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Sommeranfang in der Hohen Tatra

(Karpatentour Juni 2016 – Slowakei)

Inhalt

  1. Buchungsärger
  2. Eingehtour zur Slavkovský štít
  3. Auf die Räuberhütte
  4. Gipfelsammeln
  5. Mein Rückzug
  6. Die Drei-Seen-Wanderung
  7. Im Reich des Höhlenbären
  8. Informationen


Übergewicht und Vitamin-D-Mangel, so die Diagnose meiner Hausärztin während eines Gesundheitschecks. Eine Woche Urlaub hatte ich am Jahresanfang noch nicht verplant. Ich überlegte nicht lang, meine Therapie lautete: Eine Woche wandern in der Hohen Tatra. Der Zeitraum passte, da ab dem 15. Juni die Höhenwege im slowakischen Teil der Hohen Tatra wieder geöffnet waren. Bei meinem letzten Besuch des Gebirges 2014 wollte ich unter anderem vom Sliezsky dom (Schlesierhaus) über die Bergsättel Poľský hrebeň (Polnischer Kamm) und Prielom (Kerbchen) zur Zbojnícka chata (Räuberhütte) wandern. Das Wetter hatte mir leider einen Strich durch die Rechnung gemacht. Mal sehen, ob es nun klappen würde. Außerdem warteten noch die beiden Tatra-Gipfel Slavkovský štít (Schlagendorfer Spitze, 2452 m) und Východná Vysoká (Kleine Vysoka, 2429 m) auf ihre Besteigung und ich hoffte, dass die Sonne schien und die Pfunde purzeln würden.

1. Buchungsärger

Beginnen wollte ich mit einer Tageswanderung auf die Slavkovský štít, als Eingehtour sozusagen. Im Internet auf Booking.com wurde eine Unterkunft im Berghotel Sorea Hrebiniok angeboten. Eine Übernachtung 20,50 Euro – Bestpreisgarantie! Hrebiniok bot sich hervorragend für meine Pläne an. Es liegt direkt am Fuß der Slavkovský štít und vom Hotel könnte ich am nächsten Tag auch gleich weiter zur Zbojnícka chata wandern. Ich buchte für 2 Nächte.
Zwei Wochen vor Reiseantritt bekam ich von Booking.com eine E-Mail. „…Leider müssen wir Ihnen mitteilen, dass die Unterkunft Turistická ubytovňa Sorea Hrebienok Ihre Buchung nicht wie gebucht aufrechterhalten kann…“ las ich dort. Als Grund wurde „Überbuchung“ angegeben – ärgerlich! Mir wurde zwar eine Alternative in Tatranská Lomnica (Tatralomnitz) angeboten, die für mein Vorhaben aber zu weit entfernt lag. Im zweiten Anlauf einigten wir uns schließlich auf die Unterkunft Vila Lesana in Nová Lesná. Die Pension war zwar etwas teurer (25 Euro/Nacht) aber die Dame von Booking.com versicherte mir: „…Wir werden Ihnen den entstehenden Differenzbetrag nach Ihrem Aufenthalt erstatten. Bitte lassen Sie uns Ihre Quittungen/Zahlungsbelege zukommen und wir werden im Anschluss so schnell wie möglich eine Erstattung in die Wege leiten…“
Immerhin liegt Nová Lesná an der Bahnlinie Poprad Tatry – Starý Smokovec. Mir würden zwar Kosten für die Fahrt mit der elektrischen Tatra-Bahn entstehen aber zusätzliche Kosten würde ich ja erstattet bekommen. Ich buchte! Nun schien alles geregelt, meine Karpatenreise konnte beginnen.

