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Kletterabenteuer „Blauer Riss“

Im großartigen Felszirkus der Bucegi

von Peter Popp

Welch anspruchsvolle Bergfahrten Alpinisten in den rumänischen Karpaten erleben können, schildert auch dieser Bericht von Peter Popp von der Sportgemeinschaft Dynamo Elbe, Dresden.

Wir hatten unser Zelt auf einer kleinen Lichtung etwas oberhalb von Buşteni aufgestellt und hofften auf ein Ende des seit Tagen währenden Dauerregens. Nicht eine Spur gaben die Nebelschwaden von der Bergkulisse der „Weißen Wand“ frei, die sich über dem Tal befinden sollte. Vor etwa einer Woche war es uns gelungen, sozusagen als Einführungstraining in einer Regenpause die herrliche klassische „Genussroute“ des „Großen Überhangs“ (Surplomba mare) in der Gelben Wand zu begehen. Nun sollte dieser Tour die Durchsteigung der „Fisura albastră diretissima“, des Blauen Risses, folgen, deren „mundgerechte“ Beschreibung von Walter Kargel wir einem der in der DDR so beliebten „Komm mit“-Bändchen der vergangenen Jahre entnommen hatten.
Nun aber neigte sich der Urlaub schon langsam dem Ende zu, fast war nichts Trockenes mehr an uns, und wir begannen leise zu befürchten, ohne Erfüllung unseres großen Wunsches heimfahren zu müssen.
Nachdem wir uns in den vorangegangenen Jahren bei der Besteigung von Pik Korshenewskaja (7105 m), Pik Lenin (7134 m) und Pik Kommunismus (7495 m) in den Eiswüsten und der dünnen und kalten Luft des Pamir herumgeplagt hatten, erfüllte uns so richtige Sehnsucht, wieder einmal in sonnigen, warmen Felswänden zu klettern, ohne dass einem der Sauerstoffmangel die Brust abschnürt und die Kälte die Zehen fast zum Abspringen bringt. So fassten wir den Entschluss, nach Rumänien ins Bucegi-Gebirge zu fahren, und waren nun hier auf dieser Waldwiese angelangt.
Ursprünglich sollten wir vier sein, aber dann blieben nur noch Steffen, Wolfram und ich übrig, was zugegebenermaßen nicht einer optimalen Zusammensetzung entsprach, da eine Dreierseilschaft etwa 50 Prozent mehr Zeit zur Durchsteigung einer Route benötigt als zwei Zweierseilschaften. Aber uns drängte ja nichts, und manchmal ist etwas Gemächlichkeit dem Genuss einer Bergtour sogar zuträglich.
Da, auf einmal, es war schon Mittagszeit, blickten erstmals wieder vereinzelte Sonnenstrahlen durch Wolkenlöcher auf uns herab und der Regen gönnte sich erst vereinzelte, dann immer mehr zusammenhängende Pausen.
„Wenn wir es morgen nicht packen, ist unsere Chance für einige Jahre passé“, urteilte Wolfram, und so beschlossen wir, unsere Ausrüstung noch am heutigen Nachmittag hinauf zum „1. Amphitheater“ an den Einstieg des „Blauen Risses“ zu bringen, das sich etwa 800 m über unserem Lager befindet.
Bald schon stapften wir, anfänglich über steile Waldwege, dann durch felsige Rinnen, deren nasses Gras unsere Schuhe bald durchweicht hatte, aufwärts und erreichten gerade in dem Moment den großartigen Felszirkus, aus dessen Arena der Blaue Riss emporsteigt, als sich wieder einmal die Wolken öffneten und der Nachmittagssonne Gelegenheit gaben, die vor uns aufragenden Felswände in fahles Gelb zu tauchen. Ein gewaltiger Anblick. Anfangs aus schrofigem, mit viel Gras bewachsenem Gestein, zieht sich, von einigen Überhängen unterbrochen, ein gezackter Riss empor, dessen Mittelteil zu beiden Seiten tatsächlich ein tiefblaues Glitzern aufweist und der in einigen hundert Meter Höhe in riesige Dächer übergeht. Leider konnten wir über den Ausstieg nichts weiter ausmachen, da die über den Grat jagenden Wolkenfetzen nur von Zeit zu Zeit die oberen Regionen der Bergwand freigaben. Unter einem kleinen Überhang deponierten wir einen Rucksack, der die technische Ausrüstung enthielt, mit der wir am nächsten Tage den Riss überlisten wollten. Nun ging es vorerst noch einmal hinunter über den Refugiul Coştila, in dem wir einen Verpflegungsrucksack deponierten, und bald lagen wir wieder im Zelt, wo wir im tiefen Schlaf nochmals Kraft für den nächsten Tag sammeln wollten.
