von Helmut Paul
„3 Kilometer unterhalb Băile Tuşnad Flussteilung, der linke Arm führt in Tunnel!! – so hatten
wir in einer tschechischen Veröffentlichung gelesen. Nun stehen unsere Zelte im Durchbruch
des Alt, dicht oberhalb von Bad Tuşnad. Der erste Abschnitt unserer Reise liegt hinter uns.
Hier wollen wir einen Ruhetag einlegen, einen Wandertag zum Sankt-Annen-See und zu
jenem Tunnel, der einem Alp gleich an unseren Nerven zerrt.
Klar und hell ist der Himmel am Morgen. Durch dunkle Fichtenwälder führt der Weg,
aufwärts, immer höher aus dem Tal des Alt hinauf, über einen Bergrücken und jenseits hinab
in einen weiten Kessel, in dem ebenso klar und hell wie der sich in ihm spiegelnde Himmel,
der Sankt-Annen-See liegt. Es ist eine eigenartige Sache, am tiefsten Punkt einer Landschaft
zu stehen, von dem es kein weiteres Hinab, sondern allseitig nur ein Hinauf gibt. Noch nie
hatte ich, den Meeresstrand ausgenommen, an einem Wasser gestanden, welches nicht
irgendwo einen Abfluss, eine Lücke, aus dem sein Überschuss entweichen konnte, gehabt
hatte. Hier gibt es keine Lücke. Ringsum ein geschlossener Wall und dort, wo wir am kühlen
Vormittag leichten Fußes herunter sprangen, schwitzen wir uns nun unter einer stechenden
Mittagssonne wieder empor, unserem nächsten Ziele zu – dem Tunnel bei Bixad. Weit unten
im Tal sehen wir die Häuser, die Straße, den Alt, dunkel sein Wasser, dort, wo er sich
zwischen Weiden unseren Blicken entzieht, hell das Wasser dort, wo der Fluss an Felsen
brandet, über Stufen und Blöcke braust.
Vom breiten Asphaltband der DN 12 zweigt eine Schotterstraße zum Steinbruch jenseits des
Flusses, sie führt uns hinunter auf den Grund der Alt-Schlucht. Links unter uns schiebt sich
eine schmale Felszunge in den Fluss, und da ist auch der Tunnel! Ein Felstor durchbohrt das
Riff an seinem Fuß. Vor der Felswand ist große Turbulenz, der Tunnel selbst ist beim
derzeitigen Wasserstand nicht durchfahrbar – er ist zu niedrig. Man kann aber vor dem
Ganzen, ohne große Mühe, am rechten Ufer landen und dann in Ruhe das Riff rechts
umfahren. Zufrieden mit dieser günstigen Lösung machen wir uns, immer am Fluss entlang,
auf den Heimweg.
Und das ist gut so, denn da sind noch weit schwierigere Passagen als jene mit dem Tunnel.
Wir sehen uns an und schweigen. Einige würden das schon schaffen – aber die
Ungeübteren? Können die Geübtesten unter uns es verantworten, hier mit Kind und Kegel
entlangzubrausen?
Es hat viel geregnet in letzter Zeit, wenn das Wasser etwas fiele, wenn die Geschwindigkeit
sich etwas mäßigte – dann? Vielleicht? Die stechende Sonne des Mittags ist verschwunden,
schwarze Wolken schieben sich über das Tal – Nachschub für den Fluss. Wir liegen in den
Zelten und hoffen, dass das Wasser fällt – das Wasser steigt! Wir liegen und lauschen dem
Rauschen des Wassers bei Nacht – es rauscht vom Himmel, das Wasser steigt! Wir
wandern am Morgen und beratschlagen am Abend – die Tage haben ihren Rhythmus.
Nachts regnet es, morgens scheint die Sonne, mittags Gewitter, abends ist Schönwetter.
Wir steigen zur „Stânca Şoimilor“ und liegen während des mittäglichen Gewitters im heißen
Wasser des Thermalbades – wir hoffen, dass das Wasser im Fluss weniger werde, das
Wasser im Thermalbecken wird abgelassen, das Wasser im Fluss steigt weiter. Von elf
Bootsbesatzungen sehen acht ihren unvermeidlichen Untergang auf der vor uns liegenden
Etappe voraus – nur drei Kapitäne sind Willens, an Bord zu bleiben. Es ist verständlich. Sah
der Alt bei unserer Ankunft schon wild aus, so ist er nun gewaltig – doch, wenn das Wasser
als Transportmittel entfällt, wer oder was soll uns, unser Gepäck und unsere Boote
transportieren? Ein LKW – woher nehmen? Zu Fuß – mit Rucksack und Bootswagen?
