home - Komm mit - 1987 - Zwei Meeraugen im Banat
jedes Wort alle Wörter Suchwort markieren
drucken

Zwei Meeraugen im Banat

Wandern zu den nahezu unbekannten Gletscherseen an der Bistra, knapp vor dem Eisernen Tor Siebenbürgens

von Mircea Pătrăşescu

Auch gute Kenner des Banater Berglandes, ja selbst eingefleischte Bergwanderer zucken oft nur mit der Schulter, fragt man sie nach den „Iezerele Bistrei“. Gletscherseen im Banat? Noch nie was von diesen Meeraugen gehört! Ein Stück Bergwelt, unbekannt, unbegangen, dem Hochgebirge ebenbürtig an Schönheit, dem benachbarten Retezat etwa, den man von oben, vom Vârful Pietrii – noch auf Banater Boden –, als beeindruckende Bergkulisse vor sich hat. Wildzerklüftet die Landschaft, Gämsen – und dann die Meeraugen!

Allerdings zehn Stunden Marsch auf Schusters Rappen kostet dieser Anblick, der sich nur wenigen Wanderern bislang eröffnet hat, so abseits liegt dieser Raum im Ţarcu-Gebirge, hart an der Grenze des Banats; unser Ausgangsort Bucova ist nur wenige Kilometer vom Eisernen Tor Siebenbürgens entfernt. Im „Preis“ sind jedoch auch die ungezählten übrigen Wanderfreuden inbegriffen, die jeder kennt, der noch auf Wanderstiefel, Rucksack und Zelt schwört oder ein Übernachten im Heu einer Scheune oder in einer Sennhütte als Erlebnis empfindet. Vornehmlich jenen sei dieser Wandertipp gegeben.
Der „Preis“ aber kann noch erheblich gesenkt werden – und jetzt wende ich mich an jene Gruppe von Bergfreunden, die rascher ans Ziel gelangen wollen –, und zwar, wenn man bequem nach Poiana Mărului reist, dort im neuen hochmodernen Berghotel mit allem Komfort übernachtet und dann ausgeruht einen Spaziergang zu den Gletscherseen machen will. Drei Stunden Weg sind es bis hin, ein Tagesausflug also, der sich auch mit kleineren Kindern unternehmen lässt.
Für die Geher schlagen wir aber den Anmarsch ab Bucova vor. 145 Autokilometer von Temeswar, 45 von Karansebesch entfernt liegt dieser Ort. Wer mit dem Zug anreist, muss in Băuţari – der Endstation – aussteigen und erst mal fünf Kilometer bis Bucova zurücklegen. Übers Wochenende ist die Tour zu den Gletscherseen allerdings auf diese Weise – d.h. ohne Wagen – nur schwer zu schaffen, zwei volle Tage aber reichen schon aus, und drei – das wäre ideal.
Zweckdienliche Hinweise über den Weg hinauf zu den Seen sind von den Bewohnern in Bucova zu erhalten, am besten aber lässt man sich im Forsthaus, zwei Kilometer vom Dorf entfernt, wo der Lupului-Bach in die Bistra Bucovei mündet, beraten. Zwei Trassen gibt es: die eine – die schönere sagen wir – führt durchs Tal des Lupului-Baches, die zweite entlang der Bistra. Die zweite ist etwas bequemer zu schaffen, für die erste sind Gummistiefel anzuraten, da der Bach mehrmals durchquert werden muss.

