von Hansjürgen Müllerott (Arnstadt)
Während zwei Bergwanderungen versuchten wir, den Hauptkamm des Fogarascher
Gebirges zu bezwingen. Mit der Eisenbahn gelangten wir über das freundliche Sibiu, dessen
Töpfermarkt sehr zu empfehlen ist, in das abgelegene Bergdorf Turnu Roşu, wo wir an
einem kleinen, aber reißenden Gebirgsbach unser erstes Camp aufschlugen. Das Dorf mit
seinen schmucken Häusern war für uns eine Überraschung ebenso wie die Gelegenheit, das
Spinnen von Wollfäden mit einer Handspindel kennen zu lernen.
In einem zweitägigen Fußmarsch durch Laub- und Nadelwälder, Blau- und
Himbeergesträuch, natürliche Steingärten, über Wiesen und Weiden gelangten wir bei
herrlichstem Sonnenschein auf den Hauptkamm. In Minutenschnelle hüllten uns eisige
ziehende Nebelschwaden ein, so dass wir bei aufziehendem Gewitter unweit des Abstiegs
zur Suru-Berghütte auf einer kleinen Terrasse am Hang (etwa 1800 m) unser Zelt aufstellten.
Nach einer kräftigen Kartoffelsuppe begann für uns schon am frühen Nachmittag die Nacht.
Am nächsten Tag der erste Gigant, der Ciortea-Gipfel (2427 m). Der Ciortea trägt mit dem
600 m tiefer gelegenem Frecker See wahren Hochgebirgscharakter. Schafe, die an seinen
Steilhängen entlang zogen, schienen förmlich herunterzufallen. Beim mitternächtlichen
Gewitter glaubten wir, manchmal Wölfe in der Ferne heulen zu hören.
Der darauf folgende Tag führte uns über einen oft nur 10 – 20 cm breiten steinigen Pfad über
den Steilhang des Ciortea und einen teilweise schroffen felsigen Grat zur Şerbota (etwa
2000 m). Dort, wo der Weg überm tiefen Abgrund endete, halfen uns Stahlketten weiter.
Hagel, Sturm und Schneeregen machten den späten Nachmittag zur Nacht und zwangen
uns zum Biwak. Das Unwetter kämpfte die ganze Nacht gegen uns an und versuchte unser
Zelt zu zerfetzen. Aus entfernt gelegenen Tälern war wieder das Kläffen der Hirtenhunde zu
vernehmen und verschwand dann schließlich im Grollen des Gewitters.
Nach der stürmischen Nacht weckte uns strahlender Sonnenschein. Von einer Quelle
brachten zwei Schäfer kristallklares Wasser zum Frühstück. Kein Getränk der Welt übertrifft
eine solche Köstlichkeit. Die Schäfer begleiteten uns schließlich bis zur Şerbota (2331 m),
das Ende unserer ersten Tour. Von hier hätte uns der Weg über den Negoiu weiter nach
Osten geführt. Vor uns stand aber der Abstieg über einen scharfen Grat zur Negoi-Hütte und
der Abschied vom Fogarascher Gebirge für ein Jahr. Auf einem Forstweg gelangten wir zur
Bahnstation Porumbacu de Jos.
Ein Jahr darauf, Mitte August, war es wieder soweit. Diesmal fuhren wir über Braşov nach
Zărneşti, um das Fogarascher Gebirge vom Osten aus in Angriff zu nehmen. Die Bergtour
begann unterhalb des Königsteins (2238 m). Nach zweitägigem Fußmarsch über die Cabana
Plaiu Foii und das Forsthaus Rudăriţa zelteten wir unter dem Comisu unweit eines
Schafkrals.
Am Vormittag des übernächsten Tages erreichten wir den Grat zwischen Leaota-Tal und
Urlea-See. Das Leaota-Tal, von Bergen über 2000 m Höhe umgeben (z.B. Dara), erscheint
wie eine seichte Gebirgsmulde. Es ist das Tal der sieben Seen, eine Landschaft, in der
selbst im Sommer noch vereinzelt Schneefelder zu entdecken sind. Gegenüber liegt unter
zwei steilen felsigen Nordwänden der eisige Urlea-See. Er wirkt wie ein vor der Wand
errichtetes gewaltiges Becken.
Das Große Fenster, eine große Kerbe im Hauptkamm, passierten wir am späten Nachmittag.
Blauer Himmel, Sonnenschein und schattige Nordwände ließen die warme Luft beim
Aufsteigen fortwährend kondensieren. Die Nebelschwaden wälzten sich ohne Unterbrechung
herauf. Oft waren nur noch die Spitzen der Felsklippen zu sehen. Im dichten Nebel schlugen
wir unser Camp auf einem kleinen Pass auf. Ein Kreuz erinnerte dort an einen tragischen
Unfall.
Der Moldoveanu (2544 m), der höchste, steile, jedoch bis zum Gipfel mit Gras bewachsene
längliche Berg wurde während der nächsten Tageswanderung überschritten. Vor seinem
Fuß speist ein Firneisfeld den Dreiecksee. Ein schweres Gewitter und aufkommender Nebel
zwangen uns, am frühen Nachmittag über ausgedehnte Geröllfelder in das Tal hinter dem
Giganten abzusteigen, dass uns eine Biwakmöglichkeit bot. Blitze zuckten am Horizont und
erhellten das Paradies. Regen peitschte zu Boden und nahm uns die Sicht.
Tags darauf führte uns der Weg bei Sonnenschein und ziehenden Nebelschwaden weiter,
vorbei am Abstieg zur Podragu-Hütte über Geröll und Schneefelder zu einem weiteren
Gipfel, dem Arpaşu Mare (2486 m), und schließlich zum Gämsensee. Gämsen sind hier in
den frühen Morgenstunden tatsächlich zu sehen. Am See erlebten wir eine eisige
Augustnacht mit minus zwei Grad.
Von hier aus ging es dann in den schroffsten und beeindruckendsten Teil der Fogarascher.
Nachdem wir den in der Tiefe gelegenen Bâleasee hinter uns gelassen hatten, zeichnete
sich am Horizont das Călţun-Negoi-Massiv ab. Riesige steile Felswände und Hänge heben
sich weit über den Kamm hinaus. Der Călţun-See scheint einer solchen Felswand auf einem
kleinen Podest vorgelagert zu sein. Ein romantischer Gebirgspfad führt zur Teufelsschlucht.
Die 500 m lange Klettertour durch die Schlucht ist anstrengend. Stahlseile erleichtern ihre
Begehung. Hagel und Kälte begleiteten wieder die zweite Hälfte unseres Aufstiegs. Vom
Ausgang der Schlucht ist der Negoiu (2535 m) nicht mehr weit.
Das schlechte Wetter veranlasste uns, die Besteigung der Custura Sărăţii zur Şerbota, dem
Endpunkt unserer vorjährigen Tour, um zwei Tage zu verschieben. Schluchten, Felsspalten
und senkrechte Felswände lassen die Custura Sărăţii, den beeindruckendsten Gebirgshang
an der Şerbota, nur den geübten Bergwanderer erklimmen. Für uns bildete die Şerbota auch
diesmal wieder den Ausklang und die Negoi-Hütte die Stätte des wehmütigen Abschieds von
den Südkarpaten für ein weiteres Jahr.
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 85, S. 209 – 214)
Seite | Bildunterschrift |
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209 | Landschaft |
210 | Wenn man Glück hat, kann man auch ein solches Foto schießen. |
212 | Die Teufelsscharte – Kraftprobe für jeden Gipfelstürmer. |
213 | Hirten und Schafherden sind oft unsere Begleiter. |