von Georg Hromadka
Für den Banater Bergfreund haben die Namen Nera und Nergan einen besonderen Klang.
Das männliche Wort Nergan ruft dem Touristen ein wenig begangenes Gebiet des Semenik-
Plateaus ins Gedächtnis; der sanfte Name Nera beschwört ihm Bilder eines der schönsten
Felsentäler unseres Landes herauf: der Nera-Klamm (Cheile Nerei).
Bekanntlich entspringen im Semenik-Gebirge vier der wichtigsten Flüsse des Banats: die
Temesch (Timiş), die Bersau (Bârzava), die Karasch (Caraş), und die Nera. Die Quellen der
Nera liegen nordöstlich der Piatra Nedeia (Nergan) und südöstlich der Piatra Gozna
(Nerganiţa). Noch auf dem waldreichen Südhang des Semenik vereinigen sich Nergan und
Nerganiţa zum Nerafluss. Zwischen Pătaş und Şopotul Nou nimmt die von den Bergbauern
gern auch Nergan genannte Nera das Wasser auf, das ihr über die Nordwestflanke des
Almasch-Gebirges (Munţii Almăjului) zufließt. Reichliche Zufuhr erhält sie bei Bozovici von
der Minisch (Miniş).
Nachdem sie das freundliche und fruchtbare Almasch-Tal (Valea Almăjului) verlassen hat,
zwängt sich die Nera, den Banater Karst schneidend, durch eine grandiose Felsenwelt, die
sie selbst in unermüdlicher Sägearbeit geformt hat. (Genauer gesagt: Sie hat diese
Felsenwelt möglich gemacht; an ihrer Formung haben außer der Nera auch andere Kräfte
mitgewirkt.) Rund 20 km lang ist die Schlucht. Sie beginnt bei Şopotul Nou und endigt bei
Sasca Română. Ungezählt sind ihre oft mäanderartigen Windungen.
Als ein Fluss, der inzwischen seine touristische Bedeutung eingebüßt hat, mündet die Nera
bei Socol in die Donau.
Vor allem ist es die Schlucht selbst, die den Freund „heroischer“ Landschaften anzieht. Steile Kalksteinfelsen („cârşe“, „pânze“, „cleanţuri“) ragen, spiegelglatt oder wild-zerklüftet, an den Ufern des Flusses hoch. Zu den imposantesten gehören die Cârşa Căprariului, der Cracul Turburii (Tulburii, Turbura), die Cârşa Şoimului, der Große Beg-Turm (Begul Mare), die Cârşa Rolului. Am dichtesten stehen die „cârşe“ im mittleren Abschnitt der Klamm. Wie in einem riesenformatigen Leporelloalbum folgt hier Bild auf Bild.
Die Nera selbst wird in der Schlucht zum schönsten Fluss des Banats. Sie ist stellenweise,
sehr tief. In ihren blaugrünen, oft tiefdunklen Fluten spiegeln sich die blendendweißen,
manchmal bläulichweißen, hier und da auch rötlichbraunen Felsen.
Groß ist die Zahl der Höhlen. Bedeutung kommt indessen wohl nur der Dubova-Höhle zu.
Interessant gelegen sind die Peştera Voii, die Gaura Hicleană und die Peştera Rolului.
Unweit der Gaura Hicleană, an der Valea-Rea-Mündung, befinden sich die Strudelkessel La
Coveţi.
Ein Höhlensee ist der berühmte Lacul Dracului (Teufelssee). Er ist durch den Einsturz einer
Grotte entstanden. Man nimmt an, dass er von der Nera unterirdisch gespeist wird
(unwahrscheinlich!). Der See ist 35 m lang, 18 m breit und 9 m tief.
Von den Karstquellen der Nera ist vor allem der in unmittelbarer Flussnähe hervorbrechende
Izvorul Iordanului bemerkenswert.
Die meisten Besucher der Nera-Klamm begnügen sich damit, die Schlucht in ihrer Länge zu
durchschreiten (und, wenn nötig, zu durchwaten). Es lohnt sich aber, dort, wo Pfade oder ein
günstiges Gelände es gestatten, zu den Felskronen oder den teils mit Wiesen, teils mit Wald
bedeckten, oft von Dolinen übersäten Anhöhen zu beiden Seiten der Klamm hochzusteigen
und die Schluchtenlandschaft aus einer völlig veränderten Perspektive zu überschauen.
Alpinisten bietet der große Beg-Turm, aber auch die Cârşa Şoimului und die Cârşa
Căprariului Gelegenheit zu Kletterpartien verschiedenen Schwierigkeitsgrads.
