von Peter Popp
Es fällt nicht leicht, die wohlige Wärme des Schlafsacks aufzugeben, jedoch als wir das Zelt
öffnen, belohnt der Anblick einer stimmungsvollen Morgenszene diese Mühe.
Unter uns hat die Nera ihr Flussbett in dichte Nebelbänke gehüllt, aus denen nur noch die
Spitzen des Weidengebüschs hervorlugen. Schon zeigen die ostwärts liegenden
Waldkuppen einen goldenen Saum, der das baldige Aufsteigen der Sonne über den Kamm
ankündigt.
Hoffentlich trocknet sie schnell unser Zelt und das vom Morgentau durchnässte Gras, damit
wir die Vorbereitung zu einem der reizvollsten Erlebnisse, die das Banater Bergland dem
Wassersportliebhaber bietet, abschließen können: die Durchfahrt der Neraklamm.
Gestern hatten wir uns mit dem braven Skoda, von Arad kommend über Reschitza und
Anina dem Ausgangsort des Unternehmens, Şopotu Nou, nicht ganz unkompliziert genähert,
wobei Sohn Alexander (12) und die Zwillingstöchter Anja und Maja (10 Jahre) immer wieder
Rufe des Entzückens über die Schönheit des Banater Berglandes von sich gaben. Und nun
glänzen etwa 3 km oberhalb der Ortschaft prall aufgeblasen die beiden Gummiboote am
Flussrand in der Morgensonne und warten auf ihre erste Bewährungsprobe.
Nach dem Verzehr des Frühstücks geht es an den Abbau des Lagers und das Packen der
Boote. Für zwei Tage müssen wir alles Notwendige mit uns führen. Der Zielort Sasca
Montană ist zwar nur 18 km Luftlinie entfernt, jedoch zwingen die Felsen des
Durchbruchstales dem Fluss immer wieder teilweise rückläufige Flussrichtung auf, so dass
die Gesamtlänge der Nera zwischen diesen beiden Orten auf mindestens das Doppelte
geschätzt werden muss, weshalb man, um vor allem den Kindern nicht zu große
Anstrengungen zuzumuten, mit einer Übernachtung rechnen muss. Mit dem Besitzer des
kleinen, verträumten Gehöfts, das hinter dem Maisfeld liegt, an welchem wir unser Zelt
aufgeschlagen hatten, sind wir schnell einig; und so können wir unser Fahrzeug, in das wir
den Rest der Lagerausrüstung verstaut hatten, für die kommenden zwei Tage im Hof sicher
einstellen.
Nicht nur die Kinder, sondern auch meiner bemächtigt sich eine prickelnde Spannung.
Werden wir das vor uns liegende Abenteuer gut bestehen? Kennen wir doch den Verlauf des
Flusses durch das Gebirge nur aus der Erzählung guter Freunde; und ich fühle wieder
einmal, dass der Reiz des Erlebens eines Gebirges nicht nur hoch oben in seinen
Steilwänden zu suchen, sondern auch tief unten in seinen Schluchten und Tälern zu finden
ist.
An der Stelle, wo wir die Boote einlegen, ist die Nera etwa 12 m breit. Der Fluss, der hier
noch behäbig das breite Tal der „Depresiunea Almăjului“ durchfließt, hat von den oberhalb
liegenden Ortschaften offensichtlich nicht unbeträchtliche Mengen schmutziger Abwässer
aufgenommen, so dass er sich in bräunlich-grauer Trübe präsentiert. Uns bleibt nichts
anderes übrig, als dies in Kauf zu nehmen und unsere Stimmung vorerst dadurch nicht
beeinflussen zu lassen.
Maja setzt sich zu mir ins Boot, und Alexander und Anja sollen ständig vorausfahren, damit
ich sie stets gut im Auge behalten kann. Viel Arbeit gibt es zu Beginn noch nicht. Das
Wasser fließt ruhig dahin, und nur von Zeit zu Zeit muss mit dem Paddel leicht die Richtung
des Bootes korrigiert werden. Der Laubwald über dem Fluss bildet jetzt eine Art Tunnel, der
ab und zu von grellen Sonnenstrahlen durchschnitten wird. Doch bald öffnet sich das
Laubdach und gibt den Blick auf das Semenikgebirge (Anm. Anina-Gebirge F.K.) frei. Rechts
von unserer Richtung klafft ein tiefer Einschnitt. Im Dunst des Vormittags erkennen wir, dass
steile Felswände seine Seiten begrenzen – offensichtlich das Tor der Einfahrt ins Gebirge.
