Die wehrlosesten Wesen der Erde – Einladung zum Schutz der Naturflora
von Ferdinand Täuber
Im ewig währenden Kampf ums Dasein hat die Natur die Pflanzen nur spärlich zu ihrer
Selbstverteidigung ausgerüstet. Nur wenige tragen Dornen (Christusdorn, Sauerdorn),
Stacheln (Stechpalme, Stachelbeere), Brennhaare (Brennnessel) oder sind giftig
(Tollkirsche, Herbstzeitlose). Fast alle sind unbeweglich, an denselben Ort gefesselt, wo es
eben ihrem Samen zu keimen gelang. Bloß der Wind peitscht ihre Stängel oder Äste, bewegt
ihre Blätter und trägt ihren Blütenstaub, ihre Früchte oder Samen übers Land. Sie können
nicht vor ihren Quälern oder Feinden flüchten. Viele Pflanzen sind zierlich, schön und duften
auch ganz angenehm. Sie sind vorzüglich dafür ausgestattet, andere Lebewesen,
insbesondere Insekten, anzulocken. Es sind die friedlichsten und freundlichsten Wesen, und
ihre Schönheit ist oft ein Gipfelpunkt des Schönen.
Gegenwärtig befinden sich auf Weltebene schon mehr als 20.000 Pflanzenarten in höchster
Gefahr, auszusterben. Das Überleben jeder fünften Blütenpflanze ist bedroht. Die „Blumen“
sind also die wehrlosesten Wesen unserer Erde, sie sind notwendigerweise hilfebedürftig.
Und wer anders kann sie besser beschützen und von vor dem Untergang bewahren als der
Mensch?
Wer aber und was zählt zu ihren Hauptfeinden? Unser zivilisiertes Schaffen mit
fortgeschrittenen technischen Hilfsmitteln nimmt vielen Blütenpflanzen ihren früheren,
natürlichen Wuchsort weg. Schon seit alten Zeiten wichen und weichen zahlreiche
Wildpflanzen der Pflugschar und der Axt. Die radikale Umänderung von Naturräumen, das
Trockenlegen von Feuchtgebieten, die vielseitige Bautätigkeit, die eilige Industrialisierung
und Verstädterung, die Modernisierung des Verkehrsnetzes, der Ausbau des Tourismus, die
Anlage von hydroenergetischen Betrieben, das Sammeln der Wildpflanzen zu verschiedenen
Zwecken – all dies prägt neue Landschaften, stört das Gleichgewicht in der Natur. Die
Schadeinflüsse auf die Pflanzenwelt sind aber damit noch nicht alle erwähnt. Denn die
Pflanzenfresser und die Weidewirtschaft sind auch nicht zu vergessen.
Es entstand allmählich die Notwendigkeit, die Bedrohung der Blütenpflanzen durch
gesetzlich geregelte Interdiktionen einzudämmen. Das Bewusstsein der Menschen wurde
soweit wach und reif, um einzusehen, dass die Vernichtung und Ausrottung der „grünen
Wesen“ unwiderruflich keinen Schadenersatz zulässt. Wenn man auch nicht so sehr an das
gleiche Recht auf Leben der Pflanzen und Tiere denkt, so muss man doch einsehen, zu
welchen Schäden und Verlusten das Verschwinden vieler Pflanzenarten führt. Zahlreiche
Pflanzenarten werden auf Weltebene geschützt und als Naturdenkmäler erklärt. Davon
ausgehend, entstanden auch bei uns die ersten Naturreservate und National- oder
Naturparks.
