(Karpatentour September/Oktober 2013 – Slowakei)
Es ist schon erstaunlich, dass die Bahn es selbst bei einer fahrplanmäßigen Umsteigezeit von 47 Minuten schafft, mich unter Stress zu setzen. Es ist 11:13 Uhr, als ich in Prag aus dem CNL klettere, 11:16 Uhr fährt der Anschlusszug in die Slowakei. Zum Glück brauche ich nur über den Bahnsteig laufen, dort wartet schon der Zug nach Zvolen.
Ursprünglich wollte ich in die Hohe Tatra, geplant war eine Überschreitung des Gebirges von der slowakischen auf die polnische Seite, mit dem von mir noch nicht begangenen Rest des Adlerweges als krönenden Abschluss der Tour. Das Wetter sollte zwar gut werden, doch am Abreisetag zeigte die Webcam Schnee und Eis auf dem Gipfel der Lomnitzer Spitze. Keine günstigen Bedingungen für eine Grat-Kraxelei auf dem Adlerweg. Spontan entschied ich mich für ein neues Ziel – eine Wanderung durch die Veľká Fatra (Große Fatra).
Die Veľká Fatra liegt zwischen der Niederen Tatra im Osten und der Kleinen Fatra im Westen ungefähr in der der Mitte der Slowakei. Beginnen wollte ich in Donovaly also dort, wo ich meine Tour in diesem Jahr über den Kamm der Niederen Tatra Ende Mai beendet hatte.
Pünktlich gegen 17:30 Uhr erreiche ich Ružomberok (Rosenberg) im Waagtal. Von hier fahren Busse nach Donovaly. Ob auch noch an einem Samstagabend, musste ich erst mal herausfinden. Der Busbahnhof befindet sich gleich neben dem blauen Bahnhofsgebäude von Ružomberok. Ich frage eine junge Frau, die auf einen Bus wartet, nach einer Verbindung in Richtung Donovaly. Die Dame studiert sämtliche Fahrpläne an den Bussteigen, um mir schließlich die Info zu geben, dass ich wohl heute nicht mehr weiter kommen werde. Was tun? Ich entscheide, mir hier im Ort eine Übernachtungsmöglichkeit zu suchen.
Ružomberok wirkt auf mich wie ein Industriegebiet mit Wohnsiedlungen. Der eigentliche Stadtkern ist recht überschaubar und mitten drin steht das Hotel „Kultura“. „Wir sind ausgebucht, tut uns leid“, so die Dame an der Rezeption, „Sie können es noch im Hotel Áčko versuchen.“ Das Hotel Áčko liegt jedoch nicht mehr im Stadtzentrum, sondern am Stadtrand, schon fast an den Ausläufern der Großen Fatra. In mir reift der Gedanke, eventuell von hier aus meine Wanderung zu beginnen, dann spare ich mir die Fahrt nach Donovaly am Morgen. Ich laufe los. Nach dreimaligem Durchfragen erreiche ich tatsächlich nach ungefähr einer halben Stunde das Hotel. „Wir sind leider ausgebucht. Aber versuchen sie es doch im Hotel Kultura.“ Genial! Genau die Nachricht, auf die ich gewartet hatte. Es wird bereits dunkel, und an der rechten Ferse habe ich mir eine Blase gelaufen – scheiß Asphaltgelatsche. Ich bitte die Dame an der Rezeption, mir ein Taxi zu rufen, das mich zurück zum Bahnhof bringt. Ich habe die Schnauze voll von der Hotelsuche hier. Da kann ich auch weiter nach Poprad fahren und morgen meine Wanderung beginnen.