Links tauchen die Häuser von Şopotu Nou auf, und einige neugierige Blicke folgen
verwundert unserer kleinen Expedition.
Im Bereich einer chaotischen, vom Wasser durchrieselten Geröllzone laufen unsere Boote
auf Grund. Wir steigen aus und ziehen die Boote an ihren Halteleinen etwa 50 m durch
knöcheltiefes Wasser zum Abfluss des Geröllfeldes. Von hier aus ergießt sich die Nera
schmaler und schon wesentlich reißender als bisher zwischen den Felswänden der
Eingangsschlucht ins Gebirge.
Nun heißt es aufpassen, denn unsere Geschwindigkeit erhöht sich enorm, und wir schießen,
immer die tiefste Stelle suchend, durch die Stromschnellen. Manchmal treibt uns die
Strömung gefährlich nahe ans Ufer heran, wo bizarre Wurzeln oder spitz abgeknickte Äste
nur darauf lauern, sich in den Bootskörper einzuspießen. Wir haben alle Hände voll zu tun,
um der Fahrrinne folgen zu können, die sich slalomartig durch aus dem Fluss ragende
Gesteinsbrocken hindurchschlängelt. Zum Glück folgen solchen unruhigen Strecken immer
wieder Bereiche in denen das Wasser, oftmals bedingt durch natürlichen Stau, ruhig
dahinfließt, so dass man sich auch der Landschaft widmen kann.
Meist sind die Steilhänge der beiden Ufer von dichtem Laubgehölz überwuchert und von
ihrem oberen Ende an, etwa 50 – 60 m über dem Fluss, ragen aus ihnen kahle, manchmal
über hundert Meter hohe Felswände empor. Nur ab und zu wird die Stille des Tales durch
schrille Schreie von Vögeln unterbrochen, die ihre Artgenossen vor den Eindringlingen in das
Reservat warnen wollen. Doch nicht lange währt die Ruhe. Immer lauter anschwellend
gemahnt uns das Rauschen des Wassers, es heißt wieder aufpassen. Der den Stau
abschließende Wall hat meist irgendwo einen tieferen Einschnitt, durch den man mit dem
Boot „hindurchgeschossen“ wird, und es gilt mit großer Aufmerksamkeit schon früh genug
die richtige Stelle zu entdecken, weil dann alles so schnell geht, dass keine
Richtungsänderung mehr möglich ist.
Nicht immer gelingt uns das, und einige Mal läuft das Boot mit scharrendem Geräusch auf
die Steine des Walls auf, dass man befürchten muss, der Länge nach aufgeschlitzt zu
werden. Dass dies nicht geschieht, ist der ausgezeichneten Qualität der Boote zu danken.
Ich glaube auch, dass ein starres Faltboot der Neraklammdurchfahrt nicht gewachsen ist.
Einmal aufgefahren, heißt es aussteigen und das Boot wieder in tiefere Bereiche treideln. Im
Übrigen lief mein Boot häufiger auf Grund als das von Alexander und Anja, da ja Maja und
ich aufgrund meines höheren Gewichtes einen größeren Tiefgang hatten, und so mussten
wir einige Mal angestrengt arbeiten, um den Rückstand gegenüber dem ersten Boot wieder
wettzumachen.
Jetzt haben wir die Beiden doch aus den Augen verloren, und als wir um die nächste
Flussbiegung herumsteuern, sehen wir die Bescherung. Fast gekentert und schon halb mit
Wasser angefüllt, wird das Boot von der Strömung an eine weit in die Fahrrinne ragende
Wurzel gepresst. Alexander, bis zum Hals im reißenden Wasser stehend, kämpft verzweifelt
darum, es wieder flott zu bekommen. Zum Glück gelingt ihm dies wenige Momente bevor
uns die Strömung an dieser Stelle vorbeijagt; und so entgehen wir nur knapp dem gleichen
Schicksal. Der folgende Abschnitt ist ruhig, so dass wir am linken Ufer eine Sandbank
ansteuern können, die es ermöglicht, die Boote erst einmal wieder vom Wasser zu befreien
und die Trockenpause zu einem Imbiss zu nutzen.
Hier treffen wir nach vielen Stunden einsamer Fahrt die ersten Touristen. Vom Wanderpfad,
der durch das Tal führt, haben wir bislang nichts gesehen. Er schlängelt sich meist eng an
den Felswänden entlang und ist von Laubgehölz oft dicht umwachsen. Wie wir später sahen,
hat man ihn dort, wo die Steilwände hart ans Ufer treten, sogar in den Fels eingehauen.
