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Das Geheimnis der Weißen Lotosblume

Im Naturschutzgebiet von Băile 1 Mai Oradea

von Erika Schneider

Wo die westlichen Vorberge der Karpaten in die Ebene der Kreischflüsse auslaufen, liegt unweit von Oradea, in südöstlicher Richtung, zwischen den beiden Dörfern Rontău und Haieu das Warmwasserbad 1 Mai, das einen der rätselhaftesten Pflanzenstandorte Europas birgt, welcher bereits 1931 zum Naturschutzgebiet erklärt wurde.

In dem von Thermalquellen gespeisten Peţeabach wächst hier, weit entfernt von tropischer Wärme und Vegetation eine besondere Seerose, die Weiße Lotosblume – Nymphaea lotus var. thermalis, deren Vorkommen bereits Ende des 18. Jahrhunderts die Aufmerksamkeit der Botaniker erregte. Über ihr Vorkommen ist 1866 bei Carl Riess zu lesen: „Die Nymphaea thermalis kommt schon oberhalb des Bades selbst in der obersten kleinsten Quelle, sowie in allen anderen Quellenbassins oder Teichen und in deren Zusammenfluss, dem Peczebach, bei dem Bade und unterhalb desselben bis zur Mühle von Rontău, etwa 700 Klaftern unterhalb des Bades vor.“

Thermal-Feenrose

„Dreţe“ oder „floare de tău“, d.h. „Seeblume“, nennen die Ortsbewohner diese Seerose mit ihren weiß-gelblichen, großen Blüten und den tellerförmigen, grün-glänzenden Blättern, mit gezahntem, aufgebogenem Rand, die im Durchmesser 46-52 am erreichen können.
Bewunderung für die seltene Schönheit dieser Blüten, die sich über den auf der Wasserfläche schwimmenden Tellerblättern entfalten, spricht auch aus der ungarischen Benennung „Hévizi tündérrózsa“, d.h. Thermal-Feenrose, der wohl am besten für die Weiße Lotosblume passt, denn sie blüht nachts, „wenn die Feen ihr Wesen treiben“, wie es früher im Volksmund hieß.
Ihre Blüten entfalten sich abends, etwa 21.00 Uhr, bleiben die ganze Nacht über offen und schließen sich dann wieder etwa 10.00 Uhr, während die Weiße Seerose (Nymphaea alba), die in anderen Teichen, toten Flussarmen und im Donaudelta vorkommt, tagsüber ihre Blüten öffnet. Auf ihrem 40-65 cm hohen Blütenstängel hält sich die Weiße Lotosblume 4-7 Tage über Wasser und neigt sich dann zur Samenreifung auf den schlammigen Grund.
Vom so genannten „Ochiul Ţiganilor“, wo der Peţea-Bach seinen Ursprung hat, bis zu der 1,5 km talabwärts liegenden Mühle von Haieu wächst die Weiße Lotosblume in günstigen Bedingungen, bei Wassertemperaturen von 26-28 °C und einer Wassertiefe von 35-50 cm.
Auf der Oberfläche des etwa 600 m² großen Teiches „Ochiul Mare“ gelangt die Weiße Lotosblume unter der optimalen Wassertemperatur von 31° und einer Wassertiefe von 40-60 cm zu voller Entfaltung, wobei sie mit den oft sehr dicht gedrängt stehenden Blättern den Spiegel des Teiches bedeckt.
Im Winter verwandelt sich das Lotosblumenparadies im Peţeabach und dem großen Teich zu einem wahren Dampfkessel, und nur äußerst selten geschieht es, dass in besonders harten Frostmonaten der Rand der Gewässer zufriert.