Noch in der Dämmerung verstauten wir das Zelt ins Auto und eilten leichten Schrittes empor. Aus unerklärlichen Gründen vergaßen wir, unseren Verpflegungsrucksack vom Refugiul Coştila mitzunehmen, aber da wir am Morgen noch einmal gut gegessen hatten, konnte uns nichts von unserem Vorhaben abbringen, hatten wir doch schon oft an manchem Tag in den Bergen mit nur einer einzigen Mahlzeit auskommen müssen.
Als endlich die Sonne blutrot dem Morgennebel entsteigt, sind auch wir am Einstieg angelangt, und das große Abenteuer kann beginnen. Sorgfältig werden die Klettergurte festgezurrt. Seile, Trittschlingen, Karabinerhaken, Kletterhammer, Fotozeug und vieles andere Notwendige mehr wird umgehängt oder anderweitig am Körper befestigt. Man kommt sich vor wie ein Pfingstochse. Da es nun ernst wird, stellt sich auch wieder ein leichtes „Prickeln der Nerven“, eine Art Lampenfieber, ein, dieses bekannte Gefühl, das wesentlich den Reiz des Bergsteigens mit ausmacht und stark das Leistungsvermögen des Bergsportlers stimuliert.
Was werden die nächsten Stunden bringen, werden wir allen Anforderungen der Tour gewachsen sein? Noch einmal prüfen wir die Einbindungen und dann verabschieden sich meine beiden Seilgefährten mit einem Händedruck zur ersten Seillänge. Leichte Kaminstücke und Wandstufen bieten klettertechnisch keine Probleme, und bald haben wir, ab und zu uns in der Führung abwechselnd, einige Seillängen an Höhe gewonnen. Sicherungsmöglichkeiten sind rar, und das nasse Gras zwingt zu großer Vorsicht. Wir spüren unbändige Freude, denn mit steigender Höhe wird auch der Tiefblick in die Valea Albă und hinaus ins Prahovatal immer beeindruckender. Nachdem der Fels uns die ersten kniffligen Aufgaben gestellt hatte, geht es in einem anfangs leicht absteigenden Quergang weit nach links hinüber in die Verschneidung, die den eigentlichen Blauen Riss bildet. Der Quergang von etwa 40 m Länge führt unter das erste große Bollwerk des Aufstieges, die Einstiegsüberhänge des sogenannten Tendors. Diese boten einen düsteren Anblick. Von den finsteren, mit bläulichen Algen bewachsenen Felsen troff ständig Wasser herab, und im Hintergrund der Kamine und Risse hörte man es zuweilen sogar plätschern. Die nassen Algen, von denen ein unangenehm fader Geruch ausging, bedeckten als schleimige Schicht die Gesteinsoberfläche. Daher stammen also die blaue Farbe und der Name des Risses. In den nassen Kamin eingeklemmt, gewährten mir meine Freunde Sicherung, und ich schob mich erst einmal etwa 12 m zwischen den beiden Schleimwänden empor, wo der Kamin sich zu schließen und in einen Überhang überzugehen beginnt. Mit Genugtuung stellte ich fest, dass sich in dem Dach einige große Haken befinden, die das Einhängen der Trittschlingen gestatteten, und schon schaukelte ich den Überhang hinaus und hatte ihn bald überwunden. Da aber vom nächsten Überhang, der sich etwa 8 m höher befand, das Wasser wie von einer Traufe herunterrieselte, verzichtete ich aufs Nachholen, was sich bald als Fehler erweisen sollte, und nahm ihn sofort in Angriff.
Meine Freunde konnte ich nicht mehr sehen, die Verständigung wurde zunehmend schwieriger und das nasse, durch mehrere Haken laufende Doppelseil übte einen starken Zug nach unten aus. Doch schon hing ich wieder in den Trittschlingen, musste aber zu meinem Leidwesen feststellen, dass gerade and er Kante des Überhanges kein erreichbarer Haken mehr vorhanden war, und so probierte ich nach bewährter Technik, die bei uns im Elbsandsteingebirge üblich ist, den Knoten einer Schlinge in einen mit nassen Algen bedeckten kleinen Riss zu stecken. Zur Überwindung des starken Seilzuges zog ich mir einen gewissen Vorrat an Seil durch die Haken herauf, der dann als etwa 3 m lange Schleife zwischen mir und dem von mir geschaffenen Haltepunkt emporziehen, und da geschah es: Der Knoten fand in dem verschleimten Felsspalt nicht genügend Halt, rutschte hindurch, und ich fiel hinterrücks etwa 8 m hinab, um bald den relativ elastischen Fangstoß am Brustgurt zu verspüren.
