übersetzte viele Bücher ins Rumänische.
Das Kloster ist berühmt für seine handgeschriebenen Bücher. Die über 600 Jahre alte
Bücherei des Klosters besitzt mehr als 11.000 Bände, viele davon seltene Erstausgaben in
Rumänien.
Die Bilder im Innern der Kirche sind vom Ruß überdeckt und kaum noch auszumachen.
Die nächsten beiden Klöster kannte ich bereits von einer früheren Karpatentour – Agapia
und Văratec. Genauer gesagt kannte ich von den beiden Agapia Klöstern (Agapia Veche –
Alt-Agapia, auf einem Hügel gelegen und Agapia Nouă – Neu-Agapia im Tal gelegen) nur
das Agapia vom Tal, und auch dieses Mal blieb es bei einem Besuch des neuen Klosters. So
neu war es nun aber auch wieder nicht. 1642 bis 1647 wurde es vom Bruder des Fürsten
Vasile Lupu, Gavril Coci und seiner Frau Liliana im Tal des Agapia-Flusses errichtet. In der
Klosterkirche, die den beiden Erzengeln Michael und Gabriel gewidmet ist, beteten gerade die
Nonnen. Agapia war nicht immer ein Nonnenkloster, bis 1803 lebten in dem Kloster Mönche.
Im Gegensatz zu den drei Klöstern die wir zuvor besuchten, wimmelte es hier von Touristen.
Eine Gruppe löste die nächste ab. Mit den Worten „Die Nonnen mögen es nicht fotografiert
zu werden!“ brachten die Reiseleiter meinen Landsleuten die nötigen Verhaltensregeln bei.
Der Klostergarten in Agapia war eine Pracht – Tulpen in allen Farben, selbst schwarze
blühten vor der Klosterkirche. Răzvan kam mit seiner Kamera vorm Auge gar nicht mehr aus
der Hocke. Blumenmotive besonders Rosen sind auch das Motiv der Teppich- und
Stickereiarbeiten der Nonnen. Selbst für Ceaușescus „Palast des Volkes“ (heute
Parlamentspalast) in Bukarest fertigten die Nonnen Teppiche, was ihr Kloster vor einer
Schließung durch die Kommunisten bewahrte.
Văratec ist das jüngste Kloster auf unserer Tour, nur wenige Kilometer von Agapia entfernt. Nonnen ließen zwischen 1781 bis 1787 ein Sket errichten mit einer kleinen Holzkirche. Die heutige Kirche wurde zwischen 1808 bis 1812 errichtet. Die rund 500 hier lebenden Nonnen widmen sich ebenfalls wie in Agapia der Stickerei, dem Weben von Teppichen und der Ikonenmalerei. Doch auch die Dorfjugend war recht geschäftstüchtig. Ein Mädchen verkaufte Răzvan ihre Fruchtsirupbestände.
Einen Besuch des Klosters Horaița ließen wir ausfallen. Die Straße war in einem dermaßen
miserablen Zustand, dass Răzvan sie seinem Dacia nicht zumuten wollte. Seine Begründung
jedenfalls fand ich lustig: Er hatte Angst sich einen Nagel in die Reifen zu rammen. Über den
Fluss wurde eine provisorische Holzbrücke gebaut, die einen schon etwas abenteuerlichen
Eindruck vermittelte. Dass aus den Bohlen Nägel herausragen würden, konnte ich mir nun
aber doch nicht so recht vorstellen. Aber wir sind ja im Land der unbegrenzten
Unmöglichkeiten und wer weiß...
Auch die Fahrt durch Piatra Neamț war ein Abenteuer. Die Stadt, auch „Perle Moldawiens“
genannt, überfluteten gerade Gewittergüsse – die Perle war somit in ihrem Element. Die
Straße ähnelte dem Bachbett der Bistritz. Arbeiter schaufelten Geröll und Sandmassen von
den Kreuzungen im Stadtzentrum.
Răzvan musste tanken und das tat er nicht an jeder Tankstelle. Diese musste der OMV AG
gehören. Nicht dass er ein Österreich-Fan war, doch dort erhielt er Sammelpunkte die ihm
irgendwann einen Fußball für Tudor einbrachten. Auch wenn dieser bei 4,05 (1,11 EUR)
Lei/Liter der teuerste Fußball Rumäniens sein dürfte.
Das Kloster Bistrița bildete den Abschluss unserer Besichtigungstour. Es liegt ziemlich
versteckt ein paar Kilometer westlich von Piatra Neamț, Hinweisschilder entdeckten wir nicht,
doch Răzvan's GPS ließ sich nicht täuschen und führte uns auf den rechten Pfad.
Wie Neamț ist auch das Mönchskloster Bistrița ein sehr altes Kloster. 1402 soll es vom
Fürsten Alexandru cel Bun (Alexander der Gute) gegründet worden sein. Heiligtum von
Bistrița ist eine Ikone mit dem Bildnis der Heiligen Anna und ihrer Tochter Maria, ein
Geschenk des Kaisers von Byzanz Manuel II. Palaiologos.
Ich lief nur noch einmal rund um die Klosterkirche, hatte keine Lust mehr hinein zu gehen.
Sechs heilige Orte an einem Tag reichten, da waren wir uns einig.
Nach einem kurzen Stopp in Bicaz – wir brauchten Geld – entschlossen wir uns noch weiter
zufahren, entlang des Bicaz-Sees bis zum Ferienort Durău am Fuße des Ceahlău-Massivs.
Der Ort wirkte trostlos und leer. Die meisten Unterkünfte hatten noch geschlossen. Bei
einigen schien es mir, als ob sie überhaupt nicht mehr öffnen würden. Schließlich fanden wir
eine in einer Nebengasse mit dem Namen „Vila Cristina 2“.
