Ein kulturgeschichtlicher Spaziergang durch die Bukowina
von Herbert Hoffmann
Aus welcher Richtung man auch kommen mag, ob von Süden, durch die Niederungen des
Siret, von Osten aus der Jijia-Aue, von Norden, den Ausläufern der Waldkarpaten, oder aus
dem Westen, aus Transsilvanien, erschließt sich dieses Land, mit seiner so
abwechslungsreichen Landschaft, seinen zahllosen Geschichts- und Kunstdenkmälern, den
Siedlungen voller eigentümlicher Persönlichkeit, dem Besucher als etwas Besonderes,
Einzigartiges. In keiner anderen Gegend Rumäniens verquickt sich das Alte mit dem Neuen,
die Überlieferung mit der Gegenwart so innig wie hier, im „Oberen Land“, wie das Gebiet um
die alte Fürstenresidenz Suceava bei den Einheimischen und den Nachbarn heißt.
Das ist verständlich, wenn man in den vergilbten Chroniken blättert und von Dragoş und der
„Landnahme“ liest, von den großen, historischen Persönlichkeiten: Petru Muşat, Ştefan dem
Großen, Petru Rareş, den Brüdern Movilă u. a., die hier gewirkt oder geherrscht und mit
ihren Stiftungen der Menschheit unschätzbare Kultur- und Kunstwerke hinterlassen haben,
denen wir heute mit Achtung und Bewunderung begegnen.
Wie allgemein diese Bewunderung ist, bestätigt die Tatsache, dass der Internationale
Verband der Reisejournalisten und –schriftsteller – FIJET – diesem Gebiet den Preis
„Pomme d’Or“ (Goldener Apfel) für seine landschaftliche Schönheit und unschätzbaren
Kunstschätze zuerkannte.
Betrachtet man die Landschaft, die sozusagen nach allen Richtungen hin durch natürliche
Barrieren oder Gräben abgeriegelt scheint, sollte man meinen, dass die Bukowina, als
Grenzland, betont in sich abgeschlossen sein müsste. Doch überzeugt man sich bald des
Gegenteils, denn die Bewohner zeigten sich immer schon allem gegenüber aufgeschlossen.
Nicht zufällig entfaltete sich hier in der Baukunst eine eigentümliche und einmalige Synthese
zwischen orientalischen und westeuropäischen Elementen, die in einem eigenen Baustil, der
„moldauischen Gotik“, ihren Ausdruck gefunden hat, und nicht zufällig sind alle Bergrücken
und Höhenzüge von einem Netz zahlloser Wege, Pfade und Straßen überzogen, so dass
weder Kämme noch Ströme Grenzen und Hindernisse, sondern immer schon Verbindungen
und Vermittler waren.
Dabei ist der Boden hier gar nicht so gastlich. Fast die Hälfte dieser Landschaft bildet
bergiges oder gar Hochgebirgsrelief, angefangen von den nord-südlich verlaufenden
„Obcine“, bis zu den Bergriesen Giumalău und Rarău. Die tief eingeschnittenen, schattigen
Täler der Obcina Mare, der Obcina Feredeului oder der Obcina Mestecănişului jedoch
beherbergen lauschige kleine Dörfer oder waldumsäumte Auen, auf denen von hohen
Mauern umgebene alte Klöster in tiefem Dornröschenschlaf zu liegen scheinen, nicht selten
den Blicken des Wanderers bis zum letzten Augenblick verborgen, als wollte man
Unbefugten den Zutritt verwehren.
Während der Wald an vielen Stellen Feldern und Weiden weichen musste und kleinere oder
größere Dörfer, Marktflecken oder Städte das Landschaftsbild beherrschen, erhebt der alte
Felsriese Giumalău (1853 m) sein zottiges Haupt aus dichtem undurchdringlichem Wald der
durch viele Jahrhunderte Langhölzer für Schiffsmasten und Deckenbalken lieferte, und, wie
sein bloß um 200 m kleinerer Bruder Rarău (1650 m), lässt er sich bei klarer Sicht sogar von
Dorna, Câmpulung oder Fălticeni noch genau erkennen. Mit der Bergwelt und ihrem
Pflanzenbewuchs waren und sind aber nicht nur der Waldschlag und die Flößerei aufs
engste verbunden, sondern auch die Viehhaltung und vor allem die Schafzucht wären ohne
sie nicht denkbar.
