Die Vogelwelt in den Höhen unserer Karpaten
von Klaus Fabritius
In etwa 1600 m Höhe weichen auch die letzten Nadelbäume. Der Blick weitet sich, die
Berggipfel, unsere gesteckten Ziele, rücken ein Stück näher. Die Wege führen jetzt durch
Latschenfelder und Wacholdersträucher, die uns bis etwa 2200 m begleiten, dann folgen die
Wiesen und Felsen. Jede Landschaft hat auch ihre charakteristische Vogelwelt. In dieser
oberen Region unserer Karpaten nisten nur wenig Vertreter. Die Liste umfasst 13 typische
Arten, kaum 8 Prozent der Karpatenvögel, und auch von diesen müssen wir
genaugenommen die Geierarten abziehen, da sie im Aussterben sind oder schon als
ausgestorben gelten. Dazu kommen noch einige Vogelarten, die nicht an bestimmten Höhen
gebunden sind, also in verschiedenen Lebensräumen leben und nisten.
Der charakteristische Vogel des Hochgebirges ist die Alpenbraunelle (Prunella collaris). Mit
ihren 18 cm ist sie der größte Vertreter der Braunellen. Sie bewohnt kahle oder dünn
bewachsene Felshänge. Wir sehen die Alpenbraunelle in Bodennähe, ihr ständig wippender
Schwanz und das angenehme, anhaltende Zwitschern macht uns auf sie aufmerksam.
Das Sinnbild der Hochgebirgsvögel bleiben aber doch die großen Geier und Adler. Leider
sind diese Riesen unter den Vögeln in den letzten Jahren sehr selten geworden. Überall
befindet sich ihr Name auf den roten Listen der geschützten Tiere. Für die Karpaten können
wir drei Geierarten aufführen, für die in den vergangenen Jahrzehnten noch Nistplätze
bekannt waren, den Bartgeier (Gypaetus barbatus), den Gänsegeier (Gyps fulvus) und den
Mönchsgeier (Aegypius monachus). Der Bartgeier kann als ausgestorben gelten. Das letzte
Exemplar dieser Einzelgänger, deren Horst sich in meist unerreichbaren Höhlen an
Felswänden befindet, wurde 1927 abgeschossen. Man hofft nur, dass er doch noch wieder
einmal auftaucht. Der Gänse- und der Mönchsgeier können in den Karpaten eher als
vermisst angesehen werden. Der hell gefärbte Gänsegeier, gewöhnlich in beachtlicher Höhe
segelnd (Flügelspannweite über 2 m), nistet gesellig in Höhlen oder Felsnischen, der
weniger gesellige Mönchsgeier nistet zumeist auf Bäumen. So bleibt von diesen Riesen als
sicher vorhanden nur noch der etwa 80 cm große Steinadler (Aquila chrysaetos) übrig. Er ist
ein Raubvogel. Auf Nahrungssuche gleitet und segelt er majestätisch, mit breit gefingerten
Schwingen oft stundenlang in den Höhen. Sichtet er seine Beute (Rebhühner, Nagetiere)
schnellt er rasant auf sein Opfer. Der Steinadler baut große Nester auf Felsvorsprüngen
besonders in den Kalksteingebirgszügen der Südkarpaten. Im April werden in dieses Nest 1
– 2 Eier gelegt, die das Adlerweibchen alleine ausbrütet. Steinadler stehen unter strengem
Naturschutz.
Ein viel kleinerer (18 cm), aber sehr schöner Vogel der Felswände ist der Mauerläufer
(Trichodroma muraria). Wir erkennen ihn sofort an den aufleuchtenden roten Flügelteilen,
wenn seine breiten Schwingen schmetterlingsartig flattern. Beim Klettern an den Felswänden
singt er oft. Der Mauerläufer bewohnt Schluchten und nistet in tiefen Felsspalten.