Am 17. Juni kurz vor 10 Uhr abends saß ich im IC nach Prag. Leider waren alle Liegewagenplätze ausgebucht. Ich musste mir mit einer Familie ein 6-er-Abteil teilen. In Leipzig hatte ich das Abteil für mich. Trotzdem, richtig schlafen konnte ich nicht. Etwas zerknautscht stieg ich in Prag aus dem Zug und musste 2 Stunden lang die modischen Geschmacklosigkeiten der Reisenden über mich ergehen lassen.
Der Zug von Prag nach Žilina hatte in Púchov, meinem Umsteigebahnhof, 15 Minuten Verspätung. 15:53 Uhr sollte mein Zug nach Poprad fahren, es war 15:55 Uhr als ich in Púchov aus dem Zug kletterte. Doch da auch der Anschlusszug 7 Minuten später kam, passte wieder alles. Trotzdem hatten mir die České dráhy einen Nervenkitzel beschert. In Poprad musste ich eine knappe Stunde warten. Ich kaufte gleich eine Drei-Tages-Fahrkarte für 8 Euro. Immerhin musste ich ja nun zu meinen Wanderungen mit dem Bähnle fahren. Dreiviertel Acht oder viertel vor Acht (für Nordlichter) abends erreichte ich Nová Lesná.
Renata sprach deutsch, ihr Hund „Prinz“ machte Radau. Ich bekam ein geräumiges Zimmer in der oberen Etage. Die Bettwäsche der einen Doppelbetthälfte verstaute meine Pensionswirtin gleich wieder im Bettkasten. Sie hatte mit zwei Personen gerechnet. Dass ich allein reiste schien ihr seltsam. Ich wollte mich jetzt nicht rechtfertigen sondern hatte Hunger. Renata zeigte mir den Weg zum Restaurant. „Zehn Minuten immer der Hauptstraße folgen, da ist eine Koliba“ Koliba klang gut. Ich befolgte ihren Rat und saß bald vor meiner ersten Sauerkrautsuppe und einem halben Liter Kofola – ich war angekommen.

2. Eingehtour zur Slavkovský štít

5 Uhr morgens weckten mich die Sonnenstrahlen. Ich hatte gut geschlafen, kein Wunder nach einer fast schlaflosen Nacht während der Anreise. Um nicht in ein Gewitter zu geraten wollte ich zeitig los. Das Bähnle nach Starý Smokovec (Altschmecks) fuhr um 6:17 Uhr. Auf einem Wegweiser am Bahnhof stand 5 ¼ Stunden bis zum Gipfel der Slavkovský štít, es war jetzt 6:30 Uhr. Ich hatte mir eine recht ambitionierte Eingehtour ausgesucht. Immerhin brauchte ich nicht viel zu schleppen. Die Sonne schien aber der Gipfel steckte in einer Wolke. Durch den Rest des vom Sturm 2004 zerstörten Waldes ging es stetig bergan auf einem mit blauem Band markierten Wanderweg bis zur Tatra-Magistrale. Ab jetzt ging es durch dichten Bergwald bis zum Aussichtspunkt Slavskovská vyhliadka. Ich hatte einen schönen Ausblick ins Tal Veľká Studená dolina (Großes Kohlbachtal). Vier Slowaken gesellten sich dazu. Sie waren heute Morgen in Hrebienok (Kämmchen) gestartet. Ob ich sonst in den Alpen wandern würde, wollte einer der Wanderer wissen. Dass ich dort recht selten unterwegs bin, überraschte ihn. Er führte einen Vergleich an, der für mich fast wie eine Rechtfertigung klang: „Es ist leichter in den Alpen auf 3000 m zu steigen als in der Tatra auf 2000 m.“ Ob das stimmte? Ich konnte es nicht beurteilen. Mir gefällt die landschaftliche und kulturelle Vielfalt der Karpaten und vor allem die Art und Weise des Unterwegsseins jedenfalls besser.
Was mir nicht so gefiel war der weitere Anstieg. Zwischen Latschenkiefern führte ein Geröllweg steil bergauf. Die Sonne schien, doch ein frischer Wind wehte mir um die Nase. Sobald ich ein Päuschen machte, musste ich mir die Jacke überziehen. Die ersten Wanderer kamen mir bereits entgegen. Wann mögen die gestartet sein? Eine junge Frau hüpfte leichten Schrittes an mir vorbei. Ich sollte an meiner Kondition arbeiten! Doch Schritt für Schritt führte mich der Weg nach oben und nach insgesamt 3 Stunden und 45 Minuten stand ich auf dem Gipfel – 2452 m hoch. Es sollte der höchste Punkt meiner Wanderung werden. Nette Eingehtour! Unter mir im Tal blickte ich auf die Zbojnícka chata, mein morgiges Ziel. Ringsherum leuchteten noch viele Schneefelder an den Berghängen. Ob ich meine geplante Tour laufen könnte? Weitere Wanderer erreichten den Gipfel. Ich machte mein Gipfel-Selfie und begab mich an den Abstieg.
Am Berg wurde es lebendig. Zahlreiche Wanderer strebten in Richtung Gipfel im typischen Tatra-Outfit. Bei den Herren halb Special-Forces – halb Kasperle, die Damen sonnengebräunt in Hotpants, Bikinis und Sneakers. Tatra-Wandern macht Spaß, vielleicht sollte ich dem Horská služba beitreten? Die letzten Gipfelstürmer begegneten mir gegen 13 Uhr. „Bis jetzt bin ich immer im Regen oben angekommen“ beklagte sich einer. Bis runter nach Hrebienok regnete es jedenfalls nicht. Ich hockte mich ins Restaurant des Hotels, das mich versetzt hatte und kaufte mir eine Kofola. Zwei Euro kostete ein halber Liter. Von der Wand schaute mich ein Räuber an, kunstvoll in eine Holztafel geschnitzt. Irgendwie passten die Dinge zusammen, fand ich.
Als ich wieder im Tatra-Bähnle Richtung Nová Lesná fuhr versteckte sich der Gipfel der Slavkovský štít in einer Wolke und dahinter erhob sich drohend eine graue Gewitterfront. Wieder mal alles richtig gemacht!