Und was vor allem ins Gewicht fällt, ist, dass der seiner malerischen Schönheit urtümlicher
Kalksteinformationen wegen als Wanderziel berühmte Rarău immer schon Sammlern und
Jägern Früchte, Pilze, wilden Honig, Wild, vor allem aber allen Bewohnern Bauholz zu bieten
hatte. Und das gilt nicht nur für die kleinen, von Obst- und Blumengärtchen umgebenen
Anwesen, denen man beim Aufstieg zu einem der Bergrücken begegnet, sondern für die
Bauernhäuser schlechthin. Da nämlich der ganze Raum der Bukowina einst von Wald
bestanden war, ist es nur verständlich, dass Holz zur Errichtung sämtlicher Bauten und zur
Anfertigung allen in der Bauernwirtschaft notwendigen Geräts diente. Das gilt nicht allein für
die auch heute waldreichen Landstriche der Dorne, die Täler der Bistriţa oder der Moldova,
sondern sogar für die Umgebung von Fălticeni, wo erst seit einigen Jahrzehnten der
Backstein aus Gründen größerer Widerstandsfähigkeit an Boden gewann.
Doch auch in der Sage begegnen wir dem altehrwürdigen Freund des Menschen, dem Wald,
der sich bis zum Siret wild und düster ausdehnte, so dass niemand einzudringen wagte. Bloß
in einem besonders heißen Jahr, als die Trockenheit alles Grün weit und breit ausgedorrt
hatte, nahmen sich ein paar Hirten ein Herz und betraten mit ihren ausgehungerten Herden
das tiefe Dunkel und wanderten weiter und weiter, bis sie nahe daran waren, enttäuscht
umzukehren, als sie auf eine riesige Lichtung gelangten, die sich unversehens vor ihnen
öffnete und mit saftigem Gras und einem munter sprudelnden Wasser aufwartete. Es war
der Suceava-Fluss. Den Hirten folgten deren Angehörige, dann Jäger, Bauern, Handwerker,
Kaufleute, und bald herrschte auf dem Boden der zukünftigen Woiwodalresidenz emsiges
Treiben.
Älter als Suceava ist die schon 1334 erwähnte Siedlung Baia – Civitas Moldaviae –, deren
Gründung in unbekannten Fernen, viele Jahre vor der sagenhaften „Landnahme“ des
Fürsten Dragoş fällt, der auf der Pirsch auf einen mächtigen Auerochsen ins spätere
Moldovatal gelangt sein soll, wo er und seine Begleiter von der Schönheit und Fruchtbarkeit
der Landschaft dermaßen überrascht waren, dass sie beschlossen, von diesem Boden
Besitz zu ergreifen. Baia, als Name, geht auf Bergwerke zurück, die es hier gegeben haben
soll und deren Spuren man vergeblich suchte, obgleich man ihnen auf einer russischen Karte
von 1835 noch begegnete. Wie in Câmpulung Muscel, in der Walachei, hatten sich auch hier
neben der rumänischen Bevölkerung sächsische Handwerker und Kaufleute aus
Transsilvanien niedergelassen und trugen zum Zustandekommen enger
Wirtschaftsbeziehungen zwischen den rumänischen Provinzen bei. Allerdings hat sich vom
Leben der einst blühenden Stadt nur das erhalten, was sich in den Malereien der alten
Kirchen bewahrte. Die Siedlung selbst verfiel, und der Schwerpunkt legte sich nach dem
nicht allzu fernen Fălticeni. Der Name dieser Stadt ist aufs engste mit dem Schaffen
bedeutender rumänischer Kultur- und Kunstschaffender verbunden, wie dem des großen
rumänischen Dichters Mihai Eminescu, des Komponisten von Weltruf George Enescu, des
unvergleichlichen Erzählers Ion Creangră, der hier als Lehrer wirkte, oder des Schriftstellers
Mihail Sadoveanu.
Wandert man durch die Landstriche der Bukowina, so begegnet man dabei zwei
verschiedenen Siedlungstypen: d. h. dem um Rădăuţi, Suceava und Fălticeni verbreiteten
Straßendorf und den Streusiedlungen um Câmpulung, Humor, Vatra Dornei und im
Bistriţatal. Allerdings stoßen wir im Moldovatal auf zu kleineren Weilern zusammengerückte
Häusergruppen, und im Bistriţatal „rutschten“ die Gehöfte zur durchs Tal verlaufenden
Straße hinab, an der sie sich in fast regelmäßigen Abständen aufreihen.