Ein eigenartiges Gefühl, man hängt etwa 4 m entfernt von der Wand, schaut Hunderte Meter hinab in die Tiefe, das Atmen wird von Sekunde zu Sekunde schwieriger, langsam begann ich mich zu drehen. Jetzt musste schnell gehandelt werden, denn jeder Alpinist weiß, dass freies Hängen im Schultergurt in kurzer Zeit zur völligen Handlungsunfähigkeit führt. Von meinen Freunden war keine Hilfe zu erwarten, da durch die starke Reibung in den Karabinerhaken das Seil weder nach oben noch nach unten auch nur einen Zentimeter nachgab. Wie gut, dass wir daheim „Selbstrettung mit Prusikschlingen“ stets gut trainiert hatten. „Nur nicht die Schlinge verlieren“, bläute ich mir ein, als ich begann, die Prusikknoten um das Seil zu knüpfen.
Prusikknoten haben die Eigenschaft, bei Belastung das Seil fest zu umschlingen. Im entlasteten Zustand aber lassen sie sich verschieben. Die daran befindliche Schlinge wird so lang geknüpft, dass man mit erhobenem Fuß gerade hineinsteigen kann. Es gelang mir dadurch endlich, meinen Brustkorb zu entlasten und wieder richtig durchzuatmen. Das übrige war dann nur eine Frage der Zeit:
Rechtes Bein durchtreten, linke Schlinge hochschieben, linkes Bein durchtreten, rechte Schlinge hochschieben usw. Nach etwa 10 Minuten war ich am obersten Haken, der meinen Sturz gehalten hatte, wieder angelangt, band mich fest und holte einen meiner Gefährten über das untere Dach herauf, wo er, wenn auch in der Traufe stehend, sich aber doch an einem großen Haken gut sichern konnte. Die starke Verringerung des Seilzuges erleichterte mir natürlich enorm das Weiterkommen, und nach einigem Ausruhen ging es an den zweiten Versuch. Diesmal verließ ich mich nicht auf den Knoten einer Schlinge, sondern legte in den rutschigen Spalt einen mit kurzer Drahtschlinge versehenen Aluminiumklemmkeil.
Zwar war mir etwas flau im Magen, als ich ihn zu belasten begann, aber der Fixpunkt hielt, und ich konnte den ersten der 2 m weiter oben wieder einsetzenden Haken erreichen und gewann bald einen kleinen Standplatz, auf dem ich erst einmal gründlich verschnaufte. Später erfuhren wir, dass 2 Wochen vorher eine Seilschaft hier ebenfalls einen Sturz in Kauf nehmen musste, wobei der entscheidende Haken herausgerissen worden war.
Nun begann eine kraftzehrende Tätigkeit, halb hangelnd, halb auf Schulterriss kletternd, hatte ich mich die etwa 15 m hohe Schlüsselstelle des Originalwegs, den Tendor, über schleimig veralgten, übelriechenden Fels emporzuarbeiten, wobei ich fast meine letzten Kräfte mobilisieren musste, bis endlich am Ende der Rissverschneidung ein schräg nach rechts ziehendes nasses Grasband erreicht war. Hier, an guten Standhaken gesichert, konnte ich bald die ebenfalls völlig durchnässten Freunde zu mir heraufholen. Wir hatten viel Zeit verloren, und der Tag war schon weit vorangeschritten. An ein Überwinden der Dächer, die etwa 100 m über uns aus der Wand herausragten, war am heutigen Tag nicht mehr zu denken, weshalb wir beschlossen, den Ausstieg des Originalwegs anzugehen. Leider hatten wir aber nur die Beschreibung des „Diretissimaaustieges“ bei uns, nicht aber die des Originalverlaufes, was sich als sehr ungünstig erweisen sollte.
