von Walther Konschitzky
Zwei Wege führen nach Săpânța. Sie führen durch zwei der
interessantesten folkloristischen Zonen Rumäniens: Von Sathmar aus
gelangt man durchs Oascher Land ins Dorf, vorbei an der schönen
Herberge „Sâmbra Oilor“, dann entlang der Theiß. Kommt
man aber von Osten her über Marmarosch-Sigeth, erlebt man einen
größeren Teil der Maramuresch mit. Es führen keine Asphaltstraßen
hin; dennoch pilgern von Jahr zu Jahr mehr Touristen aus dem In- und
Ausland zum „lustigen Friedhof“ nach
Săpânța.
Um das kleine Kirchlein herrscht farbenfrohe Stimmung. Man glaubt, in einen Karnevalszug geraten zu sein. Und man steht in einem Friedhof. Eine eigenartige Ruhestätte: Hier hat das Armesünderglöcklein keine Grenze zwischen Leben und Tod gezogen. Friedhöfe sind still, ernst und ohne Leben. Dieser aber lebt und lacht. Von den Kreuzen herab schimpft und spottet es, schäkert und scherzt es, dass die Heiterkeit weithin zu vernehmen ist, wenn die Besucher die holprigen Reime entziffern und die naiven Reliefs betrachten.
Ich kam an einem grellgelben Oktobertag zu Ion Stan Pătraș. Eben bemalte er im Hof ein mannshohes blaues Kreuz, wie sie im Friedhof zu Dutzenden stehen, mit den buntesten Farben. Man erkennt die Stick-, Skulptur- und Teppichmotive der reichen Maramurescher Volkskunst: den „Wolfszahn“ und die „Seile“, den „ghin“ und die „runghiuri“, mit größter Sorgfalt geschnitzt und bemalt. Man bewundert die charakteristische, in Relief gearbeitete Szene aus dem Leben des Verstorbenen, die Inschrift in Versen: Das ist das Denkmal, das auf einem Friedhof stehen wird. Das Wievielte? Der Meister weiß es nicht. Er, Ion Stan Pătraș, ist eben 60 geworden. Seit 35 Jahren schnitzt er in seiner Freizeit Holzkreuze. Es werden wohl gut über 200 sein. Er führt mich in sein Haus. Vom Bilderrahmen bis zum Dachfirst ist alles geschnitzt und in leuchtenden Farben gemalt, Werke eines Volkskünstlers, Erzeugnisse einer schöpferischen Naivität, einer reichen Phantasie. Das einzige Buch, das es hier gibt, ist eine Chagall-Monographie. Ein Tourist hat sie ihm geschickt, und Ion Stan Pătraș hält das Buch in Ehren. Er erzählt, dass er sich zwei Nachfolger gefunden hat: die Brüder Stan Toader Colțun (33) und Stan Vasile Colțun (30). „Beide talentiert im Schnitzen und auch im Versemachen“, unterstreicht der Meister. Dann gibt er einige der lustigsten Geschichten, die sich jemals im Dorf zugetragen haben, zum Besten. Er erzählt mit Humor und saftigen Wendungen. Einige der Histörchen sind auch auf den Kreuzen im Friedhof in Versen festgehalten. Ich frage, wer seinen Friedhof den „lustigen“ genannt hat. Er weiß es nicht. Er selbst findet ihn eher ernst als lustig.
Ich sehe mir den Friedhof nochmals an und gebe dem Meister
recht. Vieles klingt heiter und ist es im Grunde doch nicht. Da lacht
und spottet es wirklich, aber da weint es auch verhalten oder laut,
und es flucht aus verbitterten Seelen. Ion Stan Pătraș
ist eine Autorität im Ort: Was auf seinen Kreuzen steht, ist wahr und
unanfechtbar. Der Säufer bleibt es auch im Tod und soll es auch in der
Erinnerung der Nachwelt bleiben, der Gauner ein Gauner, der Faulpelz
ein Faulpelz. Der Name ist für alle Zeiten eingekerbt. Stan
Pătraș ist Moralist par Excellenze. Auf einem
Kreuzrelief ist ein Mann mit der Schnapsflasche zu sehen, und darunter
stehen die Verse:
„Zuika ist das reinste Gift,
durch sie Schmerz und Leid dich trifft.
Auch mir hat sie gebracht
den Tod in einer finstren Nacht.
Wer der Zuika huldigt stets,
dem genau wie mir ergeht’s,
denn ich war ihr zugetan,
mit ihr im Mund der Tod mich nahm.“
Die Mutter des Verstorbenen protestierte gegen diese Worte, seine Frau und seine Kinder aber und das ganze Dorf standen auf der Seite des Meisters. Das Kreuz wurde aufgestellt. Auf einem anderen sind die folgenden Verse zu lesen. Die beiden Fassungen (rumänisch-deutsch) sollen zeigen, wie viel Originales durch die Verdolmetschung verloren geht.
