von Helmut Paul
Etwa Anfang der 30er Jahre hielt mit der Bistritz-Fahrt des in Leipzig geborenen
Forschungsreisenden und Reiseschriftstellers Herbert Rittlinger das Faltboot in Rumänien
seinen Einzug. Doch auch heute noch ist das Befahren der Flüsse des Landes mit
Sportbooten durchaus nicht üblich. Noch heute kann es geschehen, dass man auf einem der
vielen, für solche Unternehmen geeigneten und mit unvergesslichen Erlebnissen und
unvergleichlicher Schönheit lohnenden Flüsse in seinem Boot bestaunt wird, wie seinerzeit
Rittlinger auf seiner in die Sportliteratur eingegangenen Bistritz-Fahrt.
Vieles hat sich inzwischen an der Bistritz geändert. Aus jenem ungebändigt
dahinschießenden Wildfluss wurde ein Energiequell für die an ihrem Ufer entstandenen
Werke. Doch noch immer ist Platz geblieben für den, der das Abenteuer einer Bootsfahrt
sucht, der es liebt, sein Zelt an rauschenden Stromschnellen zu errichten, der, fern der
Hektik des Alltags, Ruhe und Schönheit der Natur erleben möchte.
Da ist zunächst die Donau, der zweitgrößte Strom Europas, der an und in den Grenzen
Rumäniens 1075 Kilometer zurücklegt und das Land mit der letzten und vielleicht
großartigsten seiner Gaben – dem einmaligen Naturwunder des Deltas – verlässt. Das ist
durchaus keine langweilige Sache, in der winzigen Nussschale des Faltbootes auf den
Wellen dieses Riesenstromes zu schaukeln. Vielerlei begegnet dem Kanufreund: Sanddünen
und Auwälder, Schubeinheiten mit fünf Prämen nebeneinander, Passagierdampfer aus
vielen Ländern, Inseln und Sandbänke, Felsufer, Hafenanlagen und moderne Industrien. Am
Strome Denkmäler aus allen Zeiten: die Ruinen der römischen Donaubrücke bei Drobeta-
Turnu Severin, die Festung Ostrov, die Donaubrücken bei Hârşova und Cernavodă, die
Festung Dinogetia u. a. Schließlich noch ein Denkmal aus jüngster Zeit, das gewaltige
Wasserkraftwerk am Eisernen Tor wo die Kraft der Donau in lebensnotwendige Energie
gewandelt wird.
Der zweitlängste Fluss ist der Mieresch (Mureş) mit rund 800 Kilometer Lauflänge. Er
entspringt – wie Alt, Bistritz, Suceava, Moldova und Someş – den Waldbergen der
Ostkarpaten und mündet in die Theiß. Auf den rund 600 Kilometern zwischen Topliţa und
Arad befinden sich nur fünf von Menschenhand errichtete Hindernisse. Er durchbricht die
Ostkarpaten in einer wilden Schlucht, durchströmt Siebenbürgen, nimmt Arieş und Kokel
(Târnava) als größte Nebenflüsse auf und bahnt sich seinen Weg zur Tiefebene durch das
Westgebirge. Sein Wasser bleibt sauber. Er ist so recht geeignet, eine große Urlaubsfahrt
auf ihm zu unternehmen. Die anspruchsvollste Strecke befindet sich im Durchbruch
zwischen Topliţa und Deda, auf diesen 60 Kilometern verliert der Fluss über 200 Meter
Höhe. Für diesen Abschnitt ist genügend Zeit einzuplanen, die Schwierigkeit beträgt bis WW
II. Unterhalb Deda entsprechen die Schwierigkeiten, bis auf wenige Stellen, den
Zahmwasserstufen C – B. Nur unter der Arieşmündung ändert sich – durch den Flussgrund
querende Tonschieferstufen – noch einmal sein Charakter (2 km WW II).
Von den Zuflüssen des Mureş ist der Arieş an erster Stelle zu nennen. Er ist wohl der am
meisten befahrene Wanderfluss Rumäniens. Außer in ungewöhnlich trockenen Jahren ist er
auch im Sommer ab Câmpeni im Faltboot fahrbar. Landschaftlich außerordentlich reizvoll ist
der Abschnitt bis Moldoveneşti (85 km WW II). Wanderungen in die Karstlandschaft des
Apusenigebirges, zur Poarta Zmeilor (Drachentor), zur Huda lui Papară-Höhle und zu den
zahlreichen Klammen bieten sich an. Unterhalb Moldoveneşti mäßigen sich die
Schwierigkeiten bis zu ZW B, jedoch ziehen zahlreiche Tonschieferstufen durch den Fluss,
die z. T. kleine Wasserfälle bilden.