Zu einer Eigentümlichkeit unter den Hofanlagen des Gebiets zählen die in den Dörfern des
Bistriţatals verbreiteten Anwesen mit „Doppelhof“, d. h. einer ausschließlich für die
Wirtschaftsgebäude (Stall, Koben, Scheune) und einer für das Wohnhaus, die Küche und die
Vorratsspeicher bestimmten Umfriedung, die zwei getrennte Höfe ergibt.
Die gedrungenen, nicht zu hohen Häuser fügen sich harmonisch in ihre Umgebung ein und
bestehen aus übereinandergelegten Balkenkränzen, über denen sich ein steiles
schindelgedecktes Walmdach (vierseitig abgeschrägte Dachform) mit breit ausladender
Traufe (Tropfkante am Dach) erhebt. Der Grundriss weist üblicherweise einen Flur, zwei
Stuben und seltener eine vorgelagerte Laube auf. Im Hausinneren nimmt der große
gemauerte Ofen fast ein Viertel der Stube ein, und das bett hängt vermittels eines
geschnitzten Trägers an den Dachbalken. Von besonderem Reiz sind die häufig mit
Schabschnittdekor verzierten und dreifarbig gehaltenen Mitgifttruhen und die Wände, die
Langbänke schmücken, und das Bett, aus Wolle gewebte Teppiche, deren Ornamente früher
eine einfache Querstreifenfolge bildeten, deren Palette Pflanzenfarbstoffe zugrunde liegen.
Den Fleiß der Haustochter veranschaulichen zahlreiche auf der Brauttruhe aufgeschichtete
Wollgewebe und Linnen aller Art. Ist die Magd so alt, dass sie zur sonntäglichen Hora gehen
kann, lädt sie die Burschen abends zu sich ein, und man bewirtet diese mit allerlei
Leckerbissen und Getränken, während sie die Mitgift bewundern dürfen.
Es gehört zum Stolz jeder Magd, ein Hochzeitshemd zu sticken, wie es im Dorf kein zweites
gibt. Man erzählt, dass eine Braut zwei Tage vor der Hochzeit erfahren habe, eine Nachbarin
hätte ihr ein Muster abgeguckt und es auf ein Alltagshemd gestickt. Da soll sie Tag und
Nacht, ohne Rast dagesessen haben, und am dritten Tag in aller Frühe war das neue
Hochzeitshemd fertig und die Nachbarin die Blamierte.
Doch gehören zum Zierrat des Hauses auch die zahlreichen Keramikgefäße und darunter
vor allem die gelb-weiß verzierten Kutyteller und –kännchen. Doch können sich auch die im
Haushalt alltäglich benutzten Milchtöpfe und Kannen, die Näpfe oder Schüsseln aus
geschmauchter silbrig-grauer Marginea-Keramik sehen lassen, die man auf dem Rădăuţer
Jahr- oder Wochenmarkt erwirbt, der wahrlich eine Art „Kulturerlebnis“ ist. Denn er bietet ein
farbenfreudiges Bild, ein Mosaik aus Handwerkserzeugnissen, Trachten, Ackerbau- und
Gartenprodukten aller Art, die man hier feilbietet oder erwirbt.
