Die Auerhahn-Fotojagd im Reservat von Bucova fand nicht statt / Trotzdem ein unvergesslicher Ausflug in harzige Hochgebirgslandschaft
von Werner Kremm (Text) und Edmund Höfer (Bild)
Zur Auerhahnbalz nach Bucova. Seit längerer Zeit liebäugelten wir damit. Den Anlass gab
ein Plauderstündchen mit Forstingenieur Walter Frank. Wir kamen vom großen Marmorbruch
von Ruskitza im Poiana-Ruscăi-Gebirge und besuchten den Oberförster in seinem
schmucken Haus in Russberg, um zu erfahren, was es Neues in dem von ihm geleiteten
Forstdistrikt Rusca Montana gibt. Er erzählte über die Auerhähne von Bucova, über „diese
Vögel aus der Eiszeit, die scheu überlebt haben...“, und lud uns zu einem Besuch im
Frühling, während der Balzzeit, ein.
Ende März versuchten wir, den Oberförster telefonisch zu erreichen. Er sei gerade oben
beim „Gropanul“, hieß es, um zu sehen, wie die Auerhähne den grimmigen Winter
überstanden hätten. Zwei Tage darauf hatten wir ihn endlich an der Strippe: „Dort oben ist
schon allerhand los, viel Bewegung und so. Ich glaube, die Balzzeit wird pünktlich
stattfinden... Nächste Woche geh’ ich noch schnell rauf und sage dann Bescheid.“ Zehn
Tage später endlich der erwartete Anruf, aber...: „Oben ist Ruh’. So wie’s wärmer wird, muss
es losgehen. Denn nach dem, was ich beim vorigen Besuch gesehen hab’, ist die
Sammelzeit fortgeschritten. Ich erwarte Euch um den 20. April.“ Ein erneuter Anruf bei Frank
(„festes Schuhwerk oder Gummistiefel und warme Kleidung mitnehmen, denn es geht an die
Schneegrenze“) legt den Ausflugstermin endgültig fest: 23. April.
Oberförster Frank erwartet uns auf dem Bahnhof in Karansebesch. Mit dem Wagen geht’s in
Richtung Bucova. Bei der Bäckerei in Băuţari wird kurz angehalten, um die Verpflegung mit
fünf Laib ofenheißem Brot zu ergänzen.
Forsthaus Bucova. Das Gepäck wird auf Saumpferde verladen. Verabschiedung von der
Brigade des Oberförsters, die Forstgehilfen Voinoni und Ilincari nehmen die Zügel in die
Hand und schreiten mit den Pferden voran.
Es geht vorerst durchs Wolfstal (Valea Lupului), den gleichnamigen Bach aufwärts.
Siebenmal müssen wir ihn auf Stegen überqueren, dann wird links abgebogen und etwa eine
Stunde lang steil bergan gegangen. Wir kommen gehörig ins Schwitzen, die Pferde sind
nicht mehr zu sehen. Der Hirtenpfad endet bei einer verrußten Sennhütte. Die Schafe sind
noch nicht oben, erst Mitte Mai beginnt hier der Anstieg.
Das Pedometer des Oberförsters zeigt erst 3,8 Kilometer vom Forsthaus Bucova an – uns
hat der Aufstieg ganz schön mitgenommen. Noch ein Steilhang hinter der Sennhütte, und wir
stehen auf einer von Schneeglöckchen und Krokussen übersäten Wiese. Beim Austritt aus
dem letzten Waldzipfel erblickt man, den Kamm entlang schauend, in der Ferne an der
unteren Tannengrenze des Sturu eine Hütte. Linker Hand sind im Sonnenschein die weißen
Gipfel des Retezat auszumachen, rechter Hand die mit Schneepflaster bedeckten Ausläufer
des Ţarcu. Das Ziel vor Augen geht es als bequeme Kammwanderung weiter. Eine Stunde
später, es ist mittlerweile zwei Uhr nachmittags, stehen wir vor der „Gropanul“-Hütte,
unserem Ziel.
Voinoni und Ilincari machen Feuer im Herd, und nachdem ein Stamperl Schnaps geleert
wurde, machen sie sich auf den Rückweg. Mittwochabend wird Ilincari wieder
heraufkommen, um zu erfahren, wann wir nach Bucova zurück wollen.
Inzwischen hat Oberförster Frank das Mittagessen vorbereitet – würziger Schafskäse,
Salami und Pfefferminztee –, hungrig stürzen wir uns darauf. Frisch gestärkt spazieren wir
später bis zur 500 Meter entfernten „Gaudeamus“-Hütte, die, ebenso wie die jetzt verfallenen
Stallungen unterhalb der von uns bewohnten Hütte, von der LPG Lowrin errichtet worden ist.
Sommersüber brachte die LPG ihre Kühe hierher. Wir reinigen eine Quelle, genießen die
harzige Luft und kehren in die Hütte zurück, um den „Schlachtplan“ für den morgigen Tag zu
besprechen. Eigentlich müsste einer von uns gegen Abend zum Standplatz der Auerhähne
gehen – in Frage kommt allerdings nur der Oberförster, er allein kennt das Gebiet. Nach
langem Hin und Her beschließen wir, auf die Vorbeobachtung zu verzichten und in der Nacht
direkt anzusteigen.