Irgendwie wird es gehen – irgendwie muss es gehen!
Wir genießen das heiße Wasser, bis zum letzten Tropfen. Wir verlassen das Thermalbecken
erst, als die letzte Pfütze nicht mehr in der Lage ist, unsere Körper – in günstigster Lage – zu
bedecken. Die ersten blauen Fenster zeigen sich wieder am Gewitterhimmel. Der Abend
kündigt sich mit Schönwetter an. Dem Bad gegenüber, auf der anderen Seite des Alt, liegt
der Campingplatz. Er ist gut ausgestattet, man tut viel für das Wohl der Gäste, Tuşnad ist ein
international bekanntes Kurbad, das macht sich überall im Ort bemerkbar. Und so ist es kein
Wunder, dass man hier etwas hat, was uns bei seinem Anblick mit Entzücken erfüllt. Einen
kleinen Zug. Eine Lokomotive, unter deren äußerem Habitus sich ein Traktor verbirgt, und
zwei kleine Wägelchen, mit denen man zum Vergnügen der Kurgäste Spazierfahrten
unternimmt. In großen Lettern prangt an seinen Flanken der Name der Kurstadt. Wenn wir
diesen Express für eine oder zwei Stunden mieten könnten?
Wir können! Pünktlich, zur vereinbarten Zeit, steht am nächsten Morgen das originelle
Gefährt zur Verfügung. Es macht Mühe, Boote, Gepäck und das fahrunwillige Personal in die
für solcherart Transport nicht gedachten Wägelchen zu laden. Doch es gelingt, und unter
dem Jubel unserer Kinder setzt sich schließlich das Vehikel in Bewegung.
Christine, Gunter, Helmut und ich bleiben zurück, schlendern hinunter zum Fluss, wo uns, im
hier noch ruhigen Wasser leicht schaukelnd, unsere Boote erwarten. Wir wissen, noch
wenige Meter, dann beginnt der Tanz der Wellen. Und unsere Boote tanzen mit, doch
leichter als sonst wiegen sie sich, schneller reagieren sie, williger folgen sie unserem Wollen
– heute sind sie nicht aufs äußerste beladene Lastesel, sondern feurige Rassepferde, auf
denen geübte Reiter die Hürden nehmen. Und es ist eine Lust, den Fluss hinab zu reiten.
Die Felsblöcke sind im hohen Wasser verschwunden, und nur die Gewalt des fließenden
Wassers kann uns heute gefährlich werden. Am Campingplatz erwartet uns fast vollzählig
das Personal – nur einer fehlt, der „Lokomotivführer“ vom Tuşnad-Express. Man winkt uns
zu, wir winken zurück – vorbei, vorbei. Die ersten kleineren Felswände treten ans Ufer, wir
wissen, nun wird es ernst. Eine Linkskurve noch und vor uns die heikelste Stelle. Hier kann
der erste Fehler der letzte sein – eine schwierige Traversierung der reißenden Strömung,
dann liegt auch das hinter uns. Die Spannung löst sich, freier nehmen wir unsere Umgebung
wahr – den tosenden Fluss, die sich öffnende Schlucht, die Tannen an den Berglehnen, den
makellosen Himmel und die das kalte Nass ringsum vergessenmachende Sonne. Der
„Tunnel“ birgt für uns keine Schrecken und keine Schwierigkeiten mehr, er ist der Abgesang
des Flusses an seine Bezwinger. Der Talgrund wird weiter, Zelte stehen am Ufer, unsere
Zelte, wir sind am Ziel.
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 88, S. 50 – 54)
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51 | Es macht Mühe, Boote, Gepäck und das fahrunwillige Personal in die für solcherart Transport nicht gedachten Wägelchen zu laden. Doch es gelingt und unter dem Jubel unserer Kinder setzt sich schließlich das Vehikel in Bewegung. |
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