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Topolniţa macht wieder von sich reden

Neue Vorstöße ins größte Höhlenlabyrinth Rumäniens

von Walter Gutt

Kaum ein Karstgebiet unseres Landes hat die Erforscher der untertätigen Welt so oft in Atem gehalten wie der Kalkrücken zwischen den Ortschaften Cireşu, Marga und Jupâneşti, etwa 30 Kilometer nördlich von Drobeta Turnu-Severin. Die Ausmaße des zerklüfteten, nur stellenweise mit Gestrüpp und verkümmerten Bäumen bewachsenen Höhenzuges lassen nicht ahnen, welch verwirrender Irrgarten unterirdischer Gänge, Hallen und Schluchten die Tiefen durchzieht und mit welch verschwenderischer Tropfsteinpracht die Natur viele dieser Hohlstrecken ausgestattet hat.
Die systematische Erforschung des Topolniţa-Labyrinths beginnt im Jahre 1961 (siehe „Komm mit '73“, Seite 59 – 61). Drei wackere Forscher: Marcian Bleahu, Anca Burghele-Bălăcescu und Vasile Decu können innerhalb von zwei Jahren insgesamt 10.700 Meter unterirdischer Gangstrecken vermessen und wissenschaftlich untersuchen. Im folgenden Jahrzehnt wird es wieder still um die Höhle, so dass man den Eindruck hat, die Zeiten sensationeller Entdeckungen in diesem Gebiet wären vorbei. In dieser Zeitspanne scheinbarer Ruhe wird oft beschwerliche Kleinarbeit geleistet. Höhlenteile und Nebengänge, die im Fieber der Entdeckungen übersehen wurden, kommen jetzt an die Reihe. Die Ergebnisse der Arbeit vorangegangener Jahre werden gesichtet und ausgewertet.
Seit 1963 gehen auch wir den Geheimnissen dieses Karstgebietes auf den Grund. Gleich zu Beginn fällt unser Augenmerk auf den über 1.500 Meter langen, reich versinterten Racoviţă- Gang der Topolniţa-Höhle. Tropfsteinbildungen und Trümmerwerk setzen dem weiteren Vordringen jedoch ein unerwartetes Ende. Da alle Versuche, diese Hindernisse zu überwinden, fehlschlagen, versuchen wir 1965, von der entgegengesetzten Seite her gegen die vermuteten unterirdischen Räume vorzustoßen. Unweit der Ortschaft Jupâneşti dringen wir in die Epuran-Höhle ein. Eine Verbindung zum Racoviţă-Gang können wir zwar nicht entdecken, dafür aber finden wir Gänge und Räume von über 1.000 Meter Gesamtlänge, das obere Stockwerk eines noch unbekannten, zum Topolniţa-Komplex gehörenden Höhlensystems. Das vermutete untere Stockwerk tut sich durch einen eisigen Hauch im engen Höhleneingang kund. Seine Entdeckung gelingt erst Jahre später.
Im Mai 1972 erweitern wir unweit des Höhleneingangs ein Einstiegsloch in die Tiefe. Eisiger Luftzug faucht uns um die Ohren, als wir uns zwischen den Felstrümmern abwärts zwängen. Nach einigen bangen Minuten erreichen wir einen düsteren kellerartigen Raum, der sich leider als Sackgasse erweist. Auch eine weiter hangaufwärts gelegene, ihrer Kälte wegen von den Einheimischen „Peştera răcoarei“ genannte Schachthöhle wird untersucht. Über Abstürze, Erdreich und Trümmerwerk steigen wir in die Tiefe. Einschwemmungs- und Versturzmaterial riegelt auch hier sämtliche Fortsetzungen ab. Weiterhelfen können uns nur noch Krampen und Spaten. Wie Maulwürfe buddeln wir uns durch Sand und Schutt, bis uns Erschöpfung und Hunger zur Umkehr zwingen.