Während der Fahrt zurück zum Bahnhof kommt mir eine bessere Idee. „Was kostet die Fahrt bis Donovaly“, frage ich den Fahrer. Er überlegt kurz und sagt dann „25 Euro“. Wir fahren nach Donovaly! „Hotels, kein Problem“, versichert mir der Mann. „Hier gibt es viele.“ Er setzt mich im Ortszentrum ab, gleich neben einer Pension im Blockhausstil. „Hier gutes Essen“, sagt er zum Abschied. Der Laden ist gut besucht, die Kellnerinnen schleppen Biergläser und Steakteller durch die Gegend. Die Antwort des Mannes hinter dem Tresen ist kurz und verständlich: „Wir sind ausgebucht.“ So was ist mir noch nie passiert – und das Ende September, ich kann es nicht glauben! Ich starte noch einen Versuch. Gegenüber leuchtet mir der Name „Galileo“ entgegen, darüber blinken 4 Sterne. Die Dame an der Rezeption lächelt und sagt: „Das Zimmer kostet 69 Euro sowie 50 Cent Touristensteuer.“ Ich ärgere mich, dass mir die Idee, mit dem Taxi nach Donovaly zu fahren, nicht schon früher kam. Ich hätte mir die Stunde Latscherei durch Ružomberok gespart und hätte hier mehr Zeit gehabt, mich nach einer gescheiten Unterkunft umsehen zu können. Egal, ich ziehe 70 Euro aus meiner Hosentasche und schiebe ihr die Scheine entgegen. „Wellnessbereich und Frühstück sind inklusive.“ Na dann.
Hier gibt es eine finnische, schwedische und türkische Sauna sowie einen Whirlpool. Der Kellner trägt weiße Handschuhe, die Gäste nippen an ihren Rotweingläsern und beherrschen das Essen mit Messer und Gabel. Aber es gibt keine slowakische Krautsuppe, das finde ich unverzeihlich. Immerhin gibt es Kofola.
Nach dem Abendessen widme ich mich meiner Blase und muss feststellen, dass nicht das Asphaltgelatsche Schuld an dem Malheur war, sondern ein kaputter Bergstiefel. Das Innenfutter meines rechten Schuhs hat ein Loch und genau dort reibt er. Das ist ein Problem! Ich hoffe, mein extra Blasenpflaster kann dies beheben.
Nach einem reichhaltigen Frühstück – oder besser gesagt: zum Platzen voll – geht es früh um 8 Uhr los. Der Morgen ist kalt und über Donovaly wabert Nebel. Die heutige Etappe werde ich auf dem E8 laufen. Der Fernwanderweg heißt hier auch „Cesta hrdinov SNP – Wanderweg der Helden des slowakischen Nationalaufstandes“ und diese Helden müssen harte Hunde gewesen sein, gleich hinter Donovaly geht es bald über 440 Höhenmeter steil bergauf zum Gipfel des Zvolen (1402 m). Serpentinen scheinen hier unbekannt zu sein, auch später kämpfe ich mich immer wieder auf steilen Direktanstiegen nach oben.
Bald liegen Wald und Nebel unter mir und vor mir breitet sich das Panorama des gesamten Gebirgszuges der Großen Fatra aus. Zwischen trockenen Grashalmen blühen Herbstzeitlose (Jesienka Obyčajná). Vom Zvolen-Gipfel folge ich dem Bergkamm nach Westen. Bald geht es wieder hinunter in den Wald. An manchen Stellen verengt sich der Kamm zu einem schmalen Felsgrat. Die Landschaft erinnert mich ans Schweizer Jura, nur, dass der Kalkstein hier grau ist und nicht weiß.
Gelb leuchten mir dagegen eine Handvoll Maiskörner in einem Haufen Bärendreck entgegen. Ein deutliches Zeichen, dass es hier noch andere Tiere gibt als Reh oder Wildschwein. Immerhin weiß Meister Petz, wo er sich zurzeit noch mal richtig satt fressen kann. Doch nicht nur das Futterangebot für Europas Großräuber fällt auf dem Grat nicht gerade üppig aus, es gibt auch nirgends Wasser. Seit meinem Aufstieg von Donovaly habe ich keine Quelle gesichtet. Dafür weisen die Wegweiser zu einer solchen: „Kráľova studňa pramen“ steht immer drauf, mein heutiges Tagesziel.
