Zwei Wintertouren im Rodna-Gebirge
von Gerhard Bonfert
Wir waren der Einladung eines Bergfreundes, an einer Tagestour zum Prislop-Pass
teilzunehmen, gefolgt. Er verbrachte, wie auch wir, einige herrliche Skitage im
Rodna-Gebirge. Vom Prislop-Pass, einem der Eingangstore in diese nördliche Provinz, wollten wir,
den Hauptkamm streifend, über den Ştiol zurück zum Touristenkomplex Borşa (845 m ü. d.
M.), unserem Stammquartier, wandern. Um den langen Anmarsch zu verkürzen, nahmen wir
die Gelegenheit wahr und schlossen uns einer Gesellschaft an, die mit einem Kleinbus das
gleiche Ziel erreichen wollte.
Der Bus rollte anfangs die Bergstraße DN 18 hoch, immer dem Lauf des Borşa-Baches
folgend, um nach einigen Kilometern das Tal zu verlassen und in endlosen Serpentinen
durch schöne Tannenwaldungen den Berg empor zu klimmen. Ein plötzlicher Knall machte
dem Fahrvergnügen bald ein Ende. Der Fahrer versicherte, den Schaden so rasch wie
möglich zu beheben; wir aber wollten nicht warten und Zeit verlieren. Also schulterten wir die
Skier und machten uns auf den Weg. Da der Schnee hoch lag, war an Abkürzungen nicht zu
denken (man sollte bei Wintertouren darauf verzichten, da sie anstrengend sind und man mit
den Kräften haushalten muss), also schritten wir auf der Straße entlang. Der knapp
einstündige Marsch durch den schneebedeckten Hochwald war nicht überaus anstrengend.
Entlohnt wurde man für die Mühe durch die Fülle der Bilder, die sich uns boten, so dass wir
immer wieder in Versuchung gerieten, ein Foto zu „schießen“. Das Grün der Fichtennadeln
war unter dem Schneemantel kaum zu erkennen. Die Tannenäste glitzerten in der Sonne
wie mit Diamanten geschmückte Geschmeide. Hie und da gab es auch einen Ausblick auf
den Pietrosul Rodnei (2303 m ü. d. M.), seinen von der Sonne majestätisch vergoldeten
Gipfel. Majestätisch, da er etwas abseits von dem Hauptkamm liegt und so noch größer und
imposanter erscheint, als er schon ist.
Hundegebell zeigt an, dass die Prislop-Herberge in der Nähe sein muss. Tatsächlich
erblicken wir sie auch nach der letzten Serpentine. Nach kurzer Rast und einem heißen Tee
steigen wir noch etwa 500 m aufwärts und stehen schließlich auf dem 1416 m hohen
Prislop-Pass. Von hier oben genießen wir unser erstes großes Gebirgspanorama mit dem Pietrosul
rechts und dem Ineu (Kuhhorn – 2279 m) links. Der Ausblick auf die weiße Bergwelt ist
überwältigend.
Der Prislop-Pass ist durch ein schön geschnitztes typisches Maramureşer Holztor
gekennzeichnet. Jedes Jahr findet hier am zweiten August-Sonntag das bekannte Volksfest
„Hora de la Prislop“ (Prislop-Reigen) statt, an dem Laienkünstler in ihren malerischen
Trachten aus der Maramureş und den benachbarten Kreisen Bistritz-Nassod und Suceava
teilnehmen.
