Eine nasskalte, aber erlebnisreiche Rodna-Tour
von Wolfgang Kautz (Bornim)
Erster Familien-Gebirgswanderurlaub in den Karpaten. Der Vater war schon im Făgăraş und
Retezat. Die Familie entschied sich für das Rodna-Gebirge.
Mit der Eisenbahn ging es über Cluj-Napoca, Dej, Beclean de Someş, Năsăud nach
Sângeorz-Băi. Die Fußwanderung in Richtung Maieru (DN 17 D) war nach der langen
Bahnfahrt, trotz der vollbepackten Rucksäcke zu Beginn eine willkommene Abwechslung.
Wie glücklich waren wir jedoch, als bald ein Fahrzeug kam, das uns alle bis zur Hütte
Farmecul Pădurii (Waldesglück) mitnahm. Wenn auch nicht alles so war, wie im Reiseführer
angekündigt, so freuten wir uns am Bach und am gastlichen Zimmer. Am Morgen wurden wir
erst spät wach. Draußen regnete es. Unser „Waldesglück“ wurde bald von einer vielköpfigen
Schar Kinder belebt, die Himbeeren pflücken wollten und wohl keinen Wetterbericht gehört
hatten.
In einer kurzen Regenpause auf Besseres hoffend, zogen wir bergan weiter. Bald kam ein
großer Steinbruch in Sicht und darauf eine aufgelassene Hütte, in der wir für kurze Zeit
Unterschlupf vor dem immer heftiger einsetzenden Regen fanden.
Was tun? Warten bis zur nächsten Regenlücke? Wie wird das morgen sein?
Glück muss man haben! Schon nach einer Wanderstunde vom Steinbruch erreichten wir
eine neuerbaute, erst halbfertige Hütte, wie für uns geschaffen. Eine heiße Suppe und eine
Nacht im Trockenen hatten wir uns tatsächlich erwandert. Todmüde schliefen wir ein. Der
nächste Tag: Blau wie im Bilderbuch. Bei schönstem Wetter zogen wir bergan, kaum dass
wir drei Menschen trafen und mit „bună ziua“ begrüßten. Bald hörte der Fahrweg auf und die
Cormaia wollte auf neue Weise überquert werden. Die Tannen, Buchen und Fichten, die
goldenen Sterne der Ochsenaugen und das Rauschen des Baches, der in vielen Kaskaden
talwärts stürzt, dazu der Sonnenschein – ein Tag wie im Paradies.
Etwas abseits der Waldgrenze stand eine Sennhütte. Pferde, Schafe, Ziegen, Kühe,
Schweine, Hunde. Die Hirten begrüßten uns freundlich. Wir wurden zum Essen eingeladen,
es gab mămăligă und brânză und zum Abschied sogar ein Stück Fleisch, weil der Bär in der
Nacht sein Unwesen getrieben hatte. Wie weiter? Die Wegmarkierung hatten wir verloren,
die Hirten jedoch wiesen uns den Weg. Bei fallender Abendsonne fanden wir ein ebenes
Plätzchen, um zu zelten, ein Bächlein, Blaubeeren und Wacholder in der Nähe. Weit unten
im Tal zog der Hirt mit seinen Schafen, winzig klein.
Wieder ein strahlender Morgen. Pferde beäugten uns neugierig. Bergnarren sind hier wohl
selten, denn wir trafen erst am Nachmittag, am Kreuzweg Tarniţa „la Cruce“, Wanderer. Es
blieb aber kaum Zeit, um Erfahrungen auszutauschen, denn wieder wurde es windig, begann
es in der Ferne zu rumoren. Wir dachten, es handle sich um Steinbruchsprengarbeiten, aber
irren ist menschlich. Mühsam ging es dem Pietrosu zu. Der Wind wurde zum Sturm, und mit
großem Glück fanden wir in der Curmătura Pietrosu zwischen Rebra- und Pietrosu-Gipfel
eine windgeschützte Stelle. Schnell waren die Zelte auf einem ebenen Fleckchen aufgebaut.
Mit großen Steinen sicherten wir die Leinen, und ab in die knatternde schützende Zelthülle.
Obwohl Ende Juli, war es plötzlich sehr kalt. Mit einem Temperatursturz bis null Grad Celsius
hatten wir nicht gerechnet. Dazu gab es nach Mitternacht ein fast zwei Stunden dauerndes
Gewitter, Blitzen und Donnern, als wolle sich der Berggeist gerade durch unsere „Curmătura“
einen Weg bahnen. Wie viel beruhigter hätten wir hier in einer Kunststoffbiwakschachtel
übernachtet! Leider fehlte sie. Bestimmt ist die Fogarascher Erfahrung noch nicht bis hierher
gedrungen.
Bei starkem Sturm und Sichtweite unter 10 Meter ging es am nächsten Tag auf den Pietrosu.
Der kurze Weg auf der Wanderkarte nach Borşa war leider nicht zu erkennen. So kraxelten
wir dem Wind entgegen über den Hotarului-Berg, auch der Schreckliche genannt. Den
„Schrecken“ haben wir nicht wahrnehmen können, es war zu neblig. Endlos lang die
Abstiege durch wasserarmes Gebiet, von Arnika durchstrahlt. Nach Stunden endlich die
Reservatshütte, Wasser und ein sicherer Weg weiter abwärts durch die Waldzone bis
Moisei. Wir hatten es geschafft: 1700 m Höhendifferenz als Abstieg an einem Tag und nach
einer solchen Nacht. Eigentlich eine gute Leistung für eine Familie, die auf den Zeugnissen
ständig mit schlechtesten Sportzensuren kämpft.
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 88, S. 199 – 202)
Seite | Bildunterschrift |
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200 | Caliman – Blick von den 12 Aposteln zum Pietrosul. |
201 | Noch ein langer Weg bis zum Miroslava-Gipfel. |