Hierzulande, im rumänischen Karpatenraum stehen vorläufig 23 Pflanzenarten unter
Naturschutz und weitere 32 selten gewordene Blumen erwarten die legale Benennung, um
landesweit geschützt zu werden. Eine ganz besondere Achtung wird diesbezüglich den
landeseigenen, hier entstandenen und sehr bedeutsamen Phytoendemiten geschenkt, da ihr
gänzliches oder endgültiges „Verblühen“ auch eine Verarmung der Flora auf Weltebene
ausmachen würde. Zu der Pflanzenzierde unserer Heimat gehören auch die Banater Kiefer,
der Siebenbürgische Flieder, der Christusdorn, die Banater und die Steppen-Pfingstrose, das
Siebenbürgische Leberblümchen, die Karpaten-Glockenblume, der Gelbe Gebirgsmohn, der
Punktierte Enzian, Jankas Gebirgs-Lilie, die einheimischen Seerosen u. v. a., welche durch
die Naturschutzkommission als Naturdenkmäler vorgeschlagen wurden.
Wirksamster Pflanzenschutz erfolgt aber durch die Erhaltung der natürlichen Lebensräume.
Das gültige Naturschutz-Gesetz ermöglichte die Gründung eines Netzes von botanischen
Naturreservaten, wie auch bereits im Jahr 1935 die Anlage des Nationalparks Retezat, in
welchem die wertvollsten endemischen und seltenen Blütenpflanzen der Pflanzendecke
Rumäniens geschützt sind. In der Perspektive soll aber auch ein wissenschaftlich belegtes
System von zwölf National- und zwei Naturparks die Hauptrolle beim Schutz der
Karpatenflora übernehmen.
So wie die Pflanzen uns so reich beschenken und uns nützlich sind, so müssten auch wir
ihnen wenigstens mit ihrem elementaren Recht auf Leben danken. Die „grünen Wesen“ mit
ihren bunten Blumengesichtern sind die wichtigsten Boten des Lebens! Nur ihnen gelingt es,
mittels der Photosynthese, bei welcher das Sonnenlicht mitwirkt, ausgehend von leblosen,
anorganischen Stoffen (Wasser und Kohlendioxyd), organische, für das Leben
charakteristische Stoffe zu erzeugen. Sie sind die einzigen „Lebensfabriken“, die uns mit
pflanzlichen Nahrungsmitteln versorgen. Gemüse, Obst und Getreideprodukte (Teigwaren)
sind aus unserer Nahrung nicht wegzudenken. Die Pflanzen sind auch die ersten Glieder aus
den „Ernährungsketten“ der Natur. Wo die Weidetiere auf der Wiese zu weiden beginnen, ist
auch aller Anfang für alles Fleisch aus dem Tierreich und für alle uns gelieferten
Fleischwaren.
Um Blumen pflücken oder kaufen zu können, müssen sie meistens zuerst gepflanzt und
gepflegt werden. Sie sind dann Freudelohn unserer Arbeit und Verdienst unseres Gefallens!
Die Blumen in der Vase sind ein modernes Verlangen und die Äußerung der Sehnsucht nach
den Schönheiten der Natur, nachdem wir sie verlassen haben. Durch einen Blick nur auf die
Blumenfarben und formen oder durch die Wahrnehmung ihres Duftes fühlen wir uns schon
wohler und beruhigen uns oft.
Wir müssen den Blumenpflanzen eine größere Achtung schenken und sie wieder besser in
unser Herz schließen. Herzen, in welchen keine Blumen blühen, bleiben bald ohne Gefühl,
sie werden kühl! Als zarteste und wehrloseste Wesen sind die Blumen die Zierde der Erde,
die ersten und letzten Stützpunkte des Lebens! Unser Blick in die Zukunft soll auch mehr auf
die Blumen gerichtet sein, auf die blühende Naturflora, die unserer Hilfe und unseres
Schutzes bedarf!
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 88, S. 134 – 137)
Seite | Bildunterschrift |
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134-ul | Gelber Enzian |
134-ur | Die zartblättrige Steppenpfingstrose |
135-or | Frühlings-Adonisröschen |
135-ul | Herbstzeitlose |
135-ur | Karpatenglockenblume |