Weitab von den Tropen

Weit schweifen unsere Gedanken beim Anblick der Blumenpracht von Băile 1 Mai hin zum fernen Nil, wo die nächste Verwandte, die unserer Weißen Lotosblume ähnliche Ägyptische Lotosblume, vorkommt, die sich jedoch durch die ganzrandigen Blätter von der des Peţea- Baches unterscheidet. Fragen über Fragen werden dabei aufgeworfen. Wie kam die Weiße Lotosblume hierher, wo sie weitab von den Tropen, im Thermalwasser bei Oradea, ihre kleine, tropische Umgebung gesichert hat? Dazu gab es im Laufe der Zeit die Überlegung, ob wohl Zugvögel Samen der Lotosblume von den Ufern des Nil in dem an ihren Beinen angetrockneten Schlamm mitbrachten oder die Türken sie bei ihrem Vorrücken im 16. Jahrhundert einschleppten. All das tritt jedoch in den Hintergrund, wenn man sich auf Zeugen der Vergangenheit berufen kann, die zum Bewies ihrer Bodenständigkeit beitragen.
„Dass die Nymphaea thermalis“, wie es vor hundert Jahren hieß, „von freien Stücken hier bei Großwardein, am Fuß der letzten Ausläufer der Siebenbürgener Gebirge, wächst“, findet heute allgemeine Anerkennung.
Als Relikt der tropischen Flora des Tertiärs, die mit der Abkühlung des Klimas und dem Einbruch der Eiszeit aus Europa verschwand, konnte die Weiße Lotosblume im Thermalwasser bei Oradea überdauern und mit ihr als „lebendes Fossil“ die Schnecke Melanopsis parreyssi als letzter Vertreter einer Reihe fossiler Schnecken der Melanopsidae, die zusammen mit der Weißen Lotosblume vorkommen. Angepasst an die Bedingungen des Thermalwassers, d.h. an Wassertemperaturen von 28-34 °C, tummelt sich zwischen den Stängeln der Weißen Lotosblume, an denen auch die kleinen Schnecken zu finden sind, eine kleine Rotfeder, ein endemisches Fischchen (Scardinius erythrophthalmus racovitzae), das nur in Băile 1 Mai, im Becken des Peţea-Bachs vorkommt.
In Travertinschichten bei der Haltestelle Rontău konnten u. a. fossile Pflanzenreste der Weißen Lotosblume (Wurzelstock) sowie verschiedene Schneckenarten der Gattung Melanopsis festgestellt werden, die mit einem Beweis für die Kontinuität von Lotosblume und diesen Schnecken erbringen.
Übrigens werden die häufigen, fossilen Melanopsis-Schnecken von den Bewohnern gesammelt und als Perlenschnüre aufgereiht den Kurgästen angeboten.

Tausende Jahre alter Blumenteich

Das Thermalbad 1 Mai liegt im einstigen Gebiet eines größeren, pliocänen Sees, der sich während der großen Erdbewegungen am Ende dieses Zeitalters, vor etwa 1 Million Jahren, als sich die Alpen-Karpatenkette erhob, zurückzuziehen begann und in der darauf folgenden Zeitperiode, dem Pleistocän, schon viel geringere Ausmaße hatte. Zieht man wiederum die Meinung in Betracht, derzufolge der heutige „Lotosblumenteich“ von Băile 1 Mai ein Alter von 8.000 – 10.000 Jahren hat, also nur auf das Holocän zurückgeht, so darf man trotzdem das Fortbestehen der Weißen Lotosblume annehmen, u. zw. in Thermalquellen, die im näheren Umkreis dort hervortraten, wo die Erdschichtungen entsprechend älteren Datums sind.
Im Laufe der Jahrzehnte und jahrhunderte hat die Lotosblume in ihrer Entwicklung und im bestand ihrer Population Hoch und Tief mitgemacht. So wurde noch im vorigen Jahrhundert „das üppige Vorkommen dieser Pflanze im hohen Sommer sehr beeinträchtigt, indem der Peţea-Bach als Hanfröste benützt wird“. Andererseits aber wird folgendes verzeichnet: „Blumen und Blätter schwimmen nach ihrer vollendeten Ausbildung auf dem Wasser und überdecken die Bassins der Thermalquellen des (Bischofs-) Bades in einer solchen Menge, dass mit dem, den Badegästen zum Vergnügen bereitstehenden Kahn nur mühsam und stellenweise gar nicht durchzukommen ist.“
Gefährdet und vom Aussterben bedroht wurde die Existenz der Weißen Lotosblume in ihrem Schutzgebiet durch das 1949 unvorsichtigerweise ausgesetzte Brasilianische Tausendblatt (Myriophyllum brasiliense), welches sich im Thermalwasser so vermehrte, dass es sie zu ersticken drohte. Ebenso wirkte sich vor wenigen Jahren die „biologische Explosion“ des wohl durch Aquarienfreunde eingeschleppten tropischen Farns Ceratopteris thalictroides verheerend auf das Schutzgebiet der Weißen Lotosblume aus. Nur durch die Initiative und selbstlose Tätigkeit der Naturschutzbeauftragten Anna Marossy aus Oradea und unter Einsatz aller Kräfte zum Entfernen dieses Farns konnte die Lotosblume vor ihrem Untergang durch Überwucherung bewahrt werden. Zu vermerken ist, dass auch Wasserspiegelschwankungen sich negativ auf die Entwicklung der Lotosblume auswirken.