3. Auf die Räuberhütte

In der Nacht hatte es geregnet, noch immer hingen graue Wolken am Himmel aber es blieb trocken. Um 8:17 Uhr wollte ich nach Starý Smokovec fahren und von dort weiter bis Tatranská Lesná. Dumm nur, dass um 8:17 Uhr keine Bahn fuhr. Laut Fahrplan an der Bahnstation in Nová Lesná fuhr sie um 8:41 Uhr. Ich hatte angenommen, die Bahn würde zu jeder Stunde so fahren wie gestern Morgen. Eine halbe Stunde warten kam nicht in Frage, so machte ich mich auf zum nächsten Haltepunkt nach Pod Lesom. Der Bahnwärter putzte Pilze, ich wartete noch 5 Minuten dann rollte das Bähnle an.
In Tatranská Lesná beginnt ein mit gelbem Band markierter Wanderweg, der dem Tal des Baches Studený potok (Kohlbach) folgt, bis er bei den Kohlbachwasserfällen auf den grün markierten Weg Starý Smokovec – Tatranská Javorina trifft.
Ein Schild am Waldrand warnte mich vor Bäumen, die mir auf den Kopf fallen könnten. Ich ließ mich nicht abschrecken. Der Studený potok ist ein tosender Wildbach, der im oberen Abschnitt über mehrere Kaskaden zu Tale stürzt. Die Berge hingen im Nebel, neben mir das tobende Wasser, Regentropfen an den Tannennadeln – eine mystische Stimmung verströmte das Tal. Ob es an meiner Verzückung lag oder weil ich schlicht und ergreifend gepennt hatte, ich schaffte es hier zum ersten Mal mich in der Hohen Tatra zu verlaufen. Auf einem sehr gut ausgetretenen Pfad fand ich mich mitten im Wald wieder. Ich musste an einer Stelle abgebogen sein, wo ich nicht hätte abbiegen dürfen – zurück! Lang brauchte ich nicht suchen. Der Bach hatte ein Stück des Pfades überspült, dahinter ging es normal weiter. Mittlerweile hatte die Sonne die Oberhand gewonnen, die Wasserfälle schäumten schneeweiß zwischen den Felsen hinab – Zeit für die Mittagspause. Die Kohlbachwasserfälle ziehen viele Besucher an. Es wimmelte von Ausflüglern.
Von Hrebienok zur Rainerova chata (Reiner Hütte) waren die Wanderwege sogar so angelegt, dass Mütter ihre Sprösslinge im Kinderwagen spazieren fahren konnten. Eine Tasse Kräutertee (ohne Heilwasser) genehmigte ich mir auf der Hütte.
Dunkle Wolken hingen wieder in den Gipfeln als ich mich auf den Weg zur Zbojnícka chata machte. Aus einer Felswand über mir ergoss sich ein Schmelzwasserfall ins Tal. Hier war es deutlich ruhiger mir begegneten nur noch vereinzelt Wanderer. Am Dlhé pleso (Langer See) leuchtete das erste Schneefeld. Ein paar Felsabschnitte auf dem Weg waren mit Ketten gesichert, die aber nicht wirklich nötig waren. Weit vor mir stapfte ein Tatra-Träger den Pfad hinauf. Sie versorgen die Berghütten in der Hohen Tatra. Kurz vor halb vier Uhr nachmittags erreichte ich die Zbojnícka chata.
