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Vrancea – Land zwischen Reben und Fels...

von Herbert Hoffmann

...von Bächen durchschlängelt, bespült von Putna und Siret, besungen von den Liedern der Alten; geborgen von Hängen voll versteckter Pfade und überragt von nieerstiegenen Gipfeln... das Land der Vrancea, jene Wiege mutiger Menschen, die die patriarchalischen Sitten ihrer Ahnen bewahrten... die seit Jahrhunderten auf Grenzwacht stehen und ihren Boden gegen einheimische Bojaren verteidigen...

(ALECU RUSSO: „SOVEJA“)

Verlässt man bei Focşani, dem Vorort des Kreises Vrancea und Mittelpunkt des großen Weinbaugebiets Odobeşti-Panciu, die Fernverkehrsstraße, die die östlichen Landstriche Munteniens mit der Moldau verbindet, so öffnet sich westwärts der Ausblick in die flachen, ausgewaschenen Täler der Putna, der Zăbala, des Zăbrăuţ. Mächtige alluviale Tafeln, abschüssig gleich riesigen Schutthalden und glattgefegt von Regen und Wind, säumen das schäumende Wasser dieser von weither, aus dem Herzen der vulkanischen Ostkarpaten hierher strömenden Wasserläufe, die zur Regenzeit oder im Frühling, wenn der Föhn die weißen Kappen des trutzigen Penteleu oder der finsteren Zboina zum Schmelzen bringt, zu reißenden Flüssen anschwellen, denen nichts zu widerstehen vermag, die Eichenbrücken wie Streichholzbasteleien wegspülen und schwere Kipplaster spurlos in ihren Fluten verschwinden lassen können...
Vrancea heißt dieses Land, diese Landschaft aus Reben, Stein und Azur, diese Welt der Kontraste und Geheimnisse. Zunächst scheint es den Ankömmling abweisen, ja verjagen zu wollen, der sich eben noch am Grün der rebenbestandenen sanften Kuppen oder an den bläulichen Nebeln der Siretaue weidete, an der wunderbaren Fülle der Wein- und Obstgärten von Jariştea, von Boloteşti oder Fitioneşti. Ein Überfluss an schwellenden Trauben, an in Saft schießendem Obst, an hochstängligem Mais. Und daneben, in nächster Nachbarschaft, eine sandig-karstige Steppenvegetation der abschüssigen Lehnen, voll Racheln und Geröll. Zwei Welten... So reich sich das Füllhorn der Ceres über Ebene und Hügel ergoss, so geizig verfuhr die Göttin mit den Tälern und Bergen. Jahrtausende vielleicht schon rang der Bauer hier mit der Natur um eine Handvoll mageren Roggen, Hirse, später Mais. Dazu kamen die Fron bei Bojaren, die Holzfuhren im Winter oder die Traubenfuhren bei der Weinlese. Arbeit, Arbeit... Heute gehört der Boden ihm und das nicht endende Ringen mit der stiefmütterlichen Natur lohnt sich.
Kargheit und Armut waren die Wahrzeichen dieser Täler. 1944 besaß Tichiriş bei rund anderthalbtausend Einwohnern lediglich 25 Pflüge (und diese waren aus Holz!). Eigentlich nutzt auch der beste Pflug hier nicht viel, denn die Putnaterrasse hat ja an sich wenig zu bieten, und den Boden muss man stückweise düngen, anders wäre es Verschwendung. Doch wenn man den eigentlichen Ackerbau hier klein schreibt, heißt das noch lange nicht, dass man es sich leicht macht. Zwar wächst der Wein in nächster Nähe, und die Menschen feiern hier genauso gerne wie anderswo. Doch alles zu seiner Zeit. So werkt man das ganze Jahr emsig, und wo es nicht auf der Scholle ist, so tut man es im Obstgarten, bei der Heumahd, denn was der Boden verweigert ersetzen Viehzucht und Obstbau, worauf sich hier alle verstehen. So besitzt allein die Ortschaft Găuri, zwölf Kilometer talaufwärts von Vidra, dem „Tor der Vrancea“, vier starke Sennhütten, im Peşteramassiv, auf dem Mocianu und dem Piciorul Cozei, Namen wie in der Sage... Übrigens stammt ja auch das wunderbare Volksepos „Mioriţa“ aus diesen Landstrichen, jene Meditation über Leben und Tod, die als repräsentatives Meisterwerk rumänischer Volkslyrik in die Kulturgeschichte einging.