Im Empfangsraum langweilte sich das Personal, im Fernseher an der Wand lief ein
Softporno. Wir bekamen ein Zimmerchen für 84 Lei im obersten Stock. Hier war alles zu
klein, das Zimmer, das Bad, die Dusche und die Betten. Dementsprechend unausgeschlafen
starteten wir am nächsten Morgen in Richtung Mureș. Auf unserem Weg lag Borsec, ein
Kurort, der vor allem durch sein Mineralwasser in ganz Rumänien bekannt war. Die 1,5 l
Sprudelflaschen gibt's fast in jedem Karpatenkiosk zu kaufen. Da wir nun sozusagen an der
Quelle waren, wollten wir von dieser auch gebrauch machen. In Borsec sprudelt das
Mineralwasser gleich aus mehreren Quellen aus den Hängen des Bilbor-Bergrückens. Jede
Quelle hat einen Namen bzw. eine Nummer. Wir folgten einem Schild, das zur Petőfi-Quelle
Nummer 11 wies.
Răzvan sammelte sämtliche Plastikflaschen ein, die sich im Laufe der Zeit im Auto
angesammelt hatten und füllte sie mit dem begehrten Nass. Ein Schild über der Quelle listete
die Inhaltsstoffe des Wassers auf: CO2 1540;
HCO3 1555,5;
Cl- 12,9;
SO42- 16,8;
Na+ 41,12;
K+ 7,82;
NH4+ SLD;
Ca2+ 266,4;
Mg2+ 127,14;
Fe2+ 2,57 und
Mn2+ 0,4.
Sollte ich das wirklich
trinken? Doch der Cocktail schmeckte nicht schlecht und sprudelte sogar ein wenig im Mund.
Der Ort selbst hinterließ bei mir einen traurigen Eindruck, viele der einst hübschen Villen
waren bereits zerfallen oder gammelten so dahin.
Hinter Borsec ging es auf Serpentinen hinauf in den Creangă-Pass (auch Borsec-Pass) und
von dort tief hinunter ins Tal der Toplița, dem Kältepool Rumäniens. Eingebettet zwischen
den Călimani- und Giurgeu-Bergen im Norden bzw. Osten und dem Gurghiu-Gebirge im
Westen, sind hier Winter mit mehr als 40 Grad unter Null keine Seltenheit.
Hinter Toplița sahen wir den Mureș zum ersten Mal und waren recht erstaunt – der Fluss
führte im Vergleich zur Bistritz Niedrigwasser. Es wunderte mich, dass auf der Ostseite der
Karpaten die Flüsse überliefen und hier konnte man an einigen Stellen die Kiesel im
Flussbett zählen. Meiner Meinung nach hätte man einen Paddelversuch wagen können. Für
Răzvan war es aber zu wenig Wasser, er befürchtete, dass sein Boot von den Steinen im
Fluss in Mitleidenschaft gezogen werden könnte. Mein Problem war dagegen die Logistik.
Einen Tag würden wir für die Strecke Toplița – Răstolița brauchen. Zwar hätten wir von
Răstolița mit dem Zug zurück bis Toplița fahren können, nur hatten wir keine Möglichkeit
unser Auto sicher abzustellen, und es einen Tag mit Gepäck irgendwo in einem Dorf an der
Hauptstraße abzustellen, war mir auch nicht recht. Wir verzichteten auf den Mureș und
beschlossen stattdessen Kurs nach Norden zu nehmen ins Land hinter dem Mureș - die
Maramureș.
Eine Sache die mir schon lang unter den Nägeln brannte war eine Fahrt mit der
Wassertalbahn in die Waldkarpaten. Vor 8 Jahren auf einer Wanderung durch das Tal der
Vaser, Valea Vaserului – dem Wassertal, fuhren die Waldarbeiter leider nur mit einer kleinen
Diesellok in die Berge. Nun bot sich mir die Gelegenheit eines zweiten Versuchs. Um sicher
zu gehen ließ Răzvan wieder mal seine Kontakte spielen. Er holte sein Handy raus und rief
einen Kollegen an – in Moisei/Maramureș. Kurz darauf antwortete dieser. Morgen um 8:30
Uhr konnte es vom Werksbahnhof des Sägewerks im Nachbarort Oberwischau (Vișeu de
Sus) losgehen. Das fand ich toll.
Ein Werbeschild am Straßenrand hinter Reghin erinnerte uns daran, auch mal endlich Mittag
zu machen. „Pension Izvorul“, stand dort mit dem Untertitel: „The Best“. Das Beste an
diesem Ort war, dass es nichts zu Essen gab. Doch wir wurden für die Enttäuschung
entschädigt, ein Stück weiter im Restaurant „Glasul Pădurii“ – „Die Stimme des Waldes“
speisten wir vorzüglich. Durch die Țibleș-Berge über den Șetref-Pass ging es in die
Maramureș. Im warmen Licht der Abendsonne leuchtete der Pietrosul – höchster Berg des
Rodna-Massivs – zwischen den saftigen Almwiesen der umliegenden Hügel. Die Maramureș
ist ein Gebiet der Karpaten, das ich immer aufs Neue besuchen kann, und es ist immer
wieder interessant und lohnt sich.
Rings um den Bahnhof in Oberwischau wimmelte es von Pensionen und
Übernachtungsmöglichkeiten. Wir erhielten ein Zimmer in der Pension „Sanda“. Vișeu und
Vaser, die beiden größten Flüsse der Region brachten Răzvan wieder auf Paddelgedanken.
Er nahm sich vor, morgen während der Bahnfahrt den Wasser-Fluss genau zu inspizieren.
Der Hinweis unseres Gastgebers, dass schon öfter Tschechen mit Kanus den Fluss
hinuntergefahren sind, ließ ihn schon wieder in Euphorie schwelgen.
