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Ade, Ada-Kaleh!

von Heinrich Lauer

Du warst nicht die Einzige, aber wir wissen es: Du warst die Insel der Donau. Ihr Lieblingskind. Wassergeboren zwar nicht, doch geformt von der Flut, um darin zu bestehen. Und so geschieht es nicht nach dem Willen des Stromes, sondern nach dem Willen jener, die stärker sind als der Strom selbst, dass Du sterben musst – ohne zu sollen.
Dein Tod erfolgte vor Deinem Hinscheiden. Denn noch bist Du nicht dahingeschieden – und doch schon unsagbar tot. Dein Dasein, die eigenwillige Geste Deiner Gegenwärtigkeit tat sich besonders kund als Ergebnis des Vergessens. Es ist kein Scherz, aber scherzhaft, dass Du nach einigen Jahrhunderten des Frontdienstes in den Verträgen als friedliches Eiland übersehen wurdest und so Deine De-jure- mit der De-facto-Existenz zusammenfiel, was Dich wohl einen Lacher kostete, Dir aber eine Unzahl Freiheiten einbrachte.
Frei warst Du immer. Aber nicht dank Deinen Festungsmauern. Was ist schon Stein auf Stein gefügt gegen das Gefühl, tief im Flussgrund zu ruhen, dabei die Wellen um die Lenden zu haben und vom süßen Honig aus Angora zu kosten? Und frei und schön war alles, was Dich berührte: die Strömung, die aus den Alpen und Karpaten her die glitzernden Wässer zu Dir führte, die Schiffe, die nicht ohne Ruf und Echo an Dir vorbei konnten, die Kähne, die immer vollbeladen anlegten und reicher beschenkt abstießen.
Aber wie liegst Du nun da, in der Nacht, die keinen halben Mondspalt geöffnet hat? Wo sind die süßen Feigen, wo der Honig von Angora? Wo ist Ulwie, das Mädchen, in dessen Augen die nahenden Kähne sich spiegelten?
Hinab den Strom sind sie lautlos geglitten, die Gärten, die Tore, zwei Spaten Erde. Und auch der Hodscha, mein Freund, hat sich einen neuen Ruheplatz gesucht zu weiterer Besinnung, in Tomis wohl oder an höher gelegenem Ort, für den Gesang des Muezzins, dazu einen Grundstein gebrochen für das aufstrebende Minarett – ein Stein aus Deinem Leib, eine warme Rippe vielleicht von den vielen, die jetzt unbedeckt bleiben.
Allah akbar – Gott ist groß. Aber auch der Mensch ist es. Denn siehe, es wächst das Tor zu jeder Stunde, nicht das Eiserne, das zu Stein erstarrt ist und jetzt für immer geöffnet wird, sondern das Tor, das die Fluten und den blauen Lichtbogen über Dich heben wird. Und Du wirst zur Seeinsel, zur versunkenen Insel im See, von der über Zeiten die Legende berichten wird. Und meine Träne, die sich in die Fluten mischt.

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 70, S. 272 – 273)

Seite Bildunterschrift
273 Wie viel Menschen unser tüchtiger Ali zur Insel gerudert hat – wer kann es sagen? Ob wir ihn noch einmal wieder sehn, in Șimian vielleicht – wer weiß?
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