Entdeckungen und Empfehlungen in der Maramureş
von Ewalt Zweier
Lebendiges Holz in schönen Wäldern, lichten und dunklen, Holz in Riesenstapeln, wuchtige Stämme oder dicke Balken und Bohlen, Holz als polierte oder gebeizte Wandtäfelung, als Ornament mit deutlicher Maserung, immer wieder Schindeldächer, Holzkirchen mit hoch in den Himmel ragendem Turm, vor allem aber die vielen Holztore, kunstvoll geschnitzt, eines schöner als das andere – das ist es, was jeden Besucher in der Maramureş fasziniert.
Die 1737 erbaute Holzkirche von Surdeşti soll mit ihrem 54 Meter hohen Turm die höchste in
Europa sein. Bei Sturmwind schlägt die Turmspitze bis zu einem Meter von der Vertikalen
aus. Surdeşti, das liegt nicht weit von Baia Mare, der Hauptstadt des Kreises Maramureş.
Und in Ieud, im Tal der Iza im östlichen Teil der historischen Provinz Maramureş, steht die
wesentlich kleinere, nach außen schmucklose, jedoch älteste Holzkirche. Ihr Datum: 1394.
Fleißige Menschen mit offener Wesensart beleben eine angenehme Landschaft, in welcher
Volkskunst und Brauchtum ebenso unverdorben zuhause sind wie die Leute.
Unverwechselbar freundlich mit ihren rundlichen Hügeln und sanften Wiesentälern wirkt
diese Landschaft. Aber ebenso freundlich auch die neuen, großzügig-luftigen Stadtgebilde
und sogar die meisten Industrieanlagen, die hier entstanden.
Im vielschichtigen Reiseland Rumänien ist und bleibt die Maramureş etwas ganz
Besonderes, touristisch gewertet eine Perle, durchaus besuchenswert. Dabei ist ein
Autobesitzer bzw. -fahrer auf den allgemein guten Straßen natürlich im Vorteil. Aber auch
der Rucksacktourist kommt per Bus, per Anhalter, per Eisenbahn und per pedes auf seine
Rechnung.
Mit rund 250.000 Hektar Wald und Gebirgsalmen nimmt dieser Kreis im Nordwesten des
Landes in Bezug auf die forstwirtschaftlich genutzte Fläche unter den 40 Kreisen Rumäniens
Platz vier ein. Und was für herrliche Wälder das sind! Dies meine erste Anmerkung im
Notizblock, nachdem wir, d. s. mein Begleiter, der Journalist Vasile Radu Ghenceanu, der
Fahrer Nicolae Lucăcel, beide angestammte Söhne dieser Provinz, und der Verfasser, eines
schönen Tages im April '86 den uralten, nun baulich aufgefrischten Bergmannsort Baia Sprie
verlassen haben und auf einer der schönsten Gebirgsstraßen – sie wurde nach 1970
modernisiert – den 987 Meter hohen Gutâi-Pass nahe am 1443 Meter hohen Gebirgsstock
gleichen Namens überqueren.
Beim schmucken Forsthaus Poiana Şuior, von einer Haarnadelkurve der Straße ganz wenig
abseits, eine erste Skulptur in Eichenholz. „Menschen! Liebt die Kunst und die Natur!“ lautet
die geschnitzte Inschrift darauf. Das Schnitzwerk ist frappierend ausdrucksstark: Bäume und
Tiere des Waldes, das Sonnenrad... Dergleichen werden wir auf unserer Fahrt noch oft
antreffen.
Von hier zweigt ein Wanderpfad (Markierung: blaues Band) zur Creasta Cocoşului ab.
Tatsächlich, der Bergrücken ähnelt, aus der Ferne betrachtet, einem Hahnenkamm. 3 bis 3
½ Stunden Fußweg sollen’s bis zum Gipfel sein. Dann Glück auf den Weg! Es lohnt sich
meint der Kenner.