Am nächsten Morgen standen wir pünktlich am Bahnhof. Die Dame im Büro bedeutete uns,
noch zu warten. Sie wollte erst dann Tickets verkaufen, wenn genug Passagiere eingetroffen
sind. Da musste sie aber nicht lang warten, vor dem Bahnhofshäuschen bildete sich mit der
Zeit eine kleine Menschentraube. 30 Lei (rund 8 EUR) kostete der Fahrschein. Wir werden
vermutlich 8 bis 9 Stunden unterwegs sein. Über dem Bahngelände erhob sich eine
Dampfwolke, unsere Lok wurde bereitgestellt. Sie heißt „Cozia 1“, eine in Reschitza gebaute
Dampflokomotive. Die zweite Lok „Helveția“ war für eine Hochzeitsgesellschaft reserviert
und würde uns wenig später folgen. Das schöne an der Wassertalbahn ist, das Gefühl zu
haben, nicht in einem reinen Touristenzug zu fahren. Denn die Dampfbahn ist immer noch in
erster Linie das Transportmittel der Waldarbeiter, Bergbauern und Hirten. Und so teilten wir
uns auch ein Abteil mit Forstleuten aus Oberwischau. Deren Reiseverpflegung bestand in
1,5 Liter Borsec-Mineralwasserflaschen, gefüllt mit selbst gebranntem Horincă. Nach einer
Stunde fehlten bereits zwei Drittel des Inhalts und das bei nur 4 Personen. Dass die in der
Lage waren heute noch zu schaffen wird für mich ein Rätsel bleiben. Immerhin soffen sie
diesmal nicht Desinfektions-Alkohol pur, wie ich es vor 8 Jahren in einer Forststation im
Novăț-Tal erlebt hatte. Ein Brotstück diente als Filter, um den blauen Farbstoff
zurückzuhalten, anschließend goss man sich die Brühe in den Schädel.
Unser Bähnle musste ab und zu pausieren, so wurde Kühlwasser aus einem Bergbach
nachgefüllt, oder Brennstoff in Form dicker Holzscheite musste vom Transporthänger auf die
Lok umgeladen werden. Vor uns fuhr eine Diesellok, die neue Schienen für die Strecke
transportierte. Die Wartung der Schienen ist wohl der kostenintensivste Faktor den die
Waldbahn zu verkraften hat. Auf dem Weg wurden noch weitere Waldarbeiter aufgelesen.
Wer mitfahren wollte, musste schon etwas Kondition besitzen, extra anhalten war nicht drin.
Da hieß es einen kurzen Spurt einlegen und sich gekonnt auf die Plattform des Waggons
schwingen.
Răzvan's Traum von einer Rafting-Tour auf der Vaser erstarb schon nach der ersten
Flussbiegung. Schwere Stromschnellen, künstliche Wasserfälle und quer liegende
Baumstämme machten das Befahren unmöglich. Das Wassertal ist durch den Forstbetrieb
stark in Mitleidenschaft gezogen worden, wie verkrustete Narben fressen sich die
Holzabfuhrpisten die Hänge hinauf.
In Făina war für uns Endstation. Manchmal fährt die Bahn auch noch ein Stück weiter das
Tal hinauf, bis kurz vor die Grenze zur Ukraine. Die anderen Touristen folgten den Schienen,
um eine kleine Holzkirche mitten im Wald zu besichtigen. Wir machten Mittagspause, die
Waldarbeiter rangierten mit Hilfe schwerer Forstmaschinen die Hänger, die zurück nach
Oberwischau sollten, auf die richtigen Gleise. Unser Bähnle wurde für die Rückfahrt
bereitgestellt. Unsere Touristen trafen ein und auch die Waldarbeiter beeilten sich ihr Bier
auszutrinken. Die leeren Flaschen flogen in hohem Bogen ins Wassertal. Răzvan's
Kommentar: „Die Rumänen halten ihre Abfallbehälter sauber und besudeln ihre Umwelt.“
Dem war im Augenblick nichts hinzuzufügen. Zwar gibt es in Rumänien kein
Recycling-System mehr wie bei uns. In Supermärkten bekommt man noch kein Pfand für sein Leergut,
bezahlen muss man die Flaschen trotzdem, die dann lediglich gegen den Kauf voller Flaschen
angerechnet werden. Aber das ist mit Sicherheit nicht der Grund weshalb der Müll die
Karpatenlandschaft verziert. Wenn die Ente nicht schwimmen kann, ist auch nicht das
Wasser schuld.
Auf dem Rückweg sammelte unser Zug halb Oberwischau ein, wie es mir schien. Es war
Samstagnachmittag und jeder im Tal wollte die letzte Gelegenheit nicht verpassen, heim zu
kommen. Bald hatten wir Verhältnisse wie in Indien. Der Holzwagen quoll schon über, selbst
auf den Trittstufen hockten die Leute, nur das Dach war noch frei. Das Aussteigen
funktionierte genauso wie das Einsteigen, wer an seinem Haus vorbeikam hüpfte einfach
vom Zug. Um 16:30 Uhr endete unser Waldbahnabenteuer in Oberwischau. „War's gut?“
fragte mich der Schaffner. Klar, und sicher wird es nicht meine letzte Fahrt mit der
Wassertalbahn gewesen sein. Vielleicht mal eine Wintertour? In unserem Waggon stand ein
kleiner Kanonenofen, daneben ein Eimer mit Holz – wenn es mal kalt ist. Und wenn das nicht
reicht – es gibt ja noch 1,5 Liter Flaschen mit Borsec-Wasser a la Maramureș.
In unserer Pension in Farcașa hatten wir typische Gerichte der Bukowina probiert, das
müsste doch auch in der Maramureș möglich sein, dachten wir uns. Răzvan fragte unsere
Wirtin, die überlegte kurz und willigte dann ein etwas zu kochen. Nach einer Stunde kam sie
zurück und stellte uns eine dampfende Schüssel auf den Tisch. Coleș cu brânză nannte sich
das Gericht, eine Art Polenta (mămăligă) mit Schafskäse und Speck in Schichten zwischen
dem Maisbrei und als Dessert ein Glas Horincă.
Die Wassertalbahn, offiziell CFF (Caile Ferate Forestiere) Vișeu de Sus, soll laut
Reiseliteratur die letzte Waldbahn Europas sein. Im Volksmund wird sie auch „Mocănița“ (die
Bergbäuerin) genannt – abgeleitet von Mocani (Motzen), einer Volksgruppe des
Apuseni-Gebirges, war es ursprünglich der Name für die Dampfbahn von Turda nach Câmpeni, deren
Betrieb aber 1997 eingestellt wurde. Während meiner Karpatentour 1997 fuhr auch noch die
Waldbahn von Covasna nach Comandău. Offensichtlich wurde auch deren Betrieb
eingestellt, so dass die Wassertalbahn tatsächlich als einzige überlebte. Doch auch der
weitere Betrieb der Wassertalbahn ist keineswegs sicher. Heute muss rentabel gearbeitet
werden und da fangen die Probleme an. Die Dampfloks sind meiner Meinung nach nicht der
größte Kostenfaktor sondern die Wartung und Instandsetzung des Schienensystems. Das
Wassertal durchzieht bereits ein dichtes Netz an Forstwegen. Es fehlen nur noch ein paar
Verbindungsstücke und Oberwischau wäre angeschlossen, was das Aus der Waldbahn
bedeuten würde. Die einzige Überlebenschance wären Touristen. Deswegen hat sich der
schweizerische Verein „Hilfe für die Wassertalbahn“ das Ziel gesetzt, die Zukunft der
Waldbahn zu sichern. Dank dieser Bemühungen fährt die Wassertalbahn heute noch.