„Ubytovanie?“ fragte ich die Dame im Gastraum. Eine Übernachtung war kein Problem, es waren kaum Gäste auf der Hütte. Ein slowakisches Pärchen und eine Gruppe von 4 Wanderern aus Polen. Ich bestellte mit Abendessen (18 Uhr) und Frühstück (7 Uhr). Was es gab, konnte mir die Hüttendame nicht sagen, es schien eine spontane Entscheidung zu werden – eine Überraschung. Das Matratzenlager befand sich unter dem Hüttendach im 1. Stock. Ich verstaute meinen Krempel und bekam ein Paar Hüttenschuhe, dann gab’s erst mal eine Krautsuppe…
Bis zum Abendessen hatte ich noch etwas Zeit. Eine gute Gelegenheit mir mal die Schneesituation am sedlo Prielom anzusehen. Die erste Überraschung erwartete mich bereits am Abfluss der Zbojnícke plesá (Buchholtz-Seen). Auf der gegenüberliegenden Seite des Bachs erhob sich ein Schneefeld mit einer etwa 1 m hohen Abbruchkante. Das hieß, ich musste direkt aus dem Bach das Schneefeld erklimmen und hoffte möglichst keine nassen Füße zu bekommen.
Zwischen Geröllbrocken verschwanden Murmeltiere, Gämsen hörte ich nur wenn sie Steine lostraten, die dann die Hänge herunterpolterten. Vor mir erhob sich der Anstieg in den Sattel. Zwei größere Schneefelder bedeckten die Aufstiegsroute im oberen Drittel. Sie sahen machbar aus, nur hatte ich keine Zeit mehr, um das zu testen. Mein Abendessen wartete ich musste zurück zur Hütte.
Bei Krautgulasch mit Knödeln erfuhr ich von dem Slowaken, dass er mit seiner Freundin heute von der Téryho chata (Tery-Hütte) kam. Sie sind über den Priečne sedlo (Rote-Turm-Scharte) geklettert. „Vor 4 Tagen war der Weg aufgrund des Schnees noch nicht machbar“ erzählte er. Seiner Freundin schien auch der heutige Tag gereicht zu haben. Sie wollten morgen absteigen.
Und was sollte ich tun? Laut Wanderkarte war der morgige Abstieg vom sedlo Prielom schwerer als der Aufstieg – Kletterei war angesagt. Außerdem führte die Querung zum Poľský hrebeň auf der Nordseite unterhalb des Tatra-Hauptkammes entlang. Dort rechnete ich mit deutlich mehr Schnee als auf dieser Seite. Ich könnte zwar zum sedlo Prielom morgen früh aufsteigen und mir die Situation ansehen. Sollte ich allerdings umkehren müssen, würde das meine komplette Tourenplanung durcheinanderwirbeln. Ich grübelte hin und grübelte her und entschied mich schließlich, den Weg nicht zu gehen. Morgen früh wollte ich absteigen, über die Tatra-Magistrale zum Sliezsky dom (Schlesierhaus) laufen und von dort zum Poľský hrebeň aufsteigen. Falls ich gut in der Zeit lag, könnte ich sogar noch auf den Gipfel der Východná Vysoká klettern. Alles lag südseitig, sollte also weitestgehend schneefrei sein.