Wir halten indessen auf der Weiterfahrt bei der neuen Herberge „Hanul Pintea Viteazul“ kurz
an. 1025 Meter werden hier als Quote der Wasserscheide notiert. Nanu? Kann das
stimmen? Dann sind die Geographen in Bezug auf die Angabe der Passhöhe eben
knauserig gewesen. Rechts abseits gelangt man auf schattigem Waldweg nach wenigen
Minuten zur kühlen Quelle des berühmten Heiducken Pintea. Ein herrliches Wasser! Das
Lokal oben auf der Passhöhe ist jedenfalls empfehlenswert, die Herberge dank ihrer
einladenden Umgebung auch für längeren Aufenthalt geeignet.
Daneben das Haus der Straßenverwaltung. Die Leute haben oft zu tun, am meisten im
Winter. Im Februar/März '86 hatten sie mit dem Wegräumen riesiger Schneemassen zu
schaffen. 3 bis 5 Meter hoch sollen diese da nach dem Einsatz der Technik zu beiden Seiten
der Straße geblieben sein. Aber der Kraftverkehr auf diesem wichtigen Verbindungsweg
zwischen den Munizipien Baia Mare und Sighetul Marmaţiei bzw. der eigentlichen,
„historischen“ Maramureş war nie unterbunden.
Die eigentliche Maramureş, das sind im Wesentlichen drei Täler: das Tal der Mara, jenes der
Iza und das Wischautal (rum. Vişeu), von welchem bei Oberwischau das berühmte
Wassertal (auch rumänisch „Valea Vaserului“ genannt) abzweigt.
Ein Dorf, das erste, durch welches man ab Baia Sprie, schon jenseits des Gutâi,
hindurchfährt, heißt Mara und gehört zur nachfolgenden Gemeinde Deseşti. Hier lohnt ein
altes Hoftor kurzes Verweilen. Der vor Jahren verstorbene Maler Traian Bilţiu-Dăncuş, ein
wertvoller Künstler der Schule (oder Strömung) von Baia Mare, die sich als solche in einer
Galerie der Kreisstadt dem Besucher darbietet, hat das Tor anfertigen lassen.
Zwei berühmte Torschnitzer sind heute noch am Werk. Gheorghe Borodi in Vadu Izei, dem
Ort, wo Mara und Iza zusammenfließen und wo sich auch die Hauptwege gabeln, und Petru
Godja, genannt Pupăză, in Valea Stejarului, also „Eichental“. Die Beiden sind mit Aufträgen
überhäuft. Wunsch jedes Familienvaters in dieser Gegend ist es, sein Wohnhaus durch den
Eingang schon als Sanktuarium auszuweisen.
Auch im Hatzeger Land zwischen Hunedoara und dem Süden gibt es einen Hoftorkult, aber
dort verschanzt und verbirgt man sein Haus hinter riesigen verzierten Metalltoren, riegelt sich
sozusagen von der Außenwelt ab. Hier ganz anders. Das Hoftor lässt den Einblick auf das
Anwesen des Eigentümers frei. Wie mächtige Bilderrahmen wirken die Torbögen; dabei fast
immer das hineingeschnitzte dakische Sonnenrad als ein Symbol für Leben und
Fruchtbarkeit.
Vor Borodis Haus an der Landstraße gegenüber der großen Izabrücke ein Stapel dicker
Holzpfosten und -balken. Bald werden sie zu einem der schönen Tore veredelt sein. Wir
haben den Altmeister leider nicht zuhause angetroffen. Der Kunsthandwerker hat eben auch
mit seinen Schafen zu tun, solange sie noch nicht auf der Alm sind.
Die Leute sind hier stolz auf ihre Traditionen, stolz auf ihre Schnitzkunst. Wie im Hausbau
noch immer alles der Tradition verpflichtet ist, das kann man binnen zwei-drei Stunden an
einem Besuch im Freilichtmuseum oberhalb der Stadt Sighetu Marmaţiei (übrigens die
eigentliche Hauptstadt der historischen Maramureş) mit anschließender Einkehr in mehreren
„lebendigen“, d. h. bewohnten Bauernhäusern vergleichend erkennen.
