Eine Landschaft im Transit erlebt
von Wolfgang Wilhelm (Zella-Mehlis)
Ein Besuch der Nera-Klamm wird für den Transitreisenden durch Rumänien, der über die E 94/DN 6 nach Calafat fährt, nicht nur ein lohnender Abstecher, sondern zu einem unvergesslichen Erlebnis.
Wir sind von Orawitza, über Karansebesch – Reschitza kommend, in Richtung Naidăş über
Răcăşdia nach Potoc gefahren und von dort noch etwa 10 km bis zum Waldhaus Damian.
Wenn auch die letzte Wegstrecke etwas mühevoll war (Steingeröll, Bodenvertiefungen) –
ans Umkehren dachten wir nicht. Ein Bilderbuch der Natur empfing uns. Vergessen waren
die kleinen Strapazen. Auf einer Wiese schlugen war das Zelt auf, Wasser zum Kochen und
Waschen lieferte die klare Nera und ein Brunnen (Falleimer) am Waldesrand. Bei den
Bergbauern besorgten wir uns preiswert frische Kuhmilch. (Am Abend ankommenden
Touristen wird geraten, sofort ein Lagerfeuer anzuzünden. Es ist die beste Abwehr gegen
Mücken.)
Schon der erste Abend war ein Erlebnis. Als wir in gemütlicher Runde am Lagerfeuer saßen,
schwirrten durch die Dunkelheit Scharen von Glühwürmchen (rumänisch „Likuritsch“).
Zunächst denkt man, ringsum von rauchenden Besuchern umgeben zu sein. Besonders
interessant dabei ist, dass das Aufleuchten aller Käfer vollkommen synchron verläuft.
Unser Wanderziel am nächsten Tag war der Teufelssee (Lacul Dracului). Da wir leider zu
spät aufbrachen und auch die Markierungen nicht immer befolgten, bereitete uns die
Durchquerung der Nera einige Schwierigkeiten. (Deshalb immer frühzeitig loswandern.)
Nach stundenlangem Marsch erreichten wir vereinzelte Bauerngehöfte. Eine äußerst
„intensive“ Begrüßung wurde uns durch sehr lebhafte Hirtenhunde zuteil. Dann nahm uns
eine grandiose Felsenwelt auf, die der Fluss in unermüdlicher Sägearbeit geformt hat. Die
ca. 20 km lange Schlucht beginnt bei Şopotul Nou und endet bei Sasca Româna. Besonders
sehenswert für den Touristen ist der Abschnitt, wo steile Kalksteinfelsen – wild zerklüftet – an
den Ufern des Flusses hoch emporragen und nur die durch Menschenhand geschaffenen
Wanderpfade ein Durchkommen ermöglichen. Da Brücken im Frühjahr oft vom Hochwasser
weggeschwemmt werden, sind Flussdurchquerungen in Kniehöhe ohne Gefahr
unvermeidbar. Schließlich gelangten wir doch, trotz größerer Umwege, zum Lacul Dracului.
Er ist durch den Einsturz einer Grotte entstanden. Der See ist 35 m lang, 18 m breit und 9 m
tief. In seinem glasklaren Wasser tummeln sich muntere Fische.
Von dort traten wir unseren Rückmarsch an. Aber diesmal achteten wir genau auf die
Wegmarkierungen. Das wohlverdiente Mittagsmahl nahmen wir auf einer vom Fluss
angeschwemmten Sandbank ein. Dass es ausreichend Motive für den Amateurfotografen
gibt, brauche ich eigentlich nicht besonders zu erwähnen.
Nach achtstündiger Wanderung – mit Umwegen – wurde unser Ausgangspunkt wieder
erreicht.
Der Abstecher in die Nera-Klamm hat uns nicht gereut. Wir erlebten eine herrliche
Landschaft, wie es sie auf unserer weiteren Reise nicht mehr geben sollte.
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 86, S. 225 – 227)