Im Sattel Veľký Šturec beginnt der Nationalpark Veľká Fatra. Doch bevor es auf den Hauptkamm hinaufgeht, steige ich noch einmal tief hinunter bis auf 920 m in den Sattel Východné Prašnické. Eine Gruppe Wanderer kommt mir entgegen. Nach einem langen Aufstieg weicht der Wald und ich stehe unterhalb des Krížna-Gipfels, mit 1574 m der erste hohe Buckel der Veľká Fatra. Und an seinem Osthang sehe ich etwas, dass ich so von den Bergen in der Slowakei nicht kannte – grasende Schafe, wie in den Karpaten Rumäniens. Das der Kamm der Veľká Fatra trotz der geringen Höhe von maximal 1592 m weitestgehend frei ist, dürfte der Beweidung zugrunde liegen. Die Hirtenhütte, ein ausrangierter Lkw, ist umzäunt. Ich finde es interessant, da läuft man auf dem Hauptkamm durch eine reine Kulturlandschaft und unten in den Wäldern leben noch Bär, Luchs und Wolf wie in einer abgeschiedenen Bergwildnis.
Ein schmaler Pfad führt nach oben. Auf dem Gipfel steht eine Radarstation, daher ist er gesperrt. Von hier zweigt der Hauptkamm der Veľká Fatra nach Norden ab. Ich folge jedoch dem E8 noch ein Stück weiter nach Westen und erreiche besagte Quelle. Es ist eine ganze Quellenkaskade, die hier angelegt wurde. Das Wasser füllt eine ganze Reihe an Viehtränken erinnernde Tröge, bevor es wieder in die Landschaft sprudelt.
Bis zu meinem Tagesziel, dem Berghotel Kráľova studňa, sind es nur noch ein paar Minuten. Schon auf dem ganzen Weg habe ich mir Gedanken darüber gemacht, was ich anstelle, wenn das Hotel ebenfalls ausgebucht sein sollte. Da ich wusste, dass die Veľká Fatra Nationalpark ist, habe ich kein Zelt eingepackt. Lediglich ein Biwaksack, mein Schlafsack und die Isomatte sind im Rucksack, für Notfälle sozusagen. So suche ich am Wegesrand auch ständig nach geeigneten Möglichkeiten, um zu biwakieren. Etwa 200 m hinter der Quelle steht ein Kalkfelsen, der ebenfalls Kráľova studňa heißt und an dessen Fuß sich ein kleiner Überhang befindet. Meine Notlösung.
Im Berghotel bekomme ich aber nicht nur mein Ankunftsbierchen, es gibt auch ein Touristenlager für 12,50 EUR. Petr am Nachbartisch scheint hier Stammgast zu sein, zumindest seiner Mütze nach zu urteilen, die den Namenszug des Berghotels trägt. Wo ich heute herkomme, will er wissen. „Donovaly, dobre!.“ Er klopft mir anerkennend auf die Schulter und spendiert einen Slivovica.
Nur 4 °C zeigt mein Thermometer am nächsten Morgen und es weht ein frischer Wind. Ich laufe zurück zum Krížna-Gipfel, um von dort nach Norden auf die Veľkofatranská magistrála abzubiegen – den Höhenweg über den Kamm der Großen Fatra. Wasserpfützen auf dem Weg haben eine dünne Eisschicht. Je höher die Sonne steigt, desto schmieriger wird der Pfad. Nach 2 ½ Stunden stehe ich auf dem Ostredok, mit 1592 m der höchste Berg in der Großen Fatra. Am Horizont im Nordosten erhebt sich die Westliche und die Hohe Tatra, im Nordwesten die Kleine Fatra. Alle drei Massive hatte ich auf früheren Touren schon durchwandert. Beim Abstieg vom Ostredok entdecke ich eine kleine Schutzhütte, die auf meiner Karte als solche nicht zu erkennen ist. Salaš pod Suchým vrchom steht über der Eingangstür. Auch eine Quelle gibt es gleich in der Nähe. Das hätte ich gestern wissen müssen, den Weg zum Berghotel hätte ich mir sparen können. Ich hocke mich davor, knabbere einen Energieriegel und lasse mir von meinem Handy die GPS-Koordinaten geben.
