von Georg Hromadka
Die Legende erzählt: Dragoş, dem Woiwoden der Maramuresch, erschien bei
einer Jagd in den Wischauer Wäldern ein weißer Auerochse. Vor den Pfeilen des
Jägers floh der Ur gen Osten. Der Woiwode setzte ihm zu Pferde nach. Immer
hitziger wurde die Jagd. Auf einmal befand sich Dragoş jenseits der
Karpaten. Er stieg aus dem Sattel und gründete das Moldauer Land (a
descăleca = aus dem Sattel steigen; ein Land gründen).
Was sagen die Geschichtsschreiber dazu? Sie stellen richtig. Den Woiwoden
Dragoş hat es zwar gegeben. Aber nicht er hat den Staat östlich der
Karpaten gegründet. Die geschichtliche Tat hat Bogdan vollbracht. Wer war
Bogdan? Auch er war ein Woiwode der Maramuresch. Er lebte im vierzehnten
Jahrhundert. Seinen Herrensitz hatte er im Iza-Tal, in Cuhea. Von hier aus
verwaltete die Familie Bogdăneşti vierzehn Dörfer.
Um jene Zeit waren die Ungarnkönige bestrebt, ihren Machtbereich im Norden und
Osten auszudehnen und zu konsolidieren. In der Woiwodschaft Maramuresch, die von
Rumänen bewohnt und verwaltet wurde, gewannen sie einen Teil der Feudalherren
für sich. Den Woiwoden Dragoş ernannte König Ludwig I. zum Verwalter
eines östlich der Karpaten gelegenen Grenzgebiets. Dragoş organisierte
hier die Verteidigung gegen die Tartaren. Die Dynastie der
Drăgoşeşti entstand. Sie bildete Ansätze für ein neues
Staatswesen heraus, war aber ungarnhörig.
Bogdan von Cuhea widersetzte sich den Assimilierungsbestrebungen Ludwigs. Er
überwarf sich mit der Krone, sammelte eine Schar gleichgesinnter Recken um sich,
zog mit seinem Trupp über die Karpaten, vertrieb den „Kollaborateur“ Balc, Sohn
des Sas, Enkel des Dragoş, und machte das Moldauer Land unabhängig.
Das geschah 1359.
Nach diesem kleinen Exkurs in die Geschichte laden wir Sie zu einem größeren
Ausflug ein: zu einer Reise quer durch die Maramuresch und die nördliche Moldau
(Bukowina). Sie soll uns auf der Spur des weißen Auerochsen, besser gesagt: auf
der Spur der „descălecători“ Dragoş und Bogdan, durch eine
Landschaft führen; die uns in dichter Folge und ununterbrochenem Wechsel so viel
Außerordentliches zeigt, dass wir am Ende unserer Reise befriedigt sagen werden:
Es hat sich gelohnt.
Für den Touristen, der die Reise im eigenen Auto macht, ist die erste Hälfte
unserer Route leicht strapaziös. Nur ein Teil der Straßen ist asphaltiert. Auf
weiten Strecken wird an der Modernisierung der Wege gearbeitet. Aber gerade
hier, in diesem ersten Abschnitt, erleben wir die Bauernarchitektur der
Maramuresch mit ihrer „Holzgotik“ vor der Kulisse der vulkanischen Massive
Gutin-Ţibleş und der kristallinen Rodnaer Berge – ein
landschaftlich-architektonisches Gesamtphänomen, das wir ohne zu zögern mit dem
weit bekannteren Phänomen der Bukowinaer Obcine-Landschaft und ihrer berühmten
Klöster gleichsetzen wollen.
Dem, der mit der Bahn reist, mit dem Autobus und auf Schusters Rappen (nicht
zuletzt auch „per Anhalter“), bietet diese Etappe Gelegenheit, in enger Fühlung
mit den Dingen des Maramurescher Land, seine Menschen und ihre urwüchsige Kunst
aus der Nähe kennen zu lernen.
Wir gehen in Baia Mare an den Start. Über der Hauptstadt des Kreises Maramuresch
lesen Sie einiges auf Seite 10. Dazu wäre noch zu sagen: Wichtige Ausflugsziele
in der Nähe von Baia Mare sind im Osten die Mogoşa-Schutzhütte am
Bodi-See, im Norden der Komplex Firiza-Stausee und anschließend im Osten der
Touristenkomplex Izvoare. Eine schöne Fußtour machen wir, wenn wir von Ferneziu
im Firiza-Tal oder von Baia Sprie im Săsar-Tal über Chiuzbaia auf
markiertem Pfad zum Igniş, dem 1307 Meter hohen Westpfeiler des
Gutin-Massivs, steigen und den Rundblick genießen, in dem ein guter Teil der
Maramuresch eingefangen ist. Vom Igniş steigen wir nach Izvoare ab.
(Siehe unsern Beitrag
„Hirsche am Igniş“ auf Seite 14.) Izvoare selbst
ist ein guter Ausgangspunkt für Tagesausflüge zum Gutin-Gipfel (1447 Meter) mit
dem „Hahnenkamm“ und zur Tătaru-Klamm. (Siehe die Beiträge
„Hahnenkamm“
auf Seite 17 und
„Tătaru-Klamm“ in „Komm mit“ 1970, Seite 221.) Für
Touristen, die unsere Reise quer durch den Norden nicht mit eigenem „Gefährt“
machen, scheint uns folgender Hinweis nützlich: Von Podu Criş, unweit
Izvoare, führt eine Schmalspurbahn durchs folkloristisch bedeutsame Mara-Tal
nach Sighet (Sighetul Marmaţiei).
Nun aber fahren wir los, über Baia Sprie hinaus und hinan – doch halt! Bevor wir
die Asphaltserpentinen zum Gutin-Pass hinaufklettern, einen ersten Seitensprung:
Vom Bergwerkszentrum Baia Sprie führt eine asphaltierte Straße zu einem anderen
wichtigen Bergwerksort, nach Cavnic. Südwestlich davon liegen die Ortschaften
Surdeşti und Plopiş mit berühmten Holzkirchen. Die Kirche von
Surdeşti rühmt sich, mit ihren 54 Metern das höchste Holzbaudenkmal des
Landes zu sein.
In zahlreichen Serpentinen steigt die neue Asphaltstraße Baia Mare – Sighet
(nach der Hochwasserkatastrophe vom Frühjahr 1970 wiederhergestellt) zum
Gutin-Sattel, wo wir in 989 Meter Höhe am Wegrand einen gemauerten Brunnen
finden: den Brunnen des Heiducken Pintea (Izvorul lui Pintea Viteazul). Hier
überquert der Kammweg Igniş – Gutin die Autostraße. (Bis zum „Hahnenkamm“
sind es von hier nur noch anderthalb Stunden zu Fuß.)
Steil und schnell fällt die Straße nun ab. Bei Mara (Crăceşti)
erreichen wir das Mara-Tal und damit den ersten größeren „folkloristischen
Garten“ auf unserer Reise. Beachten Sie in Mara die geschnitzten Holztore.
Deseşti folgt mit einer Holzkirche aus dem Jahre 1717.
