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Römerstrasse bei Geoagiu

von Hans Liebhardt

Ortschaften können für uns Geschichte bedeuten, ob diese Ortschaften nun klein oder groß sind, berühmt oder gar nicht. Das Bad Geoagiu ist geschichtlich lang nicht so berühmt, wie sagen wir das Brodfeld, auf dem die siebenbürgischen Völkerschaften zum ersten Mal den Erzfeind geschlagen haben, aber man kann, wenn man unbedingt will, über das Brodfeld nach Geoagiu fahren, obwohl dieser historische Umweg ein ziemlicher Unsinn wäre.
Die Römerstraße hatte sich bei Geoagiu, und zwar hinter dem Wildententeich, besser erhalten als sonst wo. Ob jetzt die imposanten Steine vom gras überwuchert wurden, ich weiß es nicht, außerdem wächst das Gras und vertrocknet auch wieder, es heißt, die Steine bleiben. Wir saßen unter dem schon manchmal beschriebenen Nussbaum und sprachen über Kaiser Hadrian, der keine so großen Kriege geführt hat wie sein Vorgänger Trajan, der aber die Straßen liebte und deshalb so viele Straßen bauen ließ, vielleicht auch diese. Und weil er ebenso die Bäder gern hatte, ist es möglich, dass er auch einmal hier war, am Rande des Erzgebirges, jedenfalls ließe sich aus seinen Memoiren darauf schließen. Er erlaubte den Veteranen, sich in Dazien ansässig zu machen, Heim und Herd zu gründen, und das sollte für das kommende Jahrtausend mehr bedeuten als alle Kriegszüge seines Vorgängers zusammen. Ja, Hadrian liebte auch das Reisen, und falls er über diese Straße gefahren ist, hat ihm die Gegend, obwohl es damals noch keine Sachsen gab, bestimmt gefallen. Nannte man jenes Land aber „das Glückliche“, so gehörten bestimmt auch die Straßen dazu, Glück ohne Straßen ist nicht denkbar.
Die modernen Serpentinen tun es auch, dem heutigen Kurgast sind sie sogar bekömmlicher als die Römerwege.
Onkel Florian in Meschendörfers Roman „Der Büffelbrunnen“ zog noch mit dem Pferdewägelchen hinauf ins Schlangenbad, jeder, der in Angelegenheiten des Schreibens und Badens halbwegs beschlagen ist, weiß, dass Geoagiu für das Schlangenbad Modell stand. „Die Reisenden polterten über die Holzbrücke des breit dahinrauschenden Flusses und knarrten dann die prächtige Kunststraße bergauf, deren mächtige Windungen sich in einem Gewirr von Schluchten verloren. Bei jeder Biegung tauchten neue Bergkuppen auf, bedeckt mit alten Nussbäumen, die wild, in ganzen Wäldern, die Anhänge hinauf und hinab besetzt hielten... Sie hatten die Höhe erreicht und fuhren jetzt in scharfem trab zwischen zwei Dutzend Bauernhäusern hinab in den Kesselschlund. Maulbeerbäume standen am Weg, Gänseherden stoben davon, an den Fenstern zeigten sich schwarzäugige Mädchen und winkten. Überall rann Wasser, eine warme feuchte Luft schlug ihnen entgegen. Dann kamen sie in den bauch des Kraters, den weiten Bereich des Heilbades.“
Diese Schilderung allein könnte einen dazu bewegen, Hunderte Kilometer zurückzulegen, um ins Bad Geoagiu zu gelangen. Doch die Leute fahren nicht wegen Beschreibungen aus Romanen ins Bad, da ist die Macht der Gewohnheit noch stärker als die Macht der Literatur. Man kommt aus ganz Siebenbürgen, zwischen Juni und September, der Kenner kommt nur im Juni oder September, das war schon seit Jahrzehnten so, jeden Sommer, und man wird nicht unnötigerweise versuchen, das Bewährte zu ändern. Es gibt Leute, die heuer ausnahmsweise nicht kommen, aber nächstes Jahr schon wieder, und dann stellen sie mit Genugtuung fest: Wie billig lebt der Mensch in diesem Ausland.
Der Brooser kennt noch den Berg, über den seine Vorfahren ins Bad gewandert sind, sozusagen als Sonntagsausflug. Aus der Industriezone Hunedoara kommt man mit Autobussen, es wäre doch unsinnig, auf eine andere Art ins Bad zu fahren. Nur die Bäuerinnen aus dem Unterwald treten die Reise über den Mieresch nach altem Brauch an, mit Zwilchsack und Henkelkorb ins Bad, wahrscheinlich muss das so sein, damit einem das Wasser gut tut.
Der Wasserfall ist für den Kenner die Hauptattraktion, man muss ihn allerdings über gar verschlungene Steglein suchen, man steht auch nicht lange darunter, sondern wandert weiter, man freut sich bloß, dass man von diesem geheimnisvollen Ort weiß. Bachabwärts kommt dann die Wassermühle, vor zwei, drei Jahren ging sie noch, möglich, dass man sie wieder in Funktion setzt, möglich, dass sie im Museum landet.
Das eigentliche Erzgebirge ist nicht weit, man steht in der Nachmittagssonne auf dem Rain des Bergwergs und blickt über die verstreuten blauen Gehöfte, man will sie am liebsten freundlich nennen. Man weiß auch von der Schmalspurbahn, die in einer anderen Richtung zur Dazierburg Sarmizegetusa führt, und man ahnt weiter und rechter Hand die Hatzeger Hochebene.
Es geht ein Zauber aus von dieser Ortschaft, die Geoagiu heißt, von den Menschen, die seit jeher unter den Kastanien eines fast exotischen Himmels saßen und sich verstanden. Man steht vor der alten Römerstraße wie vor einem Wunder, nachdenkend über Wort und Weg.

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 77, S. 110 – 111)

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