Über Braunbären und ihre Verhaltensweise
von Peter Weber
Bei einigen löst schon allein der Anblick einer Fährte einen Schock aus, für andere ist es ein
langgehegter Wunschtraum, einmal mehr als nur die stiefelgroßen Brantenabdrücke von
Meister Petz auf einem der Bergpfade zu sehen. Wo Luchs, Wolf und Bär ihre Fährte ziehen,
da ist die Natur noch in Ordnung, lautet eine alte Jägerweisheit, denn die großen Raubtiere
können nur in einem intakten, naturbelassenen Lebensraum existieren.
Der Braunbär – Ursus arctos für die Naturkundler – war im Mittelalter noch über ganz Europa
verbreitet. Heute fehlt er aus dem allergrößten Teil des Kontinents. In Westeuropa überlebte
der Bär nur in wenigen inselartigen Vorkommen – heute allesamt Naturschutzgebiete. In den
Kantabrischen Alpen und den Pyrenäen, in den Trentiner Alpen und den Abruzzen dürften
nur noch 120 – 150 Bären leben. Besser ist die Lage des Bären im Norden und Osten
Europas, wo es gesicherte Bestände des braunen Riesen gibt.
Jagdkundler schätzen den europäischen Bärenbestand auf etwa 21.000 Exemplare. Davon
leben rund 10.000 in den weiten Wäldern der UDSSR, beinahe 1000 in Skandinavien,
weitere 2000 in den Bergwäldern Jugoslawiens. In Bulgarien, der ČSSR, in Griechenland
und Polen gibt es kleinere Bärenpopulationen, während in Rumänien, so schätzen
Fachleute, etwa 7000 Bären ihre mächtigen Brantenabdrücke im feuchten Waldboden
hinterlassen.
Über 3,5 Millionen Hektar, weit über die Hälfte der Waldfläche des Landes, sind heute
„Bärenwald“. In 24 Landeskreisen gilt der Bär als Standwild. Aber nicht immer hatte es
Meister Petz so gut wie heute, wo ihm Jäger nur in Sonderfällen und mit
Sondergenehmigungen auf den Pelz rücken dürfen. Noch 1906 gab ihm das Jagdgesetz
weder Pardon noch Schonzeit, gab es sogar Kopfgeld für jeden zur Strecke gebrachten
Bären. So manches Waldmassiv verödete in dieser Zeit und wurde erst in den letzten
Jahrzehnten wieder von Bären besiedelt. Hier half die Forstbehörde tatkräftig mit und setzte
über 300 Jungbären aus. Heute leben Bären in allen Buchen-, Misch- und Nadelwäldern, die
sich in die Vorberge beidseitig der Kette der Karpaten hinabziehen.
Zwar heißt Meister Petz Braunbär, doch sollte daraus keinesfalls auf die Deckenfärbung
geschlossen werden. Diese schwankt von isabellgelb über eine Vielzahl Brauntöne bis zu
kohl- und blauschwarz, bleibt aber – trotz gegenteiliger Meinung – nur ein absolut
individuelles Merkmal. Auch die früher bei Jägern gebräuchliche Einteilung in die
langschnauzigen „Raubbären“ und die breitköpfigen „Pflanzenbären“ stimmt nicht. In den
Karpaten lebt eine einzige Bärenart – eben der Braunbär! Unterschiede zwischen
Einzeltieren können allerdings beträchtlich sein, sowohl was die Deckenfärbung als auch die
Körpergröße betrifft. 150 – 200 kg gelten als Durchschnittsgewicht, bis zu 450 kg bringen
aber gelegentlich kapitale Recken auf die Waage! 20 – 50 kg Feist setzt ein Bär im Herbst
an. Es ist seine Lebensversicherung für die winterliche Notzeit. Zwischen Dezember und
Februar hält der Bär Winterruhe, liegt in einem wohlgeborgenen Versteck und zehrt vom
eigenen Feist. Dieser muss aber noch längere Zeit als Energiespender dienen, denn das
Futterangebot ist im zeitigen Frühjahr kümmerlich!
Dabei ist Meister Petz gar nicht wählerisch. Biologen bezeichnen Bären als „unspezialisierte
Vegetarier und ineffiziente Raubtiere“ – als typische Allesfresser. Im Frühjahr taucht der Bär
auf den ersten ausgeaperten (schnee-/eisfrei) Hängen auf, das zarte Frühlingsgras suchend.
Zur Not nimmt er auch mit jungen Trieben und sogar mit Baumrinde vorlieb. In Buchen- und
Eichenwäldern sucht der Bär nach verbliebenen Bucheckern und Eicheln. Es ist die
günstigste Zeit zur Bärenbeobachtung. Allerdings muss man die nahrungsspendenden
Stellen kennen.
