Bergferien einmal anders
von Gerhard Bonfert
Da kam einer, Neagu, vor etwa 500 Jahren war es, der das Leben in den Wäldern, immer auf der Flucht vor seinen Häschern, leid war, und ließ sich am oberen Lauf des Westlichen Schils nieder. Er zog mit seiner Schafherde sommers auf die Almen und überwinterte am Fuße des Gebirges. Er war ein Heiduck und liebte auch im Alter das freie Leben, die Berge. Nach ihm ist die Siedlung, es ist die letzte am oberen Lauf des Schils, benannt: Câmpu lui Neag.
Wir fuhren aus Sibiu los in Richtung Sebeş auf der DN 1. Eine kurze Rast beim Motel
„Şurianul“ (DN 7), dort, wo der Weg zur Arbeiterstadt Cugir abzweigt. Dann ging es weiter bis
kurz vor Orăştie, und wir verließen die Fernverkehrsstraße für einen Abstecher nach Bad
Geoagiu. Vor etlichen Jahren war ich mit dem Fahrrad da. Damals und auch schon viel
vorher zog man Sommer für Sommer nach Geoagiu. Kenner kamen schon im Juni oder im
September. Die Brooser kamen über den Berg gewandert (ein Sonntagsausflug), die aus
dem Banater Bergland per Autobus, und die Unterwäldler kamen mit Zwilchsack und
Henkelkorb (Komm mit 77).
Heute fährt man mit dem Pkw, der Eisenbahn oder dem Autocar, quartiert sich in einem der
drei Hotels ein. Wer länger bleiben möchte oder zur Kur gekommen ist
(Behandlungsmöglichkeiten für Rheuma, Störungen des peripheren Nervensystems u. a.),
der wendet sich an den Kurarzt, denn es ist für Leidende nicht angebracht, sich gleich
kopfüber ins warme Nass zu stürzen. Immerhin werden Wassertemperaturen von über 30
Grad Celsius gemessen. Für das leibliche Wohl ist auch gesorgt. Eine geräumige Kantine
bietet täglich bis zu tausend Kurgästen und Urlaubern Vollpension.
Zurückgekehrt auf die Fernverkehrsstraße, fahren wir in Orăştie ein, zweigen beim
Marktplatz wieder ab, diesmal nach links, und gelangen nach etwa 30 Kilometern nach
Costeşti. Schmucke Schutzhütte, leider nur wenig Bettstellen. In einer guten Stunde ist man
zu Fuß auf den nahen Bergrücken gestiegen und kann hier, auf dem Blidaru und seinen
Nachbarn, Reste von Dakerburgen besichtigen, denn wir befinden uns im Herzen des
einstigen Dakerlandes. In Luftlinie gemessen, sind es wenige Kilometer bis zur einstigen
Hauptstadt Decebals, Sarmizegetusa. Am nächsten Tag fahren wir wieder nach Orăştie
zurück und weiter in Richtung Simeria, um dann durchs Hatzeger Land auf der DN 66 zu
reisen. (Für Botaniker, und nicht nur für sie, lohnt sich der Weg bis nach Simeria, um den
einzigartigen Dendrologischen Park zu besuchen.)
Etwa 5 Kilometer vor Hatzeg ein großes Schild mit einem Wisent als Blickfang. Zwei
Kilometer durch dichten Wald führt der Weg bis zu dem 500 Hektar großen Gehege, in dem
das einstige Urtier der rumänischen Wälder wieder angesiedelt worden ist. Die Anfänge der
Anlage liegen schon 20 Jahre zurück. Heute leben da Nachkommen der aus Polen
gebrachten Wisente. Romică war der Erstgeborene in diesem Naturpark. Außer den sieben
Wisenten gibt es Karpatenhirsche (18), Mufflons, Bären, Wildschweine, Wölfe, Füchse. Die
Hauptattraktion bleiben aber weiterhin die Wisente Puslava, Rozica, Rovena und ihre
Sippen. (Besuchszeit: 7 bis 19 Uhr, Ganzjahrprogramm.)