Da es inzwischen recht warm geworden ist und etwa ein Drittel der Strecke zurückgelegt
wurde, entschließen wir uns zu einem erfrischenden Bad. Dabei wird uns erst bewusst,
welch Wunder die Natur vollbracht hat. Schon seit einiger Zeit ist das Wasser kristallklar. Die
Unberührtheit des Flusslaufes, seine Pflanzen- und Mikrobenwelt und der in den
Stromschnellen aufgenommene Sauerstoff haben ihre Wirkung getan und es dem Gewässer
ermöglicht, schon im Verlauf von 12 km seit der letzten Ortschaft sich vollständig aus eigener
Kraft zu reinigen.
Unser Tagesziel sollte Lacul Dracului, der Teufelssee sein. Leider hatten unsere Freunde
vergessen, uns mitzuteilen, dass der See erhöht auf einem kleinen Plateau liegt, und so sind
wir offenbar daran vorbeigepaddelt, ohne etwas von ihm bemerkt zu haben.
Inzwischen befinden wir uns etwa im Zentrum des Gebirgskammes. Die Felswände sind
höher geworden (bestimmt über 200 m) und näher zusammengerückt. Auch jetzt
durchfahren wir wieder eine domartige Erweiterung des Tales, deren rechte Seite von einem
kurzen, in etwa 5 m hohe Stufen gegliederten, mit Gras und Gebüsch bewachsenen
Steilhang gebildet wird, ein geeigneter Ort, unser Biwak aufzuschlagen.
Mit einiger Mühe gelingt es uns, die Boote heraufzuziehen. Es hat sich merklich abgekühlt,
und ein scharfer Wind bläst durch die canonartige Schlucht. Das ist uns von großem Nutzen,
denn Anjas und Alexanders Schlafsäcke hatten bei dem Kentermanöver doch erhebliche
Mengen an Feuchtigkeit aufgenommen, und so verhilft ihnen der Wind zum schnellen
Abtrocknen. Rasch ist das Zelt für die Mädchen aufgebaut. Für Alexander und mich ist ein
Zeltsack vorgesehen, und schon summt anheimelnd der Benzinkocher. Das Gebüsch
ringsum erweist sich als Brombeergesträuch, welches in einem Ausmaß mit reifen Beeren
behängt ist, wie man es selten zu Gesicht bekommt. Das ist eine willkommene Gelegenheit,
unsere Campingnahrung mit wertvollen Vitaminen anzureichern.
Der Morgen weckt uns mit empfindlicher Kälte. Gras, Gebüsch und Zeltzeug sind vom Tau
völlig durchnässt. Schon werden die oberen Regionen der Felswände von den Strahlen der
Sonne in helles Licht getaucht. Es dauert jedoch noch lange, bis sie zu uns gelangen, um
hier ihre wärmende und trocknende Arbeit zu verrichten. So nehmen wir nur ein kurzes, aber
kräftiges Frühstück ein, und setzen mit unserer gesamten Ausrüstung auf eine trockene
Geröllbank am anderen Ufer über, die es uns erlaubt, doch einigermaßen trocken das
Gepäck in den Booten zu verstauen.
Nebelschwaden hängen noch über der Wasserfläche, als die zweite Etappe der Fahrt
beginnt. Heute sitzen Anja in meinem und Maja in Alexanders Boot. Bei den ersten
Stromschnellen spüre ich doch einen beträchtlichen Muskelkater und beginne Alexander zu
bewundern, der mit seinen Knabenarmen ein Paddel des gleichen Gewichts führen muss,
und so kann man nur zu gut verstehen, dass er sich hin und wieder doch bei Maja beklagt,
ohne jedoch aufgeben zu wollen. Auch die Mädchen erfüllen diszipliniert alle Anforderungen
des Unternehmens. Oft helfen sie den Bootsführern mit sachkundigen Hinweisen, die richtige
Orientierung durch das Gewirr von Felsblöcken zu finden, und an ruhigeren Stellen
übernehmen sie auch ab und zu das Paddel, was uns wieder hilft, für die nächsten
Stromschnellen neue Kräfte zu sammeln.
Am heutigen Vormittag glaubt man in eine „Sackgasse“ einzufahren, weil die Wände
anscheinend jeglichen Weiterweg versperren. Meist im letzten Augenblick erst entdeckt man
den Weiterweg, wenn der Fluss, scharf rechts oder links abbiegend, hinter einer Felskante
verschwindend, doch noch eine Ausweichmöglichkeit findet.
