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Hirten waren die Wegweiser

Über die Piatra Târnovului in die Bistriţa-Klamm

von Helmut Fabritius

Sechs Tage quer durch das Căpăţâna-Gebirge, sechs herrliche Herbsttage mit viel Sonne und stets neuen Eindrücken.

1. Tag: Vom Norden her kommend, durch den Roten-Turm-Pass, verlassen wir beim Bahnhof Lotru um 18 Uhr den Zug. Mit dem Autobus erreichen wir Brezoi ziemlich schnell, müssen aber ganze drei Stunden auf den Autobus in Richtung Voineasa warten. Die Zeit wird zu einem kleinen Abstecher auf den Turşudanu genutzt. In 30 Minuten sind wir oben beim Stein, einem Berg am jenseitigen Lotruufer, der einem umgestülpten Eiszapfen gleicht. Ein letzter Blick auf die über dem Lotrutal untergehende Sonne, und dann sind wir bald wieder bei unseren Rucksäcken. Es ist schon stockdunkel, als sich der Bus endlich in Bewegung setzt. Die schönen Stauseen bei Sălişte und Malaia sind im Dunkel der Nacht nicht zu erkennen. Nach einer Stunde Fahrt hält der Bus in „Gura Latoriţei“, der Stelle, wo die Latoriţa in den Lotru mündet. Im Schein der Taschenlampen finden wir einen geeigneten Zeltplatz.

2. Tag: Das heutige Ziel ist der Anmarsch bis unter den Târnovukamm. Der Târnovu ist ein von NO nach SW verlaufendes, von Latoriţa und Repedeabach begrenztes, etwa 1900 m hohes Kalkmassiv.
Zuerst geht es etwa 5 km im Latoriţatal aufwärts bis Ciungetu. Gegenüber dem gleichnamigen Kraftwerk überqueren wir links auf einem guten Betonsteg den Bach und beginnen gleich den Aufstieg, rechts den Hang hinauf. Bald tritt auch die Markierung roter Punkt in Erscheinung. Wir folgen ihr, obwohl sie stellenweise sehr schwer auszumachen ist. Der Pfad führt steil an drei Baumschulen vorbei, dann rechts um die Baumschule herum und am obern Ende links durch den Wald weiter steil aufwärts. Der Weg ist kaum begangen. Laub bedeckt ihn. Einzige Orientierungsmöglichkeit ist der rote Markierungspunkt. Im oberen Teil schreiten wir durch Mischwald mit wunderschönen, kerzengeraden Lärchen.
Nach etwa 2 Stunden erreichen wir einen Seitenkamm, und dann ändert sich das Landschaftsbild. Der Buchenwald liegt unter uns, der Weg ist flacher und gut erkennbar geworden. Er führt an einer mit Felsbrocken übersäten Wiese vorbei, dann wieder durch Tannenwald, um dann an der Stelle, wo aus dem Repedeatal ein breiter Pfad in ihn mündet, wieder steil bergan zu steigen, links und rechts an Quellen mit Trögen vorbei. Hier beginnt die Almlandschaft der Hirten aus Vaideeni. Oben auf der Bergnase steht die Sennhütte „Stâna lui Ceapă“. Freundlich werden wir von den Hirten aufgenommen, mit Balmoş (Maisbrei mit Käse) und Sauermilch bewirtet. Die Hirten aus Vaideeni, einem Dorf am Südrand der Karpaten, wo sie auch „Ungureni“ genannt werden sind tüchtige Schafzüchter und überall geschätzt. Unter dem Târnovu Mare, unweit der Sennhütte, wird das Zelt aufgeschlagen.

3. Tag: Er soll den Höhepunkt unserer Wanderung darstellen. Wir wollen hinauf in die Felsenwelt der „Piatra Târnovului“. Unterhalb des Târnovu Mare und des Târnovu Mic geht es auf einem uralten Hirtenpfad von der Stâna Târnovu Mare zur Stâna Târnovu Mic. Auf einem verhältnismäßig kleinen Areal stehen mehrere Sennhütten. Man wähnt sich in einer kleinen Hirtenkolonie. Unser schweres Gepäck wird in einer Hütte gelassen – mit wenig Proviant, Wasser und Regenschutz beginnt der Aufstieg zur „Piatra Târnovului“. Die Hirten beschreiben uns den Weg, und auch an guten Ratschlägen fehlt es nicht.
Erst geht es auf einem von unten gut sichtbaren Pfad über die Wiesen aufwärts, dann links haltend durch Tannenwald. Von der Stâna gut erkennbar hat man uns auf ein Grasband mit Wacholderbüschen aufmerksam gemacht. Hier hinauf müssen wir. Dort soll angeblich auch die Markierung wieder zu sehen sein. Blass ist der rote Punkt an einem Felsen zu erkennen, eine Orientierung jedoch ist nicht mehr möglich.
Im oberen Teil des Grasbandes erreichen wir eine kleine Höhle. Hier hat jemand einen Haken in den Fels geschlagen und eine Litze von einem Stahlseil notdürftig zu einer Schlinge geknüpft. Sie mutet wie ein Bindfaden an, erleichtert einem aber den Aufstieg, wenn das lange Gras nass und rutschig ist. Durch eine Art Kamin geht es hinauf, auf den Kamm. Über den schmalen Grat, teils blanker Fels, teils mit Legföhren bewachsen, erreichen wir endlich unser Ziel, die „Piatra Târnovului“, und blicken glücklich auf das sich bietende herrliche Bergpanorama. Nach ausgiebiger Rast folgen wir ein Wegstück dem nördlichen Seitenkamm, einem Felslabyrinth mit einem Hunderte Meter tiefen Abgrund nach Norden, und kehren dann auf demselben Weg zu unseren Rucksäcken zurück.
Es ist schon Nachmittag, als wir aufbrechen. Der Weg führt westlich, als blauer Punkt etwas besser erkennbar, direkt unter der Wand vorbei, in der die Sonnendisteln wie Edelweiß kleben, und zwischen alten Bergahornbäumen in den Sattel „Curmătura Gropiţei“. Noch ein kurzer Aufstieg am Gegenhang, und dann wird in der Nähe der Stâna Gropiţei gezeltet. Die Piatra Târnovului leuchtet in der Abendsonne wie eine unbezwingbare Felsenburg.