Mein Tagesziel ist heute die Chata pod Borišovom, es ist die einzige richtige Berghütte auf dem Kamm der Großen Fatra. Doch vorher geht es noch hinauf auf den Ploská-Gipfel, 1532 m hoch. Hier teilt sich der Kamm. Der östliche Ausläufer führt bis Ružomberok der Westliche nach Ľubochňa. Der Höhenweg folgt dem Westkamm, allerdings gibt es keine Unterkunft mehr. Auf meiner Wanderkarte ist im Príslop-Sattel lediglich ein Unterstand eingezeichnet. Wenn das Wetter hält, könnte ich es trotzdem versuchen.
Als ich mich an den Abstieg mache, erreichen 4 Radfahrer, auch Mountainbiker genannt, den Gipfel, sie haben das gleiche Ziel wie ich – die Berghütte. Auf dem sehr steilen und rutschigen Weg hinunter schieben sie aber ihre Drahtesel.
Die Berghütte unter dem Borišov-Gipfel ist einfach
toll. Christian hatte sie auf ODS recht anschaulich beschrieben: „Diese Hütte wird allen Verächtern neumodischer Komforthütten gefallen. Plumpsklo, keine warmen Duschen, auch keine kalten Duschen und als Krönung nicht ein einziges Waschbecken!“
Die Hütte wird mit Trägern versorgt, wie auch in den Berghütten von Hoher und Niederer Tatra üblich. Mit fast mannshohen Kraxen bringen sie Bierfässer, Proviant oder Feuerholz nach oben. Der Gastraum ist urgemütlich, es gibt slowakische Krautsuppe, Bier und fette Würstchen und zum Abend zündet einer vom Hüttenteam die Petroleumlampen an. Das Licht der Lampen ist hell genug, um noch einmal meine Wanderkarten zu studieren. Ich habe mir zwei Karten der Veľká Fatra eingesteckt, da sie sich in den Ausschnitten etwas unterscheiden. Was mich stutzig macht ist, dass auf der zweiten Karte der Unterstand am Príslop-Sattel nicht eingezeichnet ist. Ich frage in der Berghütte, und man versichert mir, dass es auf dem Weg nach Ľubochňa keine weitere Übernachtungsmöglichkeit gebe. So ändere ich meinen Plan und werde morgen dem Ostkamm folgen.
Nebel zieht am Morgen die Berghänge hinab. Die Hütte wird ins warme Licht der aufgehenden Sonne getaucht. Das Gras ist weiß vom Raureif. Aus den Tälern röhren Hirsche hinauf. Ich muss heute nicht mehr über den Ploská-Gipfel laufen, ein Wanderweg, grün markiert, umgeht ihn. Eine Zeitlang zeigt sich noch das grüne Band, dann hat es der Nebel geschluckt. Da der Pfad aber weiterhin deutlich zu sehen ist, folge ich diesem. Bald lasse ich den Nebel wieder unter mir liegen. Das Gras leuchtet jetzt goldgelb und die umliegenden Gipfel schauen aus den Wolken raus. Nach einer Weile treffe ich auch wieder auf die Markierung, irgendwann muss ich den richtigen Abzweig verpasst haben. Etwas versteckt in einer Mulde sehe ich eine Wasserquelle, Zeit fürs Frühstück. Da es auch gestern nur eine Möglichkeit gab Wasser aufzufüllen, fülle ich meine Trinkflaschen auf und ermittle noch die GPS-Koordinaten der Quelle (N 48.931421, O 19.124376). Hier könnte man theoretisch auch sein Zelt aufbauen.
