Auf Schusters Rappen und im Schlauchboot durch die längste Klamm Rumäniens
von Walther Konschitzky und Walter Andreas Kirchner
Hochsommerhitze, Hundstage, heißer Asphalt – zum Glück aber Urlaubszeit, Ferien. Unser Ziel: die Nera. Ein alter Wunsch soll sich in diesen Julitagen erfüllen. Zwischen Steilwänden ein Flüsschen, irgendwo im Banater Bergland, schroffe Felsen, eine „Welt für sich“ soll es dort geben, zerklüftet, wildromantisch und sozusagen unberührt. Naturschutzgebiet, Hornviper, seltene Blumen und Sträucher, ein See sagenumwoben – man hat davon gehört. Und wie das lockt! Dann der Abreisetag. Nach einer Fahrt durchs Banater Flachland die ersten Hügel, und bei Orawitza schon Berge. Dann Saska – unser Ausgangspunkt. Am Frühmorgen Aufstieg zur Şuşara-Höhe und hinauf zur Bergstraße, dann hinunter zum Teufelssee. Und da – der Fluss. Nera, Nera, Nera, Felsen, Felsen, Felsen, zwei Tage lang – zwei lange Tage.
Nun, ein halbes Jahr später – in der Klamm liegt wohl Schnee – hat sich das Erlebnis dieser
Sommerreise zu einem abgerundeten Eindruck verdichtet, zu einer Erinnerung, aus der
heraus wir mit zeitlichem Abstand das, was uns am nachhaltigsten beeindruckt hat,
festhalten. Wir wollen diese Wunderwelt des Banater Karsts nicht nochmals vorstellen, nur
bestätigen, was Georg Hromadka im KOMM MIT '76 von diesem Engtal gesagt hat. Und
noch, dass eine Durchwanderung der Schlucht jedem immer noch Überraschungen zu
bieten hat.
Wir hatten es uns nicht ganz leicht gemacht, weder was die Zusammenstellung der Gruppe,
noch was die Rucksäcke, noch was die gewählte Trasse angeht. Außer Karl Merksteiner,
Handelsdirektor von Anina mit dem Zuständigkeitsbereich Tourismus in der nahen
Umgebung, war keiner unserer neunköpfigen Gruppe als guter Bergwanderer anzusprechen,
Ingrid und Karin erlebten gar ihre erste Bergtour.
In und auf den Rucksäcken war demnach allerhand mehr als einer so braucht, war auch
ausgiebig Fotoausrüstung, ja, und da war auch noch das gelbe Schlauchboot mit Ruder. Das
hatten wir eingangs zu sagen vergessen, dass unsere Wanderung so etwas wie ein kleines
Experiment werden sollte, das wir nicht nur für uns zu unternehmen gedachten. Wir wollten
ermitteln, wie eine – wie unsere – „gemischte“ Gruppe (groß und klein, ein Teil auf Schusters
Rappen entlang der Wände, der andere im Gummiboot auf dem Rücken der Nera)
„kooperativ“ durch die Schlucht kommt. Noch klarer: Was können die Bootsfahrer den
Fußgängern an Gepäck abnehmen, wenn mal Erwachsene mit Kindern – etwa Lehrer mit
einer Schülergruppe und womöglich noch mit Zelten – die Nera auf die Hörner nehmen
wollen.
Deshalb hatten wir nicht den Eingang der Klamm bei Şopotul Nou (aus Temesvar per Bus
leicht zu erreichen) zum Start unserer Reise gewählt; dort nämlich ist der Fluss in den
Sommermonaten seicht, man kommt mit dem Boot nur langsam vorwärts, die Fußgänger
wären zu weit voraus. Wir sind von Saska aus den viel seltener begangenen – mit blauem
Kreuz markierten – Weg über die Şuşara gegangen. Am oberen Dorfrand bogen wir ins
Mühltal unter dem Gheorghe ein. Diese Trasse umgeht in großem Bogen südwärts die
Klamm, führt entlang des Şuşara-Baches zum Şuşara-Wasserfall – das Tal selbst schon ist
eine kleine Klamm. Vor dem Wasserfall rücken die Felswände ganz nahe aneinander heran,
und nur wenige Schritte weiter stürzt aus der steinigen Höhe das Wasser. Frühstück an
einem strahlenden taufrischen Julimorgen.
Steil geht’s hinan in Richtung Bergstraße Sasca - Şopotul Nou. Und da heißt es nun
aufgepasst, um ja nicht den Baum zu verfehlen mit der Tafel „Spre Cărbunari“, denn das
blaue Kreuz führt von da auch auf anderem Weg in die Klamm, doch steigt man dann erst in
ihrer unteren Hälfte, beim Haus des Vogiun bzw. beim Waldhaus Damian in die Schlucht ein.