Zum Beispiel das jüngst im Museum wieder aufgebaute Haus aus dem Cosău-Tal, datiert
1710. Nur das Schindeldach ist neu. Alles andere demontiert und am neuen Standort wieder
zusammengefügt. Da gibt es ein Haus, das aus dem Holz eines einzigen Baumes errichtet
wurde. Riesengroß und dick muss der Stamm gewesen sein. Und das Steildach ist 7 Meter
hoch. Eine Balkeninschrift in rumänischer Sprache mit kyrillischen Buchstaben: „Acestu lucru
s-au ... (es folgt ein Pfeilzeichen nach oben, das heißt: făcut) în anu 1785 decembrie...“ Also
ein Jahr nach dem großen Bauernaufstand in Siebenbürgen unter Horea, Cloşca und Crişan.
Die Türe ist massive Eiche, die Balkenfugen sind nach innen mit Moos ausgepolstert.
Weitere derartige Inschriften sind nicht nur Sprachdenkmäler, sondern auch interessante
Hinweise auf Preise für Korn und andere Nahrungsmittel in früherer Zeit, historische
Angaben über Hohlmaße, Epidemien, Hungersnöte usw. Ein Deckenbalken teilt den Raum in
zwei: links für Ritualhandlungen, rechts für den Alltag. Alles scheint hier doppelten Wert zu
erhalten, einen funktionellen Gebrauchswert und einen ästhetischen als Ornament.
Erwähnen wir noch die aus dem Dorfe Onceşti ins Museum übersiedelte kleine Holzkirche,
die um das Jahr 1600 aus dem Talaboru-Tal mit zwölf Paar Ochsen nach Onceşti gebracht
worden war. Eine Sehenswürdigkeit. In einem Architektenbüro beim Kreisvolksrat sind
übrigens auf einer Landkarte eine Menge zu Baudenkmälern erklärte Holzkirchen
eingezeichnet. Waren es 30, waren es 50 oder mehr?
Dürfen, sollen wir dem Leser nun weiter Museumsbeschreibung zumuten? Wäre es nicht
besser, noch mehr über Begegnungen mit Land und Leuten, wie sie heute sind, zu
berichten? Gewiss. Dennoch können wir nicht umhin, den Besuch im Ethnographie-Museum
von Sighet zu skizzieren. Es beherbergt über 10.000 Inventarstücke, von denen nur ein Teil
ständige Exponate sind, und ist für das Gebiet repräsentativ. Unsere Führung hat sich
wirklich Mühe gegeben, gerafft und liebenswürdig auf Wesentliches aufmerksam zu machen.
In fünf Sälen bekommt man guten Überblick über die Hirten- und Bauerntätigkeit der
hiesigen Bevölkerung von einst und zum Teil auch noch von jetzt. Bei allen ihren
Werkzeugen, an ihrem Hausrat ist immer etwas Kunst dabei, Kunstfertigkeit zumindest. Die
Verbundtechnik der Hausbalken zum Beispiel. Oder das gewundene Seil in der
Schnitzarbeit. Das scheint ein Element keltischen Ursprungs zu sein und markiert
Unendlichkeit. Geschnitztes Sonnenrad ist vorchristliches Symbol für Geburt, Heirat, Tod.
Stammt es von den Dakern? Wahrscheinlich ja.
Etwas Lokalspezifisches sind die mit Vegetalfarben bunt gemachten Textilien. Früher, im 18.
Jahrhundert, nahm man vorwiegend Rot, Blau und Weiß in Streifen. Seither ist man zu einer
schwierigeren und auch wärmeren chromatischen Skala übergegangen. Prof. Victoria
Berbecaru und Prof. Maria Manţa, zwei erfahrene Lehrerinnen in Botiza (aus dem Iza-Tal ab
Rozavlea 10 Kilometer nach rechts), haben an der Dorfschule einen Webe- und Färbekurs
eingerichtet. Ihre pflanzlich gefärbten Gewebe sind von solcher Schönheit, dass sie seit 1984
bei Ausstellungen in Bukarest, Sibiu, Temeswar oder auch in Bulgarien großes Lob geerntet
haben. Ebenso haben sich die Rentner Maria und Nicolae Pipaş im Dorf Tisa und Aglaia
Popovici mit Vegetalbuntwebe einen Namen gemacht.