Auch im Innern der Höhle gelingen weitere Entdeckungen. Anfang Mai 1973 finden wir zwischen Versturzblöcken den Abstieg in einen tiefer gelegenen Riesenraum. Forscher vom Racoviţă-Institut aus Bukarest entdecken endlich im Juni 1973 an einer anderen Stelle einen Schacht, der in die Tiefe führt. Einen Monat später gelingt ihnen der Abstieg ins vermutete untere Stockwerk. In der Tiefe erreichen sie den unterirdischen Bachlauf. Der 54 Meter tiefe Schacht, ein ehemaliges Steigrohr des Wassers, erweist sich als enger, schlammverschmierter Gesteinsschlauch, dessen Wände dem Kletterer überhaupt keinen Halt bieten. Die Befahrung dieser Strecke wird zum Alptraum. Das mit Feuchtigkeit und Lehmbrühe durchtränkte Kletterseil verwandelt sich bei der Berührung mit Sand in eine heimtückische Rundfeile, die beim Abseilen erbarmungslos die Kleidungsstücke durchscheuert und auch vor der menschlichen Haut keine Achtung kennt. Noch unangenehmer ist der Aufstieg durch den endlosen klebrigen Spalt. Er wird zum verzweifelten Kampf mit Kabelleiter und Sicherungsseil, Gerätschaften, die sich dauernd verwirren und derart mit Lehm beladen, dass sie kaum noch benützt werden können. An den folgenden Abstiegen, im Oktober 1973 und im Mai 1974, nehmen auch wir teil. Das Ergebnis der vereinten Bemühungen: 1.220 Meter neu entdeckte und vermessene Gangstrecken im untere Stockwerk; die Gesamtlänge der Epuran-Höhle schnellt auf annähernd 4.000 Meter empor.
Auch Einheimische begeistern sich für die unterirdische Welt und überraschen mit Entdeckungen. Dorel Staicu findet 1964 in der Felswand des Prosăc-Portals, also im Haupteingang der Topolniţa-Höhle, den Versteckten Gang (Culoarul ascuns; siehe „Komm mit '73“, Abbildung auf Seite 60). Im Jahre 1972 erreicht er nach waghalsiger Kletterei in derselben Felswand zwei weitere Abzweigungen: den Hängenden Gang (Galeria suspendată) und den nach ihm benannten Staicu-Gang.
Ein gemeinsames siebentägiges unterirdisches Forschungslager in der Topolniţa-Höhle, im März 1974, zusammen mit Bukarester Kollegen dient der genauen Vermessung des Racoviţă-Ganges. Wir entdecken den Wundergang, eine Abzweigung, die fast 200 Meter lang ist und 56 Meter tief hinabführt.
Nur schwer lässt sich die Fülle der Eindrücke und Erlebnisse während solcher gemeinsamer unterirdischer Einsätze schildern. Es gibt oft heitere, ja komische Situationen, oft aber geht es auch knapp am Verhängnis vorbei. Hier einige Beispiele:
Im „See-Gang“ (Galeria tăului, Topolniţa-Höhle) gebietet ein tiefes stehendes Gewässer dem Vordringen Halt. Während wir die Lampen mit frischem Karbid füllen, baut Ion Povară, einer unserer Bukarester Kollegen, einen Seilübergang. Er treibt Mauerhaken in die Felswand und spannt ein Seil übers Wasser. Die Füße an die Wand gestemmt, mit den Händen sich am Seil haltend, versucht er, sich über den Tümpel zu hangeln. Bei dieser Belastungsprobe müsste er, schon seines Namens wegen (Povară heißt auf deutsch Last), besonders vorsichtig sein. Da saust plötzlich ein Mauerhaken aus der Wand. Unser Freund kippt nach rückwärts, als hätte er die Bewegung einem Froschmann, der über Bord geht, abgeguckt, und verschwindet schimpfend und prustend unter der Wasseroberfläche. Nach solch unfreiwilligem Vollbad müssen wir an diesem Tag auf seine weitere Teilnahme am Vorstoß verzichten.
