Felsklettern:
Für Könner eine erholsame Wochenendpartie
von Werner Kempf
Goldene, warme Septembersonne, die Gipfelfelsplatte wohlig warm. Unter uns brandet das
weiße Wolkenmeer in die Valea Mălinului. In der Ferne ragen Schuler und Hohenstein wie
Inseln aus dem Wolkenmeer. Am Horizont, das blaue Felsband – die Ostkarpaten. Ganz
nahe erhebt sich der Morar aus der Bucht der Valea Cerbului, darüber thront der Omul.
Mălin – Traubenkirsche – Padus racemosa, Schlucht und Felsgrat an der Kante, die die
Coştila-Ostflanke von der Nordflanke trennt. Coştila – das ist der Berg der Bukarester
Kletterszene: im Süden, Osten und Norden scharf felsig, im Westen das Gipfelplateau sanft
abfallend. Modernes Leben hat den Gipfel mit Fahrstraße versehen.
Die Kletterer bevorzugen den Bereich des Refugiul Coştila, der kleinen Wellblechhütte, von
der aus bequem Übungsfelsen wie „big walls“ erreichbar sind. Das Mălingebiet dagegen ist
heute fast vergessen, still und einsam, ein Geheimtipp für Genießer solcher warmer
Herbsttage.
Vom Coştila-Plateau fällt gegen Nordosten die Steilwand in Stufen ab. Das Obere, Mittlere
und Große Band unterbrechen den „fast senkrechten“ Fels. Vom Großen Band an beginnt
die Creasta Mălinului als schmaler Grat, dessen senkrechte Wände in den Schluchten
Ţapului (im NW) und Mălinului (im SO) fußen und den zwei Türme überragen: Colţul de Sus
und Colţul Mălinului, dazwischen eine schlanke Nadel – Dintele dintre Colţi.
Zwischen den auseinander stehenden Schluchten Ţapului und Mălinului verzweigt sich der
Grat; der westliche Zweig heißt Creasta Frumoasă, der mittlere – Creasta Văii Verzi, der
östliche ist die Fortsetzung der Creasta Mălinului. Zwischen ihnen die Schluchten Valea
Seacă und Valea Verde.
Der Colţul Mălinului ist in dieser Felswildnis das Hauptziel der Alpinisten und kann
vornehmlich über vier Routen bestiegen werden: Creasta Mălinului, Fisura Sudică din Colţul
Mălinului, Hornul Ascuns, Hornul Central.
Als Zustiege zu den Felsanstiegen gelten die Schluchten Mălinului, Seacă und Ţapului und
als Variante dazu auch Valea Gălbinelelor. Talort für alle Zustiege ist Buşteni.
Valea Mălinului. Schwierigkeitsgrad 1 B (I – II UIAA). Von der Căminul-Alpin-Hütte in Buşteni
erfolgt der Anstieg über den mit rotem Dreieck markierten Pfad durch den Munticelu-Wald
zur Poiana Coştilei (Wiese). Der direkte Einstieg in die Schlucht ist durch schwierige
Steilabbrüche verwehrt. Deshalb verlässt man die Markierung schon vorher bei der
Markierungsstange auf der Wiese und wendet sich links den Felsen zu. Bald entdecken wir
einen Pfad, der steil durch den Wald am Fuß der Felsen empor führt, während linker Hand
sich eine Mulde vertieft – Vâlcelul Poieniţei.
Wir erreichen einen Sattel. Jenseits führt ein enger Kamin steil hinab in die Mălin-Schlucht,
durch die der weitere Aufstieg erfolgt. Gleich zu Beginn gilt es, einen riesigen Block zu
überwinden; eine Möglichkeit dazu ergibt sich rechts durch einen Riss. Weiter oben verengt
sich die Schlucht zwischen Mălin-Grat (rechts) und Colţul Gălbinelelor (links), um sich dann
wieder zu erweitern, an der Stelle, wo die Scoruşi-Rinne von links kommend einmündet.
Zwischen Scoruşi und Mălin ziehen steile, aber begehbare Gras- und Latschenhänge empor.
Wir befinden uns am Fuß des Mălin-Turmes, an dessen Basis ein Grasband schräg rechts
zum Mălin-Grat und jenseits in die Seaca-Schlucht empor führt.
Den gleichen Punkt können wir auch auf folgenden zwei Varianten erreichen: ab Refugiul
Coştila über die Gălbinele-Schlucht – Gălbinele-Scharte – Scoruşi-Rinne; ab Babele
(Bergstation der Seilbahn Buşteni – Babele und Schutzhütte) über das Plateau.