Info: www.wassertalbahn.ch
Mo – Sa fährt die Bahn von Oberwischau (Vișeu de Sus bis Făina im Wassertal – 31,2 km). Die Abfahrts- und Ankunftszeiten sind am Bahnhof des Sägewerks in Oberwischau angeschrieben, man sollte sie aber nicht so genau nehmen. Bei einer Fahrt mit der Wassertalbahn ist der Weg das Ziel und auf diesem Weg kann das Bähnle auch schon mal etwas länger unterwegs sein.
Private Pensionen oder Zimmer gibt es in Oberwischau reichlich. Eine ganze Handvoll schon in Bahnhofsnähe. Wir übernachteten in der Pension „Sanda“, Str. Moldova, nr. 1, RO-435700 Vișeu des Sus, Maramureș.
Außer der Wassertalbahn hat die Maramureș aber noch mehr zu bieten, zum Beispiel ihre
Holzkirchen, die schönsten so sagt man, stehen in den Dörfern im Tal der Iza und da wollten
wir hin. Doch vorher fuhren wir in entgegengesetzter Richtung auf den Prislop-Pass, der das
Rodna und Maramureș-Gebirge verbindet. An den Berghängen blühten noch die Krokusse
und auf dem Pass war ein neues Kloster gerade im Entstehen. Răzvan wollte noch mal die
Goldene Bistritz sehen, die hier im Rodna-Gebirge entspringt.
Der Fluss ist stark verbaut. Durch künstliche Wasserfälle soll sich das Wasser zusätzlich mit
Sauerstoff anreichern, damit in dem Fluss mehr Forellen leben können als es normalerweise
der Fall ist. Răzvan gefiel die Landschaft sehr. „Wie in Kanada fühlt man sich hier.“ Und er
hatte recht, das Bild von dunklen Tannen- und Fichtenwäldern, die zu beiden Seiten der
Goldenen Bistritz sich die Hänge empor mühten und oben den schneebedeckten Gipfeln des
Rodna-Kammes wichen, konnte auch gut in die Rockies passen.
Über Borsa und Moisei fuhren wir zurück ins Iza-Tal. Zum einen war es noch der typische
Vertreter der Maramureș, den ich vor 8 Jahren kennen gelernt hatte. Frauen und Männer
zum Teil in Volkstracht, hockten noch auf Holzbänken am Straßenrand vor ihren Häusern
und schwätzten, spielten Karten oder schauten einfach neugierig Touristen zu, die mit
kleinen Digitalkameras bewaffnet ihre Kirchen fotografierten. Das freute mich, denn ich hatte
schon befürchtet, dass diese Kultur ebenfalls dem Untergang geweiht war wie die anderer
Regionen in Rumänien. Doch es hatte sich auch einiges getan im Tal der Iza. Leider hatte es
auch Veränderungen gegeben. Viele der alten Holzhäuser waren verschwunden. An ihre
Stelle traten schlichte neue Häuser aus Stein. Ich fand es etwas Schade, dass diese
Tradition nicht weiter gepflegt wurde. Immerhin gab und gibt es ja in der Maramureș Holz im
Überfluss und es wurde ja auch seit Jahrhunderten als Baumaterial genutzt. Heute scheint
es aber nur noch für Kirchen und Klöster zum Einsatz zu kommen.
Die älteste Holzkirche der Maramureș steht in Ieud auf einem Hügel. Deswegen heißt sie
auch „Biserica din Deal“ aber genau genommen ist sie die Kirche „Der Geburt Mariä, Mutter
Gottes“ aus dem Jahre 1364. Der Wojwode Balc von Cufea ließ sie von Dorfzimmerleuten
aus Tannenholz errichten. Sie ist eine der acht Kirchen in der Maramureș, die von der
UNESCU zum Weltkulturerbe erklärt wurden. Die Malereien aus dem 18. Jh. von Alexandru
Ponehalschi im Inneren werden gerade restauriert, sind aber noch erstaunlich gut erhalten.
Auf dem Dachboden der Kirche fand man das älteste Schriftstück in Rumänischer Sprache –
den so genannten Kodex von Ieud aus dem Jahre 1391. Răzvan verbindet mit dem Ort
etwas anderes, aus Ieud stammt Ștefan Hrușcă, Rumäniens berühmtester Folkloresänger
der jetzt in Kanada lebt. Auf dem Friedhof neben der Kirche entdeckte Răzvan das Grab der
Mutter des Sängers. Kinder des Dorfes schenkten uns Blümchen, Răzvan revanchierte sich
mit Kaugummi.
Unser nächster Halt galt dem neuen Nonnenkloster in Bârsana. Die Holzkirche des Klosters
hatte man im Stil der damals höchsten Holzkirche von Surdești nachempfunden.
Der Kirchturm ist 57 m hoch und platziert damit die Kirche an die zweite Stelle der
höchsten Holzkirchen Europas, hinter der Klosterkirche von Peri (78 m) bei
Săpânța. Die Moroșeni (Bewohner der Maramureș)
glaubten, ihre Gebete kommen leichter in den Himmel je höher der Kirchturm war. Bârsana
ist ein Beweis dafür, dass die traditionelle Kunst des Holzhandwerks in der Maramureș noch
immer lebendig ist.
