Sechs Tage Sonne im Ţarcu und Godeanu
von Horst Engelmann
Vom Ţarcu aus hatten wir die mächtige Bergkette im Osten schon oft bewundert, jetzt wollten wir sie durchwandern. Wir wussten, dass es nicht Berge der Wanderer sind, sondern Berge der Hirten: hier treffen sich Herden aus dem Banat, aus Oltenien und sogar aus Siebenbürgen.
In Karansebesch aus dem steigend, blicken wir in einen wolkigen Himmel und machen uns
auf Regen gefasst. Ein Bus bringt uns über die holprige Landstraße in kurzer Zeit bis zur
Talstation der Seilbahn. Bald schaukeln wir im Sessel zwischen tief hängenden Wolken
aufwärts. Nach zwanzig Minuten sind wir endlich oben beim Touristenkomplex Muntele Mic.
Die Sonne lässt den kalten Fahrtwind bald vergessen.
Den Muntele Mic links liegen lassend, wenden wir uns nach Süden. Auf dem mit rotem Band
gut markierten Weg, über den Jigorii-Kamm zum Cuntu umwehen uns Wolkenfetzen.
Allmählich verschwindet die Sonne hinter einer dichten Wolkendecke. Nach knapp zwei
Stunden erreichen wir die Wetterwarte Cuntu und beschließen, hier zu bleiben.
In aller Eile werden das Zelt gepackt, die Rucksäcke geschnürt und los geht’s – direkt der
Sonne zu. Die letzten Wolken verziehen sich nach Süden. In der frischen Morgenluft steigt
sich’s gut, immer das Ziel des heutigen Tages vor Augen: den Ţarcu (2186 m). Rechts
dehnen sich die Westausläufer des Ţarcu, die weit hinter uns in der Pleşakette enden; links,
hinter uns, erhebt sich der Muntele Mic und tief unten breitet sich das Olteana-Gletschertal
aus. Gegenüber schließen die felsigen Abhänge des Brusturele und des Căleanu (2190 m)
die Sicht.
Auf der immer felsiger werdenden Serpentine erreichen wir nach zweistündiger mühevoller
Wanderung die Ţarcu-Wetterwarte, die sich einer Burg gleich auf der Kuppe des Bergstocks
erhebt. Von der Gipfelpyramide aus überschauen wir unseren folgenden Weg: über den
Prislop-Kamm zum Godeanu und dann über die Moraruplatte bis zum wuchtigen Gugu. Im
Abstieg treffen wir knapp unterhalb der Bodeaspitze auf einen Fleck blanken Schnees. Links
unten glänzt im Gletscherkessel der kleine See Iezerul Ţarcului.
Vom Seiul (2039 m) geht es, das rote Band verlassend, auf dem Prisloprücken nach Süden.
Seltene Zeichen mit blauem Punkt bestätigen uns, dass wir richtig sind, was aber angesichts
des gut ausgetretenen Weges kaum nötig ist. Pferde-, Kuh- und Schafherden queren den
Pfad, der uns den Godeanu bald greifbar nahe bringt. Zwischen uns und diesem Berg öffnet
sich aber der messerscharfe etwa tausend Meter tiefe Einschnitt des Râul Şes.
Im Abstieg durchs Mlăciletal holen wir uns noch nasse Füße im Morast. Links sehen wir
seltsame igluartige Behausungen aus Felsbrocken, die vor Jahrzehnten schon von Hirten
errichtet wurden. Am Ufer des Râul Şes, an einem trockenen Platz, schlagen wir nach
achtstündiger Wanderung endlich unser Lager auf.
Auf dem gegenüberliegenden Ufer des Râul Şes beginnt der Tag mit einem langen Aufstieg
über grasige Abhänge. Nach einer Stunde stehen wir auf der Tucilaplatte in knapp
zweitausend Meter Höhe. Wildes Hundegebell empfängt uns – und dies wurde ab jetzt die
Regel: jede halbe Stunde trafen wir eine andere Herde mit bösen Hunden. Über die weite
Hochfläche ziehend, haben wir den Godeanu vor uns, rechts trennen uns die Quellen des
Râul Şes von dem Gewirr der Höhenzüge des Berges Oslea Românească (1784 m).
Im Anstieg öffnet sich links der Blick auf die Gletscherkessel Bonţica und Gropiţa. Im ersten
glänzt auch ein kleiner See. Vom Godeanu (2230 m) überschauen wir die riesige
Gebirgsfläche, in deren Mittelpunkt er liegt: Ţarcu, Retezat und Oslea und gegenüber dem
tiefen Einschnitt der Cerna das Mehedinţi-Gebirge.
Der Weg führt nun auf schmalem, felsigerem Kamm weiter, umgeht die Moraruplatte an
deren Südrand, und nach kurzem Abstieg, stehen wir im Mâţuluital. Auf der Obersten
Gletscherstufe wird gezeltet.
Die Glöckchen der bergaufwärts ziehenden Schafherden wecken uns. Mit Essen für einen
Tag und der Luftmatratze im Bergsack ziehen wir talwärts. Rechts von uns springt der
Mâţuluibach in schäumenden Wasserfällen zu Tal; die steilen Wände zu beiden Seiten
scheinen das tiefblaue Himmelsdach zu stützen.