Hărniceşti: Holzkirche aus dem 18. Jahrhundert. Şugatag:
Hier zweigt eine Landstraße ostwärts ab. Sie führt nach dem Badeort Ocna
Şugatag und zu den Dörfern Călineşti, Sârbi und
Budeşti (dem Heimatdorf des Heiducken Pintea) mit Holzkirchen aus dem 17.
und 18. Jahrhundert (in der Kirche von Budeşti wird das Panzerhemd
Pinteas gezeigt). Giuleşti: Holzkirche aus dem Jahre 1764. Über
Berbeşti (Abzweigung südwärts nach Călineşti, Sârbi
und Budeşti) und Vad gelangen wir nach Sigeth.
Von Sighet, einem Zetrum der Holz-, Leicht- und Lebensmittelindustrie im
äußersten Norden des Landes, zieht sich westwärts, der Theiß (Tisa) entlang,
eine Asphaltstraße. Sie führt ins Oascher Land (Ţara Oaşului), ein
Gebiet mit reicher, urwüchsiger Folklore. Ein Seitensprung lohnt sich, auch wenn
er uns nicht weiter als bis Săpânţa bringt, wo wir uns auf
dem Friedhof an den Werken des Bauernkünstlers Ion Stan Pătraş
ergötzen können. (Siehe den Beitrag
„Der lustige Friedhof“ in „Komm mit“ 1970,
Seite 202.)
Der Tourist, der mit dem Autobus oder mit der Bahn (auch der bereits erwähnten
Schmalspurbahn) nach Sigeth kommt, wird gut tun, sich die Busverbindungen für
das Iza-Tal, aber auch nach Borşa zu notieren.
Berühmt ist das Iza-Tal wegen seiner geschichtlichen Ereignisse und seiner
Bauernkunst. Das Tal ist weit, großatmig. Fruchtbare Auen und Hügel breiten sich
rechts und links der Iza aus. Die Berge (im Nordosten die Maramurescher Berge,
im Süden der „vulkanische“ Ţibleş, im Südosten das Rodna-Gebirge)
stehen im Hintergrund.
Wir nehmen den asphaltlosen Weg in Kauf und verlassen bei Vad die Autostraße.
(An der Modernisierung der Wegstrecke Vad – Moisei wird gearbeitet.) Über
Onceşti, Năneşti, Bârsana, Strâmtura (der
Engpass von Surduc erinnert an schwere Kämpfe mit den Tartaren), Rozavlea und
Şieu fahren wir auf das historische Cuhea (Bogdan Vodă) zu.
Überall sehen wir Holzkirchen aus dem 17. oder 18. Jahrhundert, kunstreich
geschnitzte Tore, eigenartig geformte Brunnen, alte Holzhäuser. Besonders
sehenswert sind in diesem Abschnitt die Kirchen von Rozavlea (1717) und
Şieu (1760).
Nicht bloß geographisch, auch geschichtlich und architektonisch ist Cuhea
Mittelpunkt des Iza-Tals. Von hier soll Dragoş auf die Jagd nach dem
weißen Auerochsen gezogen sein. Von hier ist Bogdan mit seinen Mannen
ausgezogen, um den Staat Moldau zu gründen. Vor wenigen Jahren (1964 – 1965) hat
man in Cuhea die Reste einer Steinkirche und einer Burg aus der Zeit der
Bogdăneşti ausgegraben. Die Ruinen der Kirche (sie ist 1330 – 1340
von den Bogdăneşti auf den Grundmauern einer älteren Holzkirche
aufgebaut worden) sind im Zentrum der Gemeinde zu sehen. Attraktiv wirkt die
große Holzkirche. Sie stammt aus dem Jahre 1718. Wie die eisten bedeutenden
Baudenkmäler der Maramuresch ist auch sie in den Jahren der Volksmacht gründlich
renoviert worden.
Vergessen wir aber nicht, vor Cuhea (ungefähr auf halbem Weg zwischen
Şieu und Cuhea) nach rechts ins Ieud-Tal einzubiegen und das Dorf Ieud
anzusteuern. Es lohnt sich sehr. In Ieud sehen wir eine Holzkirche aus dem Jahre
1364. Malerisch steht die „Bergkirche“ auf einer Anhöhe am Dorfrand. Aus der
Dorfmitte erhebt sich eine zweite, große Holzkirche (1717). Sie zählt zu den
endrucksvollsten Holzbauten des Landes. (Siehe auch unsern Beitrag
„In Ieud“
auf Seite 20.)
Über Dragomireşti (von hier stammt die schmucke Holzkirche im Bukarester
Museum des Dorfes). Sălişte (Holzkirche aus dem 18. Jahrhundert)
und Săcel, wo wir der Bahnstrecke Salva – Vişeu begegnen, kommen
wir nach Moisei. Der Ort liegt schon im Wischauer Tal (Valea Vişeului).
Das schöne Iza-Tal haben wir oberhalb Săcel verlassen. Von einem
passartigen Bergrücken mit weiter Aussicht auf die Täler der Iza und der Wischau
und nun auch auf die bereits in greifbare Nähe gerückten Rodnaer Berge sind wir
ins große Wischauer Tal eingestiegen, das wir erst hoch oben beim Prislop-Pass
wieder verlassen wollen.
Wir befinden uns jetzt auf dem längsten Verkehrsweg der Maramuresch, der Straße
Sigeth – Oberwischau (Vişeu de Sus) – Borşa – Prislop.
Oberwischau, das unterhalb von Moisei liegt (nicht nur auf unserem Weg), ist ein
wichtiger Knotenpunkt für den Autobusverkehr in Richtung Sigeth, Borşa,
Cuhea usw.
In einem Tal südlich von Moisei sehen wir rechts vom Weg das Mahnmal für die
neunundzwanzig Bauern, die 1944 von den Faschisten hingerichtet wurden, weil sie
die im Raum Maramuresch operierenden Partisanen unterstützt hatten. Zwölf
Bildsäulen aus Eichenholz stehen in der Runde. Das Denkmal ist ein Werk des
Bildhauers Géza Vida.
Ehe wir Borşa erreichen, überqueren wir einen Bergbach, der an den
legendären Woiwoden erinnert: Izvoru lui Dragoş. Borşa hat sich
aus einer ausgedehnten Streusiedlung zur Stadt entwickelt. In den letzten
Jahrzehnten hat der Ort durch den Ausbau der NE-Erzgewinnung in Baia
Borşa einen starken wirtschaftlichen Aufschwung erlebt.
Großartig ist die Aussicht auf die beiden parallel liegenden Gebirgsketten: im
Süden das felsige Rodna-Massiv mit seiner stattlichen Reihe von Zweitausendern;
im Norden die Maramurescher Berge, die zwar zwei-, dreihundert Meter niedriger
sind, aber immer noch imposant wirken. Borşa (das übrigens eine schöne
Holzkirche hat) ist ein günstiger Ausgangspunkt für einen Tagesausflug zum 2303
Meter hohen Pietrosu, dem Hauptgipfel der Rodnaer Berge. Bei gutem Wetter ist im
Sommer der Aufstieg zum Pietrosu und seinem Bergsee relativ leicht zu schaffen
(obwohl der Weg nicht markiert ist), so dass man noch am selben Tag das
Abendessen mit der entsprechenden „geistigen“ Stärkung in Borşa einnehmen
kann. (Siehe dazu unsern Beitrag
„Luginsland Pietrosu“ in „Komm mit“ 1970,
Seite 169.)