Im Sommer ist des Bären Tisch überreichlich gedeckt, trotzdem beginnt er unangenehm in
Erscheinung zu treten. Sobald der Hafer reift, kann mit seinem ungebeten nächtlichen
Besuch gerechnet werden. Da heißt es schon allnächtlich die Felder hüten, denn ein
Vielfaches dessen, was er frisst, walzt der Bär mit seinen mächtigen Branten nieder. Auch
für die Wanderimker beginnt eine aufregende Zeit, allzu gerne kontrolliert Meister Petz die
Honigausbeute. Als Feinschmecker unternimmt er lange Wanderungen, sofern die Kunde
von verlockenden Futterplätzen umhergeht. In Himbeer- und Blaubeerfeldern verleibt er sich
schmatzend die süßen Früchte ein, sucht auch Vogelbeerbäume und Wildkirschen auf.
Sofern die Gegend halbwegs ruhig ist, verlängern Jungbären ihren Schmaus schon mal bis
in den hellen Morgen. Zum Leidwesen der Gebirgshirten beginnen „Spezialisten“, des
Grünfutters überdrüssig, allzu bald mit den nächtlichen Hürdeninspektionen. So manches
Schaf, Rind und mancher Lastenesel fällt während dieser Raubtouren den Schlagbären zum
Opfer.
Einen wahren Überfluss an Nahrung bringt der Herbst, wobei der Bär den artenreichen
Mischwald dem Nadelwald bei weitem vorzieht. In dieser Zeit reift auch das Obst, und so
mancher Ast der alten Obstbäume bricht unter der Masse der gewichtigen, allerdings
ungebetenen Erntehelfer krachend ab. Sind Maisfelder in der Gegend, so unterzieht sich
manch ein Bär einer Maiskur; die paar Kilometer An- und Abmarsch sind für solch einen
rüstigen Wanderer kein Problem. Nur selten verschönert ein Bär seine Speisekarte mit
einem Stück selbst erbeutetem Wild: der Hirsch ist zu schnell, das Schwarzwild zu wehrhaft,
um problemlos überwältigt zu werden. Als echter Allesfresser räumt Petz aber auch bereits
anrüchiges Fallwild zur Seite! Den Speisezettel verrät seine Hinterlassenschaft – ein oft
pelzmützenfüllender Haufen!
Es ist ebenso falsch, den Bären für einen vertrottelten, harmlosen Pflanzenfresser zu halten,
wie in ihm die reißende, raubgierige Bestie zu sehen. Bären sind ausgesprochene
Opportunisten, die aus dem jeweiligen Nahrungsangebot des Lebensraumes die am
leichtesten zugängliche Futterquelle nutzen. Es ist die enorme Plastizität in Nahrungserwerb
und Verhalten, die den Bären befähigen, heute Gebiete wieder zu bevölkern, aus denen er
vor einem Jahrhundert verdrängt wurde.
Kothaufen und Trittsiegel, im Dickicht gelegentlich Lagerplätze, sind die gängigen Anzeichen
der Anwesenheit von Bären. Nur selten bekommt man den scheuen, vorwiegend nächtlichen
Gesellen vor das Fernglas. Erstklassiges Gehör und ein hochfeiner Geruchsinn verraten
dem Bären sich nähernde Menschen, denen er regelmäßig und zeitgerecht ausweicht. Nur
Jungtiere führende Bärinnen und verletzte Tiere können – müssen aber nicht! – den
Menschen annehmen. Dazu die berühmt-berüchtigten Ausnahmen... Einem ernsthaft
angreifenden Bären ist der Mensch chancenlos unterlegen. Flucht könnte die einzige
Rettungsmöglichkeit sein, sofern die Zeit dazu reicht! Höchstgeschwindigkeiten bis knapp
über 50 Stundenkilometer errechneten wir nach Filmaufnahmen bei Bären – zu entkommen
hieße also, einen neuen Sprintrekord aufstellen! Selten kommt aber ein Bär derart in Rage,
dass er sich zu solcher Kraftvergeudung aufrafft. Während vieler hundert Begegnungen mit
Bären und weit über einem halben Tausend Beobachtungsstunden vermerkten wir es bloß
zweimal. Es waren Verfolgungsrennen sich bekämpfender Bären, die nach wenigen Dutzend
Meter aufgegeben wurden. Auch beim Bären gilt nämlich – erst drohen, dann kämpfen! Wer
zuerst ausreißt, hat die Schande und die Chance, ohne Prankenschlag davonzukommen!
Denn dort, wohin ein wütender Bär hinhaut, wächst lange Zeit nichts mehr! Bei einer
unverhofften Begegnung mit Meister Petz gilt allenfalls, dass Vorsicht der bessere Teil der
Tapferkeit ist!