Der Reiz einer Fahrt auf der Großen Kokel (Târnava Mare) liegt in den zahlreichen
mittelalterlichen Baudenkmälern an ihren Ufern. Das von der Kokel durchflossene Gebiet
gehört bekanntlich zur Landschaft der Kirchenburgen (Sighişoara/Schässburg,
Laslea/Lasseln, Brateiu/Pretai, Dârloş/Durles, Mediaş/Mediasch, Târnava/Großprobstdorf,
Dupuş/Tobsdorf). Bis zur Eisenbahnbrücke bei Daneş hat der Fluss leichten
Wildwassercharakter.
Seiner Wasserführung wegen ist der Siret nach der Donau mächtigster Fluss des Landes. In
weiten Mäandern führt er seine lehmgelben Wasser durch die Moldau und mündet bei Galatz
in die Donau. Auf der gesamten Strecke befindet sich kein Hindernis auf den etwa 600
Kilometern seines Laufes. Alle Ortschaften liegen aufgrund der Hochwassergefahr oft in
beträchtlicher Entfernung vom Fluss – ein Fluss für Einsamkeitssucher! Teilweise recht hohe
Lehmwände bilden seine Ufer. Öfters sind die vom Hochwasser fortgerissenen Bäume zu
umfahren. Außer dem Bârlad münden alle Nebenflüsse von rechts in ihn ein.
Für eine Bootfahrt kommt die Suceava in Betracht. Ab Dorneşti (ZW C) 90 km bis zur
Mündung ist sie ein schneller Fluss mit vielen kleinen Mäandern. Sehenswürdigkeiten: die
Kirchen in Siret und Rădăuţi, die Klöster Putna, Suceviţa, Dragomirna, Probota (am Siret),
die Stadt Suceava mit Fürstenhof und zahlreichen Baudenkmälern.
Die Moldova, der zweite große Nebenfluss, ist wohl der lohnendste Boostweg zum Siret. Von
Câmpulung Moldovenesc (610 m) 160 km bis zur Mündung bei Roman (190 m), fährt man
durch eine reizvolle Landschaft. Sehenswürdigkeiten: die Klöster Moldoviţa, Voroneţ, Humor,
Slatina, Rişca, Neamţ, Agapia und die Ortschaften Baia und Roman.
Der dritte der fahrbaren Nebenflüsse, die schon mehrfach erwähnte Bistritz, ist durch den
Bau einer Kraftwerkskaskade im Unterlauf für den Bootsfahrer ziemlich uninteressant
geworden. Das trotz der modernen Straße noch ursprüngliche Tal ihres Oberlaufes macht
die Bistritz aber auch heute noch zu einen der attraktivsten Flüsse des Landes. Von Vatra
Dornei bis zum Stausee Izvorul de Munte ist sie auf 90 km WW II (schwierigster Abschnitt
die Cheile Zugrenilor) und oberhalb von Vatra Dornei als Bistriţa Aurie (Goldene Bistritz) von
Cârlibaba (WW II) auf einer Länge von 40 km zu befahren. Die bei Vatra Dornei
einmündende Dorna ist von Dornişoara, 36 km WW I, nutzbar.
Der einzige Fluss, der die Karpaten völlig durchbricht, der Alt, ist in seinem Unterlauf
ebenfalls durch eine Kraftwerkskaskade verbaut (unterhalb Câineni). Die früheren
Wildwasserstrecken im Karpatendurchbruch sind durch Überstauung größtenteils
verschwunden. Der Oberlauf ist noch weitgehend natürlich. Befahrbar ist der Fluss ab
Cârţeni außer dem Abschnitt Tuşnad – Sfântu Gheorghe (WW I, Tuşnad Băi – Bixad WW II)
Zahmwasser C – B. Ab Einmündung des Râu Negru teilweise reguliert. Viele
Baumhindernisse. Sehenswürdigkeiten: die Kirchenburgen in Cârţeni, Ilieni,
Hărman/Honigberg, Aiţa, Rotbav/Rotbach, Homorod/Hamruden, Ungra/Galt und die Ruinen
der Marienburg bei Feldioara, die Burgen in Rupea/Reps und Fogarasch, die Ruinen des
Zisterzienserklosters in Cârţa/Kerz. Im Karpatendurchbruch macht die Schönheit der
umgebenden Landschaft die Mühen des Paddelns im stehenden Wasser und das Umgehen
der Staustufen auf dem Landwege wieder wett.