Wie das so zu sein hat: das Effektvollste, die wunderlichen Neujahrsmasken, die alljährlich
beim vielbeachteten Umzug in Sighet zu sehen sind, spart die geschickte Museumsführung
für zuletzt auf. Da werden z.B. im Dorfe Sârbi allerlei wunderliche Dinge aus Strohgeflecht
zusammengenäht. (Und, nebenbei bemerkt, das Geflecht ist Michelsberger Meterware,
kommt also von den fleißigen Sächsinnen mit den weißen Häkelhauben.) Täglich sehen 600
– 700 Besucher die beiden Sigheter Museen, die Abteilung Ethnographie im alten
Stadtzentrum vis-à-vis vom Volksrat und das Freilichtmuseum oben am Hang über der
Theiß, dessen Betreuer, das Ehepaar Mihai und Maria Dan, elf herzige und gesunde Kinder
haben, wie die Orgelpfeifen.
Unsere Empfehlung nach diesem Exkurs: Auf nach Botiza zur speziellen Buntwebe! Ende
Dezember aber sich das öffentliche Maskenschauspiel in Sighetu Marmaţiei nicht entgehen
lassen! Das soll ganz großartig sein.
Sighet ist gar nicht so ohne. Das Lied „Cât âi Maramureşu / nu-i fecior ca eu şi tu / şi nici
oraş ca Sighetu“, deutsch etwa: „Wie groß die Maramureşu / ist kein Bursch wie ich und du /
und keine Stadt wie Sighetu“, ist dermaßen zur Lokalhymne avanciert, dass seine Melodie
sogar in der offiziellen Kreishauptstadt Baia Mare stündlich aus dem Glockenspiel der
Stadtuhr zwischen Kreis- und Munizipalvolksrat recht laut erklingt.
Jetzt auch noch Programm und Erfolge des Volkskunstensembles „Mara“ aufzutischen, würde zu weit führen. Aber Bürgermeister Gheorghe Roman kann wie jeder Bürger von Sighet stolz sein auf die Gewinner der „Goldenen Platte“ und des „Silbernen Halsbands“ beim Festival im französischen Dijon sowie des Großen Preises der Herderstiftung 1980, verbunden mit einem 15tägigen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Die weitgereiste und vielapplaudierte Amateurgruppe „Mara“ (Auftritte in zehn Ländern Europas und Amerikas, darunter Frankreich, Italien, DDR, Jugoslawien) einmal bei sich zuhause zu erleben, das hat schon seinen besonderen Reiz.
Das Maramureş-Erlebnis ist jedoch vorwiegend ein ländliches. Etwa den Bauern von Bârsana im Tal der Iza beim Pflügen anzutreffen und zu fragen, wie schwer seine Prachtochsen seien. „Câte zece meteri“ die Antwort, also je zehn Meterzentner, 1000 Kilo ein Ochse. Oder bei der Feldarbeit mit ebenso schönem Pferdegespann in sanfthügeliger Landschaft. Oder zu erfahren, woher der Dorfname Rozavlea stammt. Da erzählt mir Berufskollege Ghenceanu die Legende der Rosa Rosalina: Einst entdeckte die Riesentochter am Ufer der Iza winzige Menschlein. Die trug ein paar davon in der hohlen Hand dem Vater, der sogleich Bescheid wusste: „Römer sind das, mein Kind.“ Auf ihr inständiges Bitten verzauberte er einen der Römer zu stattlicher Größe und ließ seine Tochter entsprechend kleiner werden. Die verliebten sich alsbald ineinander und nach der Märchenhochzeit wurden aus den kräftigen Kindern des Riesen-Römer-Paares die Bewohner der Maramureş. Eine poetische Variante also für die Entstehung eines rumänischen Volksstammes.