Als wir in einer Nacht vollkommen erschöpft von einem jener zermürbenden Vorstöße ins untere Stockwerk der Epuran-Höhle zurückkehren, werden wir jäh aus unseren Träumen gerissen: Aufgeregtes Geschrei, Wortfetzen, Kraftausdrücke zerreißen die Stille und mischen sich ab und zu mit dem Aufheulen eines gepeinigten Motors, Lichter huschen geschäftig hin und her. Bald haben wir erfahren, was dieser nächtliche Spuk zu bedeuten hat. Unser stets hilfsbereiter Lkw-Fahrer, der uns abholen soll, ist diesmal zum Opfer seines „Entgegenkommens“ geworden. Bis unter den Höhleneingang wollte er uns entgegenfahren, und ist nun mit seinem Gefährt rettungslos im Sumpf stecken geblieben. Statt der wohlverdienten Bettruhe ergehen wir uns im Genuss eines ausgiebigen nächtlichen Moorbades im Streubereich der sich immer tiefer einfressenden Räder. Erst als aus Jupâneşti einige Ochsen herbeigeholt werden, gelingt es den vereinten Kräften, unseren fahrbaren Untersatz wieder auf die feste Straße zu bugsieren.
Beim Abstieg in den neuen Riesenraum der Epuran-Höhle gleitet unser Freund Toni Zakarias (Braşov) aus und stürzt kopfüber in die gähnende schwarze Leere. Wie durch ein Wunder kommt er bloß mit dem Schrecken davon.
Ein ähnliches Erlebnis hat Gabriel Diaconu, einer unserer Bukarester Freunde. Während eines Materialtransports zur Frauenhöhle (Peştera femeii), dem am meisten benützten Zugang ins Topolniţa-Labyrinth, gleitet er auf dem verschneiten Saumpfad über dem Prosăc- Portal aus. Seine beiden Rucksäcke reißen ihn den Steilhang hinab, verfangen sich aber im letzten Augenblick an einem Baum und verhindern einen Sturz in den Abgrund. Mit etlichen Beulen auf dem Kopf – sein spärlicher Haarwuchs konnte ihm leider nicht viel Schutz bieten – rappelt er sich auf und wir können unseren Weg fortsetzen.
Den Rekordsprung vollführte jedoch Christian Goran, der jüngste der Bukarester Höhlenforscher. Bald nach der Entdeckung hatte man den Versteckten Gang an der Abzweigung aus dem Prosăc-Portal durch ein Eisentor abgesperrt. Das Emporhissen des Materials bis an diese Stelle erfolgte mit Hilfe einer kleinen Drahtseilbahn. Goran kann beim Abstieg dem Drang nicht widerstehen, diese schon längst ausgediente Transportvorrichtung selbst zu versuchen. Kaum hat er sich ans Kabel gehängt, da reißt die Haltevorrichtung aus der Felswand. Zwanzig Meter saust unser Freund durch die Luft und landet – mitten in einem tiefen Wassertümpel. Glück muss der Mensch haben! Fast das ganze Jahr hindurch ist das Bachbett an dieser Stelle ausgetrocknet!
ast immer ist in letzter Zeit in diesem Höhlengebiet etwas los. Und von jedem ihrer Streifzüge bringen die Forscher neue Ergebnisse mit. Fern vom „unterirdischen Schlachtfeld“, mitten im Trubel der Hauptstadt, erarbeiten sie das Bild einer der großartigsten Karsterscheinungen unseres Landes. Welch erhebendes Gefühl, ab und zu mit dabei zu sein, zu erleben, wie sich die Skizzen der neuen Gänge Schritt für Schritt zum Gesamtplan des unterirdischen Riesenlabyrinths zusammenfügen. Zwanzig Kilometer Gesamtlänge (einschließlich Epuran- Höhle) wurden errechnet – eine Zwischenbilanz. Die Forschungen gehen weiter.

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 76, S. 87 – 93)

Seite Bildunterschrift
 
88 Kahle zerklüftete Kalkberge bilden die äußere Kulisse des Karstgebietes über der Topolniţa-Höhle.
89 Die „Qualle“ (Meduse), eine der zahlreichen Tropfsteinbesonderheiten aus der Epuran-Höhle.
92 Der Kristallsee (Racoviţă-Gang, Topolniţa-Höhle) birgt in smaragdgrünem Wasser korallenartige Kalkausscheidungen.
93 Durch den Engpass der Großen Diaklase (Topolniţa-Höhle) gelangt man in die schönsten Teile des Racoviţă-Ganges.
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