Als wir schon den Wald vor uns haben, stürzt von links ein munterer Bach ins Haupttal: der
Ausfluss des Gugusees. Diesen entlang steigend, muss der See in kurzer Zeit zu erreichen
sein. Wir beginnen den Aufstieg. Bald schließt dichtes Latschengestrüpp den Bachlauf ein.
Wir weichen nach links aus, klettern über feuchte Felsen und grasige Steilhänge im Schatten
der Felswände immer höher. Nach einer schweren halben Stunde ist die untere
Gletscherstufe erreicht: Hier muss vor Jahrtausenden der Kesselgletscher abgebrochen
sein, um seine Eismassen ins zweihundert Meter tiefer liegende Haupttal zu schicken.
Die Stufe ersteigend, haben wir den Gugu-II-See vor uns und sind enttäuscht: ein morastiger
halbausgetrockneter Tümpel – dafür die viele Mühe? Wir ziehen auch gleich weiter – in zehn
Minuten nehmen wir noch zwei Gletscherstufen und stehen vor dem eigentlichen Gugusee.
Tintenblau glänzt er zwischen den hochschießenden Felswänden der Guguspitze. Schon
sind wir im Wasser. Aber nicht für lange. Das eiskalte Nass treibt uns nach wenigen Minuten
ans Ufer. Mit der Luftmatratze jedoch lässt sich’s angenehm über den See „paddeln“.
Nach der langen Badepause beginnt dann, auf einem schmalen Pfad über Geröllzungen, der
recht steile Anstieg zum höchsten Punkt unseres Ausflugs: der Guguspitze (2290 m). Die
dreihundert Meter Höhenunterschied bringen uns in der Nachmittagssonne ganz gut zum
Schwitzen; am Gipfel angekommen, werden wir aber von einem überraschend kalten Wind
empfangen.
Weiter geht’s nach Süden. Wir umgehen die Scăriţa und steigen leicht an bis zur breiten,
flachen Moraruplatte. Von hier bis zu unserem Zeltplatz ist es nur noch ein Katzensprung.
Ziemlich spät brechen wir heute auf, und so ist der Weg zur Piatra Scărişoarei unter der
heißen Vormittagssonne nicht gerade ein Vergnügen. Beim Scărişoarasee angekommen,
kühlen wir uns ab und versuchen den Abstieg durchs Scărişoaratal.
Der anfangs leichte Weg endet bei der untersten, steilsten Gletscherstufe in einem
undurchdringlichen Latschendickicht. Hirten zeigen uns dann einen Pfad, der irgendwo hoch
über uns zur Borăscuplatte führt, und überzeugen uns, dass dies der einzige Weg nach Gura
Apei sei. Bevor wir losklettern, zeigen sie uns noch einen seltsamen Wasserfall: das Wasser
des Scărişoarabaches stürzt hier in einen brunnenartigen Schacht, der von drei Seiten
abgeschlossen ist und unten nur einen schmalen Ausfluss frei lässt.
Der Überstieg ins Borăscu-Mare-Tal ermüdet uns mehr als gedacht, und so beschließen wir,
hier noch eine Zeltnacht einzulegen. Morgen erfolgt der Abstieg nach Gura Apei.
Munter geht’s am Morgen aufwärts zum Borăscu. Oben angelangt, scheint es einem
unglaublich, dass dies ein so hoher Berg sein soll: die weiten, ebenen Flächen lassen uns
bald den Aufstieg vergessen. Ein letzter Blick auf die nahen Retezatgipfel und zurück auf die
Berge, über die wir gewandert sind und dann geht es in Serpentinen abwärts ins
Izvorul-Stânii-Mari-Tal. Jetzt überschauen wir tief unter uns die Riesenbaustelle des Stausees
Râul-Mare-Retezat. Bald wird man von hier aus die blauen Wellen des neuen Sees erblicken.
Im Nu sind wir durch den Wald auf sehr engen Kehren auf der Umgehungsstraße des
zukünftigen Sees und wenig später mitten auf der Baustelle. Mit einem Riesenkipplaster
fahren wir bis in die Arbeiterkolonie Brazi und erreichen noch den letzten Bus nach Hatzeg.
MUNTELE MIC – CUNTU (rotes Band): 2 Stunden
CUNTU – ŢARCU (rotes Band): 2 Stunden
ŢARCU – SEIUL (rotes Band): 1 ½ Stunden
SEIUL – RÂUL ŞES (selten blauer Punkt): 4 Stunden
RÂUL ŞES – MÂŢULUISATTEL (unmarkiert): 4 Stunden
MÂŢULUISATTEL – GUGUSEE – GUGUSPITZE (keine Markierung): 3 Stunden
GUGU – MORARU – MÂŢULUISATTEL (keine Markierung): 2 Stunden
MÂŢULUISATTEL – SCĂRIŞOARASEE (keine Markierung): 2 Stunden
SCĂRIŞOARASEE – BORĂSCUTAL (pfadlos): 4 Stunden
BORĂSCUTAL – BORĂSCUPLATTE (pfadlos): 1 ½ Stunden
BORĂSCU – GURA APEI (keine Markierung): 3 Stunden
Für den Abschnitt Scărişoara – Borăscu sollte man lieber den Kammweg über den
Galbenagipfel wählen, der übersichtlich ist und auch nicht mehr Zeit in Anspruch nimmt.
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 88, S. 29 – 32)