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Einsamer Gipfel: Hohe Scharte/Ciortea

von Reinhold Gutt

Innerhalb der ersten Etappe der Fogarascher Kammwanderung Suru – Negoi bietet sich ein abseits liegender Gipfel, die Hohe Scharte/Ciortea, als lohnender Abstecher. Im westlichen Gebiet des Fogarascher Gebirges ist noch wenig vom Hochgebirgscharakter zu sehen, man wandert meist über ausgedehnte, begraste Hochflächen. In diesem Kammteil ist die Hohe Scharte/Ciortea die einzige Ausnahme. Sie überragt mit ihrer dreigipfeligen Spitze und er südlich gelegenen Boia-Spitze die 2400-m-Grenze und damit ihre „zahmen“ Nachbarn Suru, Budislavu, Vârtopu Roşu, Gârbova und Scara.
Aus der Suru-Gegend kommend, wandern wir auf der roten Bandmarkierung bis in den Seesattel/Şaua Lacului (2178 m), auch Portiţa Avrigului genannt. Hier ändert sich mit einem Schlag die Landschaft. Gegen Südwesten erblicken wir den sehr felsigen Kessel der Valea Budislavului mit dem tiefer unten gelegenen seichten Teich, der in trockenen Jahreszeiten verschwindet. Südöstlich, überragt von den drei Köpfen der Ciortea, befindet sich, in einem wilden Kessel eingebettet, der romantische Avrig-See (2011 m).
Vor uns ragt der Seeturm in die Höhe mit seinen schroffen Felsabstürzen dem Avrig-See zu; wir besteigen den Turm. Bald erkennen wir blassrote Punkte und Streifen auf den Felsen, es sind die alten Markierungszeichen. Nach Überquerung des Seeturmes, der auch westlich umgangen werden kann, erreichen wir den schartigen Turmsattel. Hier umgehen wir westlich eine schmale Felsenspitze, verlassen für kurze Zeit den Hauptgrat und steigen schräg südöstlich dem Geröllfeld der auftürmenden Hohen Scharte entgegen. In den Jahren mit schneereichen Wintern ist hier mit einem vereisten Schneefeld bis spät in den Hochsommer hinein zu rechnen. Deshalb besondere Vorsicht. Ausrutschgefahr!
Oberhalb des Geröllfeldes erblicken wir die alte Markierung, die nach rechts durch eine Rinne sich dem Hauptgrat zuwendet. Hier auf der felsigen Kante des Grates klettern wir anfangs steiler, später sanfter der Spitze zu und erreichen den Westzacken, der zugleich der höchste Gipfel der Hohen Scharte (2427 m) ist. Wir fühlen uns da in einer wahren Felsen-Zitadelle. Die Hohe Scharte ist einer der schönsten Aussichtspunkte unseres Gebirges. Die Ciortea ist eine 390 m lange, dachförmige Felsenbastei, aus der drei Gipfelzacken hochragen, die durch zwei Einsattelungen getrennt sind. Der östliche Sattel ist wesentlich tiefer; aus ihm besteigen wir mit großer Vorsicht über riesige schräge Felsplatten den Ostgipfel (2422 m).
Von der Ciortea laufen zwei mächtige Ausläufer nach der Südseite, die von weither sichtbar sind. Der eine, vom Westgipfel beginnend, verläuft über die zackige Felsenspitze Capul Gemenilor (2395 m) und setzt sich dann in einen grasigen Bergrücken fort. Er bildet die Wasserscheide der Boia Mică und Boia Mare.
Vom Ostgipfel zweigt der anfangs wilde Kamm mit dem Gipfel der Boia-Spitze (2426 m) ab; nach vielen Kilometern endet er in den geologisch interessanten Cozia-Bergen, nördlich vom Badekurort Călimăneşti. Zwischen diesen beiden Südausläufern befindet sich der mit Gesteinstrümmern bedeckte, einsame und unwegsame Grohotiş-Kessel.
Der Abstieg vom Ciortea-Ostzacken in den westlichen Gârbova-Sattel (ca. 2140 m), wo wir die Fogarascher Hauptkamm-Markierung (rotes Band) wieder erreichen, findet anfangs über steile Grashänge statt, wobei der Grat immer links bleibt.
Zeitaufwand: Vom Seesattel hinauf auf die Hohe Scharte und hinunter in den westlichen Gârbova-Sattel 1 ½ Stunden.
Die Ostspitze der Ciortea können alle Wanderer, auch ohne Kletterkenntnis, bequem aus dem westlichen Gârbova-Sattel erreichen, wobei ein Höhenunterschied von knapp 300 m bewältigt werden muss.

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 90, S. 37 – 38)

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