Wir kommen zur letzten, höchstgelegenen Siedlung im Wischauer Tal:
Fântâna. Hier stehen, inmitten einer von Almen und Fichten
bedeckten, fast kesselförmigen Ausbuchtung des Wischauer Tals eine Schutzhütte
mit 89 und ein Berghotel mit 94 Plätzen: Touristenkomplex Borşa. In den
letzten Jahren ist der „Komplex“ in ein Erholungszentrum verwandelt worden.
Immerhin werden auch im Hochsommer (Juli, August) 33 Plätze für durchreisende
Touristen freigehalten. Weil dies den gegenwärtigen Anforderungen nicht
entspricht, will man in Fântâna zwei Touristenhotels mit insgesamt
300 Betten errichten. Mit dem Bau eines 100-Betten-Hotels soll noch 1971
begonnen werden. Inzwischen wird an der Modernisierung der Straße Sigeth –
Oberwischau – Borşa gearbeitet. Im Herbst 1970 war die Strecke Sigeth –
Petrova bereits asphaltiert. 1971 sollen die Arbeiten im Abschnitt Petrova –
Oberwischau – Borşa-Komplex beendet werden. Noch 1971 will man an die
Strecke Borşa-Komplex – Prislop – Şesuri herangehen. Man kann sich
vorstellen, welchen Aufschwung der Touristenverkehr in diesem Landesteil nehmen
wird, wenn einmal diese wichtige West-Ost-Verkehrsader an das Asphaltnetz der
Bukowina angeschlossen sein wird.
Ideale Basis für Ausflüge zum 1849 Meter hohen Cearcănu (Maramurescher
Berge) und zum Kamm des Rodnaer Gebirges ist Fântâna
(Borşa-Komplex). Im Winter sind die Ştiol-Wiesen ein wahres
Skiparadies. Sie sollen mit Hilfe eines Skilifts näher gebracht werden.
(Siehe auch unsere Beiträge
„Ştiol und Gărgălău“ und
„Auf dem Cearcănu“ in „Komm mit“ 1970,
Seiten 174 und 175.)
Sanft, aber ununterbrochen steigt die Straße zum Prislop-Sattel. In einen
Fichtenhang ist der gut gebaute Weg hinein geschnitten. Ab und zu eine Lichtung.
Auf einer Wiese erinnert eine improvisierte Tafel daran, dass die Bauern von
Borşa 1717 an dieser Stelle eine Tatarenhorde, die über den Pass in die
Maramuresch eingefallen war, vernichteten. Was machten die Bauern? Als sie
hörten, dass die Tataren das Bistritztal heraufziehen, holzten sie in aller Eile
einen steilen Waldstreifen über dem Weg ab und stapelten die Fichtenstämme
aufeinander. Ahnungslos kamen die Tataren heran geritten. Als sie die
verhängnisvolle Stelle erreichten, ließen die Bauern die Holzlawine talabwärts
brausen. Rösser und Reiter wurden niedergewalzt. Die wenigen, die davonkamen,
flohen Hals über Kopf. Der Ort heißt heute „Preluca Tătarului“
(prelucă = Waldwiese).
Wir überqueren den schäumenden Wischauer Bach und wechseln vom Südhang der
Maramurescher Berge zum Nordhang der Rodnaer Berge hinüber. Wir kommen zur
Touristenhütte „Hanul Prislop“ (28 Betten).
Noch eine große Schleife, und wir halten auf dem Prislop. Mit seinen 1414
Metern ist er einer der höchsten Pässe unserer Karpaten. Die Rundsicht ist
einzigartig. Wir überblicken die Rodnaer Berge mit dem Pietrosu, der Puzdrea
und dem Ineu (Kuhhorn). Wir sehen das Maramurescher Gebirge mit dem nahen
Cearcănu. (Der Prislop-Sattel verbindet die beiden Massive.) Im Osten
sind die Obcine (Höhenzüge) der Bukowina aufgetaucht.
Bergab geht es weiter. Jäh. Und wieder durch dichten Fichtenwald. Die Bistritz
erreichen wir, nachdem sie von der Putreda, die vom Kuhhorn kommt, reichen
Zufluss erhalten hat. Das Tal weitet sich. Wir kommen nach Bârjaba, wo
wir noch einen „hait“ sehen, eine Klause. Früher (es ist noch nicht gar so lang
her) staute sich hier das Wasser, und mit dem „Klausstoß“ trieben die Flöße
talab. Den Holztransport haben jetzt die LKWs übernommen.
Şesuri, eine Waldarbeitersiedlung, folgt. Kleinen Holzsiedlungen begegnen
wir noch in Gura Lala, wo der Lala-Bach die Wasser der Kuhhorn-Ostflanke
(Lala-See!) herbeischafft, und in Rotunda, wo ein größerer Bau steht: das
ehemalige Lungensanatorium. Von Rotunda führt eine alte Straße über den
gleichnamigen Pass (1254 Meter hoch) ins Siebenbürgische hinüber nach Rodna.
Von den schweren Kämpfen im ersten Weltkrieg zeugen auf dem Rotunda-Pass die
zerbombten Kasematten. Wir verzichten darauf, hinaufzufahren, und setzen unsern
Weg nach Cârlibaba fort. Am oberen Rand von Ţibău, einer
größeren Siedlung, ragt links von der Straße ein mächtiges Felsgebilde in die
Höhe: die Piatra Ţibău. (Wir befinden uns bereits auf dem Boden
des Keises Suceava, der Bukowina.)
Cârlibaba. Wir machen halt an der Brücke, die über die Bistritz führt.
Hart an der Straße, links, dem Postamt gegenüber, erhebt sich ein Felsen. Eine
Holztreppe richtet sich daran auf. Wir steigen die Treppe hoch. Auf einer
Plattform steht ein Gedenkstein. Darauf ist zu lesen:
Im Jahre des Herrn 1359 stieg Bogdan, Woiwode der Maramuresch, hier aus dem Sattel, nahm die Moldau in Besitz und errichtete in der Gemeinde Cârlibaba seinen ersten Herrschaftsbereich. Er hinterließ seinen Nachfolgern das freie, aufblühende Moldauland.
Über der Inschrift ist das Wappen der Moldaufürsten eingemeißelt: der Kopf des
Auerochsen.
Eigentümlich ist das Gefühl, das uns da oben befällt. Wir glauben, den Hauch der
Geschichte zu spüren. Oder ist es der Nordwest, der von der Fluturica und der
Bâtca Tătarcei herüberweht? Schön liegt die Waldarbeitergemeinde
Cârlibaba: links in einem Seitental Alt-Cârlibaba, rechts,
jenseits der Bistritz und ein wenig höher, Neu-Cârlibaba. Mit der
rumänischen Bevölkerung zusammen leben und arbeiten hier etwa hundert deutsche
Familien: Bukowinadeutsche und Zipser.