Von Rozavlea gelangt man die Iza aufwärts gleich nach Bogdan Vodă, eine jener
kilometerlangen Ortschaften im Tal. Als Neuankömmling von der Zeitung gleich mit
Umarmung und Bruderkuss begrüßt zu werden – ach das ist ein Erlebnis. So geschehen mit
Vasila Deac (57), dem allseits respektierten Vizebürgermeister der Gemeinde, in dessen
altem Wohnhaus – alles aus Holz, versteht sich – wir dann mit seinem Vater Ion Deac (94),
seinem Sohn Nistor Deac (27), dessen Frau Cornelia und fünf Enkelkindern bzw. Urenkeln
beisammen saßen und aus einer großen runden Tonschüssel „Sămătişă“, die köstliche
gestockte Sauermilch, löffelten. Die brave Kuh, ein echtes Maramureşer Braunrind,
wiederkäute nebenan im warmen Stall. Das uns gereichte Brot kam aus dem eigenen
Backofen. Zu den Feiertagen wird Hausbrot gebacken. 16 Urenkel hat der „Patriarch“ der
Familie, dessen klaren, warmen Blick aus hellblauen Augen ich nie vergessen werde.
Aus dem Dorf Cuhea, heute Bogdan Vodă, war im Jahr 1343, vor bald 650 Jahren – ein
solches Alter ist übrigens auch für die Stadt Sighet dokumentarisch verbürgt –, Bogdan, der
spätere erste Fürst der Moldau, nachdem er sich dem ungarischen König widersetzt hatte,
mit starkem Anhang losgezogen, um jenseits des Prislop-Passes einen Staat zu gründen.
„Bogdan descălecătorul“ bedeutet wörtlich Bogdan, der vom Pferd Herabsteigende. Vasile
Deac hat nun als Wortführer seiner Landsleute den einen Wunsch: ein Reiterstandbild zu
Ehren Bogdans in der Gemeinde aufzustellen. In Deacs Gästebuch haben sich
Persönlichkeiten eingetragen, wie der Dichter Nichita Stănescu, der Kosmonaut Dumitru
Prunariu, der Theater-Regisseur Liviu Ciulei. Man nennt ihn überall „Moşu“, obwohl er ja
noch kein Greis ist. Aber seine Frau ist die „moaşa“ (Hebamme) im Ort und er eben der
Mann der „moaşa“...
In der Maramureş begegnet man den eigenartigsten Verschmelzungen von uralter Sitte und
modernem Leben, aber das Brauchtum ist echt erhalten geblieben. Alle lokalspezifischen
Bräuche hier aufzuzählen, hat wenig Sinn. Begnügen wir uns mit zwei alten und einem
neueren.
Die Gemeinde Bogdan Vodă feiert Ende Mai den Schafhalterbrauch „Ruptul sterpelor“
ähnlich wie drüben in der Ţara Oaşului (Kreis Sathmar) die „Sâmbra oilor“. Das ist die Zeit, in
der die Mutterschafe von den unfruchtbaren Tieren getrennt, die Herden für den Auftrieb zu
den Bergalmen geordnet werden. Die Schafmilch und ihr Fettgehalt werden zeremoniell mit
einem alten, hier „carâmbul“ genannten Kerbholz gemessen. Alle Bewohner sind festlich
gekleidet. Es wird tüchtig gegessen und getrunken, gesungen und getanzt. Traditionelle
Speise zu diesem Anlass: ein „balmoş“, das ist in Rahm bzw. Sahne gekochter Maisbrei. Die
fette „jântiţă“ aus Schafmilch darf dabei nicht fehlen, ebenso nicht die „haluşte“, eine
besondere Art Krautknödel.