Wir verlassen die schattenspendenden Eichenwälder, nehmen die letzten Kehren
hügelwärts, und vor uns, regelrecht zu unseren Füßen, liegt Hatzeg. Weiter nach Süden auf
Petroşani zu geht es durch bergiges Land. Oftmals führt die Straße über Viadukte, unter
denen die starken Motoren der Dieselloks dröhnen. Die Bergrücken treten aber nie so nahe
heran, um eine richtige Klamm zu bilden.
Petroşani. Man merkt gleich, dass man sich in einer Bergarbeiterstadt befindet. So zum
Beispiel sind die großen Blumenvasen den Loren nachgebildet. Von hier gelangen wir über
die DN 66 A in das eigentliche Land der Kumpel. Es folgen die Bergbaustädte Vulcan,
Lupeni und Uricani – bei jeder Einfahrt das traditionelle „Bun noroc!“ – „Glück auf!“ Câmpu lui
Neag ist der letzte der Orte am oberen Lauf des westlichen Schils.
Am Ende der Gemeinde, sie liegt 800 Meter über dem Meeresspiegel, stellen wir das Zelt
auf der Wiese eines Bauern auf. Die Leute sind freundlich, lassen sich gerne auf einen
Plausch ein. Am nächsten Morgen strahlt eine herrliche Sonne. Unser Nachbar, Trifu
Roman, der ein Frühaufsteher ist und bereits um 7 Uhr den ersten Teil seines Tagewerks
verrichtet hatte, konnte offensichtlich kaum erwarten, dass wir aus den Federn kriechen. Als
der Kaffeeduft sich mit dem frischen Heugeruch vermischte, schlenderte der 50jährige
„Wassermann“, wie wir ihn mit Sigrid und den Kindern nannten (er arbeitet beim Wasseramt)
schon zu uns herüber. Man spricht zuerst über das Wetter. „Wenn der Pleşa, das ist der
westliche Berggrat, wolkenverhangen ist, wird es regnen“, werden wir belehrt. „Und das ist
die Buta-Spitze, links davon der Iorgovan (1997 Meter), dahinter die Peleaga (2509 Meter)
und Păpuşa (2501 Meter).“ Die wilde Schönheit der Berge hat es Trifu Roman angetan.
Täglich geht er etliche Kilometer zweimal den Schil aufwärts, misst Wasserspiegel,
Niederschlagsmenge, Wassertemperatur und andere für die Wasserwirtschaft nötige Daten.
An diesem Tag faulenzen wir. Im Schatten sind es 32 Grad, eine ungewohnt hohe
Temperatur für diese Gegend, und wir genießen das köstliche Nass des Schils. Unsere
Kinder haben sich schnell mit Elena (8), Constantin (11) und Trifu (16), den Kindern des
Ehepaars Roman, angefreundet, gehen baden und auf Entdeckungen.
Câmpu lui Neag ist von breiten Bergrücken umgeben, von kleinen Tälern durchfurcht, ein
ausgezeichnetes Viehzuchtgebiet. Übrigens liegt Câmpu lui Neag am „Käseweg“. Hier
kamen und kommen die Hirten vorbei und bringen ihre Erzeugnisse den Leuten des
Schiltals, die untertage arbeiten. Wohl wird dies ein zusätzlicher Grund gewesen sein dafür,
dass auf den breiten Bergrücken Sommerwirtschaften, oftmals schmucke Vierkantgehöfte,
gebaut wurden. Die Ein- und Zweiraumhirtenhütten sind meist aus behauenen Stämmen
gezimmert, die in verschiedenen Eckverbänden zusammengefügt sind. Die Zweiraumhütte
hat eine gute Stube und eine Alltagsstube.
In der darauffolgenden Nacht hatten wir Gäste. Unser Schlaf im Zelt wurde von Hundegebell
gestört. Es war Angelica, eine Schäferhündin, die uns als Fremde aufgespürt hatte. Ich
musste mich aus dem Schlafsack bequemen, auf die taufeuchte, mondlichtüberflutete Wiese
treten und mit Angelica ein ernstes Wort reden, da ihre Schnauze einige Male dem Zelt
beängstigend nahe gekommen war und ich um die Zeltleinwand bangte. Zu guter letzt
wurden wir in ihren Bekanntenkreis aufgenommen.
