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Bucegi / Coştila / Peretele Văii Albe

„Blauer Riss“ - Direttissima

Erlebnisbericht und Routenbeschreibung

von Walter Kargel

„Der Patron und seine Adjutanten sind im Blauen Riss“. So hörte ich Kletterneuling 1949 allsonntäglich den Bericht über die Taten der erfahrenen Bergseiger. Der Patron, das war Emilian Cristea, später „moşul“ genannt. Seine Adjutanten waren Mircea Crăciunescu, Aţipică, und Paul Borănescu, Stud. arch. Es war der dritte Sommer des Blauen Risses, und weitere drei sollten folgen, ehe der erste Durchstieg gelang. In der komfortablen Höhle des Biwak II ist das Datum auf einer gelbgrauen Sandsteinplatte eingemeißelt: 4-8-1952. E. Cristea, A. Irimia. Den bevorstehenden Schwierigkeiten des direkten Aufstiegs wichen die beiden in der Folge nach rechts aus und fanden so den Weg, der heute von Bergsteigern allgemein „Albastra Moşului“ genannt wird. Drei Jahre später, 1955, nagelten sich drei Kronstädter Trotzköpfe ab Biwak II direkt über die Dächer hinauf und eröffneten so die „Direttissima“. Es waren dies Alexandru Floricioiu, Norbert Hiemesch und Roland Welkens. Die in den folgenden 20 Jahren neu gefundenen, schwierigeren Führen, vor allem Traseul Speranţei, haben den Ruhm des Blauen Risses nicht schmälern können. Er gehört nach wie vor zu den beliebtesten extremen Touren.

Ausrüstung: Zwei 40-m-Seile, 30 Karabiner, Steigleitern, einige Reservehaken verschiedener Dimensionen. Die notwendigen Haken sind vorhanden.

Ausgangspunkt: Buşteni (880 m).

Stützpunkte: Căminul Alpin (900 m) in Buşteni. Refugiul Coştila (1670 m) 1 ¼ Stunden von Buşteni in der Coştila-Rinne, auf markiertem Weg zu erreichen. Wo der markierte Weg von Buşteni die letzte Steilrinne quert, um zum Refugiul Coştila zu gelangen, zweigt links ein gut ausgetretener Pfad ab. Anfangs waagerecht links, dann steil empor an einer alten Lärche vorbei, quer links über die Krummholz bewachsene Steilrinne Vâlcelul Policandrului, steil empor und wieder links in die Steilrinne Vâlcelul Pietros, diese empor bis zu einem Absatz („La Pândă“, guter Zeltplatz). Hier wieder links (nicht direkt empor!). Von dem nun folgenden Saumpfad überwältigendes Panorama der „Weißen Rinne“ („Valea Albă“). Abstieg ins Amphitheater Circurile Văii Albe. Rechts erhebt sich die Valea-Albă-Wand, in deren rechten (östlichen) Teil der markante „Blaue Riss“ („Fisura Albastră“, so genannt wegen der dunkelblau-violetten Farbe der Felsen) sichtbar wird. Zum Wandfuß empor, wo der Einstieg von einem riesigen Felsblock gekennzeichnet ist (Biwakmöglichkeit).