ZUR TRASSE NUMMER EINS: Von Bucova zum Forsthaus, wo der Anstieg auf eine Pfad entlang des Lupului-Baches beginnt. Nach einer guten Stunde führt er vom Tal aus links hinauf zu den Sennhütten auf dem Gropanu. Bereits nach einer Viertelstunde sind wir an der ersten Schäferhütte, nach einer Stunde an der zweiten, knapp unter dem Gipfel des Gropan, 1672 Meter hoch. In der Nähe gibt es auch eine geräumige Hütte der Landwirtschaftlichen Versuchstation Lowrin, und wer spät am Abend und ohne Zelt ankommt, bleibt nicht draußen vor der Tür.
Der Anstieg über den Gropanu lohnt sich allein schon der Aussicht wegen, die man von hier aus hat, doch vielleicht auch schon des Schafkäses wegen, der hier direkt an der „Quelle“ zu haben ist. Vom Gropanu folgt der Pfad der Höhenlinie, er führt durch junge Nadelholzpflanzungen; doch nach einer Stunde – wir befinden uns auf der Lolaia-Höhe (1850 m) – ist der Weg von Latschen und Wacholderbüschen überwuchert, und wir steigen besser ins Bistra-Tal zum Forsthaus hinab. Das ist auch der Berührungspunkt unseres Weges mit der TRASSE NUMMER ZWEI, die vom Försterhaus unten bei Bucova immer den Pferdewagenweg die Bistra entlang heraufführt, Dauer: drei bis vier Stunden je nach der Gangart. Sie ist leichter zu bewältigen, doch die grandiose Berglandschaft, die wir vom Gropanu gesehen haben, die fällt da weg – alles hat seinen Preis!
Das Forsthaus bietet Unterkunftsmöglichkeiten, wenn’s sein muss denn bis zu den Seen sind es noch etwa fünf Stunden. (Wer also in Bucova übernachtet hat und am Abend wieder im Dorf sein will, muss sich spätestens fünf Uhr früh auf die Socken machen.) Ein Kilometer vom Forsthaus entfernt gelangen wir an den alten Marmorsteinbruch, dessen Sägen einst vom Wasser der Bistra betrieben wurden, der kleine Staudamm ist immer noch zu sehen.
Auf einem schmalen Pfad der Versorgungspferde geht es zwei knappe Stunden lang bergan bis zur letzten Hütte auf unserem Weg, der Baracke der Waldpflanzer-Brigade. Von hier an weiter heißt die Gegend schon „Iezer“. Das Wegstück bis hinauf zu den Meeraugen erfordert genauestes Hinsehen! Nach einigen hundert Meter nämlich gibt es den Pfad nicht mehr – wir befinden uns bereits in dem Stück Banater Bergwelt, das bislang sozusagen unberührt blieb.
Wir halten uns links den Hang entlang, im Tal gibt es kein Durchkommen mehr, kleine Wasserfälle und andere Hindernisse versperren den Weg. Wir umgehen oben am Bergrücken das Waldstück, das einem Brand zum Opfer gefallen ist, und nach einer Stunde Weg verlassen wir die Nadelholzzone und gelangen wieder ins Reich der Latschen und der Wacholderbüsche. Wir umgehen die „grünen Wände“ immer links. Dann kommen große Felsmassen in Sicht, und wenn man sich still verhält, kann man auch Gruppen von Gämsen beobachten.
Fast unvermutet rasch sind wir auf dem Südkamm angelangt, und: Vor uns eröffnet sich ein Bergwunder, eine Landschaft, wie sie wohl keiner im Banater Bergland vermutet! Ein riesiges Gletschertal liegt vor uns wie ein Amphitheater, und mittendrin der erste, der große See – Iezerul Mare. Und nach nur wenigen Minuten Weg der zweite, der kleinere Gletschersee. Nur wenige Menschen haben diese Landschaft gesehen, das zeigen schon die Mühen, einen Weg hin zu finden, an.
Unweit der Seen ist der Pietrii-Gipfel (2192 m), er scheidet drei Quellgebiete: das der Bistra Bucovei, entlang der wir gekommen sind, das des Pietrele Baches, der hinüber in Richtung Retezat fließt und in den Râul Mare mündet, und das der Bistra Mărului, deren Quellbäche Peceneaga und Poiana Mărului hier entspringen. Blickt man vom Vârful Pietrii nach Osten, so hat man die beeindruckenden Bergwände des Retezat im Blickfeld, im Süden aber, jenseits des Râu Şes, den Gugu mit seinen 2291 Metern.
Wollen wir zu unserem Ausgangsort Bucova zurück, wo wir den Wagen abgestellt haben, so folgen wir dem Herweg oder ab dem Forsthaus im Bistra-Tal der anderen Trasse. Wir können aber in drei Stunden, immer dem Peceneaga-Bach folgend, drüben im Berghotel Poiana Mărului sein, und von dort dann in Ruhe die Heimreise antreten.

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 87, S. 56 – 60)

Seite Bildunterschrift
 
56 Nur wenigen Menschen begegneten wir. Im Bild: Forstarbeiter mit ihren Pferden.
58 Eine Landschaft wie im Retezat – Im Vordergrund einer der beiden Gletscherseen im Quellgebiet der Bistra.
59 Kartenskizze
60 Das Forsthaus im Bistra-Tal.
nach oben nach oben