4. Gipfelsammeln

Kein Wölkchen trübte am nächsten Morgen den Himmel über den Bergen. Ein paar nette Bettgefährten hatten mir ansehnliche rote juckende Flecken hinterlassen, über den ganzen Körper verteilt. Ich werde nie ein Hüttenfreund! Doch eine Gämsenfamilie entschädigte mich beim Abstieg für die Insektenattacke während der Hüttennacht. Etwa 2 ½ Stunden dauerte der Abstieg bis Hrebienok. Die nächsten 2 Stunden bis zum Sliezsky dom lief ich in sengender Mittagshitze. Die Dame an der Hotelrezeption stellte mich vor die Wahl: „Wir haben Touristenzimmer und normale Zimmer.“ Auf meine Frage nach dem Unterschied, antwortete sie nur kurz: „der Preis“. Ein Touristenzimmer würde mich 22 Euro kosten, ein normales Zimmer 108 Euro. Ich schlüpfte in die Rolle des Touristen. Das Touristenzimmer bestand aus zwei Räumen mit je zwei Doppelstockbetten und einem Bad.
12:40 Uhr zeigte meine Uhr als ich mich aufraffte in Richtung Poľský hrebeň. Laut einem Wegweiser soll es bis zum Gipfel der Východná Vysoká 2 ¾ Stunden dauern. Ich hatte schon die Wandermentalität der Einheimischen angenommen. Knapp 1 ½ Stunden waren es bis in den Bergsattel. Wie ich schon vermutet hatte, gab es auf dem Weg kaum noch Schnee, lediglich ein kleines Schneefeld musste ich unterhalb des Tatra-Kamms queren. Der letzte Wegabschnitt unterhalb des Sattels ist mit Ketten und Stahltritten ausgestattet. Vom Poľský hrebeň sah ich hinüber zum sedlo Prielom. Eine steile Schneerinne führte vom Sattel den Berghang hinunter. Ohne Steigeisen wäre ich da nicht abgestiegen. Wieder hatte ich für mich die richtige Entscheidung getroffen.
Unter dem Poľský hrebeň schimmerte der Zamrznuté pleso (Gefrorener See) er war noch komplett mit Eisschollen bedeckt und das am 21. Juni, ein Tag vor dem Sommeranfang! Eine gelbe Bandmarkierung wies den Weg zum Gipfel der Východná Vysoká. Ein Schild warnte vor einem anspruchsvollen Wegabschnitt. Ich folgte dem gelben Band. Leichte Kletterei in griffigem Granit führte an den Fuß eines steilen Geröllhangs und dieser endete auf 2429 m, dem Gipfel der Východná Vysoká. Alle Wandergipfel im slowakischen Teil der Hohen Tatra hatte ich nun bestiegen. Wie von der Slavkovský štít sah ich unter mir wieder die Räuberhütte, diesmal von der anderen Seite. Ich blieb nicht lang oben denn es war schon spät und ich hatte noch einen längeren Rückweg vor mir. Eine halbe Stunde dauerte der Abstieg zurück in den Sattel Poľský hrebeň. Insgesamt steckten mir 9 ½ Stunden in den Beinen als ich gegen 17 Uhr wieder das Sliezsky dom erreichte. Das Touristenzimmer war nun komplett belegt. Ich teilte es mit Stehpinklern, die offensichtlich noch nie etwas davon gehört hatten, dass man nach der Toilettenbenutzung die Spülung betätigt!
Da mich die Wanzenbisse ärgerten und mein Zimmernachbar einen ganzen Wald abzuholzen schien, konnte ich nicht einschlafen und überlegte mir, morgen nicht wie geplant nach Štrbské pleso (Tschirmer See) zu laufen, sondern meine zweite große Tatra-Überschreitung zu versuchen. Über den Poľský hrebeň nach Lysá Poľana. Der Abstieg vom Sattel schien machbar. Soweit ich das einsehen konnte, führte ein Geröllpfad in Serpentinen hinunter zum Zamrznuté pleso.

