Tageswanderung für schwindelfreie und erfahrene Bergfreunde
von Reinhold Gutt
In der unmittelbaren Nachbarschaft des Hauptkammes des Fogarascher Gebirges gibt es
einen Südausläufer, der vom großen Touristenstrom verschont geblieben ist: Bergrücken
Arpaşul Mic – Buda – Râiosu – Muşeteica, und wer am alpinen Wandern Freude hat, der ist
hier gerade richtig.
Dieser großmächtige Ausläufer bildet die wichtigste Wasserscheide zwischen dem Capra-
und Buda-Tal. Er ist auch der am schönsten geformte, langgestreckte Südkamm der
Fogarascher Gebirgskette, der auf einer Länge von über 2,5 Kilometern die 2400-m-Grenze
überschreitet.
Um diesen Ausläufer – mit Ausnahme der Spintecătura-Budei-Einsattelung – zu
überschreiten, wandern wir frühmorgens vom Bâlea-See auf dem klassischen Kammweg bis
zum Nerlinger Denkmal (blaues Dreieck bis in den Gämsen-Sattel, danach rotes Band; 2 – 3
Stunden). Vom Nerlinger Denkmal, das auf dem Hauptkamm der Fogarascher in einer Höhe
von 2287 m liegt, steigen wir zum 0,87 ha großen dreieckigen Buda-See (2056 m) ab, der
am Südrand vom östlichen Bergrücken des Buda-Gipfels begrenzt wird. Auf diesem führen
zwischen Felsschroffen zahlreiche Schafs- und Gemsstege zum Gipfel, wobei eine
Höhendifferenz von fast 400 Metern überwunden werden muss.
Wer sich im Gelände frei orientieren kann – begünstigt von guten Wetterbedingungen –, der
wandert schräg nach Südwesten, um die Felsabstürze des Arpaşul Mic unten herum zu
umgehen, und erreicht ein Geröllfeld im obersten Buda-Kessel, unterhalb der Spintecătura-
Budei-Einsattelung. Hier erkennt man bald ein grasiges Band, auf dem man hochsteigt und
nach einer Stunde die Buda-Spitze (2431 m) erklimmt. Von hier hat man den ersten
beeindruckenden Ausblick unserer Wanderung.
Wir folgen südlich einem dachfirstartigen Grat, der stellenweise dermaßen zerklüftet (mit
steilen Felsabstürzen gegen Osten) ist, dass wir diesen Abschnitt etwas unterhalb des
Grates auf den westlichen Grashängen umgehen. An einer kleinen Anhöhe vorbei
durchsteigen wir 45 Minuten nach der Buda-Spitze einen kleinen Kamin und nach weiteren
10 Minuten stehen wir auf der Westschulter des Râiosu-Gipfels (2395 m). Nur noch 500
Meter Luftlinie und eine kleine Einsattelung trennen uns von dem sehr hohen, dreieckigen
Hauptgipfel: dem Muşeteica (2448 m), welchen wir in 20 bis 30 Minuten erreichen.
Auf dem Muşeteica-Gipfel genießen wir die Einsamkeit und vor allem die Großartigkeit des
Rundblicks. Mächtig ragen im Westen, jenseits des Capra-Tales, die Călţun- und Negoi-
Bergriesen aus den Wolken heraus. Zu unseren Füßen liegt das sich zum Vidraru-Stausee
hinabschlängelnde Asphaltband der Transfogarascher-Hochstraße. Gegen Norden erkennen
wir die beiden „Hasenohren“, zwei schroffe, zersägte Felsnadeln des Arpăşel-Grates, der
von der Capra- und Vârtopel-Spitze flankiert wird. Im Osten überragt das „Dach Rumäniens“
mit den beiden Gipfeln Viştea Mare und Moldoveanu den Horizont. Ganz neuartig ist der
Anblick all dieser Spitzen von Süden her.
Der Abstieg erfolgt anfangs in Richtung Westen über die bescheidene Nimica-Spitze; nach
600 Metern erreichen wir eine zweite kleine Anhöhe, von wo der eigentliche Abstieg beginnt.
Während des Abstiegs erkennen wir am Nordhang des Muşeteica die drei prachtvoll
geformten runden Kessel, in denen leider nur noch sumpfige Teichboden zu sehen sind,
welche verraten, dass hier einst kleine Seen die Landschaft verschönten. Auf der scharfen
Nordkante geht es schnell bergab, und nach weiteren 15 Minuten wenden wir uns dem
sumpfigen Teichboden-Kessel zu, aus dem ein kleines Rinnsal zu Tale plätschert. Diesem
folgen wir anfangs und sehen bald auch die ersten Schafstege, die dann etwas westlich
hinziehen, um den Wasserlauf mit seinen Kaskaden zu umgehen. Nachdem wir
strauchartiges Gelände erreicht haben, geleitet uns der immer besser sichtbar werdende
Hirtenpfad talwärts. Nach einer guten Stunde von der Muşeteica-Spitze gelangen wir zu den
Sennhütten im Capra-Tal. Auf der gegenüberliegenden Seite sehen wir die
Transfogarascher-Hochstraße.
Zehn Minuten talaufwärts wandernd, erreichen wir die Pârâul-Caprei-Schutzhütte (1520 m).
Hier können wir eventuell übernachten oder mit einer Auto-Gelegenheit die neun Kilometer
bis zum Bâlea-See zurücklegen.
So erfreulich diese Tageswanderung auch sein mag, so darf nicht übersehen werden, dass
diese Hochtour nur ausdauernden, schwindelfreien und guten Bergwanderern zu empfehlen
ist, die über die möglichen und plötzlich eintretenden Unbilden und Gefahren im Hochgebirge
genau Bescheid wissen.
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 90, S. 39 – 41)
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