Zwei oder drei Wochen früher, 1986 war das am 11. Mai, gibt es im Dorf Hoteni den
Spektakel „Tânjeaua de pe Mara“. Tausende Dörfler aus der Umgebung kommen hinzu und
auch viele Schaulustige Städter. „Tânjeaua“ – das ist ein Langholz zwischen Joch und Pflug,
an welches sich der Ochse anlehnt. Gefeiert wird an diesem Tag alljährlich der „erste
Pflüger“, ein Bursche, der besonders zeitig im Frühjahr den Acker bestellt hat. Mehrere
Burschen spannen sich vor einen geschmückten Pflug und führen den „Musterbauern“ bis
zum Dorfrand an einen bestimmten Ort, wo dann vor zahlreich versammeltem Volk der
Dorfälteste eine Rede hält und den fleißigen jungen Mann unter einigem Hokuspokus
symbolisch wäscht. Früher wurde der brave Bursche zu seinem Leidwesen in den Bach
geworfen. Um dem zu entgehen, versucht er zu fliehen, was aber keinem gelingt. Natürlich
ist das Ganze mit dem Ausschank von Pflaumenschnaps verbunden, nämlich der
ortsüblichen „Horincă“, die bei 53 – 54 Grad Alkohol gerade noch trinkbar ist. Manche finden
sie aromatisch wohlschmeckend. Der Gefeierte fungiert als Geber. (Oder als einer, der sich
erstmal „loskaufen“ muss?) Auf der Wiese bei Hoteni wurde ein riesiges Amphitheater
eingerichtet. Am Festsonntag rollt auf der Freilichtbühne ein buntes Folkloreprogramm mit
authentischen Tänzen und Spielen aus der Maramureş ab.
Ähnlich auf Massenbeteiligung eingestellt ist die seit 1968, dem Datum der gültigen
Gebietsneueinteilung, eingeführte folkloristische Veranstaltung, die „Hora von Prislop“. Sie
findet auf dem 1400 Meter hohen Prislop-Pass statt, wo die drei Kreise Maramureş, Suceava
und Bistritz-Nassod zusammentreffen, u. zw. am 23. und 24. August, dem Nationalfeiertag
Rumäniens. 20.000, manchmal sogar bis zu 25.000 Menschen kommen da hin, es werden
Hunderte Zelte und Verkaufsbuden aufgeschlagen, und das Ganze ist eine Heerschau
nordmoldauischen, siebenbürgischen und maramureşer Brauchtums, massive Unterhaltungn
schöner Landschaft.
Allmählich landen wir auf unserem touristischen Streifzug durch ein abwechslungsreiches
und attraktives Gebiet in den Bergen. Wenn auch nicht gleich im ziemlich unberührten und
dafür umso anziehenderen Rodnagebirge mit den bekanntesten Gipfeln Pietrosul (2305
Meter) und Ineul (deutsch: Kuhhorn, 2279 Meter), die im Sommer und besonders im
Frühherbst geübten Bergwanderern zu empfehlen sind, so zunächst in der fast 30 Kilometer
langen Stadt Borşa. Kollege Ghenceanu steigt allerdings alljährlich genau am 1. September,
von Borşa ausgehend, auf den Pietrosul. „In den 20 Jahren wurde ich dabei nur zweimal
beregnet“, erzählt er, als wir bei der Dragoş-Quelle vorbeifahren, dem Ausgangspunkt für
eine traditionelle Bergtour. Gemeinsam mit der Kreiskommission für Naturdenkmäler hat das
Forstamt Borşa vor einigen Jahren ein Naturreservat (3300 Hektar) im Raum Pietrosul
geschaffen. Es wurden Gämsen, Murmeltiere und Greifvögel unter Schutz gestellt. Dort
stehen ein Laborhaus und eine automatische Wetterstation.
Der Bürgermeister von Borşa, Petru Roman (48), ein schlanker, sportlicher Typ, ist
gleichzeitig Leiter der zentralen Bergrettungsmannschaft Salvamont, der 32 erprobte Männer
(Ärzte, Lehrer, Bergarbeiter, Leistungssportler) freiwillig angehören. Man kann sich auf sie
verlassen. Im Schnitt haben sie 30 – 40 Einsätze im Jahr und werden oftmals zu Rettern für
Menschen in Bergnot. Im Februar 1987 wird die Salvamont-Rallye des Landes
voraussichtlich in Borşa stattfinden.