Das gute Wetter ausnützend, machten wir uns am Morgen zur Buta-Schutzhütte auf. Mit
dem Pkw kann man, wenn man den etwas schwierigen Forstweg nicht scheut, 14 Kilometer
fahren. Ein kurzes Stück geht es den Schil hinauf, um dann ins Buta-Tal abzuzweigen. Am
Ende der Forststraße empfängt uns ein dunkler Tann, den wir regelrecht über Stock und
Stein hochsteigen. Wo er sich lichtet, stoßen wir auf Heidelbeerfelder. Etwa eine Stunde hat
der Fußmarsch gedauert, und wir gelangen in das Reich der Felsen und Seen.
Bei der Buta-Schutzhütte (1580 Meter) herrscht „ein Gehen und Kommen wie auf dem
Bukarester Nordbahnhof“. So der Hüttenwart Francisc Szabó (31). Bis zu 300 Bergwanderer
kommen da in der Hochsaison täglich vorbei. Die meisten halten nur eine kurze Rast. Von
der Buta-Schutzhütte geht es hinauf in den Sattel des Plaiul Mic (1879 Meter), wo die Wege
sich schneiden: Buta – Piatra Iorgovanului (3 bis 4 Stunden, rotes Dreieck), – Bucura-See (3
Stunden, rotes Kreuz), – Gura-Apei-Hütte (7 bis 8 Stunden, blauer Punkt), – Pietrele-Hütte
(über den Bucura-See, 6 bis 7 Stunden, rotes Kreuz), – Gura-Zlata-Hütte (8 bis 9 Stunden,
rotes Kreuz und rotes Dreieck), – Baleia-Hütte (8 bis 9 Stunden, rotes Kreuz und rotes
Band).
Etwa 20 Minuten dem kleinen Wasserlauf folgend, stoßen wir auf den Buta-See, eines der
vielen „Meeresaugen“ des Retezat-Gebirges. Größter und bekanntester ist der Bucura-See.
Auf dem Rückweg pflücken wir Himbeeren, die man am unteren Lauf des Buta-Baches in
Mengen findet.
Die folgende Nacht war schauerlich. Es blitzte und donnerte, als ob sich die Unterwelt
aufgetan hätte, es regnete und hagelte. Windböen rissen am Zelt. Alles war wach. Ortwin (7
Jahre) hielt eisern die Zeltstange fest, um nicht wie ein Luftballon fortzufliegen, Sörine (9
Jahre) war um ihre Puppe Petra besorgt, die durfte ja nicht nass werden, Sigrid hatte den
Schlaf schon lange aufgegeben, die Schäferhündin ließ nichts von sich hören. Alles verkroch
sich vor den entfesselten Geistern. Irgendwo, weit im Osten dämmerte es, als der Sturm sich
gelegt hatte. Am Morgen vertrieb der Wind die Wolken. Da wir von den Ereignissen der
letzten Nacht noch etwas angeschlagen waren, entschlossen wir uns nur zu einem kurzen
Ausflug auf die umliegenden Bergalmen, die uns oft an das Zibinsgebirge erinnerten. Wir
kamen auch bei der Câmpu-lui-Neag-Hütte vorbei, trafen viele Bergwanderer.
Tagesgespräch war das Gewitter der vergangenen Nacht. Davon angeregt, begannen auch
die Ortsansässigen – alles saß an einem Tisch – Legenden und Sagen über die Berge, ihre
Heimat, zu erzählen. Ein Bergbauer namens Simion erzählte von dem tapferen Iorgovan, der
mit seinem Ross einen zweiköpfigen Drachen verfolgte, da dieser zum Schrecken der
Gegend geworden war. Jeden Tag, erzählte Simion, verschlang der Drache einen Menschen
oder ein Haustier. Iorgovan setzte dem Drachen nach, und dieser zog donauwärts, wobei er
in die Bergrücken tiefe Furchen zog, die heutigen Täler und Schluchten. Iorgovan gelang es,
den Drachen im Schlaf zu überraschen und ihm ein Haupt nach dem anderen abzuschlagen.
Bloß zwei Köpfe entkamen, die sich in einer Höhle, nahe der Cerna, versteckten. Aus dieser
Höhle stammen die im Cerna-Tal häufigen Kreuzottern.