Route (Seillängenfolge): 1. Empor und Ausgang rechts auf einem Grasband (1 Haken) bis das 40-m-Seil aus ist (Standhaken, 40 m II). 2. Das Band weiter (20 m I). 3. Einen Kamin empor zu einer weiteren Grasrampe (40 m II). 4. Die Grasrampe empor zu einem Standhaken (30 m I). 5. Quergang links auf einem Grasband (40 m II). 6. Felsriegel empor („La Ruine“, 2 Haken) und über eine Grasrampe zum Standhaken (40 m III). 7. Rechts und einen schwierigen Riss frei empor („Fisura Ascunsă“, 45 m V). 8. Quergang links („Marele Traverseu“, 35 m, IV). Rechts führen hier Haken zur Lespezi-Führe. 9. Einige Meter links und rechts empor (nicht dem Haken weiter links folgen!). Überhängend zur bequemen Grasterrasse von Biwak I (40 m, V, A1). 10. Schräg links empor zu einer flachen Höhle (30 m, V, A1). 11. Überhang direkt und einen Kamin empor (30 m, V, A1). 12. Überhang und schwieriger Risskamin (Schlüsselstelle: „La Tendor“), dann weiter den Kamin empor; Quergang rechts zur Höhle des Biwak II (40 m, VI+, A2). 13. Die Haken rechts bezeichnen die „Albastra Moşului“, links empor die „Direttissima“! Anfangs parallel mit dem Hauptkamin, dann quer über diesen zum Stand auf einer Kanzel (40 m, -VI, A1). 14. Anfangs den Haken rechts des Hauptkamins folgen, später diesen selbst frei empor spreizen und rechts hinaus zum Biwak III (40 m, VI, A1). 15. Kurze, schwierige Steinhänge (Fledermausfriedhof: „Fisura cu Lilieci“, 20 m, VI, A1). 16. Sandsteindächer überklettern, unbequemer Stand gleich darüber (auf Seilführung achten! 20 m, VI, A3). 17. Kurze Seillänge im Zickzack rechts links (20 m, V, A1). 18. Nun leichter schräg links ansteigend zur Terrasse des Biwak IV (20 m, IV+). 19. Letzte Seillänge. Von der vor der Wand stehenden Felsplatte die senkrechte Wand empor, rechts leicht abfallend beginnender Quergang, später Kriechband zum Ausstieg auf den Grat „Creasta Văii Albe“ (35 m, VI, A1).

Abstieg: Variante 1.Direkt den Grat absteigen („Creasta Văii Albe, I-II) bis zu einer Stelle, die mit einer Holzplatte bezeichnet ist. Hier über das Band („Brâna Aeriană“) quer rechts und weiter die folgende Rinne hinab (auf Trittspuren achten) zum Zeltplatz „La Pândă“ und weiter zum Refugiul Coştila und nach Buşteni.

Zeitaufwand: Buşteni – Refugiu 1,30 St; Refugiu – Circuri 1 St; Kletterzeit 9 – 11 Stunden; Abstieg 2 Stunden.