Mit dem Auto ist die Klamm nur von Potoc aus erreichbar. Nach Potoc gelangt man von
Orawitza (Oraviţa) über Răcăşdia. (Von dem hinter Răcăşdia abzweigenden Asphaltweg
biegt bei Macovişte eine Landstraße in Richtung Potoc ab.) Eine Forststraße führt von Potoc
ins Neratal. Das Tal wird bei der Bee-Brücke (Podul Beiului) erreicht. Oberhalb der Brücke,
an der Poiana Lindinei, zweigt ein Karrenweg nach rechts ab. Er führt zum Waldhaus
Damian (Cantonul Damian). Für Vorstöße flussauf zu den zentralen Sehenswürdigkeiten der
Klamm (La Cârlige, La Închinăciune, Barbeşul Mare usw.), für Aufstiege zum Großen Beg
und zur Rol sowie für Ausflüge flussabwärts (Foieroaga Mare) ist das Försterhaus ein guter
Stützpunkt.
Zu Fuß kann man die Nera-Klamm von mehreren Seiten angreifen, am besten von den
beiden Endpunkten her. Wer von Reschitza (Reşiţa) ausgeht, fährt mit dem Frühbus
Reschitza – Moldova Nouă nach Orawitza. Hier nimmt er um 11.30 Uhr den Autobus nach
Sasca Montană. Von Sasca Montană bis Sasca Română ist es ein Katzensprung (1 km).
(Besser aber, man fährt gar nicht erst nach Sasca Montană hinein, sondern verlässt den Bus
an der Nerabrücke, um am rechten Ufer des Flusses, ohne Sasca Română zu berühren, zur
Klamm vorzustoßen.) Von der Hängebrücke bei Sasca Română bis zum Waldhaus Damian
sind es 2 Stunden.
Wer die Klamm flussabwärts „machen“ will, besteigt am frühen Nachmittag in Orawitza den
Autobus nach Şopotul Nou (über 3 Stunden fahrt). Von Şopot zum Salasch des Trifu führt
ein Karrenweg (eine gute Stunde).
Von allen Schluchten des Banats ist die Nera-Schlucht (neben der wild-verwachsenen
Gerlischter Schlucht) die einsamste. Das ist darauf zurückzuführen, dass man hier (anders
als in der Karasch-Klamm, wo vom Dorf Kraschowa bis zu den „Riegeln“ im obersten Teil der
Klamm ein gut erhaltener, bequemer „Reitsteig“ führt) nicht überall vollkommen intakte Wege
vorfindet. Karrenwege gibt es nur an den beiden Enden der Klamm. Brücken fehlen.
Improvisierte Stege werden im Frühjahr meist vom Hochwasser zerstört. Selbst die
Hängebrücken vom Salasch des Vogiun und vom Waldhaus Damian (für die Bauern wie für
die Touristen einst von großem Nutzen) sind weggeschwemmt worden. Nur die hohe, solid
gebaute Hängebrücke am Ausgang der Schlucht ist von den reißenden Fluten verschont
geblieben. Sie tut gute Dienste. Hingegen ist der Hängesteg von Drâştie am Klammeingang
bedenklich schwank und abschüssig. (Der Hängesteg konnte im Mai 1997 noch begangen
werden, im Oktober 2005 war er nicht mehr benutzbar.) Der wichtige Steg vom Salasch des
Trifu ist erneuert worden. Ein Hängesteg, für die Bauern wichtig, für den Touristen
uninteressant, spannt sich beim Salasch des Purea (gegenüber der Cârşa cu Ţoale) über
den Fluss.
Wie in der Karasch-Klamm und in der Gerlischter Schlucht ist auch im Neratal der Weg an
vielen Stellen in den Fels gehauen. Oft zieht er sich unter mächtigen Überhängen hin, führt
durch Einschnitte und Tunnels (längster Tunnel: 40 m bei Foieroagă).
Manchmal werden die Felsrippen („coaste de balaur“ = „Drachenrippen“ nennt sie der
Volksmund) hoch umgangen (Beispiele: die „Umleitungen“ über die Culmea Lacului, den
Cracul Iordanului und die ersten Felsen der Cârşele Dese). Mehr oder minder unbequemen
Übergängen kann man, wie beim Cracul Iordanului oder bei den Cârşele Dese, ausweichen,
wenn man sich entschließt, durchs Wasser zu gehen. Zwingend ist das Durchwaten des
Flusses nur bei der Pânza lui Clean.
Engpässe ergeben sich (besonders für den schwer bepackten Wanderer) dort, wo der
Felsenweg abgebröckelt ist und nur noch dürftige Zacken den Füßen und Händen Halt
bieten (gefährlichste Stelle: bei den Cârşele Dese). Hier ist äußerste Vorsicht geboten.
Angenehm erholsame Zwischenspiele sind die Wegpartien, die durch den (größtenteils mit
Buchen bestandenen) Wald führen: Culmea Lacului, oberhalb La Închinăciune, Faţa
Damianului usw.