5. Mein Rückzug

Um halb sechs Uhr morgens bewegte ich mich wieder in Richtung Poľský hrebeň. Das kleine Schneefeld auf dem Anstieg war jetzt überfroren. Meine Schuhe rutschten, die Sohlen waren auch nicht mehr die Besten. Um 7 Uhr stand ich wieder im Sattel, hinter mir streckte die Gerlachovský štít (Gerlsdorfer Spitze) ihr Haupt in den blauen Morgenhimmel. Im Zickzack ging es auf der anderen Seite nach unten, leider nicht sehr weit. Der Weg führte in eine steile, mit überfrorenem Schnee gefüllte Felsrinne – ohne Steigeisen für mich nicht machbar. Umkehren! Was hatte ich gelernt? Im Juni gehören auf einer Wanderung in der Hohen Tatra Steigeisen in den Rucksack!
Auf dem Rückweg durfte ich einer Gruppe Gämsen zusehen, wie sie auf einem Schneefeld herumtobten. Sie jagten sich, blieben abrupt stehen, kamen zurück und schauten mir in die Kamera. Als ob sie mir sagen wollten: So bewegt man sich in den Bergen, stell dich nicht so an!
Ein Stück weiter unten schaute ich in eine Kamera. Ein Typ hielt mir seine Videokamera vor die Nase und faselte was von Východná Vysoká. Vermutlich glaubte er, ich käme gerade vom Gipfel. Das ärgerte mich. Wenn er ein nettes Gespräch angefangen hätte und mich dann gefragt hätte, ob er mich filmen dürfe, hätte ich ihm bestimmt für seine Urlaubserinnerung Modell gestanden. Aber die Art fand ich schon recht dreist, was ich ihm auch unmissverständlich klar machte. Irgendetwas nuschelnd drehte er sich um und setzte seinen Weg fort.
Zurück am Sliezsky dom überlegte ich bei einem Glas Kofola was ich nun machen könnte. Ich fühlte mich etwas planlos. Schlussendlich entschied ich mich für einen vorläufigen Rückzug aus den Bergen. Ein mit gelbem Band markierter Abstieg führte mich nach Starý Smokovec. Am Fahrkartenschalter störte ich die Dame bei ihrer Mittagspause, kaufte noch mal eine Drei-Tages-Fahrkarte und fuhr mit dem Bähnle nach Poprad. Die Übernachtungen für die beiden letzten Urlaubstage hatte ich bereits in Deutschland gebucht – Satel hieß das Hotel. Ich kannte es von meiner Karpatenwanderung 2014 (der Gurkensalat zum Frühstück schmeckte sehr gut). Vielleicht konnte ich dort unterkommen. Es klappte! Ich bekam das Zimmer zum gleichen Preis wie für die anderen beiden Nächte. Die Badewanne lockte. Morgen wollte ich eine Tageswanderung machen, von Vyšné Hágy zum Batizovské pleso (Botzdorfer See), Popradské pleso (Poppersee) und Štrbské pleso (Tschirmer See) – eine Drei-Seen-Tour sozusagen.