Während ich noch etwas steif und unsicher auf den Beinen die ersten Schritte Richtung Circuri mache, zieht Săndilă den Reißverschluss des Zeltes zu und kommt nach. Es ist früh am Morgen, ein grauer Morgen, bewölkt. In der Nacht hatte es geregnet. Ein Schauer wie beim Betreten eines riesigen Domes überläuft mich jedes Mal, wenn sich das weite Panorama der „Valea Albă“ vor mir öffnet. Mit größter Aufmerksamkeit – wegen des mir noch fehlenden Gleichgewichtsgefühls – taste ich mich vorwärts über den luftigen Pfad. Erst beim letzten Aufstieg zum Wandfuß werde ich warm. Săndilă hat mich inzwischen überholt. Er hat sich bereits angeseilt und geht die erste Seillänge an. Ohne stehen zu bleiben, geht er gleich weiter und holt mich erst am Kamineinstieg nach. Ich gehe gleich den Kamin an, der so schön in freier Kletterei ohne jede Hakensicherung empor gespreizt wird. Erst oben steckt rechts ein Haken zur Überwindung des letzten Hindernisses.
Ebenso frei klettert Săndilă als erster im „Versteckten Riss“. Damit ist die „Ouvertüre“ beendet und es wird ernst. Langsam schwindele ich mich nach links auf einem schmalen, abschüssigen Band; an einer Stelle ist es unterbrochen, doch hilft ein großer Ringhaken. Dann kommen erstmals die Steigleitern dran. Wir erreichen Biwak I, wo die Erstbegeher so manche Nacht saßen und die Lichter von Buşteni zählten, um so die Zeit zu verkürzen. Wir gehen pausenlos weiter. Während ich eine Seillänge höher Săndilă einhole, erinnere ich mich an eine frühere Besteigung, als hier Hunderte von Wespen in der warmen Herbstsonne summten. Heute ist alles still. nur das Wasser tropft in bestimmten Abständen vom Höhlendach. Jetzt steigt Săndilă über das Dach, sein Fuß verschwindet, er holt sich die Steigleiter nach. Langsam gleiten die Seile durch meine Hände, während er für mich unsichtbar im ewig nassen, glitschigen Kamin höher steigt. „Nachkommen!“ mit zwei Steigleitern eigentlich kein Problem. Doch heute fällt mir die Schlüsselstelle zu: „La Tendor“. Die Erstbegeher benützten nämlich zur Überwindung des folgenden Risses ein selten angewendetes Hilfsmittel: eine Rissklemme. Der Riss hat für Kletterer denkbar schlechte Ausmaße. Er ist gerade noch so weit, dass der Körper hineinpasst, also zum richtigen Kaminspreizen oder –stemmen viel zu eng, fürs Hakenschlagen viel zu weit. Auch als Klemmriss für die Hand, die Faust oder den Fuß ist er zu weit. Dabei ist die rechte Abgrenzung eine senkrechte, geschlossene, glatte Wand, die linke dagegen eine ebenfalls senkrechte, schlanke Felsrippe.
Kurz nach der Erstbegehung löste sich die Rissklemme infolge der winterlichen Tieftemperaturen und fiel hinab. Einige Zeit mühten sich die Kletterer ohne Hilfsmittel durch die Enge, dann fand einer eine Felsschuppe, hinter der er einen Haken hoch oben in der rechten Wand anbrachte. Doch auch dieser Haken brach eines Tages aus. Ich spreize also zunächst ohne Steigleiter über den Überhang, hänge eine Steigleiter in den obersten Haken und steige mit dem rechten Fuß in die oberste Sprosse. Dann überwinde ich alle Hemmungen und krieche mit der rechten Schulter voraus in den Riss, winde, klemme mit dem ganzen Körper (auch mit der Nase) im Riss ein. Allmählich normalisiert sich die Lage. Etwas außer Atem erreiche ich die Höhle des Biwak II, die so groß ist, dass ein halber Zug drin Platz findet.
Săndilă ist da. Wir knabbern Lebkuchen und Erdnüsse, schlürfen Lacovo und besprechen die Lage. Mehr als die Hälfte der Wandhöhe ist hinter uns, doch die uns bevorstehende Kletterzeit beträgt noch zwei Drittel der Gesamtzeit, also noch etwa sechs Stunden.
Săndilă ist wieder dran, und ich genieße den verlängerten Aufenthalt in Biwak II, bis er die phantastische Kanzel jenseits des Blauen Risses erreicht: Die nächste Seillänge ist auch nicht leicht. Volle 40 m, von Haken zu Haken, dann plötzlich Pause: Der nächste Haken steckt weit oben, wie zum Teufel ist der zu erreichen? Keine andere Möglichkeit als weit hinausspreizen und ohne zu zögern hinauf! Klink, den Karabiner hinein. Bald liege ich bequem in Biwak III. Wenige Meter tiefer, mitten in der Wand eine unbegreiflich große Ansammlung gelb leuchtender Gemswurzblüten.
Jetzt klettert Săndilă den „Fledermausriss“ empor. Aus dem Riss dringt der Geruch toter Fledermäuse. Offenbar dient ihnen der Riss als Friedhof und sie begeben sich dahin, um in Ruhe zu sterben.
Langsam arbeite ich mich an der luftigsten Stelle des „Blauen Risses“ empor. Jeder Zentimeter Seil will mühsam nachgezerrt werden. Dann liegt auch diese Stelle hinter uns und wir erreichen Biwak IV, nur 20 m unter dem Grat. Die letzte Seillänge ist originell: An stark auf Zug beanspruchten, im weichen Sandstein festgeklemmten Haken arbeitet man sich nach rechts vorwärts. Zuletzt wird der waagerechte Riss zum Kriechband: Flach auf dem Bauch liegend gewinnt man Meter um Meter mit mühsamen Schlangenbewegungen. Endlich kann man sich wieder aufrichten, schwindelt sich um eine Kante und – da ist ja der offene Grat!
Rufe von links oben ertönen: „Wir gratulieren zum ‚Blauen Riss’!“ „Danke gleichfalls zur ‚Führe der Hoffnung’!“ Es sind zwei Kletterfreunde aus Braşov. Gemeinsam steigen wir ab.

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 76, S. 276 – 282)

Seite Bildunterschrift
 
276 Biwak I – ein bequemes Grasband, ein alpiner Garten.
277 Überhang unter dem „Tendor“.
278 Anstiegsskizze
280 „La Tendor“ – rechte Schulter im Riss – winden und klemmen mit ganzem Körper (auch Nase) keuchen und raufen und schwimmen.
281 Biwak II – Eine von Mäusen bewohnte Höhle mitten in der senkrechten Fluh.
282-o Biwak III – Săndilă geht den Fledermaus(friedhof)riss an. Oben winkt das große Dach unten ein Polster mit Dutzenden gelben Gemswurz.
282 -u Letzte Seillänge Kriechband.
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