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Das ist die Nera-Klamm

von Emilian Cristea – Meister des Sports

Wir kamen von Sasca-Română in die Nera-Klamm. Der erste Anblick enttäuschte mich ein wenig. Die Klamm, die ich suchte, war nicht zu sehen. Bald darauf überzeugte ich mich aber, dass die Nera-Schlucht zwar nicht bedrückend-grandios ist wie die Bicaz-Klamm, wo der Mensch „gearbeitet“ und die Schönheiten ins richtige Licht gestellt hat, und dass sie auch nicht mit der Thorenburger Schlucht (Cheile Turzii) zu vergleichen ist, die gleichfalls eine touristische Attraktion darstellt – dass sie aber von beiden etwas besitzt, und dieses Etwas sich auf 22 Kilometer Länge erstreckt.
Nichts ist hier einförmig. Alles ist mannigfaltig, ungewöhnlich. Man hat das Gefühl: Das ist die Entstehung der Welt. Pflanzen und Tiere sind noch undifferenziert.
Der Wald, in dem die Tiere leben (das Wild, die Vögel, die Reptile), ist ein wunderbares Baumgemisch. Der Flieder färbt im Frühjahr als erster das Tal. Der Kirschbaum folgt, der Weißdorn, die Linde. Noch ehe alles grünt, beginnen die Vögel zu musizieren…
Hinter der Foieroaga Mare (Cârşa Tunelului) mit ihrem Turmgewirr durchschreiten wir einen etwa 40 Meter langen Tunnel. Jenseits des engen Durchgangs kommen wir unter ragendem Gestein über Geröll. Es wimmelt hier von Hornvipern und allerhand Eidechsen. Links ragt der mächtige Caraula-Turm auf. Seit vielen Jahrtausenden steht er da und bewacht das Tal. Vier kleinere Tunnels folgen.
Bei der Bee-Brücke kommen wir auf den Fahrweg. Mit einem Schlag verändert sich die Landschaft. Sie wird wild, bewegt. Hier hat der sagenhafte Adam Neamţu, der Heiduck des Banater Berglands, gelebt. Am Kleinen Beg und an der Cârşa Rolului sucht das Auge nach den ehemaligen Verstecken des Heiduckenführers und seiner Genossen.
Die Felstürme sind nicht weniger gewaltig als etwa die Diana-Felsen im Königstein (Piatra Craiului), und wenn der Höhenmesser am Ufer der Nera nicht 150 Meter Höhe anzeigen würde, hätten sich unsere Alpinisten längst schon mit diesen Felswänden und -türmen eingelassen. Man zeigt uns das „Fenster“, das die Höhle des Adam Neamţu erhellt – in 200 Meter Höhe…
Jenseits des Waldhauses Damian („Despede“) ragt der Große Beg auf. Er beherrscht die Gegend. Die Sage erzählt, Maria, ein Bauernmädchen von seltener Schönheit, habe sich vom Fels gestürzt, um dem türkischen Bei (Beg) zu entgehen, der sie in seinen Harem schleppen wollte…
200 Meter hoch ist der Große Beg. Zusammen mit meinem Klubkollegen Ladislaus Karacsonyi „machte“ ich ihn in zwei Tagen. Zwei Tage aufregender Ereignisse waren das: mit Hornvipern im Geröll am Fuß der Wand, mit Raubvogelnestern, deren Bewohner aggressiv um uns herum kreisten, mit äußerst schweren Kletterhindernissen. Wie überrascht waren wir, als wir 40 Meter unterm Gipfel auf eine Leiter stießen. Gheorghe Ranga, ein Bursche aus Saska, hatte sie hier angelegt, in der trügerischen Hoffnung, mit ihrer Hilfe den Schatz des Adam Neamţu oder den legendären Türkenschatz zu entdecken. Wie enttäuscht der Arme gewesen sein muss, als er in der Höhle nichts anderes vorfand als Raubvogelnester.
Wir lassen die Dubova-Höhle hinter uns… Unter der Cârşa Şoimului, einem hohen, farbigen Felsen, ziehen die Fluten schnell dahin. Hier, zwischen den Felsen „La Cârlige“ und der Cârşa Şoimului, tobt ein wilder Kampf des Wassers mit dem schroffen, widerspenstigen Gestein. Wir überschreiten das Wasser und kommen ins Herzstück der Klamm. Überall farbig-leuchtender Fels, von Flieder und Lianen umrankt. Das Wasser hat alles hinweggeräumt, was sich ihm hier entgegengestellt hat. Großartige Bilder hat es geschaffen und auf mehr als 2 Kilometer aneinandergereiht. Ohne Unterlass tönt der Triumphgesang des Wassers, das blaugrün und kristallklar das felsige Bett durchzieht…
Die Natur ist es, die hier ihr Märchen erzählt, das wahre Märchen von den Bergen, den Höhlen, de unvorstellbaren Waldeinsamkeit, dem Paradies der Vögel und wilden Tiere…
Als ich den Teufelssee zum ersten Mal vor mir sah, war ich dermaßen überrascht, dass ich lange Zeit unbewegt dastand. Ich kann nicht sagen, was mich am meisten beeindruckte: die plötzliche, bizarre Erscheinung, die dunkle Bläue des Wassers oder der Name des düsteren Ortes. Wie ein ungeheurer Rachen tut sich die Höhle auf, als wollte sie das Wasser verschlingen, das von seiner unterirdischen Irrfahrt eben erst ans Tageslicht gelangt ist…

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 71, S. 249 – 252)

Seite Bildunterschrift
 
249 Das erste große Ereignis beim Ost-West-Durchstieg der Nera-Klamm: das Meliug-Tor.
250 Links: Die Sage erzählt, hier habe der Bauer den Teufel überlistet, der sich dann vor Wut in den See gestürzt habe – daher der Name Teufelssee.
251 Rechts: Eng, lang und finster sind die meisten Nera-Tunnels.
252 Links: Die Nera-Klamm beim Einfluss des Bee-Bachs. Der Weg nach Sasca Română führt noch durch einige „găuri“ (Tunnels).
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