Typisch für die öden, steinigen Bergrücken der Gletscherkessel ist der Mornellregenpfeifer
(Eudromias morinellus). Er ist ein zutraulicher Vogel und nistet auf dem nackten Boden. Auf
dem Wasserspiegel der Seen oder in ihrer Umgebung können wir, wenn auch selten, die
Spießente (Anas acuta) sehen; der Erpel ist an dem nadelscharfen zugespitzten Schwanz
ohne Mühe zu erkennen. Wie alle Enten fliegt auch die Spießente sehr schnell. Eigentlich ist
diese Ente für die Karpaten ein Zugvogel, sie gehört in den hohen Norden, nistet aber (in
offenen moorartigen Feuchtgebieten) sporadisch auch bei uns.
Auf den Wiesen begegnet man einem typischen Bodenvogel, und zwar dem bekannten
Rebhuhn (Perdix perdix). Überraschen wir die Rebhühner, flüchten sie schnell mit
aufgerichtetem Kopf, ehe sie auffliegen. Rebhühner setzen sich nie auf erhöhte Stellen. Auf
den Bergwiesen lebt auch eine Stelzenart. Es ist die Gebirgsrasse des Wasserpiepers
(Anthus spinoletta). Sein Nest befindet sich in Bodenvertiefungen der Felsspalten.
In den letzten Jahren ist in den Karpaten die aus dem Balkan stammende Ohrenlerche
(Eremophila alpestris) auf dem Vormarsch. Diese äußerst dekorative, 16 cm große
Lerchenart (gekennzeichnet durch die schwarz-gelbe Kopfzeichnung und die gut
ausgebildeten „Federhörnchen“ des Männchens) singt am Boden oder auf einem Stein
sitzend, und läuft schnell von einer Stelle zur anderen.
Charakteristisch für die felsige und geröllartige Landschaft sind neben der schon erwähnten
Alpenbraunelle der Hausrotschwanz (Phoenicurus ochruros) und der seltenere Schneefink
(Montifringilla nivalis). Der Hausrotschwanz erfreut uns schon am frühen Tage, auf einer
freien Warte sitzend, mit seinem Gesang. Wir erkennen ihn an dem ständig zitternden
rostroten Schwanz und rostrotem Bürzel. Der Schneefink, ein grauköpfiger
Hochgebirgssperling, bewohnt oft auch die Schutzhütten dieser Region.
Außer diesen für die alpine Zone typischen Vögeln nisten im Hochgebirge auch einige nicht
an eine bestimmte Landschaft gebundene Vögel. Zu diesen gehören: Ziegenmelker,
Kuckuck, Mehl- und Rauchschwalbe, Wander- und Turmfalke, Neuntöter, Steinschmätzer,
Bachstelze, Buchfink, Braunkehlchen und Feldlerche.
Von den Vögeln der Nadelwälder (typisch für diese Vegetationsstufe sind die Raufußhühner,
z. B. der Auerhahn) steigen zwecks Nahrungssuche einige Arten in die alpine Zone auf. Zwei
von diesen Vogelarten stehen unter Naturschutz, der Rabe (im Flugbild von der Krähe nicht
nur durch die Größe, sondern auch durch das keilförmige Schwanzende zu unterscheiden)
und das Birkhuhn (dieses brütet inselweise in den Ostkarpaten). Zu den Gästen aus den
Nadelwäldern gehören noch das Rotkehlchen, die Tannenmeise, der Zaunkönig, die Ring-
und Misteldrossel, der Habichtskauz u. a.
Sogar einige Vertreter der Laubwälder wagen sich bis in das Hochgebirge. Zu diesen gehört:
Uhu, Goldammer, Mönchsgrasmücke, Singdrossel und Baumpieper.
Sicher werden Sie nicht alle diese Vögel auf den einzelnen Wanderungen durch die
Karpaten antreffen, und vielleicht sind auch ein wenig zu viele Namen angeführt, aber
erinnern Sie sich daran, dass wir im technischen Alltag mindestens so viele Autotypen
unterscheiden können.
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 88, S. 110 – 116)
Seite | Bildunterschrift |
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110-l | Spießente |
110-r | Ohrenlerche |
111-o | Kolkrabe und Krähe |
111-u | Mornellregenpfeifer |
114-ol | Schneefink |
114-ml | Mauerläufer |
114-ul | Alpenbraunelle |
114-ur | Gänsegeier |
115-o | Steinadler |
115-u | Birkhuhn und Birkhahn |