Keine 5 Minuten von der Quelle entfernt im Sedlo Ploskej, dort wo der Wanderweg nach Vyšná Revúca abzweigt, taucht aus dem Nebel wieder ein kleiner Unterstand auf, und nicht weit davon entfernt noch eine Quelle. Wasserprobleme dürfte es auf der heutigen Etappe keine geben. Probleme habe ich aber mit dem Matschweg. Mit dem, was mir unter den Schuhsohlen klebt, könnten andere Schüsseln und Töpfe bauen. Der Lehm setzt sich zwischen den Profilrillen fest und ich rutsche bei jedem Schritt wie auf Blankeis.
Neben der Grünen-Band-Markierung gibt es eine Wintermarkierung. In regelmäßigen Abständen stecken lange Holzstangen im Boden, und an den Bäumen sind Reflektoren genagelt, sodass man auch bei Dämmerung nicht vom rechten Weg abweichen sollte. Ich kann es mir gut vorstellen, hier mal mit Schneeschuhen entlang zu wandern.
Unterhalb des Felsgrates Čierný kameň geht es durch wilden Bergwald. Baumstämme modern am Boden, und an moosbewachsenen Ästen schweben mit Reif bedeckte Spinnweben in der Luft. An den bereits blattlosen Ebereschen leuchten rote Beeren. Ein Schild weist darauf hin, dass die Felsregion ein Schutzgebiet innerhalb des Nationalparks ist. Sozusagen ein Schutzgebiet im Schutzgebiet, doppelt hält besser.
Bis zum Minčol auf 1397 m laufe ich im Nebel. Danach klart es auf, und vor mir erhebt sich der 1567 m hohe Rakytov. Steil geht es nach oben.
Oben angekommen halte ich mich aber nicht lang auf, die Sicht ist gut, aber der Wind ist kalt. Beim Abstieg kommen mir zwei Wanderer entgegen, sie sind heute Morgen in Smrekovica gestartet, meinem Tagesziel. Das Berghotel liegt in einer Senke, die erst recht spät einsehbar ist. An den Wänden des Hotel-Restaurants hängt der Wildreichtum der Großen Fatra. Zwei Jäger hocken am Stammtisch beim Bierchen, weiter sind keine Gäste da. Bardame Lenka gibt mir ein Zimmer für 16 Euro. Das Abendessen kostet 5 Euro. Ich habe die Wahl zwischen Schweinebraten oder Hühnchen.
Es ist früh nicht so kalt wie die letzten Tage. Das mag daran liegen, dass das Hotel geschützt im Wald liegt, es kann aber auch sein, dass sich das Wetter ändert. Nach rund 20 Minuten erreiche ich den Skiort Smrekovica. Auch hier gibt es neben diversen Holzbuden ein Hotel, das aber recht verlassen dasteht. Interessant finde ich, dass sich der Untergrund geändert hat. Ich laufe nicht mehr über rutschigen Kalkstein sondern festen griffigen Granit. Auch die Vegetation ist anders, kein Mischwald mehr, sondern Fichtendickicht. Von Nordosten her ziehen Wolken auf, bald ist von der Hohen Tatra nichts mehr zu sehen, die Gipfel der Westtatra schauen gerade noch unter der Wolkendecke hervor.
Bald rutschen meine Schuhe wieder über lehmige Bergpfade, der Kalkstein hat mich wieder. Über Wiesen geht es nun immer tiefer bis zum Skipark Ružomberok (Malinné). Im Skigebiet Malinné kommt mir ein Wanderer mit kleegrüner Berghausjacke und leichtem Tagesrucksack entgegen. Mario, aus Ružomberok, arbeitet in Irland und sucht jetzt ein Restaurant, wo er was essen kann. Ich suche einen Schlafplatz. Wir suchen gemeinsam. Doch Malinné ist wie ausgestorben, die warten auf den Winter.
Solange haben wir keine Zeit. Mario kennt weiter unten eine Pension, da gibt es Öko-Futter und ich könne da auch übernachten. Wir steigen ab. Als Wegzehrung holt er ein Fläschchen Met (Medovína) aus dem Rucksack. Der ist aus Waldhonig gemacht und gut gegen den kalten Wind. Und ich erfahre, dass ich mich heute in einer Gefahrenzone befand.