Ein weiteres Wahrzeichen der Maramureș aus Holz sind die großen kunstvoll verzierten Tore
vor den Grundstücken der Einwohner. Da jedoch am 1. Juni in Rumänien Kommunalwahlen
stattfinden, klebten über sämtlichen Holztoren Wahlplakate! Grauhaarige Machtmenschen
auf orange leuchtendem Grund blickten mir von den kunstvoll verzierten Eingangsbereichen
dümmlich entgegen. Ich war sprachlos, hätte mir einer mein Tor derart besudelt, hätte ich ihn
zum Teufel geschickt, gewählt jedoch sicher nicht!
In Vadu Izei verließen wir das Tal der Iza, suchten vor Ocna Șugatag ein Restaurant auf und
verabschiedeten uns dann hinter Cavnic von den maigrünen Bergwäldern des Lăpuș-
Gebirges der nördlichen Ostkarpaten. Im Lăpuș-Fluss entdeckte Răzvan einen weiteren
Paddelfluss der auf seine Wunschliste kam. Kurz vor Einbruch der Dämmerung erreichten
wir Dej und beendeten den Tag in der Pension „Giulia“ gleich am Ortseingang.
Bevor wir am nächsten Tag zurück nach Deva fuhren bekam Răzvan im Klausenburger
Metro einen 12/230 V Konverter für seinen Laptop und in der Tankstelle einen Fußball für
Tudor. Bei Teiuș besuchten wir das Râmeți-Kloster im Trascău-Gebirge. Kurz vor Deva
erlebte ich ein Phänomen was mir bisher in Rumänien unbekannt war – wir standen im Stau.
Vom Ortseingang bis zu Răzvan's Wohnung (rund 3 – 4 km) dauerte es sage und schreibe 1
½ Stunden.
Irgendwas mussten wir für den Rest unseres Urlaubs noch unternehmen. Immerhin
brauchten wir einen Ersatz für den Mureș. Und der lag im Südwesten des Banats, einer der
schönsten Schluchtenflüsse Rumäniens, den ich als Wanderer bestens kannte und schon
immer mal mit einem Boot herunterpaddeln wollte – die Nera.
Doch irgendwie war dieser Tag uns nicht wohl gesonnen. Unsere Abfahrt verzögerte sich
etwas aufgrund diverser Computerprobleme, die Răzvan bei einem Kollegen beheben
musste. Dafür hatten wir aber einen zweiten Fahrer mit an Bord. Elena, eine Kollegin aus der
Forstverwaltung würde uns begleiten und Răzvan's Dacia von Șopotu Nou, dem
Ausgangspunkt unserer Paddeltour nach Sasca Montană, dem Ziel, bringen.
Kurz vor Hatzeg stellte ich fest, dass ich Helm und Schwimmweste vergessen hatte. Uns
blieb nichts weiter übrig als umzudrehen und zurück nach Deva zu fahren. Endlich hatten wir
alles zusammen. Ein Schild am Ortsausgang wünschte uns „Drum bun!“ (Gute Fahrt), doch
die genossen wir nur bis Caransebeș.
Hinter der Stadt war die Straße eine einzige Baustelle. Der Belag war abgetragen und wir
fühlten uns wie auf einer Schotterpiste. An jeder Engstelle stand eine Ampel, die auf Rot
sprang wenn wir uns näherten. Was rumänische Autofahrer keineswegs daran hinderte
weiterzufahren oder einfach ihr Auto vor unserem zu parken. Ich hatte ja schon viel Idiotie
auf Straßen miterlebt aber das hier grenzte schon an eine Art Philosophie. Nicht nur, dass
diese Rindviecher die ganze Ampelregelung durcheinander brachten, auch der
Gegenverkehr wurde massiv behindert. Meistens rollten uns Kolonnen bulgarischer Lkws
entgegen, so dass ein Durchkommen unmöglich wurde. Die schienen hier den gesamten
Transitverkehr durchzuleiten. Kurz vor der Abfahrt in Richtung Iablanița rumpelte es unterm
Dacia. Wir schauten uns verblüfft an, Răzvan fuhr an den Straßenrand und wir konnten die
Bescherung begutachten. 30 Meter hinter uns lag Răzvan's Endschalldämpfer seiner
Auspuffanlage mitten auf der Straße. Mit einem Stock bugsierten wir das Ding ins Auto und
überlegten was nun zu tun sei. Zur Nera brauchten wir nicht mehr fahren. Irgendwo mussten
wir eine Werkstatt finden. Dummerweise war es bereits spät und dazu noch ein Feiertag. Wir
beschlossen weiter bis Herkulesbad zu fahren. Kurz vor Mehadia entdeckten wir an der
linken Straßenseite ein Gebäude auf dem irgendwas mit „Auto“ stand, davor werkelten zwei
Typen an einem Lkw herum. Das war die Gelegenheit, Răzvan wendete und fragte einen der
Mechaniker. Der schaute sich die Sache an, konnte aber im Moment nichts machen, da ihm
die Halterungen für den Auspuff fehlten. Er löste das Problem auf Rumänisch, in dem er den
Auspuff provisorisch mit Draht befestigte. Wir sollten morgen in Mehadia oder Herkulesbad
die nötigen Ersatzteile besorgen, dann würde er den Auspuff wieder montieren. So endete
unsere Tour etwas unfreiwillig an den Thermen des Herkules. Immerhin gab es in dem
Kurbad kein Problem eine Pension zu finden. Mit 100 Lei (40 Lei Rabatt) für ein 4
Zimmer-Appartement in der Pension „Versant“ waren wir nicht schlecht bedient.
Răzvan bekam seine Ersatzteile und der Mechaniker baute den Schalldämpfer wieder an
seinen Dacia. Für unsere Paddeltour auf der Nera war es jedoch zu spät, wir mussten ja
Elena noch den Weg von Șopotu Nou nach Sasca Montană zeigen. So fuhren wir gemütlich
durch die Almasch-Senke in Richtung Șopotu Nou. Auf dem Weg lag etwas weiter im Süden
Eftimie Murgu, ein Ort wo es noch jede Menge funktionierender Wassermühlen geben soll.
Eine gute Gelegenheit mal dort vorbeizuschauen.