6. Die Drei-Seen-Wanderung

Bereits früh auf dem Weg zum Bahnhof kam ich ins Schwitzen, die Sonne brannte. 30 °C in Poprad lautete die Wetterprognose gestern nach den Nachrichten. Die Tatra-Bahn platzte fast aus den Nähten. Bis Starý Smokovec stiegen an fast jeder Haltestation Schulklassen ein. Ich war froh nach einer Stunde Fahrt in Vyšné Hágy endlich die Bahn verlassen zu können. Meine Uhr zeigte 9:30 Uhr. Im Wald war es etwas angenehmer. Auch hier führte wieder ein mit gelbem Band markierter Weg ins Gebirge. Irgendwie hatte ich eine Vorliebe für Gelbe-Band-Markierungen. Als die Bäume spärlicher wurden und an ihre Stelle die Latschen traten, brannte mir die Sonne wieder unbarmherzig ins Genick. Am Tatra-Hauptkamm hingen graue Wolken. Auch Gerlachovský štít, der höchste Tatra-Berg, zeigte sich nur ein Stück. Nach 2 ¼ Stunden machte ich am ersten See, dem Batizovské pleso Mittagspause. Kaum hatte ich meinen Riegel verputzt, durchschnitt Motorengeräusch die Luft. Ein Helikopter der Bergrettung flog das Tal hinauf in Richtung Gerlachovský štít. Wie 2007 versuchte er so nah wie möglich an den Berg zu gelangen, drehte wieder ab, versuchte es noch einmal, flog zurück und versuchte oberhalb des Sees zu landen, stieg wieder auf und verschwand in den Wolken. Übung oder Ernstfall? Ich hatte keine Ahnung aber ein paar nette Fotos gemacht.
Auf der Tatra-Magistrale über typische Tatra-Geröllwege erreichte ich die Ostrva (Osterva, 1978 m). Tief unter mir leuchtete blau der Popradské pleso. Dazwischen lag der lange Abstieg vom Sattel Sedlo pod Ostrvou hinab zum See. Doch auch die längste Serpentine ist irgendwann zu ende. Das Poppersee-Hotel hatte eine neue Fassade bekommen und in der Majláthova chata gab es ukrainischen Eintopf – Borschtsch. Es war zwar schon 14:45 Uhr aber ich genehmige mir einen, als zweites Mittagsessen sozusagen. Viel Freude hatte ich nicht. Der Eintopf schmeckte gut aber ein Schwarm Fliegen attackierte mich pausenlos. Ich hatte mich schon gewundert, weshalb auf den Bänken draußen vor der Hütte niemand saß. Gerade 15 Minuten dauerte meine Pause, dann lief ich weiter auf grünem Band zum letzten der drei Seen den Štrbské pleso. In Štrbské Pleso tauchte ich ein in die Touristenströme der Tatra-Besucher. Ein Krimskrams-Laden reihte sich an den anderen. Schnell zum Bahnhof, sagte ich mir. Der Zug nach Poprad stand schon zum Glück bereit. Morgen war mein letzter Urlaubstag, ich wollte nicht wandern.