Mit den Unterkunftsmöglichkeiten im Rodna-Gebirge kann man, so der Bürgermeister, noch
lange nicht zufrieden sein. Unter dem touristisch interessanten Puzdrele-Gipfel (2200 Meter)
soll der vor vier Jahren begonnene Schutzhüttenbau mit 40 Schlafplätzen in Zimmern, wenn
dies Reisebuch in den Druck geht, fertig sein. Die alte Notunterkunft mit 50 Pritschenplätzen
wird neu hergerichtet. Dort oben ist übrigens bis zum 15. Juni gut möglich.
Besser natürlich, wenn auch noch nicht befriedigend steht es um die Touristenunterkunft
unten im Luftkurort Borşa, dem östlichen Stadtteil, auch Fântâna (= der Brunnen) genannt.
Dort verwaltet ein anderer Sportler, der ehemalige Schuldirektor und gewesene
Landesmeister der Junioren im alpinen Skilauf, Prof. Grigore Cervenschi, mit seinem
Kollektiv 400 Hotelplätze in den drei modern und komfortabel eingerichteten Häusern „Hotel
Cascada“, „Villa Brădet“ sowie der renovierten „Ştibina“. Die 2 Kilometer lange Sesselliftbahn
wird nicht nur im Winter von Skifahrern benützt – Borşa hat sich als Wintersportzentrum
gemausert und könnte die Schulerau sowie Predeal bald überflügeln –, sondern auch im
Sommer.
Was in diesem perspektivenreichen Ort besticht, ist Lage, Landschaft, Luft und – nun, ein
weiteres Wort mit „L“ liegt mir auf der Zunge – das sind die liebenswürdigen Leute in dieser
Gegend. Im Sommer kann man die halb private, halb vom Volksrat gesteuerte Touristen-
Stâna (Sennhütte) Runcu-Ştiol aufsuchen und dort einen zünftigen „Balmoş“ verspeisen. Sie
wissen ja, Palukes in Rahm oder (deutscher:) Maisbrei in Sahne gekocht.
Nun, nachdem Sie sich ganz gewiss schon entschlossen haben, selber weitere
Entdeckungen in der schönen Maramureş zu machen, sind wir Ihnen vielleicht noch ein paar
Angaben zu dem touristisch so abstrapazierten Săpânţa mit seinem „heiteren“ Friedhof,
einem Weltunikum, schuldig. Wir waren auch dort. Auf dem Rückweg ein
16-Kilometer-Abstecher aus Sighetu Marmaţiei, wo übrigens die schön gelegene Herberge „Marmaţia“ am
Stadtrand zum Verweilen einlädt.
„Heiterer Friedhof“: Man bezahlt 2 Lei am Tor und betrachtet dann einige hundert
Grabkreuze mit auf tiefblauem Grund eingeritzten oder geschnitzten weiß bemalten
Inschriften sowie naiven Darstellungen aus dem Leben des Verstorbenen. Wer Rumänisch
kann und sich obendrein in dem Dialekt der Gegend zurechtfindet, nimmt zur Kenntnis, dass
der Tote zugibt, ein Trinker, ein Raufbold, ein Schürzenjäger oder sonstwie nicht gerade
tugendhaft gewesen zu sein. Autor der Verse und Bilder war der 1977 selber in die Grube
gefahrene („iute m-o băgat ân lut“) Ion Stan Pătraş, der sein eigenes Grab mit Reliefporträt –
größeren Formats als alle anderen – auf dem Bildstock zu Lebzeiten gegenüber vom
Kircheneingang, auf einem Ehrenplatz also, angelegt hat und dessen Lehrlinge das
anscheinend lukrative Geschäft mit den heiteren Grabmälern weiterführen. Aber es lassen
sich, dem Vernehmen nach, nicht alle Einwohner von Săpânţa „fröhlich“ begraben. Es gibt
noch einen anderen, seriösen Friedhof in der Gemeinde.