Über Valea Stânei und Botoş kommen wir nach
Ciocăneşti. Die Ortschaft ist in den letzten zwei Jahrzehnten
durch den Schmuck ihrer Häuser bekannt (um nicht zu sagen: berühmt) geworden.
(Siehe unsern Beitrag
„Der Meister von Ciocăneşti“ auf Seite 29.)
Vor Jakobeny – Iacobeni, einem alten Bergbauzentrum, erreichen wir das
Asphaltband, das Vatra Dornei mit Suceava verbindet. Wer Vatra Dornei noch
nicht kennt oder in diesem bedeutendsten Bade- und Luftkurort des Nordens ein
wenig ausspannen möchte, zweigt nach rechts ab. Wer mit dem Autobus gekommen
ist, kann in Jakobeny für die Weiterfahrt in Richtung Suceava den Zug nehmen.
Wir verlassen das Tal der Goldenen Bistritz und steigen, nun auf Asphalt, zum
Mestecăniş-Sattel (1099 Meter hoch). Nah zur Straße liegt die
gleichnamige Schutzhütte (26 Betten). Wiederum ist die Aussicht schön,
wenngleich weniger dramatisch als auf dem Prislop. Die Obcine-Landschaft, für
die Nordmoldau typisch, breitet sich nun mit ihren Almwiesen und Fichtenwäldern
vor uns im Osten aus.
Bei Pojorâta fahren wir unter den Gipfeln Eva (1008) und Adam (1047)
vorüber. Bei Sadova zweigt eine neue, nicht asphaltierte Straße nach links ab.
Sie überquert die Obcina Feredeului und die Obcina Mare, verbindet die Klöster
Moldoviţa und Suceviţa und ist vielleicht die romantischste Straße
der Bukowina.
Den Moldova-Fluss entlang setzen wir unsern Weg auf dem Asphaltband fort und
kommen nach dem reizend gelegenen Luftkurort und Touristenzentrum
Câmpulung Moldovenesc (Basis für Ausflüge zum Rarău: 1520 Meter
hoch gelegene Schutzhütte, geologisches Schutzgebiet Pietrele Doamnei mit
schroffen Kalkfelstürmen, 1657 Meter hoher Rarău-Gipfel, Urwald
Slătioara).
Vama. Am Westrand der einstigen Zollgrenzstation erblicken wir in einem Park
links vom Weg die „Säule des Woiwoden“ (Stâlpul lui Vodă). Sie
stammt aus dem Jahre 1717 und erinnert an einen Feldzug des Woiwoden
Racoviţă.
Auf einer asphaltierten Straße, die nach links abzweigt, biegen wir ins
Moldoviţa-Tal ein. Wir besuchen das Kloster Vatra Moldoviţei. Es
ist das erste bedeutende nordmoldauische Baudenkmal auf unserm Weg. Und eins
der Schönsten. (Siehe dazu unsern Beitrag
„Moldoviţa“ auf Seite 32.)
Es ist unmöglich, bei der ersten Fühlungnahme mit der einmaligen Kunst der
Nordmoldau (einmalig auch in ihrer Verbundenheit mit der spezifischen
Landschaft) nicht ergriffen zu sein. Hat uns in der Maramuresch die wurzelechte
Bauernkunst in die Vorzeit gewiesen, so werden uns nun die Kunstwerke aus Stein
und Farbe des großen Stefan, des Petru Rareş und der Movileşti,
der Roşca und der Crimca, der aus dem Volk hervorgegangenen Bau- und
Malermeister den Eintritt in die Neuzeit der rumänischen Kultur und Zivilisation
farbenhell vor Augen führen.
Über die Dörfer Molid und Frasin (molid = Fichte, frasin = Esche; beachten Sie,
wie häufig in der Nordmoldau Baumnamen oder abgeleitete Formen als
Ortsbezeichnung vorkommen – das Holz war immer noch und ist auch heute in
diesem Landesteil lebenswichtig) erreichen wir Gura Humorului (Forstzentrum,
Luftkurort mit Neubauten im Bukowina-Stil).
Vor der Stadt biegt eine Asphaltstraße nach rechts ab. Sie führt nach
Voroneţ, zur berühmtesten Klosterkirche des Nordens. Wir fahren vorerst
ins Stadtzentrum von Gura Humorului, von wo wir auf einer nach links
abzweigenden asphaltierten Straße dem Kloster Humor zustreben. (Lokalbusse
verbinden Gura Humorului mit Voroneţ und Humor.)
Kloster Humor: Die Marienkirche ist 1530 unter Petru Rareş von Toader
Bubuiog, dem Bruder des Fürsten, erbaut worden. Die Innen- und Außenfresken sind
fünf Jahre später entstanden. Kennzeichnend für Humor ist die offene Vorhalle
(„pridvor“), eine Idee, die in Moldoviţa wieder aufgenommen worden ist.
Die Kirche hat keinen Turm. Ein Glockenturm, der sich gewiss auch als Wach- und
Wehrturm bewährt hat, ist 1641 von Vasile Lupu erbaut worden. Im Kircheninnern
erregt unter den Ikonen aus dem 15. und 16. Jahrhundert eine Madonna Aufsehen.
Weit dramatischer aufgefasst ist ein Fresko: die Madonna in Bauerntracht mit dem
sich zurückwerfenden Kind in der Lünette oberhalb des Eingangs. Auf der
Südseite, dort, wo sich die Außenfresken am besten erhalten haben, ziehen das
Marienleben (Soborul Fecioarei) und die Belagerung von Konstantinopel (mit
deutlicher Anspielung auf die Türkengefahr) die Blicke auf sich. Die Innen- und
Außenfresken von Humor sind unter den erhaltenen Außenwandmalereien der Bukowina
die ältesten.
Und nun nach Voroneţ. Schon der erste Anblick von der auf sie zuführenden
Straße her ist elektrisierend. (Siehe unsern Beitrag
„Sixtina des Ostens“ auf
Seite 34.)
Mit einem letzten Blick auf die Westwand nehmen wir Abschied von der kleinen
Kirche, die zum Begriff geworden ist. Wir verlassen das Moldova-Tal unterhalb
von Gura Humorului, bei Păltinoasa. Die Berge treten zurück. Das
Hügelland tut sich auf. Bei Ilişeşti kommen wir auf einem
Waldrücken zur Touristenherberge „Ilişeşti“, das Dorf folgt, und
schon sehen wir, hoch auf den Hügeln gebaut, Suceava vor uns, die Hauptstadt des
Kreises Suceava.
Das Neue empfängt uns schon bei der Einfahrt: schöne Straßen mit Wohnblocks
verschiedener Bauart. Das Zentrum ist bald erreicht. Rings um den großen,
terrassenförmig aufgebauten, mit spezifischem Mosaik gezierten Hauptplatz stehen
durchweg neue Gebäude. Ins Auge fällt das kürzlich errichtete Kulturhaus der
Gewerkschaften mit seiner an die einheimische Holz-Stein-Baukunst gemahnenden
Linie. Das schönste in Suceava ist, dass man die Architektur, die alte und die
neue, mit der Landschaft in Einklang gebracht hat. Mit andern Worten: Man hat
die Landschaft nicht aus der Stadt verdängt. Das viele und vielfältige Grün
(Nadelbäume und Birken wiegen vor) belebt die alten Kulturdenkmäler und erhöht
den Reiz der modernen Häuser und Straßen.