Viel können diese Berge erzählen, vom Leben auf der Alm, von geheimnisvollen Pfaden durch die alten Wälder, von verborgenen Schätzen, Wegelagerern und Heiducken, Wölfen und Bären. Meine drei Gesprächspartner, zwei rotwangige Siebziger und ein rüstiger Achtziger haben alle mindestens fünfzig Jahre in der klaren Luft der Bergweiden verbracht, und wenige unter den Jungen können es mit ihnen aufnehmen, wenn es ums Vieh, um die Schafe geht. Sie kennen jeden Pfad, jedes Anzeichen von Krankheit und das dagegen wirkende Kraut, die besten Verstecke bei rauem Wetter und die kürzesten Wege ins Heimatdorf. Doch kennen sie auch manches andere und wissen über alles Bescheid, was dort vor sich geht. So berichten sie, dass es im Dorf Găuri nicht weniger als 500 Pflaumendarren („Iozniţe“, Trockeneinrichtung) gibt, die sich, im kleinen oder großen betrieben, bezahlt machen wie die rund 14 Schnapsdestillen, die rundwegs fünf Bütten fassen und das alles bei kaum siebenhundert Gehöften.
Denn, wie im gesamten Vorkarpatenbereich, in Gorj, in der Loviştea, um Buzău, findet sich der Pflaumenbaum, und zwar hier jener, der die kleineren und sehr süßen „Bistriţene“ hervorbringt, an vorrangiger Stelle im Obstbau des Gebiets.
Viehzucht und Obstbau allein vermögen die zahllosen Münder jedoch nicht zu stopfen, und seit langem schon ist es Sitte, dass die jungen Leute in den Holzschlag nach Lepşa bzw. Gresu im Putnatal oder nach Herăstrău bzw. Mişina an der Năruja gehen, und neuerdings ist manch stämmiger Bursche Treckerfahrer und schleppt schwere Stämme zum Verladen oder lenkt seinen schweren Langholzlaster talwärts, hochbeladen mit harzduftenden Stämmen, die manchmal zwei Männer nicht zu umfassen vermögen. Bis 1964 war das ein wahres Abenteuer, solche Lasten über die schmale, schlecht instand gehaltene, gewundene Straße oder die windschiefen Brücken zu befördern. Dann kam der große Regen im September, der mit all diesem aufräumte und ganze Straßenkilometer einfach ins Bett der Putna oder Zăbala fegte...
Das ist nun schon weit zurückliegende Vergangenheit. Heute säumen Stützmauern, Drainierungen und Staudämme das breite graue Band. Auf den bleichgrauen Lößhalden der Putnaterrasse haben sich die einst zarten Schösslinge zu jungen Bäumen entfaltet, und ihr Wurzelwerk band den erosionsbereiten bröckligen Boden. So veränderten sich Landschaft und Wirtschaft dieses Gebiets. Anstelle der vielen kleinen Darren traten zwei große Schwestern, die den Bedarf der ganzen Gegend zu decken vermögen, und die würzige Höhenluft nutzt ein großes Krankenhaus für Knochenleiden.