In Arbore, einer durch das gleichnamige Baudenkmal bekannten schönen Gemeinde, hat
sich ein Brauch erhalten, und zwar dass alle von dort Gebürtigen, wo immer sie sich auch
aufhalten mögen, ihre Hochzeit in ihrem Heimatort begehen. Dazu wählt der Bursche sich
einen Heiratsbitter, der von den Eltern der Magd die Einwilligung erlangen soll, was im
Rahmen eines bescheidenen Gastmahls geschieht, bei dem alle Einzelheiten besprochen
werden, wobei der Bräutigam seiner Auserwählten symbolisch Schmuck schenkt, den diese
zur Festtracht anlegen soll. In Arbore dauert eine Hochzeit drei Tage. Neben dem jungen
Paar bildet die Hauptperson der „Vătăşel“, der jung, behende, geistreich und beredt sein
muss, obliegt ihm doch die Pflicht des Oberzeremonienmeisters, alle Gäste zum Fest
einzuladen. Am Samstag, ums Abendläuten, begibt sich der Zug, von Berittenen begleitet,
vom Haus des Bräutigams ins Haus der Braut, um diese und die Mitgift abzuholen. Während
des Brautmahls tanzt die Jugend im Hof, munter drauflos, bis ein Zeichen erklingt, auf das
hin aller Lärm erlischt und die eigentliche Zeremonie beginnt. Dazu bringen zwei junge
Frauen eine Schüssel mit Getreidekörnern und zwei Ringe. Die Jungen werden gefragt, ob
sie sich aus Liebe verbunden haben und, nachdem man die Ringe unter die Körner gemischt
hat, damit sie die Brautleute suchen sollen, werden die Gaben des Bräutigams und der Braut
(das von ihr gestickte Bräutigamshemd) überreicht. Am Sonntag folgt das große Festmahl,
und bis Montag früh oder Abend wird gezecht und getanzt. Am folgenden Sonntag dagegen
gibt es die „Umkehr“, d. h. das junge Paar bewirtet die nächsten Verwandten, um die
Hochzeit zu beurteilen und (im Scherz) die Taufe zu programmieren.
In Arbore gibt es übrigens eine besondere volkskundlich-kulturgeschichtliche
Sehenswürdigkeit, das Museumshaus Toader Hrib, ein Museum, das sich nicht so einfach
einordnen lässt, enthält es doch alles, was drei Generationen der Hribs im Laufe eines guten
Jahrhunderts zusammengetragen haben: Trachtenstücke, verschiedenes Werkzeug, Waffen,
Münzen, Tonscherben bzw. den Steigbügel des Haiducken Darie. All diese ergänzt die vom
Sammler Hrib verfasste „Chronik von Arbore“, die dieser „zwischen zwei Zeiten“
niedergeschrieben hat.
Arbore beherbergt aber auch eines der schönsten Baudenkmäler der Nordmoldau, seine mit
Außenfresken geschmückte Kirche, die zusammen mir den Klöstern Dragomirna, Humor,
Voroneţ, Moldoviţa und Suceviţa die große Kulturepoche veranschaulicht, die mit Stefan dem
Großen beginnt und unter Petru Rareş ihren Höhepunkt erreicht. Große Namenlose oder
Künstler wie Meister Toma aus Suceava schmückten diese Kleinodien unter den
Kunstwerken byzantinischer Kultur mit einmaligen Malereien, die sich in ihrer ganzen
Farbenpracht bis in unsere Tage erhalten haben und selbst verwöhnte Kritiker verblüffen.
Von den Heiligendarstellungen abgesehen, sind es die profanen Themen oder Szenen, die
im „Jüngsten Gericht“ oder bei der „Belagerung Konstantinopels“ Kunst und Dokument
verbinden und durch tiefe Kenntnis der Komposition klaren Aufbau der Landschaft, sichere
Zeichnung und feines Farbgefühl verraten, die tatsächlich der italienischen Malerei des
„trecento“ nicht nachstehen. Das profane Thema suchte aber nicht bloß Flächen zu füllen,
sondern versinnbildlichte den Gedanken eines Widerstands gegen die stets drohende
Gefahr der anrückenden Türkenheere oder Tatarenhorden.
„Die Außenfresken verkörpern das, was die Moldau an Persönlichem und Originellem
hervorgebracht hat; nicht allein die Anordnung dieser Malereien oder die Interpretierung der
üblichen Motive, sondern vor allem die Aufnahme aus der Folklore inspirierter Themen
verraten ein eigentümliches Denken, eine regelrechte heimische Schule, gekennzeichnet
durch eigene Tradition und Auffassung...“ (Paul Henry)
Während am westlichen Horizont die Sonne sich hinter der gezackten Silhouette des Rarău
langsam senkt und die blauen Schatten sich über die Landschaft ausbreiten, überdenkt der
Wanderer das Ergebnis des letzten Tages und muss einsehen, dass ein Leben nicht
ausreicht, soviel Schönheit in sich aufzunehmen.
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 90, S. 78 – 85)
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81 | Die bunt verzierten Häuser in Ciocăneşti sind wahre Schmuckstücke. |
83 | Sehenswert in Suceava: die Ruinen des Fürstenhofs. |