Ich lebte 82 Jahr,
hier ich meine Ruhe fand,
Havriș Ion wird’ ich genannt.
Die Zeit, da ich am Leben war,
mied Schwerarbeit ich immerdar,
mir kam ein Schwiegersohn ins Haus,
und trug alle Sorgen ’raus,
an mir hat er nur wohlgetan,
Alexandru, geschätzt von jedermann,
drum Gott recht lange ihn erhalt’,
werd er älter als ich alt.
Am trăit 82 de ani,
aici eu mă odihnesc,
Havriș Ion mă numesc,
câte zile am trăit,
de lucru greu m-am ferit,
ne-a venit un ginere
și mi-a fost tot binele,
Alexandru cel vestit,
de mine mult s-angrijit,
să-l trăiască dumnezeu
mai mult cât am trăit eu.
Auf einem Dritten teilt die Pârșoaie mit, dass sie zeitlebens dem Getränk, dem Wohlleben und den schönen Männern zugetan war, und schließt mit den Worten:
„Solange ihr auch am Leben bleibt,
Wie mich findet ihr keine.“
Stetca Maria, die 62 Jahre alt wurde, ruft hingegen ihrem Gemahl zu:
„He du, Ion, mein lieber Mann,
ich mein es gut, drum hör mich an:
Heirate und nimm ein Weib dir bald,
lass das Haus nicht leer und kalt.“
Auch andere Inschriften fordern uns zum Lachen heraus. Der Wirt des Dorfes, Stan Ion, hat ein angenehmes Leben gelebt. Er winkt vom Kreuz mit der Mütze und sagt:
„Ich fülle euch das Bierglas schön
und sage euch auf Wiedersehn!“
Ein Hirte führt das Pferd am Zügel. Darunter steht:
„Mein Pferd und ich, wir beide
bringen Käse von der Weide.
Kommt und esst alle mit uns...“
Oder der Friseur, der als Erster im Dorf ein Fahrrad fuhr:
„Hier ich meine Ruhe fand,
Pop Grigore werd’ ich genannt,
bin Grigore, Șustacs Sohn,
war schlauer als der Teufel schon.
Zur Zeit, da ich am Leben war,
schnitt ich viel an Leuten’s Haar...“
Manche Verse lehnen sich ans Volkslied an. Auf dem Kreuz des Ilie Hodiș steht:
„Übel mir der Kuckuck sang,
sang auf einer Blume rot:
Ilie, morgen bist du tot...“
Viele Verse rühmen das Handwerk des Dahingegangenen, andere loben die Zurückgebliebenen, verzeihen ihnen oder verwünschen sie. Ion Saulic wurde im Garten von Belmezeu erschossen, sein Kopf vom Leibe getrennt und verscharrt. Er flucht den Mörder in alle Ewigkeit, dass er so verstümmelt begraben werden musste. Ion Holdiș verflucht den Krebs, an dem er gestorben ist.
Zusammengenommen ergeben die Grabinschriften eine aufschlussreiche Dorfmonographie der letzten Jahrzehnte. Alle besonderen Ereignisse sind festgehalten oder können aus dem Kontext herausgelesen werden. Ein Stan Toader fiel einundzwanzigjährig im Krieg, ein anderer Stan Toader fand bei einem Grubenunglück den Tod. Der Mord an dem jungen Gore im Jahre 1949 ist in fünf Worte gefasst: „A murit moarte de cuțit.“ (Er starb den Tod durchs Messer.) Dennoch ist der erzählende, plätschernde Ton kennzeichnend. So ist der Friedhof des Pătraș eine beliebte und gefragte Ruhestätte.
Ich fragte den Meister, ob er sein eigenes Kreuz schon gemacht habe. „Nein, die Baumstämme aber sind dazu schon da. Es wird genauso sein wie die anderen alle. Um nichts schöner. Und was darauf stehen wird, weiß er auch schon. Doch das verrät er niemandem.
Ich verließ den Friedhof, ein richtiges Freilichtmuseum der Maramurescher Volkskunst unserer Tage, wie ein Volksfest, auf dem ich manchem Bekannten begegnet bin und viele Bekanntschaften geschlossen habe. Ich freue mich schon auf die nächste Begegnung.
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 70, S. 202 – 207)
Seite | Bildunterschrift |
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203 | Der Mann, der den Friedhof zum Lachen gebracht hat. |
205 | Volksmotive verwendet der Bauernkünstler für seine Grabdenkmäler am liebsten. |
207 | Beim Meister von Săpânța ist die Einheit der Künste verwirklicht... |