Was man in Suceava, der alten Hauptstadt der Moldau (1388 – 1564), gesehen haben
muss: die imposanten Reste der Stefansburg, die Fürstenherberge (Hanul Domnesc,
heute Museum), das Johanniskloster (Ioan cel Nou) mit der von Bogdan III., einem
Sohn Stefans des Großen, erbauten Georgskirche (in der die Gebeine des Märtyrers
Ioan cel Nou ruhen), die Mirăuţi-Kirche (im 14. und 15.
Jahrhundert Kathedrale des Metropoliten), die von Petru Rareş erbaute
Dumitru-Kirche (Alexandru Lăpuşneanu hat sie mit einem Glockenturm
bereichert), die von der Frau des Petru Rareş, Elena, gestiftete
Auferstehungskirche (Învierea), die von Vasile Lupu erbaute
Johanniskirche (Johannes der Täufer), auch „Kirche der Fürstentöchter“
(Biserica Domniţelor) genannt, die Nikolauskirche (Sfântul
Nicolae), die Muttergotteskirche (Maica Domnului) und schließlich, am
Nordwestrand der Stadt, die befestigte armenische Klosterkirche Zamca.
Dragomirna, das 12 Kilometer nördlich von Suceava gelegene Kloster, darf nicht
versäumt werden. Im Tal der Suceava sehen wir bei der Ausfahrt die beiden großen
holzverarbeitenden Kombinate der Stadt. Dragomirna ist bald erreicht. Das
Kloster ist im 17. Jahrhundert von Anastasie Crimca, einem vielseitig begabten
Metropoliten, erbaut worden. Crimca ist hier begraben. Was die Klosterkirche
besonders sehenswert macht, sind ihre außergewöhnlichen Proportionen: sie ist
42 Meter hoch und nur 9,6 Meter breit. Im Innern sind wertvolle Steinskulpturen
und Fresken zu sehen. Kunstvoll ist der Turm gestaltet: Die Turmarchitektur von
Trei Ierarhi (Jassy) ist hier vorweggenommen. Das Kloster ist stark befestigt.
(Nach Dragomirna fahren Autobusse.)
In Richtung Nordwest führt unser Weg von Suceava weiter nach
Radautz-Rădăuţi. Die waldbedeckten Berge liegen nun im
Westen. Fruchtbares Hügelland dehnt sich im Norden, Osten und Süden aus. Schon
zur Zeit unserer beiden Woiwoden Dragoş und Bogdan zog hier ein wichtiger
Handelsweg durch, der die Ostsee mit der Donaumündung und dem Schwarzen Meer
verband.
Radautz: die Stadt, in der Bogdan, der Gründer der Moldau (und der Stadt selbst),
begraben ist. Das alte Handels- und Handwerkerzentrum verfügt heute über eine
Reihe größerer Betriebe (Holzverarbeitung wiegt vor). Das sehenswerteste Objekt
des freundlichen Orts ist fraglos die Nikolauskirche, die „Bogdana“, von Bogdan
I. im Jahre 1365, dem Todesjahr des Fürsten, erbaut. Sie weist romanische und
gotische Stilelemente auf. Sie ist turmlos. Ein massiver Glockenturm steht in
ihrer Nähe. (Von Radautz führt ein Asphaltweg in Richtung NO nach Sereth-Siret.
Im vierzehnten Jahrhundert war Sereth eine Zeitlang Residenz der Woiwoden.
Ein wichtiges Baudenkmal des 14. Jahrhunderts steht hier: die von Petru I.
Muşat errichtete Dreifaltigkeitskirche.)
Um die nordöstlichen und nördlichen Ausläufer der Obcina Mare herum windet sich
das Asphaltband nah der Landesgrenze von Radautz nach Putna. Das Dorf und sein
berühmtes Kloster liegen aber schon mittendrin im Gebirge. Wieder können wir uns
nicht sattsehen an der unglaublich schönen, sauberen Alm-Wald-Landschaft. Putna
ist auf Touristenbetrieb eingestellt, und wir finden hier gute Unterkunft und
Verpflegung. Es lohnt sich, ein wenig länger zu verweilen. Das befestigte
Kloster bietet Sehenswertes in Fülle. Die Klosterkirche Stefans des Großen,
1466 – 1470 erbaut, birgt das Grab des Woiwoden, von dem Nicolae Iorga sagt, er
habe „nahezu ein halbes Jahrhundert seine außergewöhnlichen Eigenschaften
entwickeln können: Heldenmut, Ausdauer und politische Klugheit“. Den Grabstein
ließ Stefan noch zu seinen Lebzeiten aus weißem Marmor schneiden, beschriften
und verzieren. Niemand dachte nach dem Tod des großen Fürsten daran, das
Sterbedatum einzumeißeln. „Stefan der Große ist unsterblich“, sagen die Moldauer.
Wertvolle Schätze birgt das Klostermuseum. Das Evangeliar von Humor (1473) mit
dem Porträt Stefans und das Grabtuch Maria Mangops, Stefans zweiter Frau,
zählen zu den kostbarsten Stücken. Lassen wir uns von einem der Mönche erzählen,
wie es bei der Wahl des Bauplatzes zugegangen ist, als Stefan mit einem
Pfeilschuss von einem benachbarten Hügel bestimmt hat, wo die Kirche zu
errichten sei – und wie dabei unschuldiges Blut vergossen worden ist.
Unweit vom Kloster steht, im Dorffriedhof, eine kleine Holzkirche. Se soll von
Dragoş herstammen. Ursprünglich hat sie in Volovăţ
gestanden. Stefan hat sie abreißen und in Putna wieder aufbauen lassen. Das
alles soll an einem einzigen Tag und in einer einzigen Nacht geschehen sein.
Stefan hielt sich bekanntlich für einen Nachfahren des legendären Dragoş.
In Dorfnähe ist die in Fels gehauene Einsiedelei des Mönchs Daniil Sihastru zu
sehen, bei dem sich Stefan der Große vor seinen Feldzügen gegen die Türken Rat
geholt haben soll. Daniil Sihastru hat den Bau der Georgskirche von
Voroneţ angeregt.
Wir fahren ein Stück zurück. Bei Vâcovu de Jos biegen wir nach rechts ab
und kommen (auf Asphalt) nach Marginea (Zentrum der Töpferkunst) und weiter
nach Suceviţa. Das 1584 gebaute befestigte Kloster, eine Stiftung der
Woiwoden Gheorghe und Ieremia Movilă, liegt sehr schön. Seine Kirche ist
in der Reihe der fünf Sakralbauten mit wohlerhaltenen Außenfresken die letzte –
und reichstbemalte. Im ganzen ist der Stil der Innen- und Außenfresken von
Suceviţa realistischer, die Freude an der Natur, an der Landschaft und
ihren Elementen kommt hier stärker zum Ausdruck als bei den anderen Kirchen. Die
Wandmalereien sind in den Jahren 1595 – 1596 ausgeführt worden, also später als
in Humor, Moldoviţa, Arbore und Voroneţ.