7. Im Reich des Höhlenbären

Bei der Hitze bevorzugte ich am letzten Tag ein schattiges Plätzchen. Die Höhle Važecká jaskyňa (Waagsdorfer Höhle) schien mir geeignet. Es gibt zwar die Möglichkeit von Tatranská Štrba aus, etwa 10 km bis zur Höhle zu wandern. Aber bei den Temperaturen hielt sich meine Begeisterung für eine Wanderung in Grenzen. Das Dörfchen Važec liegt an der Bahnstrecke Poprad – Liptovský Mikuláš und hat auch eine Haltestation. Es halten jedoch nur Regionalzüge und diese fahren tagsüber recht spärlich. Morgens um 6:34 Uhr dann erst wieder am Nachmittag um 13:30 Uhr. Ein Bus soll um 10 Uhr nach Važec fahren, wenn ich den Fahrplan am Busbahnhof richtig interpretiert hatte. Sicher war ich mir nicht.
Nachdem ich mich gegen eine Busladung voll Japaner am Frühstücksbüfett des Hotels behauptet hatte (es gab keinen Gurkensalat), schlenderte ich zum Busbahnhof. Es war kurz vor 9 Uhr. Die Aussicht, hier eine Stunde lang herumzuhängen begeisterte mich nicht. Am Straßenrand warteten Taxifahrer auf Kundschaft. Ich schlenderte zum vordersten Taxi und fragte nach dem Preis. Der Fahrer verstand mich nicht, rief in der Zentrale an und hielt mir sein Smartphone hin. Von einer Stimme, die das Englische beherrschte, erfuhr ich was es kosten würde: „15 bis 20 Euro“. Das passte!
Ich hockte mich ins Auto und nach einer knappen halben Stunde stand ich am Eingang zur Schauhöhle Važecká jaskyňa. Der Fahrer hatte sich nur einmal verfahren, dafür kostete die Fahrt 28 Euro. Egal, ich war am Ziel und um 10 Uhr sollte die nächste Führung sein. Ich ging zur Kasse und wollte den Eintritt zahlen (5 Euro + 7 Euro Fotoerlaubnis). Doch der Kassierer zeigte auf ein Schild neben dem Schalter – „ab 4 Personen“ stand da. Schöner Mist! Dass eine Höhlenführung eine Mindestbesucherzahl forderte, hatte ich bei slowakischen Schauhöhlen noch nie erlebt und ich kannte schon eine ganze Menge. Doch Hoffnung nahte in Form von 2 weiteren Besuchern. Nun fehlte noch einer. Der Uhrzeiger sprang auf 10 Uhr und wir waren immer noch zu dritt. Doch unser Höhlenführer schien Mitleid zu haben. Er schnappte sich Schlüssel und Lampe – wir gingen zu dritt in die Unterwelt.
Das Besondere an der Höhle sind die fossilen Knochenfunde vom Höhlenbären (Ursus spelaeus). Doch auch Knochen des Höhlenlöwen (Panthera spelaea) und Wollnashorns (Coelodonta antiquitatis) fand man hier. Was mich wunderte, so ein Nashorn hätte nie und nimmer in die engen Höhlengänge gepasst, selbst der Höhlenbär musste sich da schon mächtig dünne machen, falls die Größe des Bären-Modells im Höhleneingang maßstabsgetreu war. Zahlreiche Knochen, vor allem Zähne lagen im Eingangsbereich der Höhle. Sie erinnerten mich an mein Höhlenabenteuer 2004 im rumänischen Șureanu-Gebirge. Nun ja, sonst gab es wie in jeder Tropfsteinhöhle die typischen Sinterformen. Ein Grillhähnchen am Spieß, ein Osterhase, Schneewittchen mit den 7 Zwergen, ein Wasserfall, ein Zwerg auf dem Klo und was die Menschheit noch alles hineininterpretierte in die Millionen Jahre alten braunen, gelben, grauen, roten und weißen Kalkgebilde. Interessant fand ich eine Hochwassermarkierung an der Höhlenwand. Im Frühjahr 2006 war die Höhle aufgrund des vielen Schmelzwassers komplett abgesoffen. Die beiden Slowaken nahmen mich auf dem Rückweg mit bis Tatranská Štrba. Mit dem Tatra-Bähnle konnte ich über Štrbské Pleso zurück nach Poprad fahren. Morgen würde es zurück nach Deutschland gehen.
Alles in allem war es wieder eine nette Karpatentour und die Therapie hatte angeschlagen, ich hatte mir den Pelz verbrannt und 6 Kilo abgenommen.

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