Gleich hinter dem Dorf beginnt die
Rudăria-Klamm mit den Wassermühlen. Wie Perlen an einer Kette reihen sich die kleinen,
mit Schindeln gedeckten Holzhäuschen links und rechts des Baches. Jedes
Mühlenhäuschen hat eine Hausnummer und einen Namen, gehört also bestimmten Familien
im Dorf. „Moara Bâțolea“, „Moara Îndărătnica dintre Răuri“, „Moara Trăiloanea“ oder „Moara
Viloanea“ las ich auf den Schildern. Es gibt feste Regeln wann, wer und wie lang mahlen
darf. Die Türen waren verschlossen, so konnte ich Leider keinen Blick ins Mühleninnere
erhaschen. Der „Motor“, ein eisernes Schaufelrad, befindet sich jedoch horizontal unter dem
Mühlenhäuschen. Über Kanäle wird das Wasser zu den Mühlen gebracht und mit einem
Schieber kann es über eine Art Trog direkt auf das Schaufelrad unter der Mühle geleitet
werden. Um die Wasserkraft noch etwas zu erhöhen wurden künstliche Staudämme errichtet
unter denen die Mühlen stehen. Die Mühlen wurden im Auftrag des Freilichtmuseums des
bäuerlichen Handwerks „ASTRA“ Sibiu restauriert und sind ein Kulturgut des Landes.
Hinter Bozovici sahen wir die Nera zum ersten Mal, sie führte nicht allzu viel Wasser, dürfte
aber fahrbar sein. Kurz vor Șopotu Nou steht eine 1-Stern-Pension. Mich würde mal deren
Service interessieren, bis jetzt waren wir nur in 3-Sterne-Pensionen. Șopotu Nou ist ein
verschlafenes Nest, kein Mensch ließ sich blicken, ein Hund huschte über die Nerabrücke
auf die andere Straßenseite. Etwas ungewöhnlich fand ich was unter der Brücke am
Neraufer stand. Gut vor den Blicken Neugieriger versteckt, parkten dort zwei Autos mit
Deutschem Nummernschild, ein grauer Mercedes und ein blauer BMW. Die sind mit
Sicherheit frisch geklaut und hier abgestellt worden, schoss es mir durch den Kopf. Welcher
Tourist würde auf die Idee kommen in dieser Einöde zwei nagelneue Pkws unter einer
Brücke abzustellen? Ich zückte mein Tagebuch hervor und notierte mir mit detektivischer
Neugier die Kennzeichen. Vielleicht sind die schon bei der Polizei als gestohlen geführt. Das
ließ sich bestimmt in Erfahrung bringen. Doch erst mal mussten wir weiter bis Sasca
Montană, die Forststraße hinter Șopotu Nou war besser als ich erwartet hatte. Ab Știnăpari
fuhren wir dann wieder über Asphalt. Trotzdem schien der Weg Răzvan nicht geheuer, er
hatte wohl wieder Angst um seinen Dacia und beschloss deshalb auch noch die Straße über
Orawitza zu erkunden. Wir fuhren gerade über die Nera-Brücke in Sasca Montană, da
entdeckte Elena Boote am Ufer. Hatten also auch noch andere Paddler die Idee einer Nera-
Tour gehabt. Vielleicht konnten sie uns ein Paar Erfahrungen und Tipps geben, Răzvan
wendete.
Die Stelle am Ufer sah aus wie das Basislager einer Amazonas-Expedition. Drei Grabner-
Boote und ein großes GUMOTEX, dazu jede Menge Tonnen, Kisten, Paddel,
Neoprenkleidung und Säcke mit Kleinkram. Sogar zwei Bierfässer lugten unter dem Gewühl
hervor. Kein Wunder, es handelte sich um eine Gruppe Deutscher Paddler aus
Süddeutschland, die jedes Jahr eine Tour planen und die es diesmal nach Rumänien an die
Nera verschlagen hatte. 3 Tage lang sind sie auf der Nera gepaddelt, von Șopotu Nou bis
Sasca Montană. Ihnen gehörten auch die beiden Autos unter der Nera-Brücke in Șopotu
Nou. Meine Karriere als Detektiv wurde somit abrupt beendet. Immerhin konnten sie uns
nützliche Tipps geben. Sie schätzten 8 bis 10 Stunden würde man schon brauchen, wenn
man die Nera-Schlucht an einem Tag paddeln wollte. Dreimal mussten sie aussteigen und
die Boote tragen, aufgrund von seichten Stellen im Fluss. An einer Stelle lag ein Baum quer
über der Fahrrinne und manchmal ragten Bäume vom Ufer aus ziemlich dicht über die
Wasseroberfläche.
Für eine Sache interessierte sich speziell Răzvan brennend – Vipern. Auf meinen Toren
hatte ich jedoch noch nie eine zu Gesicht bekommen. Trotzdem, die Hornviper oder auch
Sandotter (Vipera ammodytes) hat hier im Kalkstein des Banater Berglands und bis an die
Grenze der Westgebirge ihr nördlichstes Verbreitungsgebiet in Rumänien. Und Răzvan zollte
diesen interessanten Reptilien einen Heidenrespekt. Gilt sie doch als gefährlichste
Giftschlange Europas. Als Angestellter im Forstamt hatte er Zugriff auf ein Antiserum, falls
man von einer Viper gebissen wurde. Dass er es nicht mitnahm war einzig und allein der
Tatsache zu verdanken, dass es kühl gelagert werden musste. Was uns meine Landsleute
erzählten schockierte ihn dann doch etwas. Sie entdeckten während des Paddelns eine
kleine Viper im Wasser. Sie trieb regungslos an der Oberfläche, die Zunge hing ihr aus dem
Maul. Sie war offensichtlich tot. Eine gute Gelegenheit so ein interessantes Fotomotiv mal
näher zu betrachten und ins Boot zu holen. Doch als die Sonnenstrahlen den Körper des
Tieres erwärmten wurde es wieder zum Leben erweckt. Einer glaubte zu sehen wie sich der
Schwanz bewegte, noch Skepsis bei den anderen. Doch er bewegte sich tatsächlich!
Blitzschnell wurde die Schlange wieder über Bord bugsiert.