Zuerst dem Grasband weiter nach rechts folgend, kamen wir anfangs noch gut voran, hatten dann aber in der beginnenden Dämmerung die Orientierung verloren, wussten wir ja auch nicht, dass sich von der betreffenden Stelle der Weiterweg nur durch ein Stück Abseilen erschloss, weshalb wir umkehrten, um alsbald das überdachte Grasband erneut zu erreichen. Nun wurde uns klar, dass wir in den sauren Apfel zu beißen hatten, ein Biwak auf uns zu nehmen. Leicht durchgefeuchtet und ohne Ausrüstung wie Schlafsack, Kochzeg und ähnlichem würde das auch unter den hiesigen milden Bedingungen (ca. plus 5 Grad Celsius Nachttemperatur) eine ziemlich ungemütliche Angelegenheit werden, und es gehörte schon die Hochgebirgserfahrung vieler Jahre dazu, der Situation gelassen entgegenzublicken. Unsere müden Rücken im Dreieck aneinanderlehnend setzten wir uns auf das Band und versuchten so wenig wie möglich Wärme einzubüßen, was aber nicht verhinderte, dass bald ein allgemeines Zähneklappern und Zittern ausbrach.
Ab und zu geriet man auch in Versuchung, den müden Körper auszustrecken, aber aufgrund des sich dabei verstärkenden Kälteeinflusses ließ man dies bald wieder sein und widmete sich erneut der Nutzung der kollektiven Körperwärme. Das Wärmebedürfnis des Körpers übertrifft dann eben doch den Wunsch nach Bequemlichkeit. Man döst vor sich hin und fällt ab und zu minutenweise in einen kurzen Halbschlaf. Die Zeit ist wie angekettet. Als wir glaubten, die Nacht sei bald vorüber, gelang uns mit Hilfe einer kleinen Taschenlampe ein Blick auf die Uhr. Wie groß war unsere Enttäuschung, als wir feststellten, dass noch nicht einmal Mitternacht überschritten war.
Aber einmal, nach unendlich langer Zeit, zeichnete sich am Osthimmel dann doch ein heller Streif ab, das Nahen des neuen Tages kündend. Und endlich, als die ersten Sonnenstrahlen uns trafen, erwachte auch neues Leben in uns, und wir rüsteten zum Weiterweg, über die Diretissima. Der Magen knurrte ganz schön, aber was hilft’s, wir brauchten wenigstens keine Zeit mit der Zubereitung des Essens zu vergeuden. Auch versprach der Tag ausgezeichnetes Wetter zu bringen, und die über uns liegenden Regionen sahen trocken aus, da man sich von hier ab nicht mehr genau im Riss hält, aus dem nach wie vor die Nässe troff, sondern sich meist etwas rechts davon den Ausstiegsdächern nähert. Mit Abstand der Älteste von uns, verzichtete ich heute auf jegliche Führungsrolle und überließ Wolfram und Steffen diese Aufgabe, wodurch ich mich auch besser der Landschaft und dem Fotografieren widmen konnte. Die Kletterei, die von hier begann, hatte ausgesprochen „Genusscharakter“. Der trockene Konglomeratfels zeigte den Sohlen der Kletterschuhe gegenüber gute Reibungseigenschaften, so dass die Arme weit weniger als gestern angestrengt werden mussten. Der herrliche Blick in die Valea Albă, die sich weit hinunter über das Prahovatal ins Karpatenland eröffnete, ließ einem das Herz höher schlagen. So kamen wir gutgelaunt voran, und bald hatte die Sonne auch die letzte Feuchtigkeit aus unserer Kleidung vertrieben, so dass die Entbehrungen der letzten Nacht weit durch die Pracht der Eindrücke aufgewogen war, und ohne Hungergefühl wären wir restlos glücklich gewesen. Aufgrund des Nahrungsmittelmangels galt es aber die Kräfte für die Aufstiegsdächer zu schonen, weshalb wir fast schon gemächlich aufwärts stiegen, so dass wir erst gegen Mittag den schönen, mit einzementierten Haken versehenen Standplatz erreichten, von dem aus der feine Handriss überhängend hinauf zum „Fledermausfriedhof“ führt. Dort nutzte ich die Gelegenheit, eine schöne Serie von Aufnahmen zu machen, welche erkennen lassen, wie souverän Steffen dieses Stück bewältigte, indem er freie Handrisstechnik mit der Anwendung von Trittschlingen kombinierte.