„Von Smrekovica kommst du heute“, fragt Mario. Vor ein paar Jahren wurde sein Kumpel im Winter von drei Wölfen attackiert. Er wurde so stark an den Beinen verletzt, dass er mit dem Hubschrauber ausgeflogen werden musste. „Die müssen verdammt hungrig gewesen sein“, so sein Kommentar. Meine bisherige Überzeugung, dass Wölfe keine Gefahr für den Menschen sind, verbanne ich augenblicklich ins Reich der Legenden. Und über eine Schneeschuhtour sollte ich mir auch noch mal Gedanken machen.
In der Pension, die Gejdák heißt, bekomme ich ein hübsches Zimmer für 15 Euro, eine ökologische Krautsuppe und ein Bier der Marke Starobrno aus dem Nachbarland. Mario verabschiedet sich. Wenn ich mal nach Irland komme, soll ich mich melden.
Von meinem Zimmer habe ich einen Panoramablick auf Ružomberok mit seinen dampfenden Papierfabriken. Morgen werde ich einen Tagesausflug machen. In der Nähe soll es ein Dörfchen geben, das aufgrund seiner Volksarchitektur 1993 unter den Schutz der UNESCO gestellt wurde.
Das Dorf Vlkolínec ist schön. Gelbe, blaue oder rosafarbene Häuser im Blockhausstil mit Holzschindeldächern reihen sich wie bunte Perlen an einer Kette. Wasser holt man traditionell am Dorfbrunnen. Durch den Ort ziehen sich nur Schotterwege. Noch über die Hälfte der Häuser sind bewohnt. Am Dorfeingang steht die Marienkirche und im Zentrum ein Glockenturm aus Holz aus dem 18. Jahrhundert. Typisch für das Dörfchen sind die langen offenen Höfe, die in Terrassenfeldern münden.
Doch es scheint für die Bewohner nicht nur ein Segen zu sein, dass ihr Heimatdorf zum Weltkulturerbe gehört. Schilder an den Grundstücken weisen darauf hin: „Bitte nichts berühren“, „Privatparkplatz“, „Grundstück nicht betreten“ steht da.
Das Wetter ist schön, was für mich nicht unbedingt ein Segen ist, habe ich doch beim Fotografieren mit enormen Kontrasten zu kämpfen. Über dem Dorf erhebt sich der Sidorovo (1099 m) ein felsiger Berg, dessen Ausläufer sich bis Ružomberok zieht. Über den Grat geht ein Wanderweg, rot markiert. Den Zustieg von den Heuwiesen am Vrchlúky – Široké sedlo (859 m) finde ich nicht gleich, doch nach einer „Ehrenrunde“ klappt es dann. Steil zieht sich der Pfad den Berg hinauf, graue Kalkfelsen erfordern den Einsatz meiner Hände, und Schweißtropfen rennen den Rücken runter, als ich endlich auf dem Gipfel stehe. Gelb und orange leuchten die Blätter der Bäume in der Mittagssonne, weit unten sind die Holzdächer von Vlkolínec zu sehen. Dann geht es einen wild-romantischen Kammweg entlang bis zu den ersten Häusern von Ružomberok.
Zwischen Kleingartenanlagen geht es zurück zur Pension. Morgen ist mein letzter Tag in der Slowakei. Am Abend geht es zurück nach Deutschland.
Ich beschließe nach Poprad zu fahren und von dort mit der Tatrabahn bis Tatranská Lomnica (Tatralomnitz). Von dort könnte ich mich mit der Seilbahn zum Gipfel der Lomnitzspitze bringen lassen. Bei dem Wetter ein Muss. Leider hatte nicht nur ich diese Idee. „Zum Gipfel“, fragt mich die Dame am Kartenverkauf. „Leider ausverkauft, zu viele Leute!“ Egal, es war auch ohne Gipfel eine Reise, die sich durchweg gelohnt hat.