Die Pflanzenwelt der Südkarpaten
von Klaus Fabritius
Wandern ist kein Gipfelstürmen, sondern Erholung, Entspannung, Freude an der Natur und
Abwechslung zum täglichen Berufsleben. Mit der Schneeschmelze schießen schon die
ersten Frühlingsboten aus der Erde, dann wechselt die Farbenpracht der Blüten mit den
Kalendertagen und erreicht in den Südkarpaten im Juli und August einen Höhepunkt. Die
schönen Blumen werden bewundert, beim Namen genannt, fotografiert und leider nicht
selten auch gepflückt.
Es gibt Wanderer, die sich in der Alpenflora auskennen, anderen sind nur eine
Gruppenbezeichnung wie Enzian, Glockenblume, Nelke usw. oder einige unter Naturschutz
stehende Arten – wie das Edelweiß, die Königsblume u. a. – vertraut. Die wenigsten aber
wissen, dass es in unseren Karpaten eine verhältnismäßig große Zahl von „einheimischen“
oder endemischen Pflanzen gibt, die nirgends anderswo auf der Erde wachsen, wie die
Siebenbürgische Akelei, die Karpatenschlüsselblume, die Königsteinnelke, das Joos-
Veilchen, um nur einige zu erwähnen.
An erster Stelle steht das Edelweiß (Leontopodium alpinum), das Symbol der Touristik und
des Naturschutzes. Die eigentliche Heimat der Edelweißarten ist das Hochgebirge Asiens.
Nach Europa ist es zu Beginn der Eiszeit vorgedrungen und hatte wahrscheinlich ein viel
größeres Verbreitungsgebiet. Heute sind in den Südkarpaten nur einige Inseln übrig
geblieben. Das Pflücken der Edelweißblüten ist, wie bei allen unter Naturschutz stehenden
Arten, streng verboten, obwohl das Pflücken auch heute noch als Mutprobe gilt und schon
öfter zu Unfällen geführt hat.
Zu den ersten Blüten des Jahres, manchmal schon im Februar, gehören die des
Seidelbastes (Daphne mezereum). Er hat noch zwei unter Naturschutz stehende Verwandte
– das Steinrösel (Daphne cneorum) und die Königsblume (Daphne blagayana) –, die beide
erst Ende April oder im Mai blühen. Die Königsblume erhielt ihren Namen zu Ehren des
Sachsenkönigs Friedrich August II., der im Jahre 1838, ein Jahr nach der wissenschaftlichen
Benennung, in die Krain reiste, um an Ort und Stelle diese seltene Pflanze in der Blüte zu
bewundern. In den Südkarpaten wurde die Königsblume schon 1780 vom Hermannstädter
Botaniker Josef Lerchenfeld entdeckt, aber mit einer anderen Seidelbastart verwechselt.
Hundert Jahre später wird dieser Irrtum von Julius Römer richtiggestellt. Schöne Bestände
der Königsblume finden wir auf dem Hohenstein und Schuler, auf der Cozia und der
Vânturariţa.
Alle Wanderer kennen die Alpenrose, die in der Blütezeit oft ganze Hänge bedeckt und ein
unvergessliches Erlebnis bietet. Der richtige Name ist eigentlich Siebenbürgische Alpenrose
(Rhododendron kotschyi), da unsere Alpenrose nirgends anderswo wächst und zum
Unterschied der Alpenarten duftende Blüten hat. In den Südkarpaten finden wir die
Siebenbürgische Alpenrose fast überall, die Blütezeit ist Juni, manchmal kommt es zu einer
zweiten, vereinzelten Blüte im September, wenn der Frost nicht frühzeitig die Knospen
überrascht.
Zu den malerischen und besungenen Alpensträußen gehören neben dem Edelweiß und den
Alpenrosen die blauen Enziane. Die bekanntesten Arten sind der Stengellose Enzian
(Gentiana kochiana) und der Frühlings-Enzian (Gentiana verna). Wir möchten den Gelben
Enzian (Gentiana lutea) erwähnen. Die bis zu einen Meter hohe Pflanze erinnert gar nicht an
einen Enzian, wenn man den Gelben Enzian nicht kennt, weil die Blüten nicht röhrenförmig,
sondern flach und offen sind. Dadurch ist der Nektar für die Insekten frei zugänglich
(Blütezeit Juli – August). Aus der Wurzel wurde früher der begehrte Enzianschnaps gebraut.
Heute ist das Ausgraben der Wurzel streng verboten, da die ganze Pflanze unter
Naturschutz steht. Den Gelben Enzian finden wir an den Südhängen des Schuler, am
Königstein, in der Vânturariţa, um nur einige Stellen zu nennen.