Früh morgens, um 3 Uhr, läutet uns der Wecker aus dem Schlaf. Schnell noch en kleiner
Imbiss und wir machen uns auf den Weg. Voran der Oberförster mit einer großen
Stablampe. In der Ferne sieht man die Lichter von Hatzeg. Nach etwa einer halben Stunde
treffen wir auf die ersten Schneezungen, die zwar verharscht sind, aber unser Gewicht nicht
immer aushalten. Bis in Hüfthöhe brechen wir ein, der Schnee dringt in die Stiefel.
Hinter der „Gaudeamus“-Hütte die ersten Auerhahnspuren. Allerdings sind sie schon Tage
alt. Gegen 5 Uhr, als es zu dämmern beginnt, mehren sich die Spuren des Auergeflügels.
Knapp vor 6 Uhr erreichen wir die obere Waldgrenze und etwa 100 – 130 Schritt weiter, an
einem felsigen Hang in Südostlage, den Beobachtungsstand (einige horizontal liegende
Felsen). Rasch wird die nasse Wäsche gewechselt und in Beobachtungsstellung gegangen.
Wir sind nur noch Aug und Ohr: Frank den Feldstecher am Auge, Höfer den Fotoapparat in
Anschlag. Nach 6 Uhr taucht die Sonne kurz auf. Dann ein Krächzen wie vom Wetzstein auf
einer schartigen Sense. „Das war einer!“ Oberförster Frank ist aufgeregt. Wir suchen reihum
die Fichten und Kiefern ab, vor allem jene mit geknickten Spitzen, die bevorzugten Standorte
der Auerhähne. Nichts!
Der Forstingenieur schlägt vor, den Hang – wir befinden uns genau unterhalb des 1820
Meter hohen Sturu in etwa 1740 m Höhe – hinabzusteigen und vielleicht doch noch einen
Auerhahn aufzustöbern. Fast senkrecht geht es hinunter, jede Schneelippe versteckt eine
Felsspalte. Verzweifelt sucht man nach stützenden Zweigen und beneidet den Oberförster,
der wie unsereiner auf dem Asphalt spaziert. Endlich ein Forstpfad. Aber keine Auerhähne.
„Das ist wegen der Kälte der letzten Tage. Da machen die Pause.“ Der Forstingenieur blickt
in die Runde und sagt dann wie zur Entschuldigung: „Ist nichts zu machen... In etwa zwei
Wochen wiederkommen.“
Der Forstweg ist wunderbar eben und fast steigungslos, man kann richtig verschnaufen. Als
Trost wegen der missglückten Auerhahn-Fotojagd erzählt der Oberförster: „Vor sechs Jahren
ist mir da mal ein Hahn direkt auf dem Weg begegnet. Er hat mich ganz interessiert
angeschaut, hat sich dann gemächlich umgedreht und ist fast hundert Meter vor mir her
gelaufen, wobei er sich immer wieder vergewissert hat, ob ich auch nachkomme. Dabei hat
er noch gegluckst wie eine Henne, die ihre Küken lockt. Und das ist nicht das einzige
derartige Erlebnis, das mich zur Überzeugung kommen ließ, dass die Auerhähne unserer
Tage gar nicht mehr zu den Scheuheitsschablonen des vergangenen Jahrhunderts passen.“
Dachsspuren und jene der gesuchten Vögel kreuzen den Weg. Dann eine Bärenspur. Mitten
auf dem Weg ist der Bär getapst und schnurgerade auf die Hütte zu, hat sie dann dreißig
Schritt davor rechtsherum umgangen und ist weiter talwärts marschiert. Ganz am Rand des
Forstwegs eine Wolfsspur. „Feig und scheu“, das Urteil des Oberförsters.
Am Nachmittag Regen. Walter Frank geht noch einmal rauf, um eventuelles Aufbäumen zu
beobachten, das uns am nächsten Morgen nochmals hinaufgetrieben hätte. Regen.
Klitschnass kommt der Oberförster in der Dunkelheit zurück. Er hat nichts beobachten
können. Schwer enttäuscht beschließen wir, morgen nach Bucova zurückzukehren.
In der Nacht setzt ein Schneesturm ein und hält auch in den Morgen- und Vormittagsstunden
an. Bald ist die Schneeschicht spannenhoch. Auf Auerhähne bestimmt keine Aussicht mehr.
Gegen zwei Uhr nachmittags ein letztes Sturmaufbäumen, dann milde Sonne. Um 16 Uhr
brechen wir auf. Unten in Bucova wird ein ausgestopfter Auerhahn fotografiert. Der einzige,
den wir zu sehen bekamen. Ob wir wohl nächstes Jahr mehr Glück haben werden?
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 86, S. 59 – 66)
Seite | Bildunterschrift |
---|---|
59 | Vor uns, die verschneite Bergwelt des Ţarcu. |
60 | Über Stock und Stein – aufwärts zu den Auerhähnen. |
61-l | Den Wolfsbach aufwärts. |
61-r | Oberförster Walter Frank. |
62 | Die Gropanul-Hütte, unser Basislager. |
63 | Schneeglöckchen und Krokusse schmücken stellenweise den Weg. |
64 | An der unteren Tannengrenze. |
66 | Der einzige Auerhahn, der vor die Linse kam. Und der war ausgestopft. |