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Bäuerliche Technik am Fuße des Surul

Zu Besuch bei den „Bostinari“ von Sebesul de Jos

von Herbert Hoffmann

Wenn Bergwanderer wüssten, was das am Fuße des Surul, einem der Gipfel der Fogarascher Felskette, gelegene Dorf Sebesul de Jos an Sehenswertem zu bieten hat, würde mancher allein dem zuliebe einen kleinen Umweg in Kauf nehmen. Die malerische Siedlung, einem kleinen Dorfmuseum gleich, strömt auch heute noch eine altpatriarchalische Atmosphäre aus und besticht durch die spitzgiebligen Holzhäuser mit steilen Schindeldächern über blau getünchtem Mauerwerk, mannshohen Bruchsteinmauern und dem murmelnden Bächlein, das, am Fuße des Surul entspringend, mal seicht und klar, mal lehmig und tosend, bis hinunter zur alten Dorfmühle fließt, um sich schließlich in den Alt zu ergießen.
Doch selbst der passionierte Tourist, der diese Landstriche durchquert, bewehrt mit Skiern oder Angel, um seinem Hobby zu frönen (es gibt außer wunderbaren Skihängen auch noch Forellen), oder darum bemüht, mit der Kamera Bilder des Dorflebens festzuhalten, kommt wohl kaum auf den Gedanken, etwa bei Lazar Bucurenciu oder Maxim Maierean vorzusprechen und anzufragen, was die langgezogenen Steinbauten, die meist eine Gehöftfront säumen, beherbergen.
Da stehen nämlich drinnen mächtige, aus zentnerschweren Balken gezimmerte Keltern, die die „bostinari“, d. h. die Wachstrebernsammler zum Auspressen von Bienenwachs benutzen...
Doch greifen wir lieber etwas zurück. Das heutige Dorf Sebesul de Jos liegt inmitten einer Landschaft, von Busch und Hochwald umgürtet, der sich gegen die Altaue allmählich verliert. Doch trügt das Bild üppiger Vegetation. Unter Buschwerk und Rasen verbergen sich nur sandige Racheln und zerklüftete Lehmhänge, die sich zwar gut als Weide, aber nur schlecht zum Ackerbau eignen. Demzufolge galt schon früh, diesem Abhilfe zu schaffen, und wo andere etwa als Maurer oder Zimmerleute, Mäher oder Holzknechte in ferne Gegenden zogen oder zu töpfern begannen, verlegten sich die Bewohner von Sebes auf den Handel. Die einen kauften Altglas für die Glashütten von Avrig oder Porumbacu, andere wiederum sammelten Hadern für die Heltauer Spinnereien, und da das nicht alle konnten, widmete sich ein Teil der Männer schon früh einem eigenartigen Gewerbe. Sie zogen durchs Land und erwarben für wenig Geld das, was andere kaum mehr zu nutzen wussten, nämlich Wachstrester. Was das sind? Nun, nachdem der Imker den Waben seiner Bienenstöcke die Honigernte entnommen hat, lässt sich aus dem erstgenannten durch Sonnenwärme, Kochen oder Pressen mittels verschiedener rudimentärer Vorrichtungen das goldgelbe Wachs erlangen, das man zum Anfertigen der Kunstwaben benötigt, die aufkamen, seit man die primitiven „Stülper“ durch systematische Bienenkästen ersetzte.
Bei den nur unvollkommenen, Verfahren die dabei zur Anwendung gelangen, enthalten die die nach dem Pressen übriggebliebenen Wabenreste außer Zellulose und Staub noch erhebliche Wachsmengen, die verloren gehen würden, wenn es eben nicht den „Trebernsammler“ gäbe, der die Dörfer einst zu Fuß, beritten oder mit dem Korbwagen durchzog und diese Rückstände aufkaufte und hernach das Wachs auszupressen verstand, ein vor allem von der kosmetischen und pharmazeutischen Industrie sehr begehrten Stoff. Hatte er also genügend Trester beisammen, so beförderte er die voluminöse, doch wertvolle Fracht ins Heimatdorf und überließ sie dort seiner Familie zur Weiterbearbeitung...