Zurück nach Marginea, von wo wir uns auf einem Asphaltweg südwärts wenden: nach
dem Luftkurort Solca. Hier steht eine von Ştefan Tomşa II. 1618 –
1620 erbaute schöne Kirche. Von Solca fahren wir nordostwärts. Wir kommen (auf
Asphalt) nach Arbore. Die Außenfresken der turmlosen Kirche von Arbore (einer
Stiftung des „Pförtners“ von Suceava, Luca Arbore, aus dem Jahre 1502) sind
weniger gut erhalten als in Suceviţa, aber höchst eindrucksvoll. Es ist
erwiesen, dass der Meister der Außenwandmalereien und eines Teils der
Innenfresken ein rumänischer Maler, Dragoş Coman aus Jassy, gewesen ist.
Seine Bilder sind stark individualisiert, kühn komponiert, voller Leben und
Bewegung. Man möchte sagen, sie atmen den Geist des italienischen Quattrocento.
Über Milişăuţi kehren wir nach Suceava zurück. (Radautz,
Sereth und Putna können mit der Eisenbahn und dem Autobus erreicht werden; nach
Arbore und Suceviţa führen Autobuslinien.)
Noch einmal, bevor wir uns heimwärts oder anderswohin wenden, genießen wir in
der Stadt Stefans des Großen die angenehme Atmosphäre, die glückliche, gesunde
Mischung von Alt und Neu, Landschaft und Architektur. Im Geist blicken wir noch
einmal zurück auf den Weg, den wir gekommen sind. Wie viel Geschehen! Und
wieder, wie so oft auf unserm Weg, kommt uns vor, dass wir durch das Brummen
der Motoren hindurch das Getrappel der Pferde zu hören glauben – Dragoş,
Bogdan!
Wir haben Glück: Ein hurtiger Geländewagen nimmt uns mit nach Chiuzbaia, dem
Gebirgsdorf, das seinen Namen einem kleinen Erzbergwerk verdankt.
Hier beginnt nun der Aufstieg. Die Rucksäcke drücken, und die Hitze tut es nicht
minder. Beim ersten richtigen Gebirgsquell machen wir halt. Ein junger Bergmann,
der zum Igniş hinaufsteigt, um sein Pferd von der Weide heimzuholen,
erzählt uns: Er selbst verdiene in der Grube nicht schlecht, und auch das
Pferdchen sei anständig eingestuft. Beide arbeiten nämlich im Bergwerk. Und für
beide heiße es: Schicht ist Schicht, und Freizeit ist Freizeit. Dem „Murgu“ sei
sogar die Futterration vertraglich gesichert. Und den Urlaub nehmen sie beide,
versteht sich, gemeinsam heraus. Er verbringe ihn in Chiuzbaia oder in einem
Kurort, sein Pferdchen auf den Hochwiesen droben. Freilich habe man auch früher,
vor 1944, Pferde im Stollen gehabt. Die armen Tiere aber seien nie mehr ans
Tageslicht gekommen. Allmählich seien sie erblindet…
Zwei Hirsche jagen über die Lichtung. Sie machen einen kapitalen Eindruck. Der
Kumpel bestätigt: Sogar Sechzehnender gibt es im Revier.
Eine riesige Wiesenkuppe ist der Igniş, dieser einstige Vulkankegel.
Poröse Andesitbrocken liegen zerstreut umher: Zeugen heftiger Eruptionen. Über
Waldwellen schweift unser Blick ostwärts zum anderen Ex-Kegel des Massivs, zum
Gutin-Gipfel und seinem durchs Fernglas deutlich wahrnehmbaren „Hahnenkamm“
(Creasta Cocoşului). Dahinter, in blauer Ferne, sehen wir die Umrisse des
Ţibleş. Und ganz hinten, jünger und imposanter, die Rodnaer Berge.
Bevor die Sonne überm Oascher Land untergeht, nimmt uns der Wald wieder auf.
Gemächlich steigen wir nach Izvoare ab.
Das erste, buchstäblich herausragende Ereignis der rumänischen Karpaten ist, von
Nordwesten her gesehen, der 1447 Meter hohe Gutin-Gipfel mit seinem „Hahnenkamm“.
Ein angenehmer, hoher, langer (über fünf Stunden!), markierter Waldweg führt von
Izvoare zum „Gotenberg“, der sich stolz wie ein Gockel über die Wälder ringsum
hinaushebt und in die Täler der Iza und der Mara äugt.
Wir sind um fünf Uhr morgens aufgebrochen, haben auf dem Kamm im Hochwald bei
den Iezuri gefrühstückt, haben uns beim Brunnen des Pintea auf dem Gutin-Pass
von einem Bauern erzählen lassen, dass der tapfere und gerechte Heiducke zwar
vor den Toren von Baia Mare umgebracht, aber hier, weiter unten, auf der
Săsar-Seite, unter mächtigen Steinen begraben worden sei, und sind dann
den Weg zum „Hahnenkamm“ heraufgekommen – gemütlich, denn erst im letzten
Abschnitt wird der Pfad „rabiat“.
Noch vor eins sitzen wir auf einem der sonnenwarmen Andesitblöcke, auf einem
Zacken des Kamms. Im Mittagsglast liegt die farbige Landschaft zu unsern Füßen.
Aus den Obst- und Heuwiesen blinken die Pintea-Seen herauf. Überall wird man an
den Heiducken erinnert, der vor Jahrhunderten im Maramurescher Land für die
Sache des Volkes gekämpft hat. Das Volk hat ihn nicht vergessen. Es hat ihm
Denkmäler gesetzt, um die ihn Fürsten und Könige hätten beneiden können.
Den Rückweg nach Izvoare schaffen wir in fünf Stunden, indem wir das Weiße Tal
(Valea Albă) in Luftlinie überqueren.
Am Nachmittag des andern Tags fahren wir „schmalspurig“ von Podu Cireş
nach Sigeth, durchs Mara-Tal – nicht ohne dem Gockelberg mit einer großen
Schleife die gebührende Reverenz zu erweisen. Wie zum Dank dafür umgibt sich
der Berg mit einem doppelten Regenbogen – ein seltener Anblick.
Es gibt einen schönen Fußweg nach Ieud. Von Cuhea aus. Man muss die Leute fragen.
Sie werden sagen: Kommod. In weniger als einer Stunde ist man drüben. Erst auf
einem Steg über die Iza, dann hinauf aufs Feldplateau, schließlich halbrechts
zum Ieud-Bach hinunter, ohne ihn zu überschreiten, an der Mühle vorbei, und da
ist man auch schon bei der Bergkirche.
Ist das ein Weg: mitten durch die würzig duftenden Felder. Wie man aus dem
Iza-Tal heraussteigt, sieht man auch schon den Hügel und die Kirche mit dem
schlanken Turm, der es hoch überragt. Und das alles vor der blauen Kulisse des
Ţibleş.