Was in Săpânţa ebenfalls sehenswert ist, das sind die Webstühle, auf denen die „Cergă“
genannten dicken Zotteldecken aus reiner Schafwolle hergestellt werden. Bis zu 7 Kilo wiegt
so eine meist dunkelrot gefärbte oder auch mehrfarbig gestreifte Decke für zwei Personen.
Besuchen Sie z.B. die Werkstatt der Ileana Stan (a Ierinii), Hausnummer 346, die 14 Jahre in
der Handwerkergenossenschaft „Arta Maramureşană“ gearbeitet hat und ab 1968 im
Bukarester Dorfmuseum und bei vielen Ausstellungen aufgetreten ist. Sie hat auch in
Schweden (1980), in der Schweiz und in Italien ausgestellt. Wie uns der Bürgermeister von
Săpânţa, Dumitru Dan, mitteilt, sind etwa 750 Frauen in der Gemeinde, „die 1137 Ruchfänge
zählt“, mit der Arbeit an solchen Zotteldecken und -gewändern beschäftigt. Sie verkaufen im
Allgemeinen preiswert. Das lebendige Dorf hat mehr zu bieten als sein Friedhof.
Immer wieder hört man in der Maramureş, das Wetter habe sich „răs-bunat“, also „wieder gut
gemacht“, zum Unterschied vom rumänischen „răzbunat“ (= gerächt). Der Geist der
Wieder-gut-Machung, der Geist des Guten schwebt über diesem Landstrich, der viel gute Tradition
und neues Leben atmet. Doch immer wieder kommt man auf der Fahrt mit dem Holz in
Berührung, sei es beim Kreisrund der Skulpturen im Kurpark von Ocna Şugatag, Skulpturen,
die dem Lob der Bergmannsarbeit gewidmet sind, aber auch den Statuen von der Osterinsel
ähneln, hier in Miniatur freilich, sei es beim Denkmal für die Opfer des Massakers von
Moisei, ein Werk des Bildhauers Vida Géza, sei es beim Betrachten der Gruppe „Rat der
Alten“ im neuen Zentrum der Stadt Baia Mare, ebenfalls eine Schöpfung des 1980
gestorbenen Vida Géza, Künstler des Volkes. Ja, sind wir den Alten nicht an vielen Orten
begegnet?
Einprägsam sind diese Skulpturen in Eichenholz, ebenso wie die wunderschönen, stattlichen
geschnitzten Hoftore. Einprägsam auch der Wald der kerzengeraden hohen Eichen von
Ronişoara – diese Eiche wurde als besondere botanische Abart anerkannt. Und einprägsam
sind viele Begegnungen mit den bedächtigen, fleißigen, konservativ-freundlichen Menschen,
deren Wesen dem Holze ihrer Heimat gleicht.
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 87, S. 36 – 49)
Seite | Bildunterschrift |
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36 | Hoftore in der Maramureş – schön, schöner am schönsten. Hier eines im Dorf Onceşti, Gemeinde Vad. |
37 | „Melkerin mit Eimern“ – die Holzplastik am Tor zur Rinderzuchtstation bei Sighet. |
39 | Geschnitzte Säule aus Eichenholz beim Forsthaus Poiana Şuior. |
40 | „Bergmannsrunde“ im Erholungspark von Ocna Şugatag. |
42 | Überall wird Holz bearbeitet – „Ştibina“ heißt das ältere, nun modernisierte Gästehaus im Luftkurort Borşa. |
44 | Die Herberge „Pintea Viteazul“ auf der Passhöhe des Gutâi. |
47 | Der Vizebürgermeister von Bogdan Vodă, Vasile Deac, genannt „Moşu“, obwohl noch lange kein Greis. |
49 | Freilichtmuseum bei Sighet mit der berühmten Holzkirche aus Onceşti. |