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Sonnenuntergang über Winterwolkendecken

Eine Kammtour im Fogarascher. Vereiste Wasserfälle und Lawinengefahr

von Dr. Herbert Strama

Die Fogarascher Wintertour von der Surul-Hütte bis zur Sâmbăta-Hütte – welcher Bergsteiger träumt nicht davon, über die verschneiten Gipfel zu wandern, die Erhabenheit der Berge auch dann zu erleben, wenn sie am schwersten begehbar sind?

So verlockend eine solche Kammwanderung auch sei, sie wird jedoch nur jenen empfohlen, die bereits über eine Gebirgserfahrung verfügen und einen Kenner des Gebietes als Begleitung haben. Denn leicht ist eine solche Tour nicht, es gibt viele Schwierigkeiten zu bewältigen. Beispielsweise die Länge der Strecke, die großen Höhenunterschiede, die Schwierigkeitsgrade mancher Überquerungen, das Übernachten im Zelt, der komplizierte Flüssigkeitshaushalt des Körpers und nicht zuletzt die vorwiegend kalte Nahrung. Es ist eine erste Prüfung des sportlichen Könnens, des physischen und psychischen Durchhaltevermögens. Die Winterbegehung sollte wenn möglich im März vorgenommen werden. Es ist der günstigste Zeitpunkt.
Schließlich muss man auch entsprechend ausgerüstet sein, und dazu gehören entsprechende Zelte, Isoliermatten, Daunenschlafsäcke, wasserdichtes und warmes Schuhwerk, wetterfeste warme Kleidung, Steigeisen, Eispickel sowie Gas- oder Benzinkocher und selbstverständlich ausreichende Nahrungsmittel.
Wichtig bei einer solchen Winterwanderung ist der Zeitplan. Dabei müssen auch die zeitbeeinflussenden Faktoren in Betracht gezogen werden: Witterungsverhältnisse, Schneelage und -beschaffenheit, Mannschaftszusammensetzung, Bergerfahrung und Ausrüstung. Für die Surul-Sâmbăta-Tour rechnet man im Durchschnitt mit fünf Tagen. Guteingespielte, erfahrene Mannschaften haben sie bei äußerst guten Schnee- und Wetterverhältnissen und nur mit dem strikt Notwendigen ausgerüstet schon in zwei Tagen bewältigt. Man sollte aber auch der erlebnisreichen Wanderung wegen von vornherein auf eine solche Gewalttour verzichten. Wir, zwei Ärzte, zwei Elektronikingenieure (darunter eine Frau) und ein Student der Technischen Hochschule, haben die Strecke in dreieinhalb Tagen zurückgelegt.
Gestartet wurde in Sibiu. Mit der Eisenbahn ging es bis Sebeş Olt und dann auf verschneiter Straße durchs Bergdorf Sebeşul de Sus. Nach etwa fünfstündiger Wanderung durch tief verschneiten Wald und einen langgestreckten Kamm entlang erreichen wir ziemlich müde die Surul-Berghütte (1450 m). Nach ausgiebigem Abendessen geht es auch gleich in die Betten, denn morgen heißt es früh aufstehen, ein schwerer Tag erwartet uns.
Vier Uhr morgens. In tiefster Dunkelheit brechen wir auf. Es ist bitterkalt. Beschwerlich steigen wir zum Hauptkamm hinauf und erreichen den Moaşa-Gipfel (2034 m), auch Cocoriciu-Gipfel benannt. Der Höhenunterschied macht uns zu schaffen. Oben begrüßen uns die ersten Sonnenstrahlen. In flauschigem Nebel ist das Alt-Tal auszumachen. Wir genießen den Ausblick und schießen bei diesem herrlichen Winterwetter die ersten Fotos. Dann geht es weiter. Nach einer sanften Querung folgt der Aufstieg zum Budislavul (2371 m).
Wohlverdiente Marschpause auf der Gipfelspitze. Die Winterlandschaft von hier oben betrachtet ist überwältigend. Man kann sich nicht satt sehen. Die Zeit jedoch drängt, und wir schreiten leicht bergab zum Frecker (Avrig-)Sattel und dann ziemlich steil hinunter zum Frecker See, dessen vereiste Fläche unter einer hohen Schneedecke liegt. Rechte Hand erhebt sich der Hohe Scharte/Ciortea-Gipfel (2427 m) mit seinen zackigen Felsgraten. Über seine Nordflanke geht es in waghalsiger Querung bis zum Gârbova-Sattel. Lawinengefahr hier wie auch auf der gleich darauf folgenden Querung der Südostflanke des Gârbova-Gipfels. Seiner Linie folgen wir bis zur Şerbota-Spitze (2331 m), um dann durch eine steile Rinne (60 – 70 Grad) in die Căldarea Mieilor (Lammkessel) unter dem majestätischen Negoi zu gelangen.
Nach zehnstündiger Wanderung beschließen wir, hier unser Nachtlager aufzuschlagen. Ein Sturm bahnt sich an, es ist mit einem Wettersturz zu rechnen. Eilig werden die Zelte aufgestellt und zusätzlich befestigt. Auf dem Kocher dampft der Tee. Dann genießen wir die wohlige Wärme der Daunenschlafsäcke. Draußen scheint die Hölle los zu sein.