Doch nicht nur die neuen Berufe finden den nötigen Zulauf, auch die alten Beschäftigungen und Gewerbe, deren Bestand auf Holz, Schaf und Pflaume fußt, brauchen noch nicht um Nachwuchs zu bangen, wenngleich gute Hirten immer seltener werden. Einst klapperten nicht weniger als 150 Sägemühlen am Lauf der Putna, Coza, Năruja oder Zăbala. Heute werten Großsägewerke das grüne Gold der Wälder effektiver und rationeller aus. Doch die Tradition, Axt und Beil zu handhaben, blieb. Und jung und alt versteht es, zu schnitzen oder zu behauen. Aus Holz lassen sich Häuser, Scheunen, Ställe, Schuppen, Tore und Zäune bauen, und ein Großteil der Männer der Vrancea versteht sich aufs Zimmermannshandwerk. Doch gehört auch der Schindelmacher zu den gesuchten Berufen, denn mit Schindeln deckt man die Häuser hier und damit verkleidet man auch die aus Balken errichteten Wände, so dass sie unverwüstlich genannt werden können. Doch ist das Schindelmachen nicht einfach ein Handwerk wie jedes andere, denn man erreicht hier allerlei künstlerische Effekte mit den verschieden geformten schmalen Weichholzbrettchen, die zu „runden Schuppen“, „Fischschuppen“, „Entenschnabel“, „Schwalbenschwanz“ oder „Pfeil“ zugeschnitten werden, um Dächer und Giebel zu bekrönen.
Das Herstellen von Schindeln ist keine so einfache Sache, wie es auf den ersten Blick scheinen mag, denn man muss es dem Stamm ansehen, ob er ergiebig ist oder nicht, ob sich schöne „Räder“ davon absägen lassen, die gerade abspaltbare Schindeln ergeben, um das Hausdach richtig „einzuhüllen“, wie es in der Fachsprache heißt, denn ein Schindeldach hält nur dann, wenn es zünftig ausgeführt ist, und das beginnt bei den geraden und gleichmäßig dicken Schindelbrettchen.
Das grüne Gold der Wälder wird jedoch nicht nur zum Hausbau verwendet, sondern bildet auch den Rohstoff eines anderen einträglichen und gesuchten Gewerbes, nämlich der Böttcherei. Sollte jemand an der Tatsache zweifeln, dass in der Vrancea mehr Fässer, Bütten, Bottiche, Schäffer, Kübel und Eimer hergestellt werden als in sämtlichen Zentren der Westkarpaten, so mag er bedenken, dass die unmittelbare Nachbarschaft eines der größten Weinbaugebiete Rumäniens, des Beckens Panciu-Odobeşti, hierbei eine wichtige Rolle spielt. Hinzu kommen die Pflaumen, deren Verarbeitung zu Schnaps, der berühmten „ţuica“, ihrerseits zahlreiche Standbütten und Fässer erfordert, ganz abgesehen von der Schafhaltung und Milchwirtschaft, die ja ebenfalls zu den wirtschaftlichen Merkmalen des Vranceagebiets gehören. Demzufolge böttchert jeder vierte oder fünfte Bewohner der Vrancea in irgendeiner Form Holzgefäße, von Kannen und Eimern bis zu jenen urweltlichen Riesen an Stückfässern, die man erst im unterirdischen Verlies der Weinkeller zusammenstellt und in denen „ein Haus Platz findet“, wie man mir sagte, fasst so ein Exemplar doch beinahe einen Waggon vom rubinroten „Cabernet“, der eine gesuchte Ausfuhrware bildet.
Obgleich diese Landstriche von anderen als eine Gegend „ohne Straßen“ bezeichnet werden, da hier Schafsteige und Treidelpfade vorherrschen, ist auch die Stellmacherei, d. h. die Herstellung von Wagen, Karren, Schlitten und Pflügen, ein verbreiteter Beruf, und eine richtige Wagnerwerkstatt gleicht buchstäblich einer Ausstellung.
Die rund 18 der Vrancea angehörenden Ortschaften beherbergen einen etwas gedrungenen und robusten Menschenschlag, dem das Schöne lieb und vertraut und das Geheimnisvolle, Phantastische nicht fremd ist; ein Beweis dafür, die schon erwähnte „Mioriţa“:

„Pe-un picior de plai
pe o gură de rai
iată vin ân cale
se cobor la vale
trei turme de oi
cu trei ciobănei...“

(Über eine Berglehne
durch ein Himmelstor
kommen auf dem Weg
steigen ins Tal hinab
drei Schafherden
mit drei Hirten...)

Und es gehört gewiss zu einem der eigenartigsten Erlebnisse, dem sogenannten „priveghiu“, der überlieferten Totenwacht, beizuwohnen, einem schaurig-schönen Ereignis, bei dem selbst der Verblichene mit einer der vielen selbstangefertigten Masken bedeckt ist. Doch gibt es auch mehrere in der Maskenbildnerei spezialisierte Künstler aus der Schule des bekannten Pavel Terţiu aus Nereju, die zu Fastnachtsumzügen oder Ritualtänzen getragene Masken anfertigen und deren Erzeugnisse in den größten Museen Europas gesuchte Exponate bilden.
Der Alltag und der Jahreslauf in der Vrancea ist kein bequemer. Alles erfordert Mühe, lange Wege, schwere Lasten. So nimmt es wohl niemand wunder, dass die hiesige Tracht auf das Praktische abgestimmt ist und den Stempel einer Hirtenbevölkerung trägt, die mit rauen Wintern und kühlen Sommernächten zu tun hat. Diesen entsprechen die von den Männern getragenen „iţari“, lange Wollflauschhosen, deren Hosenbeine fast die doppelte Länge als die ihrer Träger aufweisen und ziehharmonikaartig gerafft werden. Ein Gegenstück dazu bildet das Frauenhemd mit „gewundenem“ Ärmel, das sich nirgends ähnlich antreffen lässt.
Viele Sagen und Bräuche, altes Ornament- und Motivgut und eine betonte Unberührtheit im Denken und Fühlen haben sich in diesen einst so schwer zugänglichen Landstrichen, jenseits reißender Bergbäche und schartiger Felsschwellen erhalten. Und doch war die Vrancea nie von der Außenwelt abgeschnitten, vielmehr hatte sie allerlei ihren Nachbarn südwärts, d. h. in der Muntenia, und ostwärts, also im moldauischen Hoch- und Flachland, zu bieten, denn Holz, Salz, Obst, Schnaps, Waldfrüchte und Pilze, aber auch die hier noch häufigen Forellen bildeten begehrte Tauschgüter. Die Jagd auf allerlei Wild, manchmal auch unerlaubterweise, mit meisterhaft gebauten und klug versteckten Fallen, und die Bienenzucht runden den kargen Tisch etwas ab, den die Natur ihren Kindern hier zu bieten vermochte, und natürlich die Leckerbissen der Sennhütte, der über offenem Tannenreisigfeuer geräucherte Käse, die „brânze“, die man in Baumrinde packt, die in Hartholzmodeln geformte Butter, um die man diese Naturmenschen nur beneiden kann, die anstelle anderer Reichtümer Ausdauer, Fleiß, Erfindungsgabe und Einbildungskraft in die Wiege mitbekommen haben.
Die Frauen dagegen erhielten jede eine Spindel, mit der sie aus Hanf, Flachs, Wolle und Baumwolle das Garn für ungeahnte Kunstwerke der Web- und Wirktechnik zu schaffen verstehen, die selbst den Kenner zu begeistern vermögen. Behauptete wer, es gäbe in jedem Haus in Ruget oder Părosul einen Webstuhl, so kann man das als Gleichnis werten, aber Übertrieben ist es nicht. Und dieser steht gewiss nicht unnütz herum, hat er doch eine Menge Bräute von heute und morgen mit einer reichen Aussteuer zu versehen, denn der Winter, die Hochsaison der Hochzeiten und Gastereien, wenn Feld und Wald unter dem Schneekleid schlafen und sich die Herden im sicheren Winterpferch drängen, ist nahe, und dauert er auch noch so lang, bis zum Frühjahr ist er um...

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 86, S. 175 – 182)

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