Der Abstieg vom Plateaurand folgt entweder über die Scoruşi-Rinne (ab Brâna Mare a
Coştilei gibt es einen Pfad) oder über die Mălin-Schlucht, die sich canonartig vertieft.
Während der Aufstieg über Poiana Coştilei oder Refugiu ab Buşteni etwa 4 ½ Stunden
dauert, nimmt der Zustieg ab Babele knapp die Hälfte dieser Zeit in Anspruch.
Valea Seacă a Coştilei. Schwierigkeitsgrad 1 B. Ab Poiana Coştilei (siehe Valea Mălinului)
folgen wir weiter dem roten Dreieck. Einige Minuten darauf begegnen wir der Markierung
„gelbes Band“ zum Omul-Gipfel durch die Valea Cerbului. Dem gelben Band folgend
erreichen wir nach einer halben Stunde eine Stelle im Wald auf der Südflanke der Valea
Cerbului, genau gegenüber der Einmündung der Valea Seacă. Diese anpeilend verlassen
wir die Markierung, überqueren den Talboden der Valea Cerbului und beginnen den nicht
ganz leichten Anstieg durch die Seacă-Schlucht, wobei wir die schwierigen Steilabbrüche
rechts umgehen.
Der Anstieg endet nach 4 ½ - 5 Stunden (ab Buşteni) am Latschenband zu Füßen des
Mălin-Turmes, dessen Wand, von hier aus betrachtet, von drei Kaminen durchzogen wird: einem
unbenannten, links; Hornul Central, in der Mitte; Hornul Ascuns, rechts. Die Kante links ist
die Creasta Mălinului, dahinter befindet sich die Mălin-Schlucht.
Valea Ţapului. Schwierigkeitsgrad 1 B. Auf dem gleichen Weg wie für Valea Mălinului und
Valea Seacă erreichen wir, nach dem Seacă-Einstieg, die Mündung der Ţapului-Schlucht in
die Valea Cerbului. Der Anstieg erfolgt anfangs über einen Schuttkegel, später über den
Rinnenboden über glatte Felsplatten und Steilstufen.
Wo die Schlucht durch einen hohen Steilabbruch unterbrochen wird, folgen wir links einem
Band, das zur Creasta Frumoasă empor führt. Jenseits des Kammes erreichen wir den
Ursprung der Valea Seacă, zu Füßen des Mălin-Turmes. Zeitaufwand: 4 ½ - 5 Stunden.
Der bequemste Weg zu den Einstiegen des Mălin-Turmes ist der über Babele. Von den
übrigen Varianten ist diejenige über Refugiul Coştila zu bevorzugen.
Hornul Ascuns. Schwierigkeitsgrad 1 B (I – II UIAA), Zeitaufwand: 1 – 2 Stunden. Vom
Latschenband am oberen Ende der Seacă-Schlucht geht es, unter Seilsicherung ungeübter
Telnehmer, empor zum Mălin-Gipfelgrat, den wir zwischen Mălin-Turm und dem „Zahn“
(Dintele dintre Colţi) erreichen. Im mittleren Teil ist der Kamin durch einen Klemmblock
unterbrochen, dessen Überwindung keine besonderen Schwierigkeiten bereitet.
Der „Zahn“ wird rechts auf schmaler, ausgesetzter Felsleiste umgangen und das „große
Band“ nach Umgehung des Colţul de Sus erreicht. Nun stehen wir vor der Wahl der
Abstiegsmöglichkeiten: über die Brâna Mare nach links bis zum Scoruşi-Pfad und weiter
über Gălbinele-Scharte – Refugiul Coştila – Buşteni; über die Brâna Mare nach rechts, wobei
wir die Schluchten Ţapului – Urzicii – Caprei queren und über die Pripon-Schlucht in die
Valea Cerbului absteigen; direkte Abstiege über Mălin- oder Ţapului-Schlucht; empor zum
Plateau und Babele-Seilbahnstation über Mălin- oder Ţapului-Schlucht. Zeitaufwand: nach
Buşteni 3 – 4 Stunden; zur Babele-Hütte 2 Stunden. (Erstbegehung: 1934 durch N. Baticu
und I. Sincan.)
Hornul Central. Schwierigkeitsgrad 2 B, eine Seillänge IV – V UIAA, die übrigen II – III. Die
erste Seillänge ist die leichteste und endet auf einem Band, von dem aus man rechts in den
Hornul Ascuns ausweichen kann. Die zweite ist die Schlüsselseillänge. In schwieriger
Kaminkletterei geht es erst senkrecht, dann überhängend empor, wobei nur selten ein alter
rostiger Haken als Sicherung dient. Die letzte (dritte) Seillänge ist leichter und nicht mehr
senkrecht; sie endet am Colţul Mălinului. (Abstieg wie unter „Hornul Ascuns“ beschrieben.