Ein breiter Weg führt den Kirchberg hinauf. Der Friedhof ist so alt wie die
Kirche. Vielleicht auch älter. Grasüberwucherte Gräber liegen im Schatten der
Pflaumenbäume. Große Früchte tragen die Bäume. Die reifsten liegen im Gras.
Ein hagerer Alter schwingt die Sense zwischen den Grabhügeln. Wie er mich sieht,
kommt er auch schon mit dem großen Schlüssel. Er sperrt mir auf.
Sie ist nicht sehr geräumig, die uralte Kirche. Aber hoch. Und ganz aus
Tannenholz gebaut. In den Turm führt eine Leiter, eigentlich eine Treppe. Sie
ist aus einem Stamm gehauen. Sie glänzt – so abgegriffen ist sie. Sechs
Jahrhunderte steht sie schon da. Die Malereien im Innern stammen aus dem 15.
und dem 16. Jahrhundert. Sie sind künstlerisch nicht besonders wertvoll. Aber
ein grobschlächtiger Christophorus fällt auf.
Aus der Bergkirche stammt ein altes Kirchenbuch im Besitz der Akademie, der
„Sbornik von Ieud“. Unter anderem enthält er den Katechismus des Philipp
Mahler aus Kronstadt (1543). Auch eine handgeschriebene „pravilă“ (ein
Gesetzbuch) hat man hier gefunden.
In der Dorfmitte steht die mächtige Holzkirche aus dem Jahre 1717. Stolz nennt
sie sich „Holzkathedrale“. Drinnen sind Malereien auf Flachsleinwand zu sehen.
Zahlreich sind die Hinterglasmalereien. Alles 18. Jahrhundert.
Vor dem Kircheneingang fällt im Pflaster ein wuchtiger Stein auf. Der Heiducke
Pintea hat ihn herbeigeschafft, erzählt die Legende…
Durch Ciocăneşti soll man Schritt fahren. Wenn möglich, auch für
ein paar Minuten aussteigen. Meister Dumitru Tomoloagă verdient es, dass
man sich sein Werk aus der Nähe ansieht. Der vielseitige Handwerksmeister hat
seinem Heimatort den Ruf verschafft, ein Zentrum Bukowinaer Volkskunst zu sein.
Vor etwa zwei Jahrzehnten ist Tomoloagă auf die Idee gekommen, die
Stickmuster von der „iie“ der Bäuerin (einer auf der Brust, auf den Schultern
und auf dem Rücken verzierten weißen Bluse) auf die Außenwände der Bauernhäuser
zu übertragen. Die Idee hat den Leuten gefallen. Ihre Ausführung hat solchen
Anklang gefunden, dass es heute in Ciocăneşti wenige Häuser gibt,
die nicht ihre „altiţe“ (so heißen die Blusenmuster) aus bemaltem Stuck
hätten. Es haben sich auch Kunden in weiter gelegenen Ortschaften gefunden.
Selbst öffentliche Gebäude tragen Schmuck – und es steht ihnen gar nicht
schlecht. Gewöhnlich sind die Muster girlandenartig über den Fenstern
(waagerecht) oder neben und zwischen den Fenstern in Form von Gehängen
(senkrecht) angebracht. Medaillons fehlen nicht. Die Variationen sind zahlreich,
weichen aber nie von der Grundform, dem „Thema“, ab.
Meister Tomoloagă ist nicht nur originell. Er hat auch Geschmack. Mit
den Motiven geht er sparsam um. Er wählt passende Farben. Weiß, grau ist der
Hintergrund meist. Darauf projiziert Tomoloagă seine gewöhnlich
schwarz-grünen, schwarz-braunen Muster. Er vermeidet scharfe Kontraste,
verwendet keine grellen Farben. Damit befindet sich der Meister von
Ciocăneşti auf der Linie der Tradition seiner bäuerlichen
Landsleute: Einfachheit in der Tracht und in der Bauart, Einklang mit der
Landschaft.
Der Herr mit der Häherfeder am Hut hatte recht, als er uns am Tor sagte: „Hier
steht die Zeit still.“ Draußen: die Chaussee, die Eisenbahn, die „Vatra“ mit
ihren Häusern und Häuschen, ihrem Tun und Treiben. Drinnen, hinter den hohen
Mauern: eine andere Welt. Die Kirche: in der Mitte des Rasenvierecks wächst
sie als farbiges Wunder aus der Stille, und das Lodern ihrer Farben ist
eigentlich die einzige Unruhe in dieser „anderen Welt“.
Petru Rareş, der Sohn Stefans des Großen, hat das Kloster 1532 bauen
lassen. Nach dem Muster von Humor ist die Kirche mit einem offenen „pridvor“,
einer Vorhalle, versehen worden. Sie besitzt einen schönen Turm. 1537 hat sie
die Innen- und Außenfresken erhalten.
Drinnen, in der Haupthalle: eine Kreuzigung, wie wir sie eindrucksvoller in
keiner anderen Kirche der Nordmoldau mehr finden werden. Immer wieder
durchbricht der um realistische Darstellung bemühte anonyme Künstler den
byzantinischen Kanon. Im Deckengewölbe der Vorhalle, in reich verziertem Feld,
eine betende Madonna. Den „pridvor“ beherrscht das Jüngste Gericht: dieselbe
Hand (es könnte die Hand Meister Marcus sein) wird das alles zehn Jahre später
in Voroneţ besser machen: überlegener, dramatischer, auch humorvoller.
Unerhört leuchtet von der Südwand das Blau, das Gelb, das Weinrot. Das
Marienleben, die Wurzel Jesse (der Stammbaum Christi) und, im untersten
Register, die wohlerhaltene, mit miniaturesker Detailkunst gearbeitete
Belagerung Konstantinopels sind hier die Ereignisse.
Das „Herrenhaus“ in einer Ecke des Hofs ist bei der Restaurierung in den
fünfziger Jahren von Grund auf erneuert worden. Hier ist das Museum
untergebracht. Ikonen, Kirchenbücher (darunter das Messbuch, das Katharina, die
Zarin, dem Kloster geschenkt hat) und der kunstvoll geschnitzte Kirchenstuhl
des Woiwoden („jilţul lui Rareş“) sind wertvolle Exponate.
Eine „toacă“, ein Schlagbrett, lehnt an der Südwand. Man muss ihren
Klang erlebt haben: zur Vesperzeit etwa, an einem Herbsttag, wenn in
Moldoviţa nur noch die Nonnen wie Schatten über den Hof huschen. Man
muss den Klang der Jahrhunderte gehört haben, der um die flammende Kirche
herumgetragen wird.
Eher unscheinbar als stattlich wirkt die Klosterkirche von Voroneţ. Sie
wächst ins Riesenhafte, wenn wir näher an sie herantreten und ihre
Außenwandmalereien betrachten.
