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Über „Stock und Stein“

Eine Fahrrad-Bergtour von Oradea nach Arad

von Andreas Donath (Cottbus)

Gebirge werden im Allgemeinen von Wanderern erschlossen. Radfahrer trifft man hingegen meistens auf schönen, glatten Straßen. So auch in Rumänien. Was spricht aber dagegen, mittlere Gebirge mit dem Fahrrad zu durchwandern? Auf abgelegenen Straßen und Wegen gibt es keine Behinderung durch Autos, der Aktionsradius ist gegenüber dem Wandern zu Fuß wesentlich größer, es gibt keine Probleme mit öffentlichen oder nichtöffentlichen Verkehrsmitteln, und das Gepäck fährt sozusagen von selbst mit.
Im Folgenden ein Vorschlag für eine Radwanderung von Oradea nach Arad. Die Gesamtlänge beträgt etwa 600 Kilometer, also eine Strecke, die von eiligen Radfahrern in 6 Tagen, von jenen, die auch die Landschaft erleben wollen, hingegen in 3 Wochen bewältigt werden kann. Unsere Fahrtdauer lag in der Mitte. (Die Radtour wird nicht in einzelnen Tagesetappen beschrieben, und Zeltstellen werden nur in Ausnahmefällen erwähnt, da die täglichen Strecken ohnehin dem Wetter und der Kondition angepasst werden müssen und die besten Zeltplätze meist jene sind, von denen man denkt, dass sie noch keiner entdeckt hat.)
Wir verlassen Oradea auf der Europastraße E 15 Richtung Cluj-Napoca und fahren bis Aleşd. Von hier geht es Richtung Norden, eine ruhige Straße mit stetem Anstieg entlang. Kurz hinter Peştiş bietet sich die erste Möglichkeit zum Zelten. Nun ist man schon im ersten Gebirge, Muntele Şes. Die Bewältigung der anhaltenden Steigung wird nach der Abzweigung Richtung Nuşfalău recht bald mit wunderbarem Ausblick auf die sanften Hügel und Ortschaften belohnt. Wir müssen einiges davon leider nur ahnen, da die Sicht im trüben, regnerischen Wetter oftmals behindert wird.
Über Nuşfalău, Boghiş, Sig geht es (die erste Teststrecke für die Fahrräder, Sand- bzw. Steinweg) hinunter nach Ciucea. Sollten hier bereits die ersten Schäden an den Fahrrädern auftreten, sind weitere Ziele zu überdenken bzw. Reparaturen ratsam. Bei uns ging alles glatt und so konnten wir nach wenigen Kilometern Europastraße und einem Besuch des Wohnhauses des Dichters Octavian Goga (1881 – 1938) zu einem seitlichen Abstecher in die Valea Drăganului weiterfahren. Oberhalb des gleichnamigen Ortes befindet sich ein imposanter Kirchenneubau, und auf dem Weg zum (gleichnamigen) Stausee laden zahlreiche idyllische Zeltstellen zum Bleiben ein. Tagesausflüge in die Umgebung oder auf den Vlădeasa-Gipfel (natürlich zu Fuß) sind empfehlenswert.
Wir verlassen das Vlădeasa-Massiv und fahren zur E 15 zurück, um nach wenigen Kilometern in Richtung Bologa abzuschwenken, einer Ortschaft mit den Ruinen einer mittelalterlichen Burg aus dem 14. Jh., die sich als willkommenes Fotomotiv in die Landschaft einfügt. Auf einer unbelebten Straße radeln wir nach Răchiţele.