4. Tag: Auch an diesem Tag peilen wir einen Gipfel an, den 2124 m hohen Ursu. Auf einem Hirtenpfad, der hinunter nach Vaideeni führt (auch hier gehören alle Sennhütten zu Vaideeni), beginnt unsere Tour am frühen Morgen. Dann umgehen wir den Negovan und die Nedeia, den höchsten Gipfel im Căpăţâna-Gebirge (2130 m), zuerst in südwestlicher und darauf in südöstlicher Richtung und gelangen über die Beleoaia (2109 m) in den Funicel-Sattel.
Wir haben das Repedeatal in seinem Oberlauf umrundet und befinden uns nun auf dem Hauptkamm des Căpăţâna-Gebirges, dem wir nach Osten folgen. Aus dem Sattel führt ein Pfad am Südhang über steinige unfreundliche Halden steil aufwärts. Die Gipfel Balotă und Căpăţâna bleiben links liegen. Im Sattel angekommen, verlassen wir den Weg und steigen auf den das ganze Gebiet beherrschenden Ursu-Gipfel.
Müde von der stundenlangen Kraxelei sinken wir ins Gras. Die Sonne brennt unbarmherzig. Ein unvergesslicher Anblick bietet sich dem Betrachter: Im Norden die wildzerklüftete Târnovu-Klamm, im Westen der Negovan und die Nedeia, weit unten der Parâng mit dem Urdele und dann Berg an Berg bis weit hinaus in die Ebene. Auch der Kamm der Vânturariţa mit den tiefen Einschnitten der Cheia-Klamm und der Curmătura Builei sind zu sehen.
Die Zeit mahnt und wir brechen auf. Es geht den Ursusattel hinunter auf, einem Hirtenweg weiter und später auf einer richtigen Hochstraße. Endlich erreichen wir die Curmătura Rodeanu. Ein schöner Zeltplatz mit einer Quelle erwartet uns.

5. Tag: Ausgeruht schreiten wir ostwärts und stehen nach etwa 2 Stunden auf dem Zmeuret, auch Govora (1958 m) genannt. Besonders beeindruckend die schöne Aussicht. Die Vânturariţa ist zum Greifen nahe. Wir verlassen nun den Hauptkamm und wenden uns nach Süden, zur Curmătura Govorii (1610 m) absteigend, um dann wieder, am Lespezi (1822 m) und dem Netedu vorbei, zur Curmătura Lespezi anzusteigen. Hier teilt sich der Kamm. Ostwärts beginnt der Plaiul Lespezi, der einzige Übergang zur Vânturariţa (ohne ins Tal absteigen zu müssen), der bei der Curmătura Comarnici unterhalb des Oale-Sattels endet. Wir aber bleiben am westlichen, dem rechten Ausläufer, am Plaiul Netedu und erreichen nicht ohne Schwierigkeiten das Costeşti-Tal. Abseits vom Hegerhaus zelten wir.

6. Tag: Der letzte Tag unserer Wanderung führt in die schöne Bistriţa-Klamm. Es ist kein anstrengender Weg. Zuerst führt er etwa 1 km unterhalb des Zeltplatzes rechts über einen niederen Sattel und nach weiteren zehn Gehminuten tief hinunter ins Bistriţa-Tal und zur Klamm. Am Ausgang der Klamm liegt das Kloster Bistriţa und hoch oben am Berg, wie ein Schwalbennest das Kloster Arnota. Von Bistriţa gibt es einen Autobus nach Rm. Vâlcea und von dort bringt uns die Eisenbahn durch das schöne Alttal wieder nach Hause.
Zu bemerken sei, dass für diese Wanderung gutes Wetter nötig ist. Oft geht es über die Hochalmen, und bei Nebel ist es sehr schwer, den richtigen Weg zu finden. Markierungen fehlen fast vollständig. Die besten Wegweiser und Helfer sind die Hirten aus Vaideeni.

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 88, S. 171 – 177)

Seite Bildunterschrift
 
172 Die Piatra Târnovului. In der Abendsonne leuchtet sie wie eine unbezwingbare Felsenburg. Der Weg bisher war mühevoll, Hirten wiesen ihn uns und auch an sonstigen guten Ratschlägen fehlte es nicht.
173 Der Kamm der Piatra Târnovolui fällt nach Nordwesten viele hundert Meter steil ab.
174 Direkt unter dem Felsabsturz der Piatra Târnovolui geht es zur Curmătura Gropiţei.
175 In der Felsenregion der Piatra Târnovolui.
177 Kartenskizze: Brezoi – Gura Latoriţei – Târnovu – Nedeia – Vf. Ursu – Curmătura Rodeanu – Zmeuret – Netedu – Bistriţa-Klamm
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