Obwohl die warme Sonne zu einem Sonnenbad einlud, der schöne Ausblick zum Verweilen
lockte, mussten wir weiter. Nun aber mit angeschnallten „Bretteln“. Rechts abzweigend,
verlassen wir die Straße – sie führt über Cârlibaba nach Iacobeni dem Lauf der Goldenen
Bistritz folgend – und steigen in gerader Richtung einen sanften Bergrücken zur
Prislop-Sennhütte hinauf. Es folgt eine steile Abfahrt in eine Talmulde, die wir auf der
gegenüberliegenden Nordseite hochklettern müssen. Der Weg durch den Tannenwald und
tiefen Schnee ist beschwerlich. Kleine Tannen ragen wie kugelartige Gebilde aus dem
Schnee. Vielleicht sind es aber auch nur Baumstümpfe oder Felsen. Nach einer Stunde
lichtet sich endlich der Wald. Wir haben den Kamm erreicht. Der Gipfel des Kuhhorns ist
etwas näher gerückt, auch kann man die Spitze des Gărgălău (2159 m) erkennen sowie
viele andere Gipfel. Aber sie liegen so weit! Es ist Zeit zum Essen. Man macht es sich
bequem und lässt die Blicke in die Runde schweifen. Wegen dem gleißenden Schnee und
der starken Sonnenwirkung ist es geraten, Sonnenbrillen oder Skibrillen zu tragen.
Die Landschaft wird von kahlen Bergrücken abgelöst, Tannen sind nur noch vereinzelt
anzutreffen. Hier oben ist die Schneedecke nicht tief; der Schnee haftet schwach auf dem
felsigen Untergrund und wird von dem Wind weggeblasen. Nach etwa 15 Minuten erreichen
wir den Gipfel des Ştiol (1612 m), den höchsten Punkt der Wanderung. Es ist schon
Spätnachmittag, im Licht der untergehenden Sonne werden die letzten Aufnahmen gemacht
und dann beginnt der schönste Teil des Tagesausflugs: die mehr als 3 km lange Fahrt zum
Touristenkomplex Borşa. Doch vorerst noch ein Rundblick: Unter uns liegen Borşa und das
Wischau-Tal, das die nördliche Grenze zwischen dem Rodna- und dem Maramureş-Gebirge
bildet; im Hintergrund die felsige Toroiaga (1931 m), der Cearcănu (1849 m) und hinter dem
Fichtenwald der Prislop-Pass. Dann der breite Rücken des Gărgălău (2195 m), schließlich
die Cimpoieşu-Spitze (1942 m), der Galaţu-Gipfel (2048 m) und weiter in der Runde die
Piatra Rea, die Buza Dealului (dahinter die Gipfel der Puzdrele – 2194 m) und der den Kreis
schließende Pietrosul, der höchste Gipfel des Rodna-Gebirges.
Die schönen Februartage, die schneebedeckten Berge, die herrliche Tour von vor zwei
Tagen – sie alle nährten den Wunsch, erneut in die winterliche Pracht des Hochgebirges
einzudringen. Äußerst gelegen kam uns die Einladung von Dr. Lajos Görffy aus Baia Mare,
der im Vorjahr als Leiter einer siebenköpfigen rumänischen Bergwacht-Mannschaft den
Elbrus (5642 m) im Kaukasus bestiegen hatte, einen Aufstieg zum „Großen S“ – einem
phantastischen Skigelände – auf der Buza Dealului (etwa 1600 m) zu versuchen. Wir
überlegten nicht lange. Ein herrlicher Wintertag mit wolkenlosem Himmel, wie geschaffen
zum Wandern. Der Weg führte am Rande der Siedlung, an einigen malerischen
Bergbauern-Gehöften vorbei. Dr. Görffy hatte vor dem Aufstieg Seehundfelle an seinen Skiern
aufgezogen und spurte vor. Wir mühten uns im knietiefen Schnee ab, um vorwärts zu
kommen. Das gute Wetter, die Sonne und der blaue Himmel und nicht zuletzt die weißen
lockenden Berggipfel hielten uns jedoch bei guter Laune. Als der Ausläufer der
„Großen S“-Bahn erreicht war, plagten wir uns auf der steilen, in den Fichtenwald gehauenen Piste
weiter ab. Da der Weg oft durch Wald führte und ein rasches Fortkommen schier unmöglich
erschien, wählte unser Führer den direkten Aufstieg auf der Piste. Keine Spur auf der
sauberen Schneedecke. Nur hie und da die Fährte eines Tieres. In Serpentinen steigen wir
hoch. Der tiefe Schnee macht alles noch beschwerlicher. Alle zehn Minuten muss der
Vordermann abgelöst werden. Sehnsuchtsvoll sind unsere Blicke auf den Gipfel gerichtet.