Im Kalkgeröll der Südkarpaten wachsen auch der Gelbe Alpenmohn (Papaver corona-sancti-
stephani), ein Mohn mit einer einzigen gelben, selten weißen Blüte (Blütezeit Juli – August)
und das Joos-Veilchen, auch Siebenbürgisches Veilchen genannt (Viola jooi) – Blütezeit
April – Mai. Beide Arten sind für die Karpaten endemisch.
Auf den feuchten Wiesen im Bucegi-Gebirge, an den Hängen von der Babele-Spitze
Richtung Peştera, aber auch an anderen Stellen, können wir im Juli – August das geschützte
Rote Kohlröschen (Nigritella rubra) bewundern. Bei näherer Betrachtung dieser Orchideenart
sieht man, dass die kleinen Blüten alle auf dem Kopf stehen. Zur selben Zeit blüht eine
andere, viel häufigere Orchideenart, und zwar das Kugelknabenkraut (Traumsteinera
globosa). Der kugelförmige Blütenstand sitzt auf einem hohen Stängel und hat viele kleine
rosarote Blüten. Auf den feuchten Bergwiesen können wir noch die auffällige, gesellig
wachsende Trollblume (Trollius europeus) antreffen. Die goldgelben Blüten können einen
Durchmesser von 3 cm erreichen, die vielen Blütenblätter bilden einen zeltartigen
Regenschutz für das Blattinnere, der aber den Zugang der Insekten von oben gewährleistet.
Bei Wanderungen in dem Fogarascher Gebirge müssen wir aufmerksam sein. Hier können
wir die seltene Siebenbürgische Akelei (Aquilegia transsilvanica) mit ihren großen
blau-violetten Blüten antreffen. In der Gegend vom Bâlea-Wasserfall, an der oberen Baumgrenze
wächst und blüht (im Mai – Juni) eine der schönsten Blumen unserer Alpenflora, die
Türkenbundlilie (Lilium martagon). Sie ist eigentlich ein Waldbewohner und kann eine Höhe
von bis zu 1 m erreichen.
Entlang der Gebirgsbäche, selten, aber verstreut in den ganzen Südkarpaten gedeiht die
Echte Engelwurz oder Angelika (Angelica archangelica). Eine Sage berichtet, dass ein Engel
dieses heilkräftige, stattliche Doldengewächs mit seinen honigduftenden Blüten dem
Menschen gezeigt hat. Die Angelwurz erreicht in unseren Karpaten die südlichste Grenze
ihres Verbreitungsgebietes. Ein anderes früher sehr geschätztes Heilkraut der Bergwiesen
ist die Arnika (Arnica montana), ein Korbblütler mit einem leuchtend-gelben großen
Blütenstand (Blütezeit Juli – September).
Von den Glockenblumen, die uns oft auf Schritt und Tritt begleiten, ist die Alpen-
Glockenblume (Campanula alpina) zu erwähnen, eine im Bucegi-Gebirge besonders häufige
und in den ganzen Südkarpaten verbreitete Art. Sie hat hellblaue Blüten (Blütezeit Juli –
August) und ist kaum höher als 10 cm. Zur selben Zeit blüht auf den Rasenflecken zwischen
den Felsen die nur 5 – 15 cm hohe blaue Alpenaster (Aster alpinum).
Auf unseren Wanderungen durch die Südkarpaten können wir auch zwei seltenen
Nadelhölzern begegnen. Oberhalb der Baumgrenze, zwischen den Latschenfeldern gibt es
noch kleine Bestände der Zirbelkiefer (Pinus cembra), ein Überrest der Eiszeit. Von den
übrigen Kiefern unterscheidet sich die Zirbelkiefer durch die Anordnung der Nadeln
(meistens 5 an einem Kurztrieb) und durch die breiten, eiförmigen Zapfen. Viel tiefer, an den
schattigen, mit Buchen bestandenen Nordhängen wächst in freier Natur die Eibe (Taxus
baccata), ein Nadelbaum, den wir aus den Parkanlagen kennen. Die besondere Holzqualität
(zäh und gleichzeitig elastisch) hat zur Ausrottung der Eiben geführt. Heute stehen beide
Baumarten unter Naturschutz.
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 87, S. 24 – 27 u. 34 – 35)
Seite | Bildunterschrift |
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24 | In rot blühende Gärten verwandeln sich im Juni ganze Hänge der Südkarpaten. Die Siebenbürgische Alpenrose hat zum Unterschied der Alpenarten duftende Blüten. |
25-o | Türkenbund |
25-m | Bergaster |
25-u | Joos-Veilchen |
26-ol | Silberwurz |
26-om | Königsteinnelke |
26-or | Erika Bruckenthalia |
26-m | Stengelloser Enzian |
26-u | Arnika |
27-ol | Hirschzunge |
27-om | Trollblume |
27-or | Zirbelkiefer |
27-m | Alpenrebe |