Erstbegehung: Nicu Comănescu und Ion Sincan, 1934.)
Fisura Sudică din Colţul Mălinului. Schwierigkeitsgrad 3 A (III – IV UIAA). Die Führe verläuft
in der der Mălin-Schlucht zugewendeten Südwand, und zwar durch den auffallenden Riss
links des Mălin-Turmes, der schnurgerade emporzieht und nicht übersehen werden kann.
Der Einstieg erfolgt aus dem Mălin-Canon. Die erste Seillänge ist schwieriger – mit
Hakensicherung ist ein Überhang zu überwinden. Stand in einer Höhle. Die zweite Seillänge
führt über eine Platte links in die Wand hinaus und nach Umgehung einer schwierigen Stelle
wieder in den Riss hinein. Die übrigen drei Seillängen führen steil empor zum Mălin-Grat.
(Abstieg wie unter „Hornul Ascuns“ beschrieben. Erstbegehung: E. Cristea, M. Sterescu,
1945.)
Creasta Mălinului. Schwierigkeitsgrad 2 A (II – III UIAA). Der untere Teil des Grates von der
Poiana Mălinului bis zum Latschenband, das den Überhang aus der Mălin-Schlucht in die
Seacă-Schlucht zu Füßen des Mălin-Turmes ermöglicht, ist von Latschendschungel
bewachsen und für Kletterer uninteressant. Erst der Felsgrat vom Latschenband zum
Mălin-Turmgipfel (4 Seillängen) bietet reine Kletterei. (Erstbegehung: N. Dimitriu, C. Ticu, 1935.)
Oben im Refugiu warte ich auf meinen Seilgefährten und der kommt dann richtig spät
abends allein und ohne Laterne durch den dunklen Munticelu-Wald. Der Morgen ist klar und
wir steigen die Gălbinele-Schlucht empor, queren von der Scharte die Valea Scoruşilor und
die Valea Mălinului und gelangen auf das breite Latschenband, von dem sich die
Mălin-Kante aufschwingt. Noch gehen wir unangeseilt, ich mit Maria-Senta (dem alten Hanfstrick),
der Seilgefährte mit Rucksack, Schlosserei und Proviant. Erst eine Felskante, dann queren
wir eine Rinne, und bald stehen wir am oberen Latschenband. Jetzt seilen wir uns an und
sehen uns um. Die Rinne links ist zu leicht und hat mit der eigentlichen Kante nichts zu tun.
Die Kante selbst ist auch leicht, aber brüchig. So bleibt nur ein Riss rechts der Kante. Ich
gehe ihn an. Auch er ist schauderhaft brüchig. Bevor ich mich hinaus schwinge, schlag ich
erst mal einen Haken, und bald darauf stehe ich auf einer bequemen Kanzel. Mein Kamerad
folgt nach und wir betrachten den großen Überhang über uns.
Wie kommt man da hinauf? Sind wir überhaupt richtig? Etwas zögernd packe ich die Felsen
rechts an. Frisch gewagt ist halb gewonnen – sagte Hermann Buhl und stand schon oben.
Langsam neigt sich der Fels zurück. Bald folgt der dritte Steilaufschwung. Diesmal führt ein
klarer Riss hinauf und da steckt auch richtig ein riesiger, rostiger Ringhaken. Die letzte,
vierte, Seillänge führt uns dann auf den Gipfel. Mein Seilgefährte schmiert Butterbrote, es
gibt Kirschenkompott, einen Apfel, eine Pfeife und Sonne. Erst drei Stunden später verlassen
wir den Gipfel, liegen dann noch als Draufgabe im Gras in der Valea Mălinului bis die letzte
Sonne hinter den Felsen verschwindet.
Colţul de Sus. IV. Grad. Wem die Kletterei am Mălin-Turm zu kurz erscheint, kann noch eine
Seillänge am Colţul de Sus klettern. (Erstbegehung von Radu und Nina Slăvoacă, 1969.)
Vom Mălin-Turm kommend quert man den „Zahn“ (Dintele dintre Colţi) und steht dann am
Steilaufschwung des Colţul de Sus. Ein Riss und guter Fels ermöglichen freie Kletterei,
einige Haken sind zur Sicherung vorhanden.
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 86, S. 148 – 153)
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149 | Kartenskizze: Coştila |
151 | Kartenskizze: Mălin-Nordwand |
153 | Kartenskizze: Mălin-Südwand |