Wir aber gehen halbrechts in Richtung Cărbunari, denn wir wollen ja zum Teufelssee. Oben
von der Steinstraße eröffnet sich das herrliche Panorama des Bufänendorfes (Bufänen - aus
Oltenien vor den Türken geflüchtete Walachen). Ein Wegstück geht es auf dieser Straße,
dann – weiter dem blauen Kreuz folgend – biegen wir mit dem Forstweg nach links von ihr
ab, und nach einem guten Halbstundenmarsch von diesem nach links in die Büsche,
hinunter zur Klamm.
Tiefblau ist das Meerauge, in das sich der von einem Bauern der Gegend überlistete Teufel
gestürzt haben soll, eine Grotte überdacht ihn zum Teil. Ein schöner Platz, ein ruhiger Platz,
doch hört man von da schon ein Rauschen, bald blendet uns durch das Blattwerk eine
Steilwand in der Mittagssonne, und da – die Nera. Von rechts kommt sie, hat bis her schon
ein gutes Drittel der Schlucht geschafft, doch der „wilde“ Abschnitt steht ihr und uns erst von
da ab bevor. Mittagsrast am Fluss, klares Wasser aus der Nera. Dann Aufbruch. Das
Schlauchboot kommt aufs Wasser, es nimmt zwei Leute auf und fünf Rucksäcke – die
schwersten, versteht sich. Von da gehen unsere Wege auseinander, unsere Beschreibungen
müssen es auch: Ich, Walther, bin in der Per-pedes-Gruppe; ich, Walter, mit Heidi im Boot.
So, und nun los, bei Vogiuns Haus ist Wiedersehen!
Wir steigen die Anhöhe ein kurzes Stück zurück und dann über „La scaune“, über die
Culmea Lacului – auf Waldweg, und dann hinunter auf den engen Steinpfad längs den
Wänden der Schlucht. Vom Boot ist nichts zu sehen. Es geht den Cracu Zapadiniann den
Cracu Iordanului entlang, dann sind wir auf der Haselnusswiese am linken Neraufer, drüben
das Anwesen der Vogiuns. Es lohnt sich, hinüberzugehen, schon wegen dem frisch
geschleuderten Berghonig oder der Sauermilch zuliebe. Das gelbe Boot ist schon da, wie
war’s?
So was sieht man nur selten, schade, dass dies auch nur wenige sehen können! Diesen Teil der Schlucht kann man eben nur vom Wasser aus erleben. Senkrecht fallen die Wände ab, keinen Pfad gibt es da, das Wasser ist tief und schnell. Doch gibt es einige wunderschöne Strände, und einer war sogar bevölkert! Sie eignen sich vorzüglich zum Campieren, drei bunte Zelte standen da! In zwei großen Schleifen – dem Conveiul Lung und dem Conveiul Scurt – folgt die Nera dem Weg, den ihr die Felsmauern vorzeichnen, und der ist eng. Darum waren wir so früh da.
Wieder führen unsere Wege auseinander. Oben aus der Wand gewahren wir Dutzende
Meter unter uns ab und zu das Boot. Doch wir sind in diesem zerklüftetsten Teil der Schlucht
voll mit dem beschäftigt, was uns umgibt: Tunnels, Höhlen links in der Wand, die schweren
Abschnitte in den Cârşile Dese, die den Weg weit überhängenden Felsmassen des Barbeşu
und dann – vielleicht das Schönste vom Schönen – „La închinăciune“, der Abschnitt, der in
Georg Hromadkas Übersetzung „Wo man das Kreuz schlägt“ heißt, was besagen will, dass
man hier das Fürchten lernen kann. Hier überqueren wir wieder eine Höhe, bedauernd, dass
wir nicht weiter miterleben können, was sich unseren Blicken eröffnet hatte und nun von
unserem Standort aus verborgen bleibt. Noch die Nera-Sphinx sehen wir, dann führt der
Pfad in den Wald, und als wir da herauskommen, führt er direkt – ins Wasser der Nera.
Hier ist die Furt, der einzige Übergang durch den Fluss, den man zur Sommerzeit tun muss
(wenn man nicht vorher schon zu Vogiuns Haus hinübergegangen war oder dort übernachtet
hatte). Wir blicken in die Richtung, aus der das Boot kommen muss: Von ungeahnter
Schönheit sind die Felsen der Cârlige. Da das Boot! Wieder trafen wir fast zu gleicher Zeit
am vereinbarten Ort zusammen. Wie war’s bei euch?