Wachs war bereits während des Mittelalters ein sehr begehrter Stoff, diente es doch neben Kienspan und Öl als wichtigster Lichtspender für den Hausgebrauch. Von großen Wachsmengen, die Jahr für Jahr ins Ausland ausgeführt wurden, berichten alte Handelsabkommen zwischen den rumänischen Wojewoden und etwa den Lemberger Kauflauten. Doch auch Berichte der Zünfte erwähnen immer wieder das „Wachsgeld“, das der Lehrling beim Aufdingen zu entrichten hatte. Wachs diente aber auch zur Bereitung von allerlei Tonika, Salben und Tinkturen gegen Atembeschwerden, Rheuma, und kein Geringerer als der große rumänische Märchensammler Ion Creanga erwähnt sogar ein Mittel gegen Cholera, das man aus Wachstrebern bereite.
Doch zurück zum Trebernsammler. Dieser rüstete sich gleich nach Abschluss der bescheidenen Feldarbeit zur Fahrt, d. h. er ließ sein Pferd neu beschlagen, überholte den Planwagen, belud ihn mit mehreren großen, bis zu 2,5 Meter langen Hanfsäcken, einem Packsattel und Tauschwaren, wie Pfefferkörnern, Nähnadeln, Weihrauchharz oder Wachskuchen und -kerzen, die die Bauersfrauen ganz gerne als Zahlungsmittel anzunehmen pflegten, da Kleingeld schon immer Mangelware war. Dann ging es los, hinunter nach Oltenien oder Muntenien, in die Siebenbürgische Heide, gegen Deva oder Hatzeg hin, denn jede Familie, man könnte sagen jeder „Clan“, hatte sein genau umrissenes Revier, das die übrigen durchaus respektierten. So begegnete man früher dem „bostinar“ in entlegensten Landstrichen bis hinunter in die Dobrudscha hinein. Allerdings nicht dem aus Sebes, sondern aus anderen ebenfalls darin spezialisierten Zentren, wie dem moldauischen Trans, dem in Mitteloltenien gelegenen Arghetoaia oder der Zwillingsortschaft Caianul Mic und Caianul Mare in Nordwesttranssilvanien, stammenden.
An Ort und Stelle angelangt, wurden die Pferde abgeschirrt, gesattelt und Vater und Sohn zogen jeder für sich zum Sammeln aus. Dabei stieß man gelegentlich auch auf einen Großimker, der einen ganzen Bienengarten sein eigen nannte, und wenn man Glück hatte, ergab gleich der erste Tag an die hundert Kilogramm Trester, aus denen man zu Hause eine gehörige Menge Wachs gewinnen konnte.
Nach zwei, drei Wochen ging es mit hochbeladenem Wagen heim. Später, nach Aufkommen der Eisenbahn und des Fahrrads ersetzten diese Wagen und Reitpferd und die gesammelte Ware wurde einfach per Post nach Hause geschickt und dort von den Angehörigen schnell verarbeitet. Das heißt, man zerkleinerte die Tresterbrocken zu einem groben Pulver und brachte dieses in großen Kesseln unter Beigabe von Wasser zum Sieden. Inzwischen bestückte man den Keltertopf mit einer Kette, kurzen Latten und Gerstenstroh, über die der erhitzte Tresterbrei gegossen wurde, aus dem das Wachs in einen unterhalb aufgestellten Zuber floss, um nachher in kleinere, kegelstumpfförmige Eimer gegossen zu werden, wo es zu goldgelben, würzig duftenden Kuchen erstarrte. Mit Hilfe der Kette holte man die nun wertlosen Pressrückstände wieder heraus und beschickte die Kelter aufs Neue.
Die dabei benutzten Keltern wiesen imposante Ausmaße auf, und wer die Verarbeitung weiter verfolgen möchte kann dieses heute etwa im Freilichtmuseum für Bäuerlich-Handwerkliche Technik im Jungen Wald von Sibiu/Hermannstadt tun, wo es außer Kelter auch eine Wachszieherwerkstatt zu besichtigen gibt, in der man das Wachs zu Kerzen zog oder goss, die ihrerseits eine beliebte Handelsware bildeten.
Nun, nachdem wir dieses alles erfahren haben, können wir uns die Ortschaft näher ansehen, auch die 12 Keltern, deren sich die Bewohner noch zu bedienen pflegen, wenn ein neuer Transport Trester eingetroffen ist. Am Abend ist es ein Vergnügen, auf der Torbank oder beim Schein einer Öllampe im Kelterhaus den Erzählungen zu lauschen, die von Reisen, Abenteuern, vielen Zu- und Unfällen berichten. Und so kommt nicht nur das Auge auf seine Kosten.

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 88, S. 178 – 180)

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