Noch im Auto konnte es Răzvan nicht fassen: „Oh, that's crazy. Those Germans gave that
viper a lift!“
Trotzdem stand unser Endschluss fest – morgen geht's auf die Nera! Wir wollten jedoch
nicht bis Sasca Montană fahren, sondern nur bis zum Nachbarort Sasca Română. Einen
netten Platz zum ausbooten hatten wir bereits gefunden. Nur wo übernachten? Über
Orawitza fuhren wir durch die Miniș-Klamm nach Bozovici, Pensionen konnten wir aber
nirgends entdecken. Wir beschlossen zurück nach Herkulesbad zu fahren und noch mal in
der Pension von gestern einkehren. Wenn wir morgen früh zeitig starten, würden wir genug
Zeit haben bis zum Abend in Sasca Română zu sein. Bei strömendem Regen erreichten wir
Herkulesbad. Auch am nächsten Morgen sah es nicht besser aus.
Răzvan wollte es trotzdem versuchen immerhin hatten wir so viele Vorbereitungen getroffen,
dass es schwer fiel die Aktion nun wegen Regentropfen, kaltem Wind und dunklen Wolken
am Himmel abzublasen. Mir war es egal, würde halt die Trockenjacke wieder zum Einsatz
kommen. Ein blaues Loch in der Wolkendecke kurz hinter Iablanița ließ Hoffnung keimen
und in Șopotu Nou regnete es nicht mehr. Die Nera führte deutlich mehr Wasser als gestern,
was sicher ein Vorteil war. Ich packte ein paar Müsliriegel ein und einen Satz trockener
Kleidung. Răzvan verzichtete darauf. „Sonst haben wir ja genauso viel Gepäck wie auf der
Bistritz“ kommentierte er seinen Entschluss. Wir verabschiedeten uns von Elena, die am Ziel
in Sasca Română auf uns warten wollte.
Das erste Stück auf der Nera hatte etwas Dschungelartiges an sich. Tief ragten die Bäume
über den Fluss und hüllten ihn zu beiden Seiten ein. Für uns zu tief. Ein Stamm lag halb im
Wasser, in einer engen Kurve floss der Hauptstrom an ihm vorbei. Wir gerieten immer
dichter an den Stamm, das Boot bekam Schlagseite und im Handumdrehen plumpste ich wie
ein reifer Apfel ins Wasser. Răzvan hatte Glück, denn das Boot richtete sich wieder auf. Der
Fluss war hier so tief, dass ich schwimmen musste. Ich hielt mich am Boot fest und Răzvan
paddelte ans Ufer wo ich wieder einsteigen konnte. Das war nun der zweite Karpatenfluss
mit dem ich in Hautkontakt trat und konnte nun sagen, dass ich mit allen Wassern
gewaschen war.
Nach einer Stunde erreichten wir den Schluchtbeginn am Teufelssee. Ein guter Platz zum
Campen, hätten wir mehr Zeit gehabt. Mittlerweile ließen die Sonnenstrahlen den Kalkstein
blendendweiß aufleuchten. Kurz nach dem Beginn der Klamm kam die Stelle mit dem Baum,
von der uns die deutschen Paddler gestern erzählt hatten. Dummerweise hatte ich nur
Neoprensocken an, was das Laufen im seichten Wasser über die Steine zur Tortour werden
ließ. Sinn machte dagegen der Helm, hingen uns doch während des Paddelns ständig
irgendwelche Äste und Zweige im Gesicht rum. Die Nera ließ sich trotzdem angenehm
paddeln. Jeder Stromschnelle folgte ein ruhiges Stück Wasser, wo man sich treiben lassen
konnte und die Landschaft genoss. Da wir nicht sicher waren wie lang wir brauchen würden
paddelten wir trotzdem die ganze Zeit.
Immer den rechten Weg zu finden war dagegen schwierig. Oft teilten kleine Inseln den Fluss
und wir mussten uns entscheiden, welchen Weg wir nehmen sollten. Instinktiv fiel unsere
Wahl immer auf den Richtigen, was uns ein Blick zurück bestätigte. Auf der anderen Seite
lag entweder irgendwas im Wasser (Felsen, Baumstämme) oder wir wären wieder auf Grund
gelaufen, weil der Flussarm zu seicht war. Im engsten Abschnitt gingen wir auf einer
Schotterbank an Land, um Fotos zu machen. An einer Stelle sprudelte Wasser aus dem Fels
wie aus einem Wasserhahn, etwas Ähnliches hatte ich bis jetzt nur in Ladakh gesehen. Auf
einer Kanutour erlebt man die Nera sowieso aus einer viel genialeren Perspektive als auf
dem Wanderweg vom Ufer aus.
Über uns führte der Pfad durch den Fels mit seinen Tunnels und an der Wand der Pânza lui
Clean baumelten die Stahlseile zum Festhalten. Lediglich die Passage davor, wo wir damals
durch den Fluss mussten, erkannte ich nicht. Was vermutlich am höheren Wasserstand und
der Trübung lag. Es war kaum zu Glauben aber wir befanden uns schon auf der Höhe von
Damians Haus, einem verlassenen Forsthaus am nördlichen Klamm-Ende. Nun war es nicht
mehr weit bis Sasca Română. Die letzten Biegungen warteten auf uns, dann zog sich schon
die Hängebrücke die ins Dorf führte über unseren Köpfen hinweg. Nicht mal 5 Stunden und
unser Paddelabenteuer auf der Nera war zu Ende. An einer seichten Schotterbank gingen
wir an Land. Dörfler mit Pferdefuhrwerken luden ihre Hänger mit Kies voll, so dass die armen
Tiere kaum von der Stelle kamen.
Wir brachten das Boot an Land und ließen es trocknen. Ich wechselte meine Sachen und
Răzvan wollte Elena anrufen, doch sie ging ihrer Lieblingsbeschäftigung nach – telefonieren.
Das war an sich kein Problem, nur sie wartete irgendwo, nur nicht an dem Platz den wir
vereinbart hatten. „Normalerweise nehme ich auch immer was zum wechseln mit, nur heute
nicht!“ ärgerte sich Răzvan. Nach einer Stunde erreichte er sie endlich. Eine weitere halbe
Stunde musste er noch seine nassen Klamotten ertragen, dann kam der Dacia die
Dorfstraße heraufgerollt. Elena hatte in Sasca Montană gewartet, da sie noch nicht so zeitig
mit uns gerechnet hatte. Nun wir selbst waren auch überrascht, sind wir doch von der
doppelten Zeit ausgegangen.