Nach drei Stunden sind wir glücklich oben. Kühl weht der Höhenwind. Nach kurzer
Verschnaufpause genießen wir den Ausblick auf die nahen Gipfel, auf das Nachbargebirge
mit seinen ausgeprägten imposanten Formen. Während wir heißen Tee schlürfen, erhalten
wir von Dr. Görffy, einem Kenner der Berge, die nötigen Erläuterungen.
Die Berggipfel zeigen sich deutlich und schön im Glanz der späten Nachmittagssonne, das
Panorama des Rodna-Gebirges ist faszinierend. Seine Zweitausender wie Galaţu (2048 m),
Laptele Mare (2172 m), Negoiasa (2041 m), Repede (2047 m), Cormaia (2033 m), Buhăescu
Mare (2119 m), Rebra (2221 m), Ineu (Kuhhorn, 2279 m), Omul (2134 m), Gărgălău (2159
m) und Cişa (2036 m), und nicht zuletzt der ungekrönte König, der Pietrosul (2303 m) sind
nicht immer klar auszumachen.
Noch ein letzter Rundblick, einige Aufnahmen in der untergehenden Sonne und die Abfahrt
beginnt. Es ist etwas Wundervolles, im Neuschnee zu Tale zu sausen. Leider dauerte die
Abfahrt viel zu kurz. Nach knappen 30 Minuten waren wir im Tal.
Da das Rodna-Gebirge im nördlichsten Teil unserer Karpaten und weitab vom großen
Touristenverkehr liegt, kann man seine Schönheit in Ruhe genießen. Die Bergbauern sind
freundliche und hilfsbereite Menschen. Für Sommer-Wanderungen ist es ratsam, ein Zelt
mitzunehmen, weil es wenige Schutzhütten gibt.
Touristenkomplex Borşa: Hotel Cascada (127 Betten – Restaurant, Hotelbar, Postschalter,
Telefon); Villa Brădet (108 Betten – Tagesbar); Villa Stibina (wird zurzeit überholt);
Borşa: Hotel Iezer (100 Betten – II. Kategorie); Puzdrele-Schutzhütte (50 Schlafstellen);
Motel Prislop (winters geschlossen).
Sessellift für die Skipiste des Touristenkomplexes Borşa, Länge – 2030 m; Höhenunterschied – 496 m; Beförderungskapazität 400 Personen/St. Die Bergstation befindet sich auf dem Runcu Ştoilului. Von hier ein 200 m langes Plateau. Am Bergrücken ist ein Ski-Schlepplift (Länge 800 m).
Eisenbahn: Bahnhof Borşa, Zug aus Richtung Sighetu Marmaţiei und Vişeu de Sus. Von hier
Autobus bis zum Touristenkomplex. (Zugstrecke ist nicht mehr in Betrieb, Stand 1997)
Auto: DN 18 aus Richtung Sighetu Marmaţiei und Vatra Dornei.
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 88, S. 22 – 28)
Seite | Bildunterschrift |
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22 | Aufstieg in die weiße Bergwelt. Im Hintergrund der breite Rücken des Galaţu. |
23-l | Borşa, vom Runcu Stoiului aus gesehen. |
23-r | Rast auf dem „Großen S“. |
24 | Der König des Rodna-Gebirges, der Pietrosul, von Borşa aus gesehen. |
25 | Über der Waldzone auf dem Ştiol. |
27 | Dr. Görffy, ein Kenner der Berge, erläutert auf dem „Großen S“ die umliegenden Gebirgszüge. |