Schwerer als vorher, das Boot lag fast flach auf dem Wasser, und in diesem Abschnitt gab es viele Strudel, das Boot tanzte förmlich wie ein Kreisel. Dann viele Steinspitzen, ein Glück, dass wir keinen starren Bootboden hatten! So glitten wir über viele hinweg, und manchmal sind wir einem Zerschneiden des Gummis durch die Steine nur knapp entgangen. Öfter teilte sich die Nera auch in zwei Arme, wir wählten glattweg den schnelleren, und gut war es so.
Wir machen die nächste Begegnung aus, unsere letzte – am Waldhaus Damian, wo wir
übernachten wollen. Nach mehr als sieben Stunden Weg sind wir nicht mehr so ganz fit,
doch was uns als erstes nach der Rast an der Furt erwartete, hieß alle Kräfte
zusammenreißen: Nur zehn bis dreißig Zentimeter ist der in die Wand gehauene Weg breit,
meterweit überhängen ihn die Steinmassen, und tief unter uns das Wasser. Wie jeder kann,
krallt er sich in die Felswand, es ist nur ein kurzes Wegstück gefährlich, doch man hält den
Atem an, hat genau zu achten, wo man die Fußspitze hinsetzt. Wer da zusieht, dem stockt
der Atem wohl auch. Dieser Abschnitt wird oft umgangen, durch die Nera watend. Wer ihn
aber geschafft hat, hat den Test des Tages bestanden! Ein Tipp für Gruppen mit Schülern:
der Enge wegen ist es bei Anfängern angezeigt, die Rucksäcke den erfahreneren
Vorangehenden weiterzureichen.
Nun folgt ein fast ebener Weg bis zum Waldhaus, und als Überraschung dürfen mit Fug und
Recht die riesigen, ganz in Efeu gekleideten Bäume, von denen bis armdicke Lianen
herabhängen, bezeichnet werden. Ganz seltene Anblicke im Banat! Die Sonne steht schon
tief, brennt für die vorgerückte Stunde noch sehr – kein gutes Zeichen. Da – das Waldhaus.
Auf dem Stallboden richten wir uns mehr schlecht als recht für die Nacht ein, und bedauern
es, nicht bei Vogiuns geblieben zu sein, wo es Heu die Fülle gibt. Wir sammeln Reisig für
das Feuer, und da trifft auch das Boot ein, etwas spät. Ist was passiert?
Ja, zwei Löcher, von Steinen, das Boot ist leicht leck, doch wir blieben nicht stehen, wir schöpften das Wasser so gut es ging aus. Der Fluss ist breiter, es ging auch sonst langsamer voran, man musste viel rudern, und zum Überfluss lag auch noch ein Baumstamm quer über der Fahrrinne, wir mussten alles hinüberschaffen, umpacken. Wir sind auch ganz nass.
Ein Zelt steht schon da, und ein Wagen mit dem Schild DDR. Wir lernen Dr. Rau, Geologe
aus Jena, und seine Familie kennen, die dem 76-er KOMM-MIT-Ruf gefolgt und in die
Südbanater Schlucht gekommen waren. Sie sind von nichts enttäuscht, bloß von dem Weg
über Potoc mit dem Wagen bis her ans Waldhaus. Das überrascht uns nicht. Wir erleben
dann zusammen einen schönen Abend am Feuer, bei „Zigeunerspeck“, bei guter Laune und
nicht zuletzt bei fröhlichen Liedern. Es wird uns als eine der schönsten Erinnerungen an die
Nera im Gedächtnis bleiben, wie die Familie Rau – Vater, Mutter, Tochter und Sohn –
deutsche Volkslieder vierstimmig gesungen hat! Vielleicht hatten sie am Morgen dann, als
ein fröhlicher Waldarbeiter laut – und auch schön – singend des Weges kam und dann bei
uns vereilend rumänische Folklore dieser Gegend zum Besten gab, etwas Ähnliches
mitbekommen.
Zwischen den Liedern aber lagen noch die sternklare Nacht, ein hartes Lager und wenig
Schlaf. Und noch die Begegnung mit einem Marder! Auch das ist eine Überraschung, der
man nicht jedes Mal in der Klamm begegnet: Um Mitternacht war er deutlich zu hören, im
Lichtstrahl der Taschenlampen sahen wir dann, wie er sich an unseren Proviantsäcken zu
schaffen machte. Erst erschreckte ihn das Licht, doch dann allmählich schien er sich daran
zu gewöhnen und hielt uns stundenlang bei guter Laune. Beim ersten Hahnenschrei unter
uns im Stall begab er sich dann zur Ruhe, die wir nicht mehr finden sollten. Denn: nach dem
ersten Hahnenschrei folgte der zweite, vom selben Urheber lautstark wiederholt, und dann
pausenlos in kurzer Folge weitere, bis der Tag da war.