Die Nera wird im Semenik-Gebirge gebildet, am Zusammenfluss der Gebirgsbäche Nergan und Nerganița. Von dort fließt sie Anfangs nach Süden der Almasch-Senke zu. Bei der Gemeinde Pătaș biegt sie nach Südwesten, nimmt bei Bozovici die Miniș auf und fließt weiter bis Șopotu Nou. Rund 70 Kilometer hat die Nera nun schon zurückgelegt. Das Locva- Gebirge versperrt ihr den kürzesten Weg zur Donau, so dass sie gezwungen ist, scharf nach Nordwesten abzubiegen. Auf einer Länge von 28 Kilometern schneidet sich die Nera nun in vielen Schleifen durch den Kalkstein, des zum Banater Karst gehörenden Anina-Gebirges. Kurz vor Sasca Română treten die Felsen zurück und die Nera fließt nun wieder nach Westen, wird hinter Năidaș für ein kurzes Stück Grenzfluss zu Serbien und mündet schließlich nach insgesamt rund 140 Kilometern bei Socol in die Donau.
Die Nera wird in der Klamm der Bezeichnung „schönster Schluchtenfluss Rumäniens“ durchaus gerecht. Wir paddelten die gesamte Schlucht von Șopotu Nou bis Sasca Română in knapp 5 Stunden (viele Stromschnellen, WW I – II). Für eine Paddeltour sollte man sich aber ruhig mehr Zeit nehmen (1 – 2 Tage), es gibt wunderschöne Plätze zum Zelten in der Schlucht (z.B. unterhalb des Teufelssees). Das schöne an der Nera sind die vielen kleinen Stromschnellen mit darauf folgendem Ruhigwasser. Zum Problem können über dem Fluss liegende Baumstämme, oder weit ins Wasser ragende Bäume sein. Außerdem teilen Inseln den Fluss häufig, so dass eine Orientierung schwierig wird. Wir haben immer den schneller fließenden Arm mit der größeren Wassermenge gewählt und dabei keine Probleme gehabt. Ab und zu war das Wasser so flach, dass wir aussteigen und das Boot ein kurzes Stück ziehen mussten.
Vorsicht! Paddler, in der Schlucht gibt es Vipern, auch wenn sie dir noch so verführerische Blicke zuwerfen, nimm sie nicht in dein Boot, die sind sehr giftig! Eine medizinische Versorgung ist vermutlich erst in Orawitza möglich.
Die Infos hier geben meine persönlichen Erfahrungen wieder, und sollen kein Flussführer sein!
Wir traten den Rückweg an, über Orawitza, Anina und Reschitza. Lernte ich am Beginn
unserer Tour Rumäniens schlechteste Straßen kennen, waren es nun die besten. Das
Asphaltband von Anina bis Reschitza war ein Traum. Zwar reich an Kurven aber nicht ein
einziges Schlagloch, mit leuchtend weißer Mitten- und Randmarkierung. Nachdem wir in
Reschitza eine Pizza, natürlich die Beste, gegessen hatten, mussten wir uns wieder über
eine Bleibe Gedanken machen.
Da das Banat in Richtung Karansebesch vermutlich nicht in die Kategorie „touristisch
interessant“ eingestuft wurde, entdeckten wir auch keine Pensionen. Doch am Ortsausgang
von Oțelu Roșu ging es in Richtung Poiana Mărului (Apfelwiese), hinter dem Măru-Stausee
gelegen am Fuße des Țarcu-Gebirges und dort müsste sich schon was finden lassen. Auf
dem Weg dorthin war Răzvan's Navigationsgerät sichtlich überfordert. Laut der digitalen
Karte lag der Stausee links über uns und wir fuhren drunter durch. Doch links und rechts der
Straße ragten nur steile Berghänge gen Himmel. Aus Felsritzen rannen kleine Rinnsale die
sich auf der Straße zu einer großen Pfütze vereinten. Răzvan wunderte sich über den
Ursprung des Wassers. „Vielleicht hat der See ein Leck“, versuchte ich ihm zu erklären, mit
Blick auf seine GPS-Karte.
Doch endlich, nach ein paar Kilometern baute sich die Staumauer vor uns auf und die Straße
zog sich in Haarnadelkurven auf die Südseite des Sees, wo sie geradewegs zur Poiana
führte. Es war bereits dunkel und wir suchten nicht lang, sondern fragten in der erstbesten
Pension mit dem schönen Namen „Florina“ nach einem Zimmer. Mit einer Begrüßungsțuică,
die nur mit reichlich Mineralwasser trinkbar war, beschlossen wir den Tag.
Der letzte Morgen war wunderschön, blau leuchtete der Himmel über uns. Auf saftig grünen
Wiesen blühten gelbe Lilien, weiße Wölkchen umspielten die dunkelgrünen Vorberge des
Țarcu-Gebirges und dahinter erhoben sich majestätisch die schneebedeckten Gipfel des
Retezat.
Es war Zeit Abschied zu nehmen von Elena, Răzvan, Tudor und Andreea aber vor allem von
den Karpaten mit ihren Bergen, Tälern und Flüssen, von denen ich nun immerhin zwei etwas
näher kennen gelernt hatte. Der Nachtzug wird mich zurück nach Deutschland bringen, wo
ich dann auf mein nächstes Abenteuer in den Karpaten warten kann.
***
Fazit: Ob die Flüsse in den Karpaten Rumäniens bei uns den Status eines Paddelreviers bekommen werden wie zum Beispiel die Alpenflüsse, die Schluchten Südfrankreichs oder die Flüsse Skandinaviens, wage ich zu bezweifeln. Viele Flüsse wurden durch Staustufen, Wehre oder Dämme verbaut. (Der Râu Mare ist heute das wohl traurigste Beispiel.) Flussläufe durch unberührte Natur (z.B. die Nera-Klamm) sind selten, meistens geht es durch Dörfer und Streusiedlungen. Und nicht zuletzt macht es dem Paddler auf die Dauer wenig Spaß ständig an Plastikflaschen, Dosen und alten Lumpen vorbeizupaddeln.