Auf die nun zwangsläufig fällige Frage: wo gibt es Bären in Rumänien? – könnte man
antworten: überall, wo große Wälder sind. Die besten Bärenreviere erstrecken sich beidseitig
entlang der Karpatenkette. Dabei kommt keinesfalls der eigentliche Gebirgswald als
Haupteinstand in Frage, sondern die nahrungsreichen, großen Wälder der Vorberge. In den
Gebirgsstöcken der Maramureş und Nordmoldau leben sicher mehr als 600 Bären.
Bedeutend bärenreicher sind die Ostkarpaten, zumal das Harghita-Gebirge. In diesen
langgestreckten, nur mäßig hohen und noch vom Tourismus weitgehend verschonten
Gebirgszügen dürften beinahe 2000 Bären ihren Wechsel ziehen. Gut ist auch der
Bärenbestand im Karpatenbogen. Zwischen Buzău-Gebirge und Ciucaş sollen es beinahe
1000 Exemplare sein. Rund 500 Bären bevölkern die Südabhänge des Fogarascher
Gebirges, die steilen Nordhänge sind weniger bärenreich. Auch im Retezat- und
Parâng-Gebirge übersteigt die Bärenzahl das halbe Tausend. Gelegentlich kann es zu
unwahrscheinlich hohen Bärenkonzentration kommen – optimales Nahrungsangebot ist
dafür Voraussetzung. So kamen während einer 300 Hektar umfassenden Treibjagd im
Budacul-Tal (Bistritzer-Gebirge) 98 Bären durch die Schützenkette. Am Fuße des
Fogarascher Gebirges, im Strâmba-Tal, waren es im Laufe einer knappen halben Stunde
erst 18 Sauen und anschließend 22 Bären, welche den Trieb verließen.
Da wir aber schon bei den Zahlen sind – Rumänien hat die z. Z. besten Bärenbestände
Europas. Konkret: im Lande leben 94 Einwohner pro Quadratkilometer. Sofern wie die
bewaldete Fläche des Landes in Betracht ziehen, sind das nur 0,03 Bären auf derselben
Flächeneinheit, also maximal 1 Bär pro 500 Hektar. Dies bedeutet, zumindest theoretisch,
dass man erst nach 3143 begegneten Touristen mit einem Bären rechnen könnte. Könnte,
denn so einfach ist es nun wieder nicht, Meister Petz zu treffen! Bärenbeobachtungen
können nicht „erlaufen“, sie müssen „ersessen“ werden! Es vergingen lange Jahre zwischen
dem unvermuteten Fund eines dampfenden Kothaufens (zwischen Bâlea-Wasserfall und -
See) und der Live-Beobachtung des ersten Karpatenbären, die uns gelang!
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 88, S. 33 – 40)
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34 | Ein Naturdokument mit Seltenheitswert: Meister Petz gelüstet nach frischem „Wildschweinbraten“. Aus den Karpaten sind mehrere Fälle verbürgt, dass angreifende Bären auf der Strecke blieben. Mit einem ausgewachsenen Keiler ist nicht zu spaßen! Gelegentlich kann ein Bär einen Überläufer oder Frischling erbeuten – diesmal verlief die Jagd allerdings erfolglos, das quicklebendige Schwarzwild spritzte zeitgerecht auseinander. |
35 | Jungbärenfährte im tauenden Aprilschnee. Knapp drei Jahre alt und rund „45er Stiefelnummer“. |
36 | Keinesfalls an Angriff denkt dieser Bär. Im Gegenteil. Ängstlich auf Sicherung bedacht, erweitert er, sich auf die Hinterbranten erhebend, sein Gesichtsfeld. Erschrockene, ängstliche Tiere sind es also, die sich Aufstellen; nicht angreifen, flüchten wird solch ein Bär. Es gibt aber auch Ausnahmen. |
38 | Schneeglöckchen und Krokuszwiebeln schmecken weder gut, noch sättigen sie sonderlich. Erst wenn das Frühlingsgras üppiger zu sprießen beginnt, geht es den Bären besser. |
39 | Im Alter von etwa zwei Jahren verlassen die Jungbären die Mutter, bleiben aber oft noch längere Zeit zusammen. Im Bild die nun bereits drei Jahre alten „Kumpane“, die wir immer zusammen beobachten konnten. Erst später wird der Bär zum Einzelgänger. |
40 | Bevor der Bär das schützende Dickicht verlässt, sichert er ausgiebig. Geruch und Gehör sind unwahrscheinlich empfindlich, weniger gut die Seher. Halbwegs getarnt sitzende, unbewegliche Beobachter werden manchmal aus weniger als zehn Meter Entfernung übersehen. |