Der Tag war nun da, doch nicht die Sonne. Um den Gipfel des großen Beg-Turms, den
Bergkegel gegenüber dem Waldhaus, lag Nebel. Wir machten uns auf die Socken, im Boot
nur noch ein einziger Mann mit wenig Gepäck. Zu riskant schien die Wasserfahrt mit solch
unverkennbaren Schlechtwetterandeutungen. Das sei hier oft so, sagen uns die Leute vom
Waldhaus. Auf der auch für Autos – allerdings schwer – befahrbaren Straße geht es nun in
Richtung Bee-Brücke, wo wir uns mit dem Bootsmann treffen wollten. Dazu kam es dann
nicht, im Nieselregen stapften wir weiter, und unser Vorhaben, den Abstecher hinauf zum
Meerauge Ochiu-Bei und zu den Bee-Fällen noch zu machen, schwamm die Nera hinunter
wie das gelbe Boot, dem wir hier nicht begegnet sind.
So zogen wir los auf dem Steinpfad des wunderschönen Abschnitts Cârşia Cărăula und der
noch imposanteren Foeroaga Mare, mit vielen Tunnels, mit Felsüberhängen, weite Ausblicke
eröffnend tief hinein ins sich merklich erweiternde Nera-Tal. Dann kommen die ersten Felder,
die ersten Weingärten, immer breiter wird das Tal, doch erst unten vor Sasca Română, als
wir einzeln über die hohe glitschig-nasse Hängebrücke aufs jenseitige Ufer wollen, gewahren
wir das gelbe Boot, tief unter der Brücke hält es im Regen kurz an und gleitet dann langsam
die Nera weiter hinunter. Wir aber kommen nach Rumänisch-Saska, folgen von da der
Landstraße, und nach einer guten Stunde sind wir unten an der großen Nera-Brücke über
der Landstraße, auf der wir angereist waren. Doch lange müssen wir warten, bis das Boot
kommt. Was war geschehen?
Schon vom Waldhaus Damian an war das Wasser recht seicht, es gab viele Windungen, viel Schwemmholz. Aus den Felswänden aber gegenüber der Cârşia Cărăula sprudelten glasklare Quellen, direkt aus der Wand in die Nera. Eine Rarität, die einen für manche Schwierigkeiten entgeltet! Weiter flussabwärts dann, vor den beiden Wassermühlen am linken Ufer gab es Stauwehre aus Holzpalisaden und Steinen, die das Wasser zu den Mühlen leiteten. Da galt es Rucksack und Boot drüberzuheben, eine nicht ganz einfache Sache im Regen. Und dann unterhalb der Hängebrücke die vielen Wendeschleifen, die die Nera da macht! Nur langsam kam ich voran.
Nun sitzen wir an der großen Brücke, an der unsere Klammdurchwanderung endet. Wir warten auf die Autos für die Heimfahrt in unser Banater Flachland. Die Nera tritt aus der Klamm heraus in die offene Landschaft, zieht gemächlich dahin im weiten Tal, zieht weiter in eine andere Gegend, wo keine Felswände ihr mehr den Lauf vorschreiben. Wir können das gut verstehen, und doch freuen wir uns, die enge Schlucht, aus der wir kommen, erlebt zu haben!
***
Nun liegt Schnee in der Klamm. Wir hatten vor, sie im Winter auf Schlittschuhen zu durchwandern, doch auf unsere Telefonanrufe nach der Tragfähigkeit des Eises erfuhren wir erst, dass ein solches Unternehmen nur schwer auszuführen sei: Die Nera friert nur ganz selten fest zu. Statt Schlittschuhtour setzten wir uns nun hin und schrieben unser Sommererlebnis nieder. Aber: Sollte es in der Schlucht mal tragfestes Eis geben, so wollen wir der Nera doch noch den geplanten Besuch abstatten. Und wir versprechen schon jetzt dem Komm-mit-Leser, auch darüber in Wort und Bild zu berichten.
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 78, S. 216 – 225)
Seite | Bildunterschrift |
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217 | Fast senkrecht fallen die Schluchtwände ab. |
218 | Kartenskizze |
220 | Schwerbepackt über Stock und Stein. |
221 | Endlich Rast beim Anwesen des Vogiun. |
224 | Links der schmale Reitsteig in den Fels gehauen und unten die Nera. |
225 | Flussabwärts im gelben Boot. |