Gleich bei der Dorfausfahrt bieten sich Trassen, um nach Padiş, dem Touristenzentrum im Bihor-Gebirge zu gelangen. Der kürzere und direkte Weg führt über den Pasul Prislop, ein längerer und beschwerlicherer um den Stausee Lacul Fântânele. Wir wählen die zweite Variante und gelangen so zu den Streusiedlungen Dealul Botii und Beliş. Der Weg zwischen beiden Siedlungen ist schwer auszumachen, wir müssen öfters Bergbauern fragen, um nicht woanders zu landen. Steile Wegabschnitte beanspruchen das Fahrradmaterial und insbesondere die Bremsen. In Beliş treffen wir auf zahlreiche Urlauber, die meisten aus Cluj-Napoca, die hier das Wochenende verbringen oder Sommerferien machen. Die nun folgende Fahrt um den See ist lang und derselbe nur weit unten im braunen, sandigen Tal zu sehen. Im Sommer ist der Wasserspiegel recht niedrig. Nachdem wir ein Torfmoor besichtigen, geht es ab Poiana Horea nach rechts, hinauf nach Padiş. Mit etwas Kraftaufwand radeln wir fast bis zur Berghütte. Der Andrang um und in der Berghütte ist groß, aber auch das Erstaunen über uns Radler. Erfahrungen und Informationen über die folgende Reiseroute werden schnell ausgetauscht. Für uns gibt es bei Regen und Nebel leider keinerlei Sicht in die Umgebung, dafür aber einige Fläschchen Bier.
Nun geht es in den hinaufkommenden Weg ein Stück zurück bis zur Abzweigung des Pfades zum Weiler Casa de Piatră. Über einige felsige Abschnitte muss das Fahrrad getragen werden, dann geht’s im Laufradstil über die Alm. Da der Regen den Boden aufgeweicht hatte, wurde die Geschicklichkeit gefordert. Das gilt auch für den sehr steilen Weg bis zum Weiler, insbesondere wenn dieser durch das Wasser in eine schmierige Rutschbahn verwandelt wird.
Casa de Piatră, mit seinen kaum ein Dutzend zählenden Häusern, der Station für Forstleute nebst Kaufladen, ist ein idyllischer Fleck, wo man unbedingt verweilen sollte. Klares Quellwasser und in unserem Fall etwas Sonnenschein, können ebenfalls dazu einladen. Ab und zu begegnet man auch mit Ausrüstungsgegenständen bepackten Hobby-Speläologen, die es in die Tiefe zieht. Für uns gibt es leider keine Möglichkeit, da unsere Fahrräder nicht auch noch derartige Gerätschaften transportieren konnten.
Von Casa de Piatră geht es recht zügig die Straße hinunter bis Gârda de Sus und gleich wieder hinauf in Richtung Nucet. Hat man die Şaua Vârtop erreicht, folgt eine über 20 Kilometer lange, ununterbrochene Abfahrt, die nochmals schöne Blicke auf das Bihor-Gebirge freigibt. Es geht weiter nach Vârfurile, wo wir zum Glück auf freundliche Mechaniker in einem LKW-Stützpunkt trafen, die eine defekte Tretkurbel reparieren konnten. Nach erholsamen, ebenen Kilometern steht man dann in Gurahonţ vor dem vierten Gebirge der Tour, den Munţii Zarandului. Die neu asphaltierte Straße, mit der wir nicht gerechnet hatten, endet nach etwa 10 Kilometern und die Fahrräder werden das letzte Mal, dafür jedoch sehr stark, beansprucht. Es geht über große und kleine Steine und durch tiefe Rinnen des Forstweges bergan, ein Stück zu Fuß und steil hinab. Über Groşii Noi fahrend, haben wir in Julita wieder „festen Boden“ unter den Füßen und sind nachträglich erstaunt, was Fahrräder alles aushalten können.
In zügiger, jedoch zur Besichtigung der Burgruinen in Şoimoş unterbrochener Fahrt geht es die letzten 85 Kilometer bis Arad, der Endstation unserer erlebnisreichen und unvergesslichen Bergtour.

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 89, S. 116 – 120)

Seite Bildunterschrift
 
117 Kartenskizze
118 Burgruine in Bologa.
119-o Fahrt durch Valea Drăganului.
119-u Holzhäuser in „Casa de Piatră“.
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