Stefan der Große hat die Kirche vor bald fünfhundert Jahren (1488) in weniger
als drei Monaten bauen lassen. Er hat sie dem heiligen Georg geweiht. Die
Innenfresken stammen aus der Zeit Stefans. Die Außenbemalung hat 1547 ein
Vetter des Woiwoden Petru Rareş, der kunstsinnige Metropolit Grigorie
Roşca, veranlasst. Er hat auch den „pridvor“ (die Vorhalle) anbauen
lassen. Grigorie Roşca soll auf den Gedanken gekommen sein, die
Außenwände der von Rareş errichteten Kirchen zu bemalen. Er dachte sich
die Außenfresken als religiöse und (wichtig in der Zeit der drohenden
Türkengefahr) politische Manifeste. Er ist (wie übrigens auch Daniil Sihastru)
in Voroneţ begraben.
Das Kircheninnere ist größtenteils zur Zeit Stefans ausgemalt worden. Die
Innenfresken schneiden, vergleicht man sie mit den spektakulären
Außenwandmalereien, nicht am besten ab. Und doch: Wer in der Haupthalle den
heiligen Theodor und im „pridvor“ die Madonna mit dem Kind gesehen hat, wird
sich über die Aussagekraft dieser Übergangskunst, die Bindung ans Autochthone
Rechenschaft geben.
Seine Vollendung erfährt der moldauische Stil in den Außenfresken der
Rareş-Zeit. Ein volkstümliches, auch humorvolles Bilderbuch ist in
Voroneţ die Westwand mit der Darstellung des Jüngsten Gerichts: mit der
Scheidung der Guten von den Bösen, mit dem lustigen Kampf um die „armen Seelen“,
mit dem Gedränge an der Pforte des Paradieses, mit dem Gewimmel der Erdenkreatur
im Wasser und auf Land. Unschwer erkennt der Einheimische in den Szenen des
Jüngsten Gerichts Elemente seiner eigenen Geschichte, seiner Umwelt: In den
„bucium“, das rumänische Alphorn, stößt der Engel, der die Tten auferweckt;
Türken und Tataren erwarten unter den Verdammten ihr schreckliches Los; König
David schlägt die rumänische Laute, die „cobză“; im Wasser tummeln sich
Bergforellen, und auf dem Land müssen Karpatenbär und Karpatenwolf die Menschen
zurückgeben, die sie gefressen haben. Man nimmt an, dass hier, an der Westwand,
Meister Marcu, der Leiter der Malergruppe, selbst Hand angelegt hat.
Vor dem fichtendunklen Hintergrund nehmen sich die Klöster der Moldau allein
schon baulich seltsam schön aus. Wenn sie, wie in Moldoviţa,
Suceviţa, Humor, Arbore und hier in Voroneţ auch außen bemalt
sind, mit Farben, die in vier Jahrhunderten dem rauen Klima zum Trotz ihre
Leuchtkraft nicht eingebüßt haben, dann steigert sich das Eigentümlich-Schöne
zum Wunderbaren. Die Fremden sagen: Das ist einmalig. Man erinnert sich des
Meisters der italienischen Al-fresco-Malerei: Ja, es stimmt, ungefähr um
dieselbe Zeit hat Michelangelo die Sixtina ausgemalt. Und man spricht (nicht
zum ersten Mal) von der „Sixtina des Ostens“.
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 71, S. 7 – 43)
Seite | Bildunterschrift |
---|---|
8 – 9 | Karte: Maramuresch |
10 – 11 |
Bild unten: Hingelagert zu den Füßen des vulkanischen Gutin-Gebirges liegt die
alte „Goldgräberstadt“ Baia Mare, heute ein wichtiges Zentrum der
NE(Nichteisen)-Erzgewinnung, der Chemie, des Maschinenbaus (Grubenausrüstungen)
und der Lebensmittelindustrie.
Sprunghaft ist in den Jahren der Volksmacht die Einwohnerzahl angestiegen: von weniger als 20 000 auf über 60 000. Moderne Industrie- und Wohnbauten prägen das Gesicht der Stadt. |
11 | In jeder Hinsicht überragend ist der Stefansturm (Bild rechts). Er stammt aus dem 14. Jahrhundert. |
12 | Kunstreichen Holzschnitzereien wie hier in Mara begegnen wir in der Maramuresch fast überall. |
13 | Rechts: Die erste „Holzkathedrale“ auf unserm Weg ist die 54 Meter hohe Kirche von Surdeşti. |
15 | Auf dieses Denkmal der Holzgotik ist Botiza stolz. |
16 | Eine große Holzkirche hat Cuhea. Baujahr: 1718. |
18 | Links: Kaum zu glauben, dass Feuer speiende Berge einst diesen schönen Boden mit ihrer glühenden Lava bedeckt haben (die Gutin-Berge vom Iza-Tal aus gesehen). |
19 | Rechts: Das Mahnmal von Moisei beeindruckt durch seine herb-bäuerliche # Schlichtheit. |
20 – 21 | Links: Ieud. Die Bergkirche erscheint auf unserm Bild nicht. |
22 | Baia Borşa: Viele der Kumpel, die in den neuen Blocks wohnen, arbeiten in den Stollen hoch oben auf der Toroiaga. |
23 | Weit ins Land schaut der Pietrosu, „Chef“ im Rodna-Gebirge. |
24 | Älteste Holzkirche in Rumänien: die Bergkirche von Ieud. |
25 | Karte: Bukowina |
26 | Unten: Vatra Dornei, als Luftkurort und Badeort hochgeschätzt, hat einen schönen Kurpark, der sich vom Kurpavillon (unser Bild) bis zu den Almen hinzieht. |
27 | Rechts: Gute Straßen überqueren die Obcine-Höhen der Bukowina. |
28 | Cârlibaba: Der Gedenkstein, der an Bogdans Landnahme im Jahre 1359 erinnert. |
30 | Links: Weithin leuchten die Türme der Muttergotteskirche von Câmpulung-Moldovenesc: Sie sind mit glasierten Kacheln bedeckt. |
31 o | Suceava, von der Stefansburg aus gesehen. |
31 u | Dragomirna, die „schlanke Dame“ unter den Klosterkirchen der Nordmoldau. |
32 | Vatra Moldoviţei – für den Reisenden, der von Westen her (über den Mestecăniş-Pass) in die Bukowina kommt, ist die Rareş-Kirche das erste große Ereignis. |
33 | Freskendetail in Moldoviţa: die Belagerung Konstantinopels. |
35 | Vielbewundert, vielgerühmt: die Georgskirche von Voroneţ. |
36 o | In Voroneţ schlägt König David die „cobză“ (rumänische Laute). |
36 ul | Eine bekannte Figur ist in Voroneţ Gheorghe Mândrilă. |
36 ur | Auffallend ist die Ähnlichkeit des „Alten von Voroneţ“ mit der im Kircheninnern abgebildeten Gestalt des Sfântu Ilie (Elias) – noch ein Beweis für das Autochthone dieser Kunst. |
37 | Eine der ältesten Steinkirchen des Nordens: die „Bogdana“. |
39 | Die Klause des Daniil Sihastru bei Putna. |
40 | Suceviţa: Wie in Moldoviţa und in Putna ist der Burgcharakter deutlich. |
41 | Weniger gut erhalten, aber wertvoll: die Außenfresken von Arbore. |
42 | Einfallsreich und geschmackvoll ist das Mosaik von Suceava. |