home - Komm mit - 1985 - Zweimal Fogarascher
jedes Wort alle Wörter Suchwort markieren
drucken

Zweimal Fogarascher

von Hansjürgen Müllerott (Arnstadt)

Während zwei Bergwanderungen versuchten wir, den Hauptkamm des Fogarascher Gebirges zu bezwingen. Mit der Eisenbahn gelangten wir über das freundliche Sibiu, dessen Töpfermarkt sehr zu empfehlen ist, in das abgelegene Bergdorf Turnu Roşu, wo wir an einem kleinen, aber reißenden Gebirgsbach unser erstes Camp aufschlugen. Das Dorf mit seinen schmucken Häusern war für uns eine Überraschung ebenso wie die Gelegenheit, das Spinnen von Wollfäden mit einer Handspindel kennen zu lernen.
In einem zweitägigen Fußmarsch durch Laub- und Nadelwälder, Blau- und Himbeergesträuch, natürliche Steingärten, über Wiesen und Weiden gelangten wir bei herrlichstem Sonnenschein auf den Hauptkamm. In Minutenschnelle hüllten uns eisige ziehende Nebelschwaden ein, so dass wir bei aufziehendem Gewitter unweit des Abstiegs zur Suru-Berghütte auf einer kleinen Terrasse am Hang (etwa 1800 m) unser Zelt aufstellten. Nach einer kräftigen Kartoffelsuppe begann für uns schon am frühen Nachmittag die Nacht. Am nächsten Tag der erste Gigant, der Ciortea-Gipfel (2427 m). Der Ciortea trägt mit dem 600 m tiefer gelegenem Frecker See wahren Hochgebirgscharakter. Schafe, die an seinen Steilhängen entlang zogen, schienen förmlich herunterzufallen. Beim mitternächtlichen Gewitter glaubten wir, manchmal Wölfe in der Ferne heulen zu hören.
Der darauf folgende Tag führte uns über einen oft nur 10 – 20 cm breiten steinigen Pfad über den Steilhang des Ciortea und einen teilweise schroffen felsigen Grat zur Şerbota (etwa 2000 m). Dort, wo der Weg überm tiefen Abgrund endete, halfen uns Stahlketten weiter.
Hagel, Sturm und Schneeregen machten den späten Nachmittag zur Nacht und zwangen uns zum Biwak. Das Unwetter kämpfte die ganze Nacht gegen uns an und versuchte unser Zelt zu zerfetzen. Aus entfernt gelegenen Tälern war wieder das Kläffen der Hirtenhunde zu vernehmen und verschwand dann schließlich im Grollen des Gewitters.
Nach der stürmischen Nacht weckte uns strahlender Sonnenschein. Von einer Quelle brachten zwei Schäfer kristallklares Wasser zum Frühstück. Kein Getränk der Welt übertrifft eine solche Köstlichkeit. Die Schäfer begleiteten uns schließlich bis zur Şerbota (2331 m), das Ende unserer ersten Tour. Von hier hätte uns der Weg über den Negoiu weiter nach Osten geführt. Vor uns stand aber der Abstieg über einen scharfen Grat zur Negoi-Hütte und der Abschied vom Fogarascher Gebirge für ein Jahr. Auf einem Forstweg gelangten wir zur Bahnstation Porumbacu de Jos.
Ein Jahr darauf, Mitte August, war es wieder soweit. Diesmal fuhren wir über Braşov nach Zărneşti, um das Fogarascher Gebirge vom Osten aus in Angriff zu nehmen. Die Bergtour begann unterhalb des Königsteins (2238 m). Nach zweitägigem Fußmarsch über die Cabana Plaiu Foii und das Forsthaus Rudăriţa zelteten wir unter dem Comisu unweit eines Schafkrals.
Am Vormittag des übernächsten Tages erreichten wir den Grat zwischen Leaota-Tal und Urlea-See. Das Leaota-Tal, von Bergen über 2000 m Höhe umgeben (z.B. Dara), erscheint wie eine seichte Gebirgsmulde. Es ist das Tal der sieben Seen, eine Landschaft, in der selbst im Sommer noch vereinzelt Schneefelder zu entdecken sind. Gegenüber liegt unter zwei steilen felsigen Nordwänden der eisige Urlea-See. Er wirkt wie ein vor der Wand errichtetes gewaltiges Becken.
Das Große Fenster, eine große Kerbe im Hauptkamm, passierten wir am späten Nachmittag. Blauer Himmel, Sonnenschein und schattige Nordwände ließen die warme Luft beim Aufsteigen fortwährend kondensieren. Die Nebelschwaden wälzten sich ohne Unterbrechung herauf. Oft waren nur noch die Spitzen der Felsklippen zu sehen. Im dichten Nebel schlugen wir unser Camp auf einem kleinen Pass auf. Ein Kreuz erinnerte dort an einen tragischen Unfall.
Der Moldoveanu (2544 m), der höchste, steile, jedoch bis zum Gipfel mit Gras bewachsene längliche Berg wurde während der nächsten Tageswanderung überschritten. Vor seinem Fuß speist ein Firneisfeld den Dreiecksee. Ein schweres Gewitter und aufkommender Nebel zwangen uns, am frühen Nachmittag über ausgedehnte Geröllfelder in das Tal hinter dem Giganten abzusteigen, dass uns eine Biwakmöglichkeit bot. Blitze zuckten am Horizont und erhellten das Paradies. Regen peitschte zu Boden und nahm uns die Sicht.
Tags darauf führte uns der Weg bei Sonnenschein und ziehenden Nebelschwaden weiter, vorbei am Abstieg zur Podragu-Hütte über Geröll und Schneefelder zu einem weiteren Gipfel, dem Arpaşu Mare (2486 m), und schließlich zum Gämsensee. Gämsen sind hier in den frühen Morgenstunden tatsächlich zu sehen. Am See erlebten wir eine eisige Augustnacht mit minus zwei Grad.
Von hier aus ging es dann in den schroffsten und beeindruckendsten Teil der Fogarascher. Nachdem wir den in der Tiefe gelegenen Bâleasee hinter uns gelassen hatten, zeichnete sich am Horizont das Călţun-Negoi-Massiv ab. Riesige steile Felswände und Hänge heben sich weit über den Kamm hinaus. Der Călţun-See scheint einer solchen Felswand auf einem kleinen Podest vorgelagert zu sein. Ein romantischer Gebirgspfad führt zur Teufelsschlucht. Die 500 m lange Klettertour durch die Schlucht ist anstrengend. Stahlseile erleichtern ihre Begehung. Hagel und Kälte begleiteten wieder die zweite Hälfte unseres Aufstiegs. Vom Ausgang der Schlucht ist der Negoiu (2535 m) nicht mehr weit.
Das schlechte Wetter veranlasste uns, die Besteigung der Custura Sărăţii zur Şerbota, dem Endpunkt unserer vorjährigen Tour, um zwei Tage zu verschieben. Schluchten, Felsspalten und senkrechte Felswände lassen die Custura Sărăţii, den beeindruckendsten Gebirgshang an der Şerbota, nur den geübten Bergwanderer erklimmen. Für uns bildete die Şerbota auch diesmal wieder den Ausklang und die Negoi-Hütte die Stätte des wehmütigen Abschieds von den Südkarpaten für ein weiteres Jahr.

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 85, S. 209 – 214)

Seite Bildunterschrift
 
209 Landschaft
210 Wenn man Glück hat, kann man auch ein solches Foto schießen.
212 Die Teufelsscharte – Kraftprobe für jeden Gipfelstürmer.
213 Hirten und Schafherden sind oft unsere Begleiter.
nach oben nach oben