Tagsüber war das Wetter auch weiterhin recht angenehm, doch nachts sank die
Quecksilbersäule auf 6 Grad. Wir beschlossen, das Zelt abzubrechen und wärmere Gefilde
aufzusuchen. Wir verabschiedeten uns von den freundlichen Leuten und fuhren wieder
flussabwärts. Nach etwa 10 Kilometern stößt man auf einen Stausee: Valea de Peşti. Nicht
weit davon (2 Kilometer flussaufwärts) steht das in einer eigenartigen Architektur gebaute
gleichnamige Hotel. Hier erfahren wir auch von einer Höhle, in der seit vielen Jahren Schnee
und Eis liegen soll. Die Höhle – wir fanden sie – liegt etwa 3 Kilometer talaufwärts, wobei
man den Weg immer rechts halten muss. Nahe dem Bach Valea de Peşti wird ein
bewaldeter Bergrücken von einer Steinhalde unterbrochen, und da ist auch der
Höhleneingang. Leider wagten wir uns nicht tiefer als zehn Meter hinein. Der Weg wurde
enger, und uns fehlte die notwendige Ausrüstung. Ein alter Hirte, den wir just vor dem
Höhleneingang antrafen, wusste zu erzählen, dass die Höhle einst „casa haiducilor“ hieß, da
die Heiducken hier ihre Schätze verbargen. Auch soll die Höhle einen Ausgang in das
Runcului-Tal oder Dâlmacăzută-Tal gehabt haben.
Wir kehrten um und durchfuhren wieder die Bergbaustädte des Schiltals. In Petroşani
verließen wir die Fernverkehrsstraße und schlugen den Weg nach Jieţ ein, um über die
Berge ins Alttal zu gelangen. Der Asphaltweg ist bald zu Ende. Das Felsmassiv nimmt einen
in Empfang, und man ist allein. Bis zur Obârşia Lotrului sind uns vier Pkw begegnet. Man
hielt an, tauschte Erfahrungen über den weiteren Weg aus, und weiter ging es. Die
Serpentinen ziehen ihre steilen Schleifen, streckenweise wird an der Straße gearbeitet, was
sie aber auch nicht besser macht, und der Wagen schleppt sich mühsam bergauf, oftmals
schafft er es nur im ersten Gang. Immer näher rückt der Zănoaga-Sattel (1700 Meter); wir
haben bald 40 Kilometer hinter uns, seit wir Petroşani verlassen haben. Es geht nun leicht
abwärts, wir stoßen auf die Gebirgsstraße Şugag – Novaci, auf der wir bis zur Obârşia-
Lotrului-Hütte noch einige Kilometer fahren. Hier muss wohl gesagt werden, dass die
Transfogarascher Straße zwar den anderen Gebirgsstraßen vom autotouristischen
Standpunkt den Rang abgelaufen hat, dass aber doch diese alte Gebirgsstraße Şugag –
Novaci bzw. Petroşani – Brezoi etwas einmaliges bleibt.
Wer noch genügend Urlaubstage hat, dem wäre zu empfehlen, sein Zelt einige Tage auch
bei Obârşia Lotrului (1340 Meter) aufzuschlagen, dort, wo der Lotru seinen Ursprung hat.
Von hier geht es nun stetig bergab. Fichtenwaldgruppen werden von kleinen Lichtungen mit
Weideplätzen abgelöst. Die Bergrücken werden immer sanfter, wir gelangen an den Vidra-
Stausee. Bis zum Höhenkurort ist es nicht mehr allzu weit. Auf einer Asphaltstraße erreichen
wir ihn. Weiter geht es nun den Lotru hinab. Es folgt Brezoi, kurz vor der Mündung des Lotru
in den Alt. Wir sind auf der E 15 A. Südwärts geht es nach Călimăneşti und Râmnicu Vâlcea
und nordwärts über Talmesch zurück nach Sibiu.
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 80, S. 38 – 45)
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39 | Still und geruhsam, die Welt des Buta-Sees. |
40 | Berghütte Costeşti |
41 | Hatzeger Reservat der Wisente |
42 | Hotel „Valea de Peşti“ |
45 | Zwischen Retezat und Vâlcanier Bergen: der Stausee Valea de Peşti. |