Kein Abschnitt der Klamm gleicht dem anderen. Bald treten die Felswände aus dem linken
Ufer steil heraus, dann wieder begrenzen sie manchmal auch überhängend die rechte Seite
des Flusses. Links erkennen wir jetzt etwa sechs Meter über dem Wasserspiegel den schon
erwähnten Pfad, der tief in den Felsen eingehauen ist. Aber nur selten scheint er begangen
zu sein, denn auch heute ist uns noch keine Menschenseele begegnet. Es gelingt, die Boote
am Ufer zu befestigen und den Pfad an einer flacheren Stelle zu erklimmen. So gelangen wir
einhellig zur Feststellung, dass auch eine Durchwanderung der Neraklamm mit Sicherheit
ein lohnendes touristisches Erlebnis sein könnte. Auf der Weiterfahrt dringen langsam die
Veränderungen der Landschaft in unser Bewusstsein. Wir haben den Hauptkamm hinter uns
gelassen. Allmählich werden Berghänge und Felswände wieder niedriger, das Tal erweitert
sich und der Fluss ist weitaus friedlicher geworden, für uns eine Gelegenheit, sich in aller
Ruhe dem Genuss der Fahrt hinzugeben. Dort, wo das Wasser zu weit in die Breite geht,
heißt es ab und zu auch wieder einmal treideln.
Wie zum Abschied treten am Nachmittag die nun nur mehr 50 bis 60 Meter hohen
Felswände noch einmal dicht an den Fluss heran, einige großartige Kessel bildend, durch
die sich der Flusslauf hindurch windet. An der Prallseite der Flusswindungen hat das Wasser
im Laufe der Jahrhunderte eine Reihe von Höhlen ausgewaschen, die es mitunter sogar
gestatten, mit dem Boot hinein zu fahren. Aus einem der Gewölbe sprudelt uns munter eine
Quelle entgegen, was wir nutzen, unsere Trinkflaschen wieder mit kristallklarem Wasser zu
füllen. Dann verlassen wir durch eine Art Flusstor den letzten der Felsendome. Nun geht die
Fahrt durch eine von Laubwald bewachsene Hügellandschaft, in der sich immer stärker die
Zeichen der nahenden Zivilisation häufen. Von Zeit zu Zeit steht ein Campingzelt zwischen
den Weidenbüschen. Auf einer Sandbank tummeln sich Badende.
Es dauert noch eine beträchtliche Zeit, bis wir endlich über dem Laubwald die
Kirchturmspitze von Sasca Montană auftauchen sehen. Einige betonbewehrte
Regulieranlagen erschweren die Einfahrt in die Ortschaft, aber endlich am späten
Nachmittag sind wir dann am Ziel und ziehen die Boote mitten in den Ort über die etwa 6 m
hohe rechte Uferböschung auf eine kleine, von Maisfeldern umgebene Wiese empor, einem
geeigneten Platz für unser Zelt. Ein wenig erschöpft, aber glücklich bereiten wir das Lager
vor. Alles wird zum Trocknen ausgebreitet, und bald ertönt auch wieder das vertraute
Summen des Benzinkochers. Unter der gastfreundlichen Obhut einer Touristengruppe
verbringen die Kinder einen schönen Abend am Lagerfeuer, während ich unser Auto von der
anderen Seite des Gebirges hier herüber bringen muss.
Etwa 19.00 Uhr bringt mich ein Schichtbus für Bergarbeiter nach dem hoch in den Bergen
gelegenen Ort Cărbunari, von wo ich etwa 12 km meist auf Waldwegen den Bergkamm
entlangtrabe. Oberhalb von Şopotu Nou hilft mir die letzte Abenddämmerung noch den
Abstieg ins Tal zu finden, und nach einigen Kilometern Landstraße bin ich am Gehöft, in
dessen Einfriedung gut behütet das Auto wartet. Noch ein paar Dankesworte, und schon
schraube ich mich über Serpentinen wieder zum Bergkamm empor. Kurz nach Şopotu Nou
ist es mit dem Asphalt zu Ende, und jetzt wird der Wagen durch eine Geröllfahrt höchsten
Prüfungen unterzogen. Kurz vor Mitternacht erreiche ich das Lager auf der anderen Seite
des Gebirges und finde die Kinder in tiefen Schlaf gesunken vor. Ich glaube, wir werden
noch lange von diesem Ferienerlebnis zehren können.
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 88, S. 13 – 21)
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15 | Ruhig fließt das Wasser dahin. Man kann sich nun auch der Landschaft widmen. |
17 | Rastplatz am Nera-Ufer. Nach einem aufregenden Tag endlich die wohlverdiente Ruhe. |
19 | Auto, Zelt und Boote. So begann unser Nera-Abenteuer und so endete es auch. |