Ein voluminöses Bilderbuch der Natur ist die Nera-Klamm. Man kann in diesem Buch viele
Tage lang blättern. Man kann in ein, zwei Tagen die schönsten Seiten aufschlagen.
Für eine halbwegs gründliche Durchforschung der Schlucht ist eine Woche nicht zu hoch
veranschlagt. Man wird in diesem Fall den Salasch des Trifu (Salasch = Bauernhütte), den
Salasch des Vogiun (Sârbu) und das Waldhaus Damian zu Stützpunkten wählen. (Das
Forsthaus war im Mai 1997 noch bewohnt, im Oktober 2005 leer und verfallen.) Außer der
Schlucht „an sich“ wird man möglicherweise auch die Gegend um die Cârlige (mit der Höhle
Gaura Hicleană) und den Ogaşul Văii Rele („Böses Tal“ mit den Strudeltöpfen La Coveţi)
abtasten, den Căprariu-Gipfel, den Großen Beg-Turm, die Rol und die eine oder andere
„cârsă“ besteigen (selbstverständlich nicht über Kletterführen), der Dubova-Höhle einen
Besuch abstatten und vom Untan-Hügel (Dealul Untan) das Panorama der Foieroaga Mare
genießen.
Die erregendste Aussicht bietet sich dem Wanderer auf dem Căprariu-Gipfel an. Von hier
überblickt man gut den größten Teil der Schlucht (den Abschnitt Teufelssee – Großer Beg).
Man darf behaupten: Wer die Klamm aus dieser Perspektive noch nicht gesehen hat, dem
fehlt für sein Nerabild eine wichtige Dimension. Zum Căprariu gelangt man am leichtesten
vom Salasch des Trifu aus: im Anstieg quer über die „ogaşe“ (Gräben, Seitentäler) Ţercoviţa,
Albina und Aluni. (Auskünfte holt man bei Trifu Crăciun – Salasch des Trifu – und bei den
Bewohnern der Salasche im Aluni-Graben ein.)
Wer über mehr Zeit verfügt, kann für die nah gelegene Okubee (Ochiul Beiului, ein
Meerauge) und die Bee-Fälle (Cascadele Beuşniţei) eine Stippvisite einplanen.
Zwei Tage genügen, um die Schlucht vom einen Ende zum andern zu durchmessen.
(Sinnlos ist es, die erlebnisreiche Route in einem einzigen Tag zu „bewältigen“.) Zwei, drei
Tage braucht man, um sich (etwa von Sasca Montană aus zu Fuß oder von Potoc aus mit
dem Wagen kommend) im Abschnitt Damian – Teufelssee umzusehen.
Der Klammweg ist von Sasca bis Şopot markiert (rotes Band).
Am besten ist es, die Nera-Klamm im Hoch- und Spätsommer (bei niedrigem Wasserstand)
aufzusuchen. Schön ist es hier im Herbst, wenn sich die Wälder färben, im Gesträuch die
Pfaffenhütchen und die Kornelkirschen glühen und die Wildenten über die blaugrünen Fluten
schwirren. Im Frühjahr, wenn auch im Neratal der lila und weiße Flieder wieder blüht, ist das
Überqueren des Flusses oft schwierig und zur Regenzeit sogar gefährlich.
Vipern kann man im Neratal in der warmen Jahreszeit wohl begegnen. Aber wer fürchtet sich
schon vor Vipern, selbst wenn sie, wie die Sandviper dieser Gegend, ein Horn auf der
Schnauze tragen?
Was noch zu sagen bleibt: Die Nera-Klamm steht (ebenso wie das benachbarte Okubee-
Gebiet) zur Gänze unter Naturschutz.
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 76, S. 22 – 31)
Seite | Bildunterschrift |
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23 |
Kartenskizze: Die Nera-Klamm:
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24 | Im Licht der hoch stehenden Sonne nimmt sich der Teufelssee gar nicht dämonisch aus. |
25-l | Cârşele Dese: Blick auf den Turbura-Hang (im Hintergrund). |
25-r | Mächtig sind die Überhänge des großen Barbeş. |
26 | “La Închinăciune” (“Wo man das Kreuz schlägt”): Seinen seltsamen Namen hat der Ort von den riesigen Felsbrocken erhalten, vor denen sich im Fluss das Holz staut. |
27 | Ein Stück Neratal, von der Pânza Văii Rele aus gesehen. |
28 | Pânza lui Clean: Unweigerlich muss man hier durchs Wasser... |
29 | Das Waldhaus Damian (im Hintergrund der große Beg). |
30 | Die Cârşa Rolului (vom Ciochina-Salasch aus gesehen). |
31-o | Die Nera-Schlucht in ihrem letzten Abschnitt (Foieroaga). |
31-u | Foieroaga (Cârşa Tunelului). |