Ich folgte ihm als zweiter auf ein abschüssiges Band, auf dem man aufgrund des darüber folgenden Daches mit gesenktem Kopf sitzen muss, und konnte nun Wolfram von oben beobachten, der sich kraftvoll die überhängende Partie zu uns emporarbeitete. Nach einer Atempause, die er benutzte, einen Blick in die höhlenartige Erweiterung des Risses zu werfen, den sich schon Tausende von Fledermäusen zur letzten Ruhe ausgesucht haben, sollte er nun die weitere Führungsarbeit übernehmen.
Nur wenig wurde noch gesprochen. „Sicherung fertig, du kannst“, ließ Steffen vernehmen, dann packte Wolfram den Überhang. Nachdem er sich frei in den Trittleitern hängend langsam über das Rissdach emporgearbeitet hatte, querte er einige Meter nach rechts und ging noch etwa eine Viertelseillänge empor zu einem winzigen Standplatz, von wo er mich nachholte. Da der Platz bei ihm unzureichend war, musste ich mich einige Meter tiefer unmittelbar über der Kante des Daches an einigen kräftigen Haken befestigen, wonach als nächster Steffen über das Dach heraufgesichert wurde.
Das gab mir Gelegenheit, mich wieder einmal umzublicken. Die „freie Luft“ unter uns war beeindruckend, schätzungsweise 700 m unter uns liegt die Talsohle der Valea Albă und etwa 1200 m unter uns sind die winzigen Häuschen von Buşteni zu erkennen. Nur an wenige Fälle kann ich mich erinnern, derart exponiert geklettert zu haben. Einmal vielleicht in der Südostwand des Uschba-Südgipfels und einmal bei der Erstdurchsteigung der 1100 m hohen „Valbonewand“ am Maja e Brasit in den nordalbanischen Alpen.
Die Seile hängen schon nach 20 – 30 Metern 10 Meter entfernt von der Wand ab, welche, unter uns wegfliehend, sich in einer von goldbraunen Flechten bedeckten Struktur darbietet, die von gelben Gämsenwurzblüten durchsetzt ist.
Gegen 16 Uhr erreichten wir ein bequemes Grasband, auf dem wir erstmalig wieder eine ausführliche Rast einlegen konnten. Was nun folgt, ist nach dem Vorangegangenen kein Problem mehr. Über eine etwa 20 m hohe Wand, in der die Trittschlingen nur noch gelegentlich eingehängt werden, gelangten wir zu einem Kriechband, welchem man etwa 15 m nach rechts zu einer Kaminrinne folgt, die uns direkt zum Grat der Coştila führte. Als der Tag sich dem Ende zuneigte, fielen wir uns dort glücklich in die Arme. Erneute Rast, Ordnen der Kletterausrüstung und wir steigen hinab durch die „Gelbe Rinne“. Zum Glück war der Mond unser Begleiter, so dass wir einige in der Finsternis etwas knifflige Stellen gut überwinden konnten.
Kurz vor Mitternacht erreichten wir den völlig vereinsamten Refugiul Coştila. Es gelang uns zum Glück, in einem Winkel einige halbversteinerte Nudeln zu finden, die wir ohne Salz auf unserem Primus kochten. Es war unvorstellbar, wie echter Hunger die Geschmacksbedürfnisse vereinfachen kann. Nach 40 Stunden großer Anstrengungen die erste Mahlzeit, sie mundete wie eine Delikatesse. Bald umfing uns tiefer Schlaf, aus dem wir erst um die Mittagszeit des folgenden Tages wieder erwachten. Das Ende des Urlaubs war in beträchtliche Nähe gerückt. Als wir eilig nach Buşteni abstiegen, hingen schon wieder schwere Regenwolken in der Weißen Wand. Ich glaube, wir hatten in jenem September haarscharf die einzige Regenlücke gefunden, die solch eine Besteigung möglich macht.
Etwas müde, aber stolz, einen der schönsten Kletterwege Rumäniens durchstiegen zu haben, ließen wir unseren Skoda wieder in Richtung Heimat rollen. Noch lange werden wir von der Erinnerung an ein alpines Erlebnis, was hohen Ansprüchen genügt, zehren können.

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 88, S. 117 – 128)

Seite Bildunterschrift
 
119 Blaue Algen im Ausstieg des „Tendors“.
122 Über dem großen Dach.
123 Der letzte Quergang unterm Ausstieg.
126 Unter dem Dach des „großen Überhanges“ (Surplomba mare)
127 „Blauer Riss“ vom Amphitheater.
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