Das Oascher Land: Landschaft und Menschen
von Dorin Iancu
„Die Karpaten dringen nach Rumänien aus dem Norden ein, als wilde und dunkle Gebirge. Sie sind zu Ketten geballt, hoch und ohne jede Scharte, durch die sich ein Übergang schlängeln könnte... Doch kurz nachdem sie in unser Land eindringen, verlieren die Rücken an Höhe und die Landschaft wird freundlicher...“
Mit diesen Worten skizzierte der große rumänische Geograph George Vâlsan in seinen
„Beschreibungen“ den Norden des Landes. Der scharfe Blick des Wissenschaftlers und
seine begabte Feder verliehen der Wirklichkeit sprechenden Ausdruck. Tatsächlich hießen
diese vom düsteren Mantel der Nadelwälder umhüllten Höhen, deren Gipfel die graue Flucht
der regenträchtigen Wolken zerstiebt, bei den Slawen „Cernahora“, also Schwarzes Gebirge.
Diesseits der rumänischen Nordgrenze jedoch scheinen sich die aneinander gedrängten
Rücken voneinander zu lösen, sich zu verbreiten, werden von Pässen durchzogen,
umschließen reiche Hochflächen und fruchtbare Becken. Eine Eigenart sind die malerischen
Niederungen, genau abgezeichnet und wohlgeborgen – seit altersher von der sie
bewohnenden Bevölkerung als „Länder“ benannt. Das Oascher Land ist ein solches.
Von der Nordwestecke Rumäniens aus schweift der Blick von den andesitgrünen Kämmen
des Hochgebirges bis weit hinüber und umfasst eine wogende Landschaft, die – scheint’s –
eigens der felsigen Umarmung der Gebirge, des Oaş und Gutâi, überantwortet wurde – als
Anfang der längsten und eindrucksvollsten Kathene vulkanischen Gesteins Europas. Es ist
dieses die „Naturfeste“ des Oascher Landes, durchpflügt von tosenden Bergbächen, voll
urwaldbestandenen Hängen. Das Brodeln weit zurückliegender geologischer Vergangenheit,
das einst aus der Tiefe neue Formen aufsteigen ließ, schlug sich stellenweise in den
typischen Silhouetten heute zahmer, waldbestandener Vulkankegel nieder. Sie brachten aus
dem Erdinneren von Lava umbacken die geschmolzene Fülle im Stein verborgener Minerale.
Das Antlitz der Landschaft hier oben ist ähnlich, veranschaulicht durch eine Palette
gewölbten Himmels, gegründet auf dem Mauerring, der felsig das „Land“ umsäumt, bis zu
den Gräsern und Blumen der Felder – Bilder, denen der Pinsel der Jahreszeiten immer neue
Tönungen verleiht.
Von Zeiten her, die sich im dunkel der Sage verlieren, bewahrten die Bewohner des Oasch
ihr Wesen in dieser Landschaft, vermählten sich mit ihren Rhytmen und strahlten diese aus.
Sie sind hochgewachsen, haben rotes Haar und Augen, klar wie der Himmel, stammen sie
doch unmittelbar vom Zweig der Norddaker ab und bleiben diesem Ursprung aus tiefster
Seele treu – durchs Aussehen, schöpferischen Geist und seelische Überlieferung. Den tief
im Boden verwurzelten Tannen ihrer Wälder gleich, sind diese Menschen eng mit ihrer
Heimat verbunden, Menschen, über die die Stürme der Zeit wogenartig hinwegfegten, wie
der Wind über den Fels streicht und da seine Runen ritzt, ohne den Stein vom Platz rücken
zu können.
Ihre Dörfer sind größtenteils Streusiedlungen mit weit voneinander entfernten Anwesen. Die
Landschaft atmet Sauberkeit und Frische wie eben gebleichte Wäsche. Eine vielfarbige
Natur umhüllt alles und regt zum Optimismus an, wie das überschwängliche Frühjahr oder
der ernteschwere Herbst, wenn aus dem Laub der welligen Hänge das rauchige Blau der
Pflaumen blinkt. Diese Pflaumen verwandeln sich – vor allem in der Ortschaft Turţ – in
starken und fruchtigen Branntwein, der den Namen seines Herkunftsorts weit über die Erde
bekannt werden ließ.
Als Ackerbauer, Bergleute, Waldarbeiter, verliehen die Menschen des Oasch diesen
überlieferten, fast schon angeborenen Berufen die Ausmaße und Dynamik unseres
Jahrhunderts. Ihre Dorf- und Stadtsiedlungen (Cămărzana, Negreşti, Bixad, Vama, Călineşti,
Oraşu Nou, Sarasău) sind heute verjüngte, modernisierte, aus dem patriarchalischen
Anonymat gerissene Siedlungen. Doch wahren sie ihr Aussehen, ihre Überlieferung, die vor
allem in einem auf gekonnter Nutzung und Verzierung des Holzes fußenden Hausbau ihren
Ausdruck findet. Dieses scheint ja übrigens nur natürlich, wo hier doch alle sozusagen als
Holzfäller zur Welt kommen und sich die Holzfällerei vom Vater auf den Sohn weitervererbt,
jenes Holzes, das diese Menschen von der Wiege bis zur Bahre, von der Geburt bis zum
Grab begleitet.