Landschaftlich sehr reizvoll und abwechslungsreich ist auch der große Fluss des
rumänischen Nordens, der Someş. An seinen Ufern findet man noch heute eine vielfältige
Folklore. Am Oberlauf viele Mühlen (Maieru, Sângeorz-Băi, Feldru, Nepos), jede Mühle ist
eine Sehenswürdigkeit! Holzkirchen mit nadelspitzen Türmen besonders zwischen Dej und
Jibou. Mit Faltboot nutzbar von Rodna bis Satu Mare/Sathmar (350 km). Bis zum letzten
Durchbruch bei Ulmeni immer wieder Wildwasserstellen.
Die drei Kreischflüsse vereinigen sich erst außerhalb der Landesgrenzen zu einem größeren
Fluss. Auf dem Boden Rumäniens ist der nördliche Crişul Repede der attraktivste der drei
Quellarme. Sein Oberlauf durchbricht in einem eindrucksvollen Canon die Karstplatte des
Pădurea-Craiului-Massivs. Vom Zusammenfluss mit dem Drăganul bis Vadu Crişului 37 km
WW II, Vadu Crişului – Aleşd 20 km WW I. Unter Vadu Crişului durch Wasserableitung oft
mager! In Oradea kanalisiert mit Stufen. Der südliche der drei Flüsse, der Crişul Alb, ist ab
Baia Criş ganzjährig nutzbar. Entlang seiner 170 km gibt es nur in Dumbrava, Joia Mare und
in Ineu Wehre. Schwierigkeiten ZW C – A, außer Leasa – Talagiu WW I, sehr schönes
verblocktes Fahrwasser bei geringer Wasserwucht, und bei Gurahonţ (1 km WW I).
Baumhindernisse im ZW. Landschaftlich im Oberlauf sehr schön.
Die Flüsse der Südkarpaten sind, aufgrund ihrer kurzen, gefällereichen Läufe auf den
interessanten Abschnitten im Gebirge für Fahrten mit dem Faltboot wenig geeignet. Ihre
durch die muntenischen Ebenen führenden Unterläufe dürften bisher noch kaum befahren
sein. Relativ oft befahren ist der Oberlauf der Dâmboviţa (Cojocaru – Rucăr WW III), doch ist
hier das Hartboot anzuraten. Bei allen Flüssen dieses Gebietes ist, aufgrund ihres hohen
energetischen Potentials, mit dem Bau von Kraftwerkskaskaden (wie an Alt und Argeş) zu
rechnen. Der Jiu ist in seinem schwierigen Oberlauf (WW III) stark verschmutzt, hat aber
auch unterhalb Târgu Jiu noch ein Gefälle von 1m/km – ist also sicher ein sehr schneller
Fluss. Der Durchbruch des Buzău wird durch eine gewaltige Talsperre oberhalb Nehoiu in
einen Stausee verwandelt. unter Nehoiu bietet der Fluss auf einer kurzen Strecke noch
relativ schwieriges Wildwasser. Ab Păltineni mäßigen sich die Schwierigkeiten. Einige
Klöster (Ciolan, Bradu, Răteşti), die Salzfelsen, das „ewige Feuer“ von Lopătari, die
Schlammvulkane Pâclele Mici und die Salzseen Lacul Amara und Balta Albă in der
Bărăgan-Ebene machen den Fluss touristisch interessant (Păltineni – Buzău WW I 75 km).
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 88, S. 41 – 49)
Seite | Bildunterschrift |
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42 | Auch heute noch kann man auf der Bistritz sein Boots-Abenteuer erleben. |
43 | Gemächliche Fahrt auf der Marosch. Hoch oben auf dem Berg, die Schoimoscher Burg Lippa. |
44 | Die Große Kokel ist bei Micăsasa nicht tief. Auch Ochsengespanne kommen hier problemlos durch den Fluss. |
46 | Rasttag am Donauufer bei Tulcea. Unsere Boote werden gründlich überholt bevor sie die Fahrt neben dem „großen Bruder“ antreten. |
48 – 49 | Flusskarte Rumänien |