Rund um das Schutzgebiet

Wer unter den Kurgästen von Felixbad und Băile 1 Mai natur- und wanderfreudig ist, kann in die Umgebung auf Entdeckungsreisen gehen und wird sicher auch im Umkreis des Schutzgebietes der Weißen Lotosblume manche Überraschung finden.
Zwischen Haieu und Felixbad, dem bekannteren der beiden Thermalbäder neben Oradea, dehnt sich der so genannte Dealul Craiului aus, ein Plateau, das in einem 30-Minuten- Spaziergang von Băile 1 Mai überquert werden kann. Als höchste Stelle der Umgebung ist der 347,5 m. ü. M., südöstlich von Băile 1 Mai gelegene Dealul Şomleu zu nennen, der als letzter Vorläufer der Vorberge der Pădurea Craiului an seinen gegen das Bad auslaufenden Hang vor allem mit Eichen- und Buchenwald bedeckt ist. Gegen Felixbad ist in diese Wälder auch die Zerreiche eingesprengt, die gegen Süden und Westen hin zunimmt und reine Zerreichenbestände bildet. In den Wäldern des Şomleu-Berges erinnert der seltene, geschützte Mäusedorn (Ruscus aculeatus) an manche Südbanater Wälder um Herkulesbad, Mehadia und aus dem Kasan-Pass, wo diese südliche Art etwas häufiger vorkommt. Auf Lichtungen, an Waldrändern und in lockerem Gebüsch ist die Königs-Lichtnelke (Lychnis coronaria) mit ihren weiß-filzigen Blättern und den leuchtenden Purpurblüten, sowie die seltene Gelbdolde (Smyrnium perfoliatum) anzutreffen. Die Rispen-Fetthenne (Sedum cepaea) verrät hier auch trockene, warme Standorte. Gleich in der Nähe des so genannten „Ochiul Ţiganilor“ ist der seltene, mittel-südeuropäische Zwiebel-Steinbrech (Saxifraga bulbifera) zu finden.
Von den einstigen Stieleichen-Auenwäldern um den Großen Teich und den Peţea-Bach sowie den aus Felixbad kommenden Lunca-Bach ist nur wenig übrig geblieben, doch erinnern auch die wenigen Überreste im Bereich des Bades an die einst reichere Auwaldvegetation.

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 85, S. 90 – 96)

Seite Bildunterschrift
 
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  1. Blüte und Blatt der Weißen Lotosblume – Nymphea lotus var. thermalis.
  2. Melanopsis parreyssi, ein „lebendes Fossil“ des Naturschutzgebietes.
93 Thermalteich „Ochiul Mare“ im Naturschutzgebiet „Pârâul Peţea“
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  1. Mäusedorn (Ruscus aculeatus)
  2. Rispen-Fetthenne (Sedum cepaea); a. eine vergrößerte Blüte
  3. Königs-Lichtnelke (Lychnis coronaria)
  4. Zwiebel-Steinbrech (Saxifraga bulbifera)
  5. Gelbdolde (Smyrnium perfoliatum); b. vergrößerte Blüte, c. Frucht
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