Geschichte und Natur befruchteten die Vorstellungswelt dieser Menschen im Laufe der
Jahrtausende und verliehen ihren Kunstäußerungen (Musik, Tanz, Dichtung, Weberei,
Sitten) beachtliche Kraft und Persönlichkeit. Aus diesem Grund stoßen die Folkloristen bei
der Erforschung dieser Volkskundezone auf Doinen (rumänische Volksdichtung) und
Balladen, Melodien und deren choreographischen Ausdruck, auf die Feinheit der Stickereien,
allesamt gleich ausdrucksvoll und schön, gleich nuanciert, geprägt mit dem Stempel uralter
Herkunft. Hier und in den Nachbargemeinden entstanden jene frühen rumänischen Texte,
die an der Seite der aus dem Süden stammenden den ersten Drucken in rumänischer
Sprache zugrunde lagen. Hier bilden die dichten, Hals, Brust und Ärmel des Frauenhemdes
zierenden vielfarbigen Stickornamente ebenso wie das perlenbesetzte Band der
schmalrandigen Strohhüte oder die bunt bestickten Quertaschen der Männer (hat doch
deren Tracht keine Taschen) lebendige Darstellungen der Naturumwelt. Man entlehnte sie
dem Rauschen der riesigen Wälder, dem Vogelflug, dem Sonnenauf- und –untergang, den
Blumen, dem Gras, dem Murmeln des Wassers, den ununterbrochen zu neuen Gebilden
sich ballenden Wolken, dem summenden Blasen des Windes. Es sind lauter unveräußerte
Schätze, die man auch heute in den Häusern bewahrt, wo seit langem die Glühbirne die
Stelle des Lampendochts einnahm, wo die Antennen der Fernseh- und Rundfunkempfänger
in dieses alte „Land“ den Schritt der Zeit von überall bringen, wo Waschmaschine,
Kühlschrank, Motorrad oder Kraftfahrzeug zu genauso natürlichen Bestandteilen des Alltags
wurden, wie es einst Axt bzw. Wendehaken im Haus des Waldhüters waren. Man bewahrt
sie, denn die Menschen des Oaschgebiets erfüllt auch heute der Stolz auf ihren Wald.
Wer hierher kommt auf der Suche nach Sehenswertem, findet davon die Fülle. Zunächst
eine reine, unverfälschte Landschaft. Ein Becken voll wogender Bodenformen, voll
taufrischem schwerem und hohem Gras; saubere und gastfreundliche Gehöfte – einige fast
kleine Volkskundemuseen. Er erblickt jene einmalige und originelle Tracht. An Sonn- und
Festtagen erscheint eine Menge tanzender Bauern – dank der eigenen Tracht – wie ein
Wogen weißen Schaums, über dem das Füllhorn des Sommers die Farben der Blumen, der
Blätter, des Himmels entleerte. Schließlich der Tanz, mit uralten, von den Altvorderen
ererbten Rhythmen voller Männlichkeit und Nachhall heidnischer Bräuche, mit dem
spritzigen Witz der Reimsprüche, den eintönig-langgezogenen, an eine Klinge blitzenden
Stahls gemahnenden „ţipături“.
Die Keramik von Vama, die von Meistern angefertigt wird, die die „Zeichen“ des Handwerks
von ihren Vätern übernahmen, weist die gleiche Würde und Reinheit wie die hiesige
Volkstracht auf. Die Näpfe, Kännchen, Krüge, Krüglein, gewachsen aus schmiegsamem Ton
unter den formenden Händen, beherrscht von frustem, doch inspiriertem Dekor, von der
Würde der Farbpalette, den aus der Natur entlehnten Blüten- und Tiermotiven, dem Spiel
geometrischer Symbole, dabei jedoch voller in der Pflanzen- und Tierkunde unbekannter
Formen. Je naiver, vergeistigter, aufs Wesentliche beschränkter sie sich uns darbieten,
umso ausdrucksvoller sind sie individualisiert!
Eine Reise durch das Oascher Land, dorthin, wo es stellenweise an Hotels und modernem
Komfort mangelt, bildet für viele gewiss eine Wohltat: Ausspannen inmitten einer
berückenden Natur, die sich wie ein Fächer aus der zwischen Bergen liegenden Niederung
bis hinauf zu den Rücken des Gebirges und den Felsgraten der umliegenden Horizonte
spannt. Es wird zu einem Erlebnis, das jene, die es sich leisten, niemals vergessen werden.
Anfahrt. Eisenbahn von Satu Mare bis nach Negreşti-Oaş (über Livada und Oraşu Nou).
Nach Satu Mare gelangt man auch per Flugzeug. Von der Satu Mare mit Baia Mare
verbindenden Fernstraße führen asphaltierte Abzweigungen ins Oascher Land nach: Seini,
Livada, Halmeu (Grenzübergang in die UDSSR) und Turţ.
Hotels: in Negreşti-Oaş und Bixad (kleiner Bade- und Luftkurort).
Anfahrtsmöglichkeiten ins Nachbargebiet der Maramureş mit überaus anziehenden
touristischen Zonen nördlich von Baia Mare: Firiza (mit Stausee), Izvoarele, Sighetu
Marmaţiei, Săpânţa (Standort des bekannten „heiteren Friedhofs“, eines Unikums auf
Weltebene). Ostwärts, gegen den Prislop-Pass hin, dehnt sich ein Riesengebiet voll
landschaftlicher Schönheit aus, gekennzeichnet durch großartige Holzarchitektur, alte
Kirchen und hübsche Dörfer. Gute und asphaltierte Straßen.
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 86, S. 126 – 131)
Seite | Bildunterschrift |
---|---|
126 | Oascher Landschaft: Cămărzana mit bewaldeten vulkanischen Bergkegeln. |
127 | Brautpaar im Hochzeitsschmuck. |
129 | Zur „Simbra oilor“ dem Hirtenfest, das alljährlich im Frühjahr gefeiert wird, kommen alle Bewohner der umliegenden Ortschaften. |