Ein wunderschöner sonnendurchtränkter Morgen begrüßt uns. Das nächtliche Toben des Windes scheint ein Alptraum gewesen zu sein. Was wird uns der heutige Tag bringen? Keiner ahnte, dass es der schwerste unserer Wanderung sein wird. Frohen Mutes beginnt der Anstieg zum Negoi-Gipfel (2535 m). Das Panorama, das sich dort (bei ein bisschen Glück) offenbart, entschädigt allemal für die Anstiegsmühen. Die ganze weiße Bergpracht liegt einem zu Füßen, der Blick reicht bis zum Königstein, dem Iezer-Păpuşa- und Parâng-Massiv; an manchen Tagen ist sogar der Kleine Retezat sichtbar. Absteigen wollen wir durch die Teufelsscharte (Strunga Dracului), verfehlen sie jedoch, geraten in eine Parallel-Scharte, müssen uns abseilen und einem vereisten Wasserfall folgen. Das kostet viel Mühe und Anstrengung. Unter Aufbietung der letzten Kräfte erreichen wir die Biwakschachtel beim Călţun-See und kochen uns ein ausgiebiges Mittagessen.
Schweißströmender Anstieg zum Lăiţel (2397 m), dann auf einem schmalen, beiderseits abschüssigen Gratabschnitt (Ausrutschgefahr!) weiter. Vor der Paltinul-Spitze geht es links hinab in den oberen Doamnei-Kessel. Wir durchqueren ihn bis zum Bâlea-Sattel und erblicken bald die Berghütte am Bâlea-See. Diese Nacht müssen wir nicht im Zelt verbringen!
Die Berghütte ist zur Winterzeit eine Oase der Gemütlichkeit. Außer uns noch zwei Bergsteigergruppen. Im Nu sitzen wir in fröhlicher Runde und tauschen Erfahrungen aus. Der Tee dampft auf dem Tisch, der Sack voller Erlebnisse hat kein Loch. Wenn Bergnarren unter sich sind, ist es wie bei den Anglern.
Der letzte Tag beginnt mit dem mühevollen Anstieg zum Gämsensattel (Şaua Caprei) und dem nicht ungefährlichen Abstieg in den Fundul-Caprei-Kessel, unterhalb der Felsenregion des Arpăşel-Grates. Dieser Abstieg beginnt beim „Revolver“-Felsen, sogenannt wegen seiner eigentümlichen Form. Der Lawinen wegen ist auch die Querung unter dem Arpăşel-Kamm bis zur Portiţa-Arpaşului voller Gefahren. Wir schaffen alles unbehelligt, passieren auch die „Drei Schritte vor dem Tod“ benannte Stelle ohne Zwischenfälle und schreiten den Kammweg entlang.
Bald liegt auch der Arpaşul-Mic-Gipfel hinter uns; es geht hinunter zum Nerlinger-Denkmal und dann hinauf zum 2468 Meter hohen Arpaşul Mare. Unser nächstes Ziel ist der Moldoveanu (2543 m), der höchste Gipfel der rumänischen Karpaten. Bis zu seiner Bezwingung ist es noch ein gutes Wegstück – vom Arpaşul Mare heißt es zuerst zum Podul-Giurgiului-See abzusteigen, dann über den Podragul-Sattel auf die Corabia und schließlich auch noch die Ucea- und Viştea-Mare-Spitze zu erklimmen. Ein hartes Stück Weg, das unsere Kräfte sehr beansprucht.
Endlich stehen wir hoch oben auf dem Moldoveanul-Gipfel und erleben einen Sonnenuntergang über einer dicken Wolkendecke von solcher Schönheit, dass wir uns von seinem Anblick kaum trennen können. Die plötzlich eintretende Dämmerung mahnt uns zum Abstieg. Im Dunkeln erreichen wir die Moldoveanu-Biwakschachtel. Todmüde, doch glücklich über unsere neuen Eindrücke, kriechen wir in den Daunensack und schlafen schnell ein.
Am nächsten Morgen steigen wir zurück auf den Hauptkamm und wandern ostwärts dem Großen Fenster (Fereastra Mare a Sâmbătei) zu, von wo es dann schnell bergab zur Sâmbăta-Hütte geht. Am Nachmittag sitzen wir schon am reich gedeckten Tisch, doch bald müssen wir Abschied nehmen und den Heimweg antreten.
Im Abendzug sitzend, grüßen uns die Fogarascher Bergspitzen im leuchtenden Abendrot zum letzten Mal. Morgen beginnt wieder der Alltag.

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 87, S. 4 – 10)

Seite Bildunterschrift
 
4 Abendstimmung auf dem Moldoveanu.
5 Der imposante Ciortea-Gipfel.
6 Der einmalige Ausblick vom Negoi auf die felsige Winterlandschaft entschädigt für die Klettermühen.
7 Im Gämsensattel.
8 Rastpause in der „Portiţa Arpaşului“.
9 „Drei Schritte vom Tod“ – eine der gefahrvollsten Stellen.
10 Die Sâmbăta-Hütte, Endziel der Fogarascher Wintertour.
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