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Aller Anfang ist schwer

Mit Auto und Zelt in den Karpaten

von Karin Schmiedek (Leipzig)

Wir hatten noch nie gecampt, sind immer schick gekleidet ins Flugzeug gestiegen, haben ein Hotelzimmer am Schwarzen Meer gebucht und uns drei Wochen von der Sonne bräunen lassen. Das sollte nun anders werden, weil Horst die fixe Idee hatte, einmal ins Gebirge zu fahren. Wir im Gebirge, ich kann nicht klettern, bekomme vielleicht Höhenangst und außerdem soll’s dort öfter regnen.
Wir campen, sprach der Herr des Hauses, und ich ließ mich schließlich überreden, mit Sack und Pack, das heißt mit Auto und Zelt, in die rumänischen Karpaten zu fahren.
Voller Erwartung sahen wir das Fogarascher Gebirge vor uns. Majestätisch blickten die Berge herab, halb lächelnd, halb drohend, die Gipfel wolkenverhangen. Wir schlugen das Zelt am Bâlea-Bach auf, machten ein Lagerfeuer und krochen bald in unsere „Schlafkabine“. Es war warm, draußen zirpten die Grillen und von ferne grollte Donner. Das kann ja noch heiter werden, dachte ich im Stillen.
Trommelndes Geräusch auf das Zeltdach weckte uns am Morgen. Was war das? Passiert war gar nichts, es regnete nur, das Schlimmste, was Campern geschehen kann. Im Nu waren wir hell wach, rissen das Zelt vom Gestänge und in 5 Minuten war ein wildes Knäuel von Sachen im Auto. Wir mussten die Wiese verlassen, denn es goss wie aus Eimern. Nass bis auf die Haut, erreichten wir glücklich im Auto die Straße und lachten dabei, denn wir hatten noch immer die Schlafsachen an.

Über die Transfogarascher

Das Auto rollte auf einer der schönsten Passstraßen Rumäniens, der Transfogarascher, erlebnisreich und beeindruckend zugleich. Wer diese Bergwelt hier oben gesehen hat, der kann von sich behaupten, das Hochgebirge in seiner Vollendung erlebt zu haben, das Wilde und Schroffe der Felsen, das Weiche und Grüne der Almen, Enzian und Edelweiß, Schnee an den Nordhängen, die Ruhe und Einsamkeit auf den Gipfeln Europas. Wir waren gebannt von der Schönheit unserer Erde. Vom Vidraru-Stausee fuhren wir in die Argeşklamm. In der rauen, engen Schlucht steht auf einem Felsen die alte Burg des Vlad Ţepeş. 1482 Stiegen muss man hinaufsteigen, um die ehemalige Fürstenburg zu besichtigen. Aber der Zahn der Zeit ließ nur die Ruinen einer großen Vergangenheit übrig.

Die Nacht beim Schäfer

Allmählich hatten wir uns an das Leben bei Mutter Natur gewöhnt, und ich wollte für die nächste Nacht eine schöne romantische Stelle aussuchen.
Die Romantik begann damit, dass wir kein Trinkwasser hatten, und Horst ging auf die Suche. Wir nächtigten bei einem Schäfer, und ich wollte für alle noch etwas Warmes kochen. Ich zündete den Benzinkocher an, und bald kochten die Spagetti. Horst war mit dem Wasser unterwegs, als er von ferne meine verzweifelten Hilferufe hörte. Der Kocher war explodiert, die Spagetti flogen in die Luft, der Topf war schwarz, der Kocher brannte aus. Ich wollte fluchen, aber die Hunde des Schäfers fraßen meine Spagetti aus dem Gras, blickten mich treu an und schleckten mit der Zunge. Also hatte es wenigstens ihnen geschmeckt, und ich nahm beide zu mir und streichelte sie. Die ganze Nacht haben sie dann vor unserem Zelt gelegen. Eine bessere Nachtwache konnten wir uns nicht wünschen.
Aber die Nacht war noch nicht zu Ende. Neben uns im Dickicht zwitscherten die Vögel laut und schrill, obwohl es schon dunkel war, dazwischen blökten die Schafe, und die Hunde bellten. Von irgendwo drang das Rauschen eines Gebirgsbaches zu uns und schläferte uns ein. Ein fürchterlicher Lärm riss uns plötzlich aus tiefstem Schlaf. Es war noch stockdunkel. Ein Blick aus dem Zelt aber beruhigte uns. Die Schafherde wurde ausgetrieben. Der Schäfer brüllte, die Schafe blökten, und die Herde kam direkt auf unser Zelt zu. Und weil Schafe nun keine besonders intelligenten Tiere sind, stolperten sie über die Zeltleinen, das Zelt wackelte – wir dachten, gleich bricht alles zusammen und die Herde stampft über uns hinweg. Dann war endlich Ruhe. Am Morgen gab’s vom Schäfer frische Schafmilch, und dann kam ein langer trauriger Abschied von den Hunden, die uns nicht gehen lassen wollten.

Im Bucegigebirge

Auf der Autobahn geht’s nach Bukarest. Nach einem ausgedehnten Stadtbummel lockt uns wieder die Ruhe und Einsamkeit der Berge. Wir beschließen, durchs Prahovatal nach Sinaia zu fahren. Die Reise endete beim Hotel Alpin (Cota 1400). Von hier aus genossen wir die herrliche Aussicht auf Sinaia, die Perle der Karpaten.
Aber wir waren noch nicht am Ziel, denn vor uns lagen die weiten grünen, unendlichen Almen, dahinter der noch weit entfernte Omul. Dahin wollten wir, um einmal unseren Fuß auf das Haupt eines Giganten zu setzen.
Es vergingen Stunden, der Weg war mühevoll, bergauf, bergab, von ferne grollte der Donner, der Himmel verfinsterte sich. Vom Regen gepeitscht, fanden wir in einer verlassenen Steinhütte Unterschlupf.
Aber die Sonne kam wieder, und dann wurden wir für alle Strapazen entschädigt, dem Lichte entgegen, standen wir auf dem Omul, wo leuchtende Zinnen einsam und versöhnend alles überragen. Wir hatten den Kampf mit dem Berg gewonnen und waren ganz dem Zauber dieser Bergwelt verfallen. Aus dem weiten Nebelmeer ragten die Nachbargipfel wie Inseln aus dem Wasser. Ein herrliches Gefühl bemächtigte sich unser.
Abends saßen wir gemeinsam mit vielen Campern und Bergsteigern vor der Plaiul-Foii-Hütte bei Zărneşti am Fuße des gewaltigen Königstein am Lagerfeuer und blickten verträumt hinauf zu den steilen 2000 m hohen Dolomitfelsen und merkten gar nicht, dass inzwischen eine Kuh unseren Kochtopf neben dem Zelt leer gefressen hatte.
Am nächsten Tag schonten wir unsere müden Glieder und fuhren zur Törzburg. Wie ein großer Bildband der Natur lagen die majestätischen Bergkämme vor uns, ein Panorama von unvergleichlicher Schönheit. Man kann die Straße von Bran bis Câmpulung wohl zu den schönsten zählen. Links das gewaltige Bucegimassiv, hinter uns der almenreiche Schuler, rechts der weißfelsige Königstein, dahinter die Fogarascher Bergkette.

Sintflut im Bihorgebirge

Unser letztes Abenteuer ereignete sich auf der Heimfahrt im Bihorgebirge. Wir wählten die Straße durchs Arieştal, das wir in Câmpeni erreichten. Aber o weh!, nach ein paar Kilometern war die Herrlichkeit zu Ende. Eine riesige Baustelle versperrte den Weg. Wir wollten aber keineswegs umkehren, da wir uns vorgenommen hatten, bei den Brombeerpflückern im Wald von Arieşeni zu übernachten. Horst steuerte den Wagen über eine Holzbrücke, dann einen steilen Abhang hinunter und durch unwegsames Gelände zum Fluss, denn am anderen Ufer war die Straße wieder einigermaßen befahrbar. Ich stieg aus, der Arieş war kalt, in die Mitte getraute ich mich nicht, die Strömung war zu heftig.
Was ist, rief Horst, es sieht nicht tief aus, ich komme. Er kam, ich hielt mir die Augen zu und schrie, dass wir lieber umkehren sollten, aber da war er schon auf der anderen Seite und ich stand da, mit Angsttränen in den Augen und eiskalten Füßen. Aber das war erst der Anfang mit dem feuchten Element. Der Himmel verdunkelte sich, im tiefen Tal des Arieş hatten wir es nur zu spät gemerkt. Von ferne rollte der Donner, und schon zerschnitten grelle Blitze den Himmel, eine Nebelwand versperrte die Sicht, und dann peitschte der Regen los. Es geschah alles innerhalb weniger Minuten.
Die Sintflut schien kein Ende nehmen zu wollen und die Passstraße bis Nucet war noch kilometerlang. Als wir endlich in Nucet ankamen, gab man uns zu verstehen, dass die Brücke überflutet sei. Der Regen ließ nach, hörte schließlich ganz auf, aber ein trockenes Plätzchen für das Zelt war natürlich nicht zu finden. Schäfchenwolken am Himmel ließen uns aufatmen.
Tags darauf machten wir eine Zwangspause, zogen im Wald überall Leinen und hingen unser gesamtes Inventar zum Trocknen auf. Es war wohl unser abenteuerlichster und aufregendster Urlaub gewesen, aber bestimmt nicht der letzte in Rumänien.

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 87, S. 115 – 123)

Seite Bildunterschrift
 
116 Winter im Podragul-Kessel (Fogarascher Gebirge).
117 Sie waren einen Tag unsere Freunde.
118 Wildzerklüfteter Königstein.
120 – 121 Rast vor dem Gipfelsturm. Die Alba-Wand im Bucegi-Gebirge.
122 Liebliches Arieştal.
123 In unendlichen Serpentinen schlängelt sich die